Keine Unterbrechung – Gericht will trotz Corona weiter verhandeln und gefährdet damit Leib und Leben
Das umstrittene TKP/ML-Verfahren in München gefährdet nicht nur demokratische Standards, sondern inzwischen auch akut die Gesundheit. In dem Mammut-Prozess stehen seit Juni 2016 zehn angebliche Mitglieder der Kommunistischen Partei der Türkei/ML (TKP/ML), darunter ein Nürnberger Ärztepaar, wegen Bildung einer „ausländischen terroristischen Vereinigung“ vor Gericht. Die zehn Linken, die aus der Türkei und Kurdistan stammen, sind nach § 129b angeklagt. Sie haben in Deutschland keinerlei strafbare Handlungen begangen. Vorgeworfen werden ihnen nur legale Vereinstätigkeiten wie das Sammeln von Spenden oder die Organisation von Veranstaltungen. Die TKP/ML ist in Deutschland auch nicht verboten. Mit diesem Verfahren – dem größten gegen Linke in Deutschland seit Jahrzehnten – erweist die BRD also Erdogan einen Dienst, indem sie seine Gegner hier verfolgt. Dies belegen auch die vielen Akten, die die Türkei für die Anklage zur Verfügung gestellt hat. Nun will der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts (OLG) München trotz der Corona-Pandemie, die das öffentliche Leben lahm legt, nicht pausieren. Nicht einmal für kurze Zeit will er das Massenverfahren mit über 50 Beteiligten, die aus ganz Deutschland anreisen, unterbrechen.
Diese Entscheidung setzt mehrere Personen aus Risikogruppen einer akuten Ansteckungsgefahr aus und schafft wegen der weiten Fahrtwege die Gefahr neuer, unkontrollierbarer Infektionsketten. Dabei ignoriert das Gericht sogar alle Maßnahmen, die von den Gesundheitsbehörden sowie der Bundesregierung gegen das Corona-Virus getroffen wurden. Leib und Leben der Bevölkerung interessieren die Richter nicht – Hauptsache, sie können ihren Verurteilungswillen durchsetzen und den Prozess jetzt rasch durchziehen. Konkret sieht die Lage so aus: Der größte Teil der zehn Angeklagten, zwanzig Verteidiger*innen und zehn Vertrauensdolmetscher*innen reist zu jedem Prozesstag durch das gesamte Bundesgebiet per Bahn oder Flugzeug an. Drei kommen aus dem Ausland nach München. Es sind rund 56 Menschen auf engstem Raum anwesend, in einem Gebäude, das täglich von über 1.000 Personen betreten wird. Ein Teil der Angeklagten wie auch der Verteidiger*innen zählt zu den Hochrisikogruppen, aus Altersgründen, wegen Vorerkrankungen und wegen aktueller schwerer Krankheiten, die während der enorm langen Verfahrensdauer aufgetreten sind. Immerhin haben etliche Angeklagte lange Haftzeiten in türkischen Gefängnissen hinter sich und wurden dort schwer gefoltert.
Die Durchführung eines Verfahrens in dieser Größenordnung ist absolut nicht zumutbar und verantwortungslos. Der Senat gefährdet die Allgemeinheit besonders auch deshalb, weil er die drei Angeklagten, die aus dem Ausland (Schweiz, Liechtenstein und Frankreich) teils über Österreich einreisen, zur Teilnahme an der Verhandlung zwingt. Dabei hat das Bundesgesundheitsministerium solche Reisen ausdrücklich unterbunden und betroffene Personen aufgefordert, sich zwei Wochen in Quarantäne zu begeben.
Der Vorsitzende Richter hat entschieden, dass am 18. März sowie am 23., 24., 30., 31. März 2020 und 1. April 2020 weiter verhandelt wird. Und das, obwohl er selbst zugab, dass im Bereich des Strafjustizzentrums München ein nicht bestätigter Corona-Verdachtsfall aufgetreten ist. Er habe zwar keine weiteren Informationen darüber, gehe aber nicht von einer Gefahr aus. Ein bodenloser Leichtsinn. Die wenigen Vorschläge, die kamen, um die Ansteckungsgefahr einzudämmen, helfen nicht der Gesundheit, sondern bedeuten sogar eine Einschränkung der Verteidigungsrechte. Es hieß z.B., dass nicht alle Verteidiger*innen anreisen oder dass die Verfahrensbeteiligten sich weit auseinandersetzen sollten. Dies ist im Saal schwer möglich und unterbindet die Kommunikation. Wir sind empört, dass der Senat die Gesundheit der Beteiligten gefährdet, auch ein Risiko für die Allgemeinheit nicht scheut und die Rechte der Angeklagten beschneidet.