»Nicht lustig, dass sich das Gericht mit Papierfliegern beschäftigt«
Und der Papierfliegerprozess geht weiter:
Freitag 03.01.2020 , 09:15 Uhr
vor dem Amtsgericht Nürnberg in der Fürther Straße Saal 126
Prozess startet um 10:00 Uhr
Und immer noch wird eine Versammlungsleiterin vor Gericht stehen, weil sie geflüchteten Frauen* und Kindern nicht untersagte, ihre politischen Forderungen mittels Papierfliegern an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg zu richten. Darauf geschrieben waren Parolen wie »Alle Lager abschaffen« oder »Gleiche Rechte für Geflüchtete«. Wie wurde das vor Gericht verhandelt?
Die jw interviewte hierzu Meru Prenzing als Sprecherin des 8.März-Bündnisses in Nürnberg:
Im Prozess ging es um den Vorwurf des Verstoßes gegen das bayerische Versammlungsgesetz. Die Staatsanwältin warf der Anmelderin der Kundgebung vor, der Anweisung der Polizei nicht nachgekommen zu sein, den Teilnehmerinnen das Werfen der Papierflieger zu untersagen. Deren Anwalt argumentierte wiederum, Papierflieger mit Botschaften seien letztlich nichts anderes als Flugblätter. Somit handele es sich um ein legales Kundgebungsmittel, welches sogar bei der Anmeldung der Versammlung angekündigt gewesen sei. Aus Sicht der Verteidigung hat es keine Straftat gegeben.
Wie sah es das Gericht?
Die Richterin hatte im Vorfeld eine Auflage verfügt: Der Fall sei erledigt, wenn die Versammlungsanmelderin eine Geldstrafe von 500 Euro an eine Fraueneinrichtung zahle. Diese wollte allerdings nur einer Einstellung des Verfahrens zustimmen, weil sie aus ihrer Sicht keine Straftat begangen hat. Es kam zu keiner Einigung, das Urteil wurde vertagt.
Hat das Gericht thematisiert, wie ungewöhnlich es ist, über die Lappalie einer Bastelaktion zu verhandeln?
Die Richterin sagte: Öffentlich würde dies zwar als lächerlich sowie unverhältnismäßig dargestellt, es gehöre aber zu ihrem Beruf. Vor dem Amtsgericht würden eben auch kleinere Bagatelldelikte verhandelt, etwa nicht bezahlte Strafzettel oder ähnliches.
Wie war die Stimmung im Gerichtsaal?
Schon vor Verhandlungsbeginn hatten wir eine Kundgebung mit etwa 30 Leuten abgehalten. Die kamen danach in den Gerichtssaal, um den Prozess zu beobachten. Sie mussten allerdings lange davor anstehen, weil alle Personen kontrolliert wurden. Nicht mal ein Stift und ein Stück Papier durften mit reingenommen werden, um sich Notizen zu machen.
Ist das so üblich?
In letzter Zeit wurde bei politischen Prozessen immer wieder derart verfahren. Die Begründung, warum selbst Geldbeutel oder Schlüssel nicht in den Saal hineingenommen werden durften, lautete in dem Fall: Die öffentliche Verhandlung könne gestört werden. Den Teilnehmerinnen wurde gewissermaßen unterstellt, dass sie Gegenstände werfen würden.
Wie lief die Kundgebung vor dem Gerichtsgebäude ab?
Es wurden wieder Papierflieger gebastelt, selbstgebackene Kekse in Fliegerform verteilt und eine Erklärung verlesen.
Ursprünglich ging es bei Ihrer Aktion ja um die Rechte geflüchteter Frauen. Hat sich etwas zum Besseren verändert?
Nein. Seit mehr als einem Jahr gibt es in Bayern die sogenannten Anker-Zentren. Dort sind Schutzsuchende während ihres Asylverfahrens mitunter mehrere Jahre lang untergebracht. Sie werden immer weniger in die Kommunen verteilt, weil sie direkt aus den Zentren abgeschoben werden sollen. Frauen haben in den Einrichtungen keine Zukunftsperspektive, kaum eine Privatsphäre und sind oft Gewalt ausgesetzt. Die gesundheitliche Versorgung ist unzureichend. Wir fordern daher, diese Lager abzuschaffen.
Ein Urteil in dem Fall soll nun am 3. Januar verkündet werden. Haben wir es bei diesem »Papierfliegerprozess« mit einer Gerichtsposse zu tun?
Nein. Es ist doch so: Tagtäglich ereignen sich rechte Gewalttaten, dazu Tabubrüche von Rassisten in den Parlamenten und auf der Straße. Oder Neonazis besorgen sich Waffen, um den Umsturz zu planen. Vor diesem Hintergrund ist es nicht lustig, dass sich ein Gericht ausgiebig mit selbstgebastelten Papierfliegern beschäftigt, statt sich der rechten Gefahr zu widmen.