Ein Stadtrundgang in Nürnberg
Fährt man derzeit durch die Stadt, begegnen einem auf Schritt und Tritt große rote Plakate, auf denen, man glaubt es kaum, die Genossen der Bosse – von der SPD – mit den Lieblingsthemen von Attac und Linkspartei hausieren gehen. Aus unseren Briefkästen grinst uns, zumindest in Gostenhof, die an einer Karotte nagende Gerlinde Körber von der CSU entgegen und der erzkonservative Liebling des bayerischen Kapitals, Günther Beckstein, übt sich auf Großplakaten seiner wahlkämpfenden Nürnberger Kameraden in der Geste des Landesvaters. In der Innenstadt buhlen Grüne Kriegstreiber um unsere Gunst und der einst als Spaßpartei angetretene Klub die Guten präsentiert sich auf Plakaten gewohnt inhaltsleer, bad and ugly wie es der miesen Realpolitik seines Stadtrates Grollmann entspricht. Auch FDP, ÖDP, die deutschnationale Repulikanersekte und andere Langweiler beengen uns zur Zeit wieder und verschandeln mit ihrem Wahlkampfmüll die Stadt. Darüberhinaus fehlen, wenn Wahlkampf angesagt ist, selbstverständlich auch die lokalen Nazideppen von der NPD-Tarnliste Bürgerinitiative Ausländerstopp nicht. Im schmucken Layout einer Metzgereizeitung kommt das Wahlkampfblättchen der Rassisten daher und soll dafür sorgen, dass uns nationalsozialistische Hetze nähergebracht wird.
Sozial sind sie im Wahlkampf selbstverständlich alle, und natürlich auch für die Umwelt. Die Interessen von ArbeiterInnen, Erwerbslosen, RentnerInnen, Frauen wie Kindern sind ihnen besonders wichtig und spätestens seit dem Debakel der CDU in Hessen haben alle ihr Herz für MigrantInnen entdeckt, von denen manche ja schließlich auch Stadträte wählen dürfen. Alle? Nein, den Rassisten von NPD und Republikanern bleibt dieser Wahkampftrumpf quasi per ideologischem Naturgesetz für alle Zeiten verwehrt.
Zwischen all dem Mist gehen die kleinen rot-gelben Plakate der Linken Liste fast unter, die sich augenscheinlich bemüht, Kritik aus den unterschiedlichen sozialen Bewegungen in ein parlamentarisch verwertbares Wahlkampf-Korsett einzubinden.
Aufmerksame LeserInnen haben es sicher bemerkt: Die Kommunalwahl steht vor der Tür.
„Wahlen sind wichtig“, erklärte mir kürzlich eine ältere Genossin –
– und fuhr fort: „das haben wir von klein auf gelernt und es kann auch nicht geleugnet werden: Wahlen sind wichtig. Nicht etwa weil sie, wie wir gelernt haben, dazu da wären an der beschissenen Situation von uns, der Mehrheit in diesem Land, etwas zu verändern, nein, weil die bürgerliche repräsentative Demokratie nun einmal die für die kapitalistische Wirtschaftsweise funktionalste Form der staatlichen Herrschaft ist. Der Staat und die einzelnen Länder und Kommunen können mit Hilfe der unterschiedlichen bürgerlichen Parteien in kurzen Abständen, auch Wahlperioden genannt, ganz nach den aktuellen Profitinteressen der herrschenden Klasse ausgerichtet werden. Über gezielte Wahlkampfspenden, über die im Privatbesitz der herrschenden Klasse befindlichen bürgerlichen Zeitungen, TV- und Radiosender etc. lässt sich gezielt Einfluss auf die WählerInnenmeinung und den gewünschten Wahlausgang nehmen. Die bürgerlichen Parteien, deren Ziel die Erringung der politischen Macht ist, kommen in dieser Systematik nicht darum herum, ihre Programme den jeweils aktuellen Interessen des Kapitals anzupassen. So gutwillig sie im Einzelfall zu Beginn ihres Bestehens auch sein mögen, ist der Weg aller bürgerlichen Parteien, die auf eine Veränderung der Verhältnisse durch Wahlen setzen, in die Anpassung und Unterwerfung vorbestimmt. Sie alle konkurrieren genau besehen um die Gunst des Kapitals, das ihnen einzig den Weg zur politischen Macht ebnen kann.
Die zur parlamentarischen bürgerlichen Demokratie gehörenden Regierungswechsel verhindern darüberhinaus die Herausbildung einer allzu losgelöst von den Interessen der Banken und Konzerne existierenden politischen Macht, wirken politischer Verknöcherung entgegen und ermöglichen das Aufgreifen oppositioneller Gedanken und die Integration von Kritik.
So – zugegebenermaßen etwas kurz umrissen – wird deutlich, dass die bürgerliche Demokratie mit ihren Wahlkampfspektakeln nichts anderes ist als die verdeckte Diktatur jener Klasse, die im Besitz von Produktionsmitteln ist, sich den durch die Mehrheit in diesem Land geschaffenen Reichtum privat aneignet und für ihre Profitinteressen einsetzt.“ Mir blieb nichts als diesem Redeschwall zuzustimmen und ein weiteres Bier für die sicherlich trocken gewordene Kehle meiner Genossin zu bestellen.
Die Stadtratswahl zu Nürnberg und die revolutionäre Linke
Neben all den belästigenden Nebenwirkungen, die der Kommunalwahlkampf der konkurrierenden bürgerlichen Parteien für uns so mit sich bringt, neben dem aufkommenden Hass, den alle aufrechten GegnerInnen der herrschenden Ordnung angesichts der Verlogenheit bürgerlicher Wahlkampflügen verspüren müssen, hat jede Wahl auch für RevolutionärInnen ihre interessanten Seiten. So ist ein Wahlabend meist nicht langweilig, sportlich betrachtet kann Mensch wie bei einem Fußballspiel mitfiebern und sich von Zeit zu Zeit auch einmal über die Niederlage eines besonders widerwärtigen Zeitgenossen oder den Absturz einer außerordentlich miesen Partei freuen. Auch wenn das fast immer genausowenig gesellschaftlich verändert wie ein Auswärtssieg der eigenen Mannschaft.
Politisch betrachtet sind Wahlen, wie es kürzlich ein Moderator von Radio Z trefflich bemerkte, immer auch ein Gradmesser, der uns Auskunft über die aktuelle Stimmungslage und damit über den Grad der Unzufriedenheit in der Bevölkerung gibt und allein deshalb schon von Interesse. Ob es für die revolutionäre Linke nun sinnvoll sein kann, in einem Land zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt selbst an Wahlen aktiv oder passiv teilzunehmen, darüber gibt es seit Bestehen des Kapitalismus unterschiedlichste strategische und taktische Standpunkte. So wird es auch niemanden ernsthaft verwundern, dass es diese aktuell auch in Nürnberg gibt. Klären können wir das an dieser Stelle selbstverständlich nicht.
Über einige Essentials sollte jedoch Einigkeit bestehen. Der Kampf für unsere Interessen, die Interessen der Mehrheit, kann nicht an eine Wahl-Partei delegiert werden, die es dann im Parlament schon richten wird.
Aufgabe der revolutionären Linken ist es, die Selbstorganisierung der lohnabhängigen Klasse und den Kampf für eine Gesellschaft jenseits der kapitalistischen Ordnung voranzutreiben. Dies beinhaltet selbstverständlich auch, die Möglichkeiten zu nutzen, die uns die erhöhte politische Aufmerksamkeit während Wahlkämpfen bietet. Aktivitäten in Wahlkampfzeiten sollten immer auch darauf abzielen, die parlamentarische Scheindemokratie, die in Wahrheit ein Instrument der Klassenherrschaft ist, zu demaskieren und bloßzustellen. So lange dies Konsens ist, soll es uns recht sein wenn der Eine oder die Andere von euch, aus welchen Gründen auch immer, bei der Stadtratswahl verschämt in die Wahlkabine schleicht.
Quelle: barricada – Februar 2008