Wie Politik, Polizei und Justiz den faschistischen Terror fördern
„Schonungslose und umfassende Aufklärung“ der Skandale rund um die Morde des Nationalsozialistischen Untergrunds fordern PolitikerInnen von der Linkspartei über Grüne bis hin zur CSU. „Schonungslose und umfassende Aufklärung“ versprechen die Verantwortlichen aus den Ministerien, den Geheimdiensten und der Polizei. Schockiert und fassungslos sieht das bürgerliche Politestablishment auf etwas, das die Lieblingsfeinde der Familienministerin Kristina Schröder, nämlich engagierte AntifaschistInnen, schon lange wissen und sagen: FaschistInnen verfügen in Deutschland über Terrornetzwerke. Der Terrorismus der gut vernetzten Neonazis besteht nicht alleine aus dem oft tödlichen Alltagsterror, der den Regierenden in den letzten Jahrzehnten so herzlich egal war. Nazis planen durchaus Mordanschläge und führen sie aus. Sie alle hätten es wissen können, doch ihr Job bestand eben darin, rechten Terror zu vertuschen, zu verharmlosen und teilweise auch darin, diejenigen zu bekämpfen, die seriöse Informationen über Nazistrukturen, braunen Terror und das Ausmaß rechter Gewalt boten. Aus der umfassenden Aufklärung wird sicher nichts werden. Schon werden wieder unangenehme Tatsachen vertuscht. Nazis, die verdächtigt werden, mit dem „Terror-Trio“(!) tatkräftig zusammengearbeitet zu haben, werden der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung bezichtigt und nicht der Mitgliedschaft. Ein Nationalsozialist, der offenbar das Bekennervideo des Terrornetzwerkes erstellt hatte, blieb zunächst tagelang in Freiheit und hatte jede Menge Zeit, Beweismaterial zur Seite zu schaffen. Der faschistische Alltagsterrorismus (auch unter den Augen von Polizei und Verfassungsschutz) geht ungehindert weiter. Der aus der Haft entlassene Naziterrorist Martin Wiese verstößt munter gegen seine Bewährungsauflagen, indem er mit seinen Komplizen Kontakt aufnimmt, ohne dass Polizei und Justiz sich dafür interessieren. Sie haben auch in diesen Tagen anderes zu tun: AntifaschistInnen einzuschüchtern und zu verfolgen.
Kriminalisierter Antifaschismus
Nicht alleine Protest und Widerstand gegen Nazi-Umtriebe, auch Aufklärung über rechte Zusammenhänge ist hierzulande Sache von linken oder bürgerlichen Initiativen. Diese Initiativen zu behindern und zu verfolgen ist wiederum Sache des Staates.
Das Ministerium der CDU-Politikerin Schröder, die seit ihrer Jugend einen fanatischen Kreuzzug gegen alles Linke führt, vergibt Fördergelder auch an einige antifaschistische Projekte und Vereine. Schröders Plan bei der Übernahme des Ministeriums war es, die Gewichtung der finanziellen Förderung deutlich zu verschieben und bevorzugt Geld für Programme gegen Islamismus und „LinksextremistInnen“ bereit zu stellen. Anfang 2011 führte die Ministerin eine so genannte Extremismus-Klausel ein, mit der dafür gesorgt wird, dass Vereine, die sich gegen Nazis engagieren, nur dann staatliche Förderung in Anspruch nehmen können, wenn sie schriftlich garantieren, dass sie nie (etwa in Bündnissen) mit Gruppierungen zusammenarbeiten, die vom Verfassungsschutz als „extremistisch“ eingestuft werden. Die KollegInnen des kleinen Adolf (so der Spitzname des damaligen Verfassungsschutzbeamten, der bei dem Mord der NSU in einem Internetcafe in Kassel anwesend war) entscheiden durch ihre Einschätzung von antifaschistischen Initiativen also letztlich darüber, welchen Projekten die Förderung aus Steuergeldern gestrichen wird. Kein Wunder, dass etwa der bayerische Verfassungsschutz versucht, die verdiente Antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München e. V. als „linksextremistisch“ einzustufen.
Über das „Extremismus“-Konstrukt haben wir in der jüngeren Vergangenheit mehrmals geschrieben, weswegen wir es diesmal bei einer kurzen Bemerkung zum Thema belassen: Die Vorstellung, dass diejenigen, welche die Welt unter die Herrschaft einer „Herrenrasse“ zwingen und Millionen Menschen vernichten wollen, irgendwie dasselbe wären wie diejenigen, die für eine freie Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung eintreten, ist schlicht irre. Aufgefallen ist das mittlerweile auch der bürgerlichen „Zeit“. Dort heißt es in einem bemerkenswert vernünftigen Kommentar mit dem Titel „Schafft das Wort Extremismus ab!“: „Die Regierung mag nicht ablassen von dem Dogma, Rechts- und Linksextreme seien das gleiche Problem unterschiedlicher Ausprägung. Das ist gefährlich.“
Bei der Diskreditierung und Kriminalisierung von antifaschistischem Engagement leisten Polizei und Justiz tatkräftige Unterstützung. Ein Fall, der beispielhaft für das zugrunde liegende Muster steht, ist die Verfolgung des Bürgerforums Gräfenberg. Nachdem 2008 ein Gericht Neonazis erlaubt hatte, mit einem Aufmarsch ein Fest der bürgerlichen antifaschistischen Initiative in Gräfenberg zu stören und zu verhöhnen, setzten sich dutzende Menschen spontan auf die geplante Aufmarschroute der Nationalsozialisten. Die Polizei hielt fest, dass der Nazimarsch deswegen „mit einer Verspätung von 1:23 Minuten“ begann und außerdem umgeleitet werden musste, wie es später im Strafbefehl gegen den angeblich verantwortlichen Sprecher des Bürgerforums hieß. Um die BürgerInnen, die sich den selbsternannten Erben des dritten Reichs in den Weg gesetzt hatten, aufzuspüren, setzte die Polizei einiges in Bewegung: Beamte mit Fotos von BlockiererInnen klapperten die Häuser ab und forderten Menschen auf, ihre NachbarInnen zu denunzieren.
Der NSU konnte jahrelang unbehelligt morden, während die Nürnberger Beamten der Sonderkommission „Bosporus“ die Angehörigen der Opfer schikanierten und beleidigten. Bei faschistischem Alltagsterror wird den Geschädigten, wie gerade erst nach dem Überfall von Nazis auf ein Zentrum in Weißenburg, oft geraten, auf Anzeigen zu verzichten. In Fürth verübt eine Handvoll Neonazis von der „Anti-Antifa“ der ehemaligen Fränkischen Aktionsfront seit Jahren Anschläge, ohne dass die Polizei sich in der Lage sieht, auch nur einen einzigen dieser Fälle aufzuklären.
Der Verfolgungs- und Aufklärungswille sowie der Personalaufwand ist aber riesig, wenn es um echte oder angebliche Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten von AntifaschistInnen geht. Jugendliche, die mit Kreide etwas gegen Nazis an eine Wand schreiben, haben z.B. in Fürth gute Chancen, dass die Polizei diesen „Fall“ aufklärt und ein seltsamer Jugendrichter Gerd Engelhardt sich anschickt, ihnen ihren Antifaschismus auszutreiben. Welche Blüten die Kriminalisierung von AntifaschistInnen treiben kann, zeigt auch die unvergessliche Initiative des Stuttgarter Landgerichts, das Verwenden des Antifasymbols des durchgestrichenen Hakenkreuzes unter Strafe zu stellen.
Nazis dagegen werden nicht nur von der Justiz in der Regel äußerst milde behandelt, sofern sie überhaupt vor Gericht erscheinen müssen. Die Polizei sieht häufig ihre Aufgabe nicht nur darin, Naziaufmärsche gegen den Widerstand der Bevölkerung durchzusetzen, sondern auch darin den Nazis direkt Straftaten zu ermöglichen und sie vor Verfolgung zu schützen. Auch hier nur ein Beispiel aus Nürnberg. 2008 sperrte die Polizei nicht nur ein gesamtes Stadtviertel, um den Nazis einen ungestörten Aufmarsch zu bescheren und prügelte protestierende AntifaschistInnen blutig, sondern schenkte den Faschisten auch die Möglichkeit, bei einem Zug durch den Bahnhof „Nieder mit der Judenpest!“ zu skandieren und zum Mord aufzurufen. Jeder Versuch von AntifaschistInnen, die Nazis festzunehmen oder an ihrem Tun zu hindern, wäre sicher von den anwesenden Beamten mit brutaler Gewalt unterdrückt worden.
Nazi-Netze: Vom Staat alimentiert, ?informiert und hoch gerüstet
Natürlich fingen bürgerliche Medien und PolitikerInnen sofort nach dem Bekanntwerden der Verantwortung des NSU für die Mordserie an, die Diskussion um ein Verbot der NPD aufzuwärmen. VerbotsskeptikerInnen brachten dabei das merkwürdige Argument, Gedanken könne man ohnehin nicht verbieten. Tatsächlich finanziert der Staat seit Jahrzehnten mit der NPD eine Nazipartei, deren Mitglieder und deren näheres Umfeld bereits unzählige Terroranschläge und etliche Morde begingen. Im Jahr 2008 bezog die NPD beinahe 1,5 Millionen Euro vom Staat. Das waren etwa die Hälfte ihrer Gesamteinnahmen. Finanziert werden aus den Parteigeldern natürlich über personelle Überschneidungen auch Aktivitäten terroristischer Kameradschaften. Einen größeren Posten dürfte die Summe darstellen, die der Staat der Naziszene großzügig über V-Leute zur Verfügung stellt. Einige Nazi-AktivistInnen haben nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass sie die Vergütung durch Geheimdienste und Polizei als Spende an die Bewegung ansehen und auch entsprechend verwenden. So profitierte auch der “Thüringer Heimatschutz??? (THS), aus dessen Mitte der NSU hervorging, von Hunderttausenden Euro, die der Verfassungsschutz dem NPDler und Führer des THS, Tino Brandt, und anderen VS-Mitarbeitern schenkte. Ein weiterer Kanal, durch den Faschisten Geld aus Steuereinnahmen des Staates erhalten, ist die Förderung von Projekten. So erhielt beispielsweise Karl-Heinz Hoffmann, vormaliger Chef der berüchtigten Wehrsportgruppe Hoffmann und weiterhin umtriebig in der Nazisszene, 130.000 Euro vom Bundesland Sachsen für die Pflege eines Schlosses. Gegen großzügige Bezahlung aus diesen Steuergeldern halfen ihm Angehörige von militanten Kameradschaften beim Ausbau des Anwesens zu einer Anlaufstelle für Nazis. Doch die jetzt alle so betroffenen PolitikerInnen sind nicht allein für die Finanzierung des Nazi-Terrors verantwortlich. Staatliche Stellen wirken auch direkt am Naziterror mit. Zum Beispiel hatte Didier Magnien, Vertrauter des bayerischen Terroristen Martin Wiese, entscheidenden Anteil am Ausbau der “Anti-Antifa???. Über Magnien versorgte das bayerische Innenministerium die Nazis der “Anti-Antifa??? mit Geld, Ausrüstungsgegenständen und Informationen über AntifaschistInnen, also potentielle Attentatsziele. Informelle Verquickungen mit Polizei- und anderen Beamten stellen sicherlich eine weitere wichtige Quelle für die Nazi-Terroristen dar.
Richter Richard Caspar:? Nicht ohne meine Nazis!
Im Frühjahr 2011 fand vor dem Nürnberger Landgericht der Prozess gegen den Neonazi Peter Rausch statt. Dieser hatte im Vorjahr einen jungen Antifaschisten beinahe totgeschlagen. Die Reaktionen der Polizei, Staatsanwaltschaft und der lokalen Politik auf diesen faschistischen Mordversuch passten in das übliche Muster: Zunächst wurde versucht, den politischen Hintergrund der Tat zu vertuschen. Erst als nach einigen Tagen der öffentliche Druck zu groß wurde, rückte die Polizei teilweise mit der Wahrheit heraus. Die Staatsanwaltschaft versuchte zunächst, dem Opfer eine Mitschuld zuzuschreiben. Polizei und Staatsanwaltschaft bedrängten zu diesem Zweck auch die Familie des Antifaschisten, als dieser noch im Koma lag. Am ersten Prozesstag versuchten etwa zwanzig Nationalsozialisten, darunter einige aus dem unmittelbaren Umfeld des Terroristen Martin Wiese und Mitglieder der verbotenen Fränkischen Aktionsfront, im Gerichtsaal Angehörige und Unterstützer des Opfers zu bedrängen. Eine Gewerkschafterin wurde dabei angegriffen und verletzt. Kurz darauf entfernte das USK die Nazis aus dem vollen Gerichtssaal. Dem Richter Richard Caspar war dies nicht recht. Er wollte offenbar unbedingt die Mitglieder der freien Kameradschaften im historischen Saal 600 haben. Daher ließ er das USK willkürlich zwei ZuschauerInnenbänke freiprügeln, um Platz zu schaffen für die Nationalsozialisten. Einige der so aus dem Saal geprügelten sahen sich später mit Ermittlungsverfahren und Prozessen konfrontiert. Auch Caspars Nazipflege illustriert, welches Wohlfühlklima der Staat und seine Institutionen den NationalsozialistInnen beschert. Während die verantwortlichen PolitikerInnen von CSU/CDU/SPD/FDP/Grünen sich teils antifaschistisch geben und im Stillen weitere Repressionsmöglichkeiten gegen Linke planen oder, wie Kristina Schröder, wenigstens zeitweise die Klappe halten, bleiben etlichen KomplizInnen des NSU (etwa in Nürnberg, Fürth und München) selbst Hausdurchsuchungen erspart. Auch nach über 180 Toten allein seit 1990 dürfen Mitglieder rechter Terrorzellen sich der freundlichen Mitwirkung staatlicher Stellen sicher sein – trotz des Geschwätzes und der Lichterkettenteilnahme der Verantwortlichen.
Aus: barricada – Zeitung für autonome Politik und Kultur – Dezember 2011