Nigeria – versklavt, geplündert und verwüstet – wie Imperialismus und Patriarchat Fluchtursachen schaffen

Seit Ende letzten Jahres finden gehäuft Abschiebungen nach Nigeria statt, zuletzt vor allem in Form von  Sammelabschiebungen mit gecharterten Flugzeugen. Dabei ist das westafrikanische Land fast ein Paradebeispiel für patriarchale und imperialistische Fluchtursachen auf dem afrikanischen Kontinent. Den größten Anteil an Geflüchteten, die im letzten Jahr nach Deutschland kamen machten Menschen aus Nigeria aus – noch vor Syrien und dem Irak.  Kein Grund für die deutsche Regierung Fluchtursachen zu bekämpfen – eher die Propagandamaschinerie an zu werfen, Besuchstouren mit Wirtschaftsdelegationen zu organisieren und weiterhin vor allem die Geflüchteten ins Fadenkreuz einer rassistisch-chauvinistischen Abschreckungs- und Abschottungspolitik zu nehmen. Kein Wunder, müsste sie doch auf enge Verbündete schiessen, würde sie beginnen auf Fluchtgründe zu zielen: auf das europäische und nicht zuletzt auch deutsche Kapital.

70% der Menschen in Nigeria leben in Armut. Ausländische Konzerne, allen voran europäische Ölgiganten beuten den Reichtum an Erdöl und anderen Bodenschätzen hemmungslos aus. Patriarchale Gewalt und sexuelle Versklavung gehören zum Alltag von Frauen und Mädchen in Nigeria und im Norden des Landes herrscht Krieg zwischen islamistischen Rebellen und den Armeen Nigerias und Nigers. Und dieses Bild kratzt nur an der Oberfläche.

Im Niger Delta fördern die Ölkonzerne Shell, ENI, Agip und NNPC täglich beinahe 2 Millionen Barrel Öl. Das Gebiet zählt zu den ölreichsten in Afrika und könnte der nigerianischen Gesellschaft Reichtum und Fortschritt sichern. Stattdessen teilen sich einige wenige europäischer und amerikanischer Konzerne den größten Teil des geförderten Öls auf und setzen ihre Monopolstellung mit Hilfe von Bestechung, eigener Infrastruktur und eigenen paramilitärischen Truppen durch. 2011 „kauften“ beispielsweise ENI und Shell für 1,3 Milliarden US-Dollar Ölförderrechte – 1,1 Milliarden landeten direkt bei einer Strohfirma, unter anderem flossen auch Bestechungsgelder an den damaligen nigerianischen Präsidenten Goodluck Johnathan. Seit Mitte letzten Jahres läuft deshalb ein Prozess in Italien – auf der Anklagebank unter anderem der Chef von ENI – einem Konzern, der zu 30% dem italienischen Staat gehört.

Die Bevölkerung des Nigerdeltas ist mit der totalen Zerstörung aller ihrer Lebensgrundlagen durch ständige ökologischen Katastrophen konfrontiert. Ackerbau ist unmöglich, da schlicht nichts mehr wächst, giftige Methangase, die bei der Verbrennung des bei der Ölförderung frei werdenden Erdgases frei werden rauben den Menschen die Luft zum Atmen und sorgen massenhaft für chronische Krankheiten. Ganze Dörfer und Landstriche werden von Paramilitärs enteignet und entvölkert um dort Erdölförderung zu ermöglichen, marode oberirdische Pipelines verlaufen quer durch Siedlungen und brechen immer wieder auf, wodurch tausende Liter Öl einfach im Boden versickern.

Um sich überhaupt noch einen Lebensunterhalt verdienen zu können sind unzählige Menschen im Niger Delta gezwungen, sich ehemaligen militanten Gruppen anzuschliessen, die sich mittlerweile zu großen Teilen zu von Warlords geführten organisierten Ölraubbanden entwickelt haben. Unter fadenscheinigen Versprechungen, wie etwa dem von Ackerland gegen zwei Jahre Öldiebstahl, werden die Menschen dazu gebracht sich an Überfällen auf Pipelines zu beteiligen – wer vom Militär erwischt wird ist auf sich gestellt, wer aussteigen will wird häufig mit dem Tod bedroht. Die Konflikte zwischen dem Militär, den ehemaligen Niger Militants die gegen Ölkonzerne kämpften und den Warlords, sollten unter Präsident Buhari befriedet werden, immer wieder kommt es trotzdem zu Kämpfen. Eine Amnestie unter dem heutigen Präsidenten Buhari sollte Abhilfe verschaffen und Teilnehmer an Öldiebstählen zumindest vor staatlicher Verfolgung schützen – faktisch greift diese aber fast ausschliesslich für Warlords, die Handlanger und Opfer der Auseinandersetzungen sitzen weiter in den staatlichen Knästen.

Neben der imperialistischen Ausplünderung gehört patriarchale Gewalt und Unterdrückung zu einem der Hauptfluchtgründe in Nigeria. Rund 20.000 bis 40.000 nigerianische Frauen und Mädchen  wurden laut einem Bericht der Nationalen Agentur für das Verbot des Menschenhandels nach Mali verschleppt, um dort als Sexsklavinnen missbraucht zu werden. Die islamistische Vereinigung „Boko Haram“, zu deutsch „Gegen die Bildung“, entführt immer wieder hunderte von Frauen und Mädchen und greift insbesondere Schulen und Bildungseinrichtungen für Frauen und Mädchen an, da sie ihnen jegliches Recht auf Selbstbestimmung und Ermächtigung verwehrt. In mehr als 80 Staaten weltweit existieren organisierte Strukturen, die nigerianische Frauen hin und her verkaufen, versklaven und auf den Straßenstrich schicken. Eine der größten davon in Italien. Menschenhändler nutzen die extreme Armut und Perspektivlosigkeit in Nigeria aus und  locken vor allem junge Frauen unter falschen Versprechungen und nicht selten unter Zuhilfenahme religiöser und spiritueller Riten, denen sie sich vermeintlich verpflichten, in Richtung Europa, wo sie offensichtlich massenweise bezahlende Vergewaltiger finden, denen sie die Entführten feilbieten. Frauen und Mädchen zu verkaufen löst global mehr und mehr den Drogen- und Waffenhandel organisierter Banden ab, da die Profitrate wesentlich höher und vor allem langfristiger ist.

Boko Haram und der nigerianische IS Ableger Wilayat Westafrika kontrollieren weite Teile des Nordostens und Nordens Nigerias. Seit 2009 sind laut dpa und der Schweizer ats zwischen 20.000 und 30.000 Menschen Opfer von Angriffen vor allem von Boko Haram auf Dörfer und zivile Einrichtungen geworden. Rund 2,5 Millionen Menschen befinden sich auf der Flucht. Seit Ende 2018 läuft eine Offensive von Wilayat, dem die nigerianische Armee offensichtlich wenig entgegen zu setzen hat. Die islamistischen Kämpfer erbeuteten eigenen Angaben zu Folge unzählige Militärfahrzeuge und Panzer. Seit Ende Dezember hat sich die Armee Nigers in die Kämpfe eingeschaltet, im Norden herrscht faktisch Krieg. Im Nordwesten und Zentralnigeria sind es vor allem Kämpfe zwischen Bandenstrukturen, die vor denen Menschen fliehen. Die krasse Armut führt zu Verteilungskämpfen um Land zwischen Hirten auf der einen und Farmern auf der anderen Seite. Im Nordwesten, vor allem im Bundesstaat Zamfara, haben sich diese Konflikte mittlerweile zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen entwickelt, 30.000 Menschen sind dort seit letzem Jahr auf der Flucht, hunderte wurden letztes Jahr getötet.

Neben all diesen Fluchtgründen herrscht auf den Straßen Nigerias durch Armut und Perspektivlosigkeit befeuerte Gewalt. Kidnapping ist ein normaler Broterwerb, wer sich nach einer Entführung als wertlos erweist wird häufig einfach getötet. In Zentralnigeria kommt es täglich zu Kämpfen zwischen verschiedenen Ethnien, die Todesopfer fordern und oben erwähnten Verteilungskämpfen um Acker- bzw. Weideland. Im benachbarten Igbo Kernland kämpft die Bevölkerungsgruppe der Biafra seit einiger Zeit wieder für einen unabhängigen Staat, ein Befreiungskampf, der, anders als antikoloniale Kämpfe, wenig progressiv ist und vor allem durch Vertreibung anderer Volksgruppen geführt wird.

Kurzum: in Nigeria herrscht Armut, Versklavung und Unterdrückung von Frauen, Krieg, Korruption und Gewalt gegen die zivile Bevölkerung – und nicht zuletzt unter dieser. All das ist eine Folge des hemmungslosen Ausverkaufs des nigerianischen Reichtums an das europäische Kapital, an dem sich seit dem Machtwechsel 2015 nicht im geringsten etwas geändert hat. Immer noch toben imperialistische Ausplünderung und patriarchale Gewalt. Boko Haram und der IS sind eine direkte Folgeerscheinung, nicht nur der imperialistisch geführten Kriege im Norden Afrikas und im arabischen Raum sondern auch der kapitalorientierten Politik von Regierungen wie der Nigerias. Die Profiteure sind in Nigeria einige wenige Superreiche und Regierende – und in Europa Großkonzerne und Regierungen, die fleissig an den Zuständen mitverdienen, wie beispielsweise die italienische. Die imperialistische Politik der europäischen Staaten und Unternehmen schafft Fluchtursachen. Statt diese zu bekämpfen und Schluss mit Ausbeutung und Unterdrückung zu machen wird gelogen, vertuscht und abgewiegelt – und Menschen zurück in Perspektivlosigkeit und permanente Todesbedrohung geschickt.

Machen wir damit Schluss! Gehen wir raus auf die Straße und kämpfen wir gemeinsam gegen Patriarchat, Imperialismus und Flucht!

Keine Abschiebungen nirgendwohin!

Fluchtursachen bekämpfen – nicht Geflüchtete!

Kapitalismus und Patriarchat abschaffen!