Abschiebeblockade vor Berufsschule – Vom unbedingten Verfolgungswillen

Aus der aktuellen Rote Hilfe Zeitung eine Zusammenfassung über die Abschiebeblockade am 31. Mai 2017

Ortsgruppe Nürnberg/Fürth/Erlangen

Am 31. Mai 2017 sollte Asif aus dem Klassenzimmer seiner Berufsschule abgeschoben werden. 300 Mitschüler*innen und Aktivist*innen solidarisierten sich schnell, sie verhinderten so vorerst die Abfahrt des Polizeiwagens durch eine Sitzblockade. Über zwei Stunden hinweg leisteten die Mitschüler*innen und Aktivist*innen ruhigen, aber entschlossenen Widerstand. Erst durch das Eintreffen von Bereitschaftspolizisten aus Erlangen eskalierte die Situation in eine regelrechte Hetz- und Gewaltorgie. Mit dem Einsatz von einem Hund, Pfefferspray, Faust- und Schlagstöcken wurde nicht nur die Sitzblockade gewaltsam aufgelöst, sondern auch Menschen wie Vieh über den Platz gejagt, zu Boden gebracht, getreten und geschlagen. Die Abfahrt des Polizeiwagens konnte nicht weiter verhindert werden. Durch alle Medien, sei es Print, Fernsehen oder Radio riefen die Szenen aus Nürnberg vom 31. Mai Entsetzen hervor. Schnell schlug der Staat zurück. Die Repression dauert nach wie vor an. Dieser Artikel soll an den Artikel der RHZ 1/18, „Der Widerstand gegen eine Abschiebung und seine Folgen – Ein Drama in drei Akten“, anschließen. Zur Erinnerung: Ein Aktivist verbrachte fast ein halbes Jahr in Untersuchungshaft. Er wurde, mithilfe des Paragrafen „Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte“ (§114 STGB), zu zwei Jahren Haft auf vier Jahre Bewährung verurteilt. Ende 2017 wurde eine Aktivistin mithilfe einer Öffentlichkeitsfahndung gesucht. Sie soll eine halb volle 0,5 Weichplastik Flasche auf Polizisten geworfen haben. Soweit bekannt aus der RHZ 1/18.

Solidaritätsarbeit außerhalb der Gerichtssälen

Polizei und Staatsanwaltschaft schlugen 2017 zwar hart zu, konnten den Druck jedoch nicht dauerhaft halten. Im März 2018 kam die Solidaritätsarbeit wieder aus dem reinem Abwehrkampf heraus. Mit einer eindrucksvollen Podiumsveranstaltung unter dem Titel „Gelebte Solidarität – die Geschehnisse vom 31 Mai erzählt von unten“. Es berichteten AugenzeugInnen von der massiven Gewalt der Polizei und bestätigten, dass die Polizei für die Eskalation verantwortlich war. Von zwei Anwälten wurden die §§ 113, 114, die Verschärfungen des Asylrechts und das neue bayerischer PAG beleuchtet. Begleitet wurde die Veranstaltung von einer politischen Einordnung durch die Bündnisse Jugendaktion Bildung statt Abschiebung (JABA), Fluchtursachen Bekämpfen und Widerstand Mai 31 – Solidarität ist kein Verbrechen. Thema war auch der im Juni stattfindende Bildungsstreik unter dem Motto „Sie schieben ab, wir streiken!“. Über 100 Menschen besuchten die mehrstündige Veranstaltung. Im Publikum: Lehrer*innen der Berufsschule 11, Angehörige verschiedener Parteien, Initiativen,Organisationen, Aktivist*innen und solidarische Menschen. Am 31. Mai wurde zum ersten Jahrestag zusammen mit JABA eine Demonstration organisiert. Dabei wurde der Berliner Platz vor der Beruffschule von Aktivist*innen in „Platz der Solidarität“ umbenannt. Im Juni folgte dann der Bildungsstreik an dem 500 Menschen Arbeit, Schule und Studium fern blieben.

Die Kriminalisierung der Aktivist*innen ein kurzer Überblick

Aber natürlich blieb auch die Staatsanwaltschaft nicht untätig. Aufgrund der vielen Gerichtsverfahren soll lediglich auf einzelne Prozesse eingegangen werden. Inzwischen sind zehn Verfahren abgeschlossen, in allen Verfahren wurde mindestens Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte verurteilt. Die Strafen reichen von Strafbefehlen über 40 bis 60 Tagessätze, die Urteile aus den Verhandlungen gehen von 100 Sozialstunden bis 2 Jahren auf Bewährung. Ein Berufungsverfahren ist abgeschlossen – drei laufen noch. Nahezu alle Aktivisten*innen haben pauschal die Vorwürfe tätlicher Angriff und versuchte Gefangenenbefreiung erhalten. Mindestens drei Aktivist*innen steht noch ein Verfahren in erster Instanz bevor. Das Bündnis Widerstand Mai 31 hat alle Prozesstage begleitet und kontinuierlich Solidarität aufgebaut, sowohl in der Prozess Vorbereitung mit den Aktivist*innen als auch in der Öffentlichkeit. Anlässlich der Untersuchungshaft für einen Aktivisten am 31. Mai gründete sich das Bündnis.

Wenn Verurteilungen nicht genug sind

Im April begleitete das Bündnis den zweiten Prozess. Dem Aktivisten wurde vorgeworfen sein Fahrrad „mit Kraft“ vor die Beamt*innen geschoben zu haben, sodass diese nicht einfach weiter laufen konnten. Angeklagt war er deswegen nach den §§ 113,114 StGb und wegen versuchter Gefangenenbefreiung. Schnell war auch der Staatsanwaltschaft klar, dass der Prozess nicht so einfach wird. Denn die Verteidigung begann die Ereignisse vom 31. Mai im Gerichtssaal aufzuarbeiten. So musste die Richterin immer neue Verhandlungstage ansetzen. Im Juli stand nach sieben Prozesstagen das Urteil. Acht Monate auf drei Jahre Bewährung, wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Der tätliche Angriff und die versuchte Gefangenenbefreiung waren selbst dem Gericht zu weit hergeholt und konnten daher nicht verurteilt werden. Die Staatsanwaltschaft ging gegen das, ohnehin absurd hohe Urteil in Berufung: sie hatte 15 Monate ohne Bewährung gefordert. Das Berufungsverfahren beginnt am 10. Januar und ist mit vier Prozesstagen angesetzt. Die Verhandlungstage lieferten ein aufs andere mal politischen Sprengstoff. So kam heraus, dass der Angriff auf die Sitzblockade lediglich ein Ablenkungsmanöver war, um Asif wegzubringen. Das heißt die Eskalation war Polizeistrategie. ZeugInnen wurden stark von der Polizei unter Druck gesetzt. So erschien eine Pfarrerin mit Anwalt vor Gericht, da sie von der Polizei zuvor massiv verunsichert und unter Druck gesetzt worden war. Bei ihrer Vernehmung als Zeugin versuchten die Beamt*innen über Stunden hinweg sie zu beeinflussen und von ihrer Sichtweise abzubringen. Sie ist nicht die einzige Zeugin die von der Polizei beeinflusst werden sollte. Ob Asifs Abschiebung rechtmäßig war steht nach wie vor massiv in Zweifel, so rügte bereits das Amtsgericht Ansbach das Vorgehen als mindestens sehr zweifelhaft. Auch Asifs Anwalt ordnet die versuchte Abschiebung als Mittel ein, mit dem Geflüchtete um ihre wenigen Rechte gebracht werden sollen. Das Vorgehen wurde von einem Polizisten als gängige Praxis bestätigt.

Anfang August kam es zum 5. Prozess. Dem Aktivisten wird vorgeworfen Polizisten angegriffen zu haben und anschließend Widerstand gegen seine Festnahme geleistet zu haben. Angeklagt wurde er wegen Widerstand und tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte, sowie versuchter Körperverletzung. Als Beweise sind unscharfe Bilder angeführt, auf denen der Aktivist mit erhobenen Händen zu sehen ist. Kommentiert werden die Bilder mit, das er zum Boxen bereit ist und die Fäuste geballt hat. Tatsache ist aber, dass das Video, aus dem die Bilder stammen, in guter Qualität im Internet zu finden ist. Darauf ist zu erkennen, das der Aktivist seine Hände mit offenen Handflächen erhoben hat, während er von den Polizist*innen geschubst und geschlagen wird. Dass das ganze mehr als eng wird dürfte auch der Richter gesehen haben, denn er ordnete Nachermittlungen an. Polizei und Staatsanwaltschaft kamen dem auch bei und gaben den Polizei Zeugen ausreichend Möglichkeiten sich abzusprechen, wie später im Prozess ersichtlich wurde. So wurden mehrere Zeugen auf einmal geladen um gemeinsam das Video zu schauen um anschließend erneute Aussagen abzulegen. Dabei waren die Polizisten alle im gleichem Raum. Vor Gericht reichte all das letztendlich immer noch nicht. Ein Polizist konnte auf dem Video die Stelle nicht finden auf der er angeblich geschlagen wird, statt dessen war zu sehen wie er den Aktivisten mit dem Ellbogen ins Gesicht schlägt. Am Ende wurde der Aktivist zu 90 Tagesätzen wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte verurteilt. Er soll sich aus dem Polizeigriff heraus gedreht haben. Warum er überhaupt festgenommen worden ist, ist nach wie vor unklar. Die Staatsanwaltschaft hatte 6 Monate ohne Bewährung gefordert, sie ist in Berufung gegangen. Das Berufungsverfahren startet im Februar.

Im Oktober kam es zu dem mittlerweile siebten Prozess mit der bisher schwersten Anklage. Die Aktivistin soll eine Polizistin mit ihrem Longboard angeriffen haben und später einen zweiten Polizisten gegen die Hüfte gestoßen haben. Angeklagt ist sie wegen Widerstand mit Tätlichem Angriff mit Körperverletzung, sowie Widerstand mit tätlichem Angriff mit gefährlicher Körperverletzung und versuchter Gefangenenbefreiung. Die Aktivistin sollte in der Öffentlichkeit das Bild der gewalttätigen Blockadeteilnehmer*in bestätigen. Nachdem der Polizeieinsatz in den Medien nach wie vor umstritten ist und kritisiert wird, sah die Staatsanwaltschaft sich gezwungen nach zu legen. Mit den schweren Anklagen gegen Aktivisten*innen sollte die eigene Darstellung untermauert werden. In dem Prozess kassierte die Staatsanwaltschaft ihre bisher größte Schlappe. Zwar wurde die Aktivistin verurteilt, jedoch nur wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Alle anderen Vorwürfe wurden gestrichen. Ein kleiner Schubser reichte laut der Richterin nicht für einen tätlichen Angriff. Verurteilt wurde sie zu 30 Tagesätzen. Die Staatsanwaltschaft strebt auch hier ein Berufungsverfahren an, sie hatte sechs Monate auf Bewährung gefordert.

Verurteilen! Mit allen Mitteln!

Die Prozesse zeigen welcher Verfolgungs- und Verurteilungswillen hinter den Verfahren rund um den 31. Mai steht. Die Staatsanwaltschaft behindert die Verteidigung wo nur möglich. So werden Videos und Akten zurück gehalten. Die Videos die als Beweise herhalten sollen werden kommentiert, geschnitten und bearbeitet. In einem Fall war die Verteidigung gezwungen Klage einzureichen, damit eine ordentliche Einarbeitung in den Fall möglich ist muss sie auch das Videomaterial erhalten. Dies wurde bisher jedoch verweigert, obwohl das Verwaltungsgericht bestätigt, dass das Video ausgehändigt werden muss, kommt die Staatsanwaltschaft dem bisher nicht nach. Stattdessen legte die Staatsanwaltschaft Berufung ein, das Verfahren läuft noch, Ausgang offen.

Bereits zweimal musste ein Prozess verschoben werden, da die Staatsanwaltschaft und Polizei nicht alle Beweise der Verteidigung zugängig gemacht haben. All das belegt den unbedingten Verurteilungswillen zu hohen Strafen. Dass viele der Prozesse nicht zu einer Bewährungs- oder Haftstrafe geführt haben ist nicht auf ein funktionierendes Rechtssystem zurück zu führen, sondern auf die gute und kollektive Prozessführung, sowie die intensive Solidaritätsarbeit. Innenministerium und Staatsanwaltschaft wollen ihre eigene Geschichtsschreibung bestätigen. Um den nach wie vor massiv kritisierten Polizeieinsatz zu rechtfertigen brauchen sie Verurteilungen. Verurteilungen wegen Angriffen auf Polizist*innen. Da kommt der § 114 StGb wie gerufen. Nicht nur das ein sog. „tätlicher Angriff“ massive Gewalt suggeriert, sondern weitaus praktischer, nahe zu immer anzuwenden ist und zusätzlich eine Bewährungsstrafe vorsieht. Mit diesem Instrument, welches wie wir schon wussten jetzt nahe zu pauschal gegen uns angewendet wird, soll Widerstand gegen den kapitalistischen Normalzustand noch schärfer kriminalisiert werden. Dass das bis jetzt nicht funktioniert hat ist der Soliarbeit und den standhaften Aktivisten*innen zu verdanken, die sich gewissenhaft auf ihre Prozesse vorbereitet haben.

Schikanen und Ablehnung für Asif

Asif Asylfolgeantrag wurde im November abgelehnt, Klage dagegen wurde eingelegt .Es gab zuvor die Zusicherung des Sachbearbeiters Asif subsidiären Schutz zu gewähren. Der Antrag wurde nun doch abgelehnt, dabei gibt es einige Ungereimtheiten. Obwohl der Entscheider zugunsten Asifs urteilen wollte, fehlt der übliche Vermerk, dass jemand zweites die Entscheidung überprüft hat. Der Lagebericht aus Afghanistan ist völlig veraltet und der Sachbearbeiter nicht mehr zu erreichen. Es liegt nahe, dass der Antrag aufgrund von Druck aus dem bayerischen Innenministerium abgelehnt worden ist. Auch sein Anwalt teilt diesen Eindruck. Als wäre das nicht schon genug wurde auch gegen ihn ein Verfahren geführt. Ihm wurde vorgeworfen gegen seine Abschiebung Widerstand geleistet zu haben. Angeklagt wurde er wegen §§ 113, 114 StGb, Körperverletzung, Aufenthalt ohne Pass, Sachbeschädigung (bei einem Polizisten ist das Knopfloch an seinem Diensthemd etwas aufgerissen, sodass der Knopf wieder raus rutscht, als er selbst mit massiver Gewalt die Abschiebung durchsetzen wollte) und Störung des öffentlichen Friedens. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit wurde Asif, in allen Punkten bis auf Störung des öffentlichen Friedens zu 100 Arbeitsstunden verurteilt.

Die Sache mit den Deals und ein paar Schlussworte

In vielen Prozessen rund um die Ereignisse des 31. Mais, boten Staatsanwaltschaft und Richter*innen auch immer wieder sog. „Deals“ an. Konkret bedeutete dies bisher: Distanzierung und Entschuldigung gegen eine vermeintlich geringere Strafe. Tatsächlich aber: Kniefall und trotzdem harte Strafe. Wo ein unbedingter Verfolgungswille von ganz oben herrscht, in diesem Fall das bayerische Innenministerium, da gibt es für uns keine Deals, die ein Strafe tatsächlich mindern würden. Da gibt es nur eine Entpolitisierung des Verfahrens und eine satte Bewährungsstrafe oben drauf. In den wenigen Fällen, wo es tatsächlich zu Deals kam, wurden besonders hohe Urteile gefällt.

Exemplarisch für das Spiel „Deal or no Deal“ steht der Fall von Asif selbst. Ihm wurde gegen Kniefall ein bis zwei Wochen Jugendarrest + Arbeitsstunden angeboten. Wie bereits erwähnt, ließ es Asif – nach gewissenhafter und kollektiver Prozessvorbereitung – auf eine Verhandlung ankommen und wurde zu 100 Sozialstunden verurteilt. Da vor dem Jugendgericht verhandelt wurde, ist es der Staatsanwaltschaft nicht möglich gegen dieses Urteil Berufung einzulegen.

Prozesse durchzustehen, auf Deals vorbereitet sein – das geht nur mit einer guten Prozessvorbereitung, mit einem solidarischen Netzwerk, dass jede*n Betroffene*n begleitet. Staatliche Repression will unsere Überzeugungen brechen, will uns isolieren, uns klein und unsicher machen, am Ende auch spalten. Es bleibt bei einer alten Parole: Gemeint hat es eine*n, gemeint sind wir alle. Gemeinsam, entschlossen und solidarisch gegen jede Repression – nur das kann uns schützen und uns aufhelfen, wenn Kriminalisierung uns zu Boden bringt.

An dieser Stelle möchten wir uns, auch im Namen des Bündnis Widerstand Mai 31 – Solidarität ist kein Verbrechen, bei allen bedanken die uns in den letzten eineinhalb Jahren immer wieder bei unserer Arbeit unterstützt und bestärkt haben. Sei es durch Geldspenden (die nach wie vor dringend benötigt werden!) und/oder durch Support und tatkräftige Unterstützung bei Aktionen, Prozesstagen und Veranstaltungen.

Gemeinsam leben wir Solidarität auch über den 31. Mai 2017 hinaus!

Unterstützt die Betroffenen bei den hohen Anwalts- und Gerichtskosten!
Bündnis Widerstand Mai31 – Solidarität ist kein Verbrechen.
Rote Hilfe Spendenkonto: GLS Bank DE85430609674007238359, Stichwort: Mai 31