Der Prozess gegen einen Aktivisten vom 31.Mai ist nach sechs Prozesstagen vorerst zu Ende.
Er wurde wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte zu 8 Monaten Haft auf 3 Jahre Bewährung und 250 Sozialstunden verurteilt. Hier findet ihr einen detaillierten Prozessbericht.
Der nächste Prozess gegen einen weiteren Aktivisten steht bereits am 2.8. an.
Seid weiter solidarisch, informiert euch, begleitet die Prozesse und spendet für Prozess- und Anwaltskosten!
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Prozessüberblick zum 2. Verfahrens gegen einen Aktivisten des 31.Mai
Vorwürfe: Widerstand, tätlicher Angriff, versuchte Gefangenenbefreiung
Am 04.04.2018 begann der nun 2. Prozess gegen einen Aktivisten, der sich bei der versuchten Abschiebung eines Berufsschülers von der B11 am 31. Mai 2017 solidarisch verhielt und Opfer der Kriminalisierungsbemühungen seitens Polizei, Staatsanwaltschaft und des bayerischen Innenministeriums wurde. Ihm wird vorgeworfen sein Fahrrad „mit Kraft“ geschoben zu haben und damit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, tätlichen Angriff und versuchte Gefangenenbefreiung begangen zu haben. Das Bündnis Widerstand Mai31 – Solidarität ist kein Verbrechen gibt einen Überblick über den Verlauf des Verfahrens:
Der erste Gerichtstermin wurde durch eine Solidaritätskundgebung, an der mehr als 100 Menschen teilnahmen, am Amtsgericht vor dem Prozessbeginn begleitet. Im Anschluss bildete sich eine lange Schlange vor dem Gerichtsgebäude, da die Justizbeamt*innen bei der, von der vorsitzenden Richterin angeordneten, verschärften Sicherheitskontrolle einen raschen Zugang zum Gerichtsaal durch ihre Lahmarschigkeit verschleppten. Der viel zu kleine Verhandlungsraum bot dann zudem bei weitem nicht ausreichend Platz für die vor Ort anwesende kritische Öffentlichkeit.
Wie in derartigen Prozessen üblich, waren lediglich Polizei- und Staatsschutzzeug*innen durch das Gericht geladen. Noch bevor diese vor Gericht aussagten, erfolgte eine eindrückliche Prozesserklärung des Angeklagten. Er ging dabei vor allem auf die von imperialistischen Interessen und Kriegen geprägte Geschichte wie Gegenwart der afghanischen Bevölkerung ein, woraus sich die Notwendigkeit zu Widerstand gegen Abschiebungen ableiten ließ. Die Verteidigung stellte im Anschluss mehrere Beweisanträge. So wurde dem Gericht nahegelegt ein Normkontrollverfahren durchzuführen, um eine zu vermutende Grundgesetzwidrigkeit der §§113/114 StGB – Widerstand und tätlicher Angriff prüfen zu lassen. Des weiteren wurde dargelegt, dass der Polizeieinsatz weder in Bezug auf die Abschiebung noch auf den Angriff auf die Versammlung juristisch legal war. Die Verteidigung beantragte eine Vielzahl weiterer Zeug*innen zu hören. Die folgenden Aussagen der Polizist*innen widersprachen sich in vielen Punkten. Erwähnenswert war, dass es ihnen nicht möglich war auch nur einen „Geschädigten“ der vermeintlichen Tathandlung zu benennen. Es wurde auch deutlich, warum die internen Ermittlungen gegen Beamt*innen wegen Körperverletzungen im Amt eingestellt wurden. Denn Polizist*innen wurden auf solche Vorkommnisse schlicht durch niemanden befragt. Irritation entstand bei der Befragung des Staatsschutzbeamten, der vermeintlich die Ermittlungen gegen die Protestierenden leitete. Dieser bestritt die Ermittlungen zu leiten, konnte aber auch nicht sagen, wer stattdessen leitende*r Ermittler*in sei. Ansonsten war er am Tag selbst gar nicht vor Ort. Der erste Verhandlungstag wurde an dieser Stelle unterbrochen und vorerst drei weitere Verhandlungstermine anberaumt.
Zu Beginn des zweiten Prozesstages machte zunächst der Polizist seine Aussage, der die Abschiebung durchführte. Auch er konnte keine verletzten Kolleg*innen benennen. Es wurde deutlich, dass dem jungen Berufsschüler im Vorfeld keinerlei Unterlagen zu dem „Verwaltungsakt“ übergeben wurden, er also erst nach dem Vollzug im Polizeigewahrsam schriftlich in Kenntnis gesetzt wurde. Laut dem Zeugen handelte es sich bei der Abschiebeblockade um eine Versammlung, die nicht durch die Polizei aufgelöst wurde und daher eigentlich unter dem Schutz des Versammlungsrechts stand. Damit hätte eine Räumung der Sitzblockade vor dem Polizeiauto, so wie geschehen, nicht ohne Ankündigung stattfinden dürfen. Der Zeuge schilderte, dass die Leute nach Räumungsbeginn abgelenkt waren und so der von der Abschiebung Betroffene in ein anderes Polizeiauto gezerrt werden konnte. Von der Verteidigung gefragt, ob es sich dabei um ein gezieltes Ablenkungsmanöver handelte, erwiderte der Polizist sinngemäß, zu einsatztaktischen Erwägungen mache er keine Aussage. Im Laufe der weiteren Befragung wurde festgestellt, dass der Angeklagte zwischen zwei Polizeiautos stand, zwischen denen ein „Korridor“ durch Gewalt „frei gemacht“ wurde und die Polizist*innen ihn dabei letztlich überrannten. Hierbei erlitt der Aktivist mehrere Verletzungen, wie ein Attest und Videos belegen.
Die zweite Zeugin, eine Pfarrerin von der, an die Berufsschule angrenzenden, evangelischen Kirchengemeinde, erschien mit anwaltlichem Zeugenbeistand zu ihrer Aussage. Sie hatte dem Gericht ein von ihr gefilmtes Video des Geschehens zur Verfügung gestellt. Bei dessen Sichtung zeigte sich, dass ein Polizist mehrmals auf den Angeklagten einschlug. Eine Tathandlung seinerseits war nicht zu sehen. Weiter berichtete sie, war es bis zu dem Eintreffen eines Einsatzzuges aus Erlangen friedlich. Erst als dieser die Versammlung attackierte sei die Situation eskaliert. Die Richterin erkundigte sich, warum die Zeugin mit Beistand erschienen sei. Daraufhin erzählte die sichtlich verunsicherte Zeugin von einem Polizeiverhör durch das Landeskriminalamt, bei dem sie sich wie eine Beschuldigte vorkam und ihr nahe gelegt wurde, ihre öffentliche Darstellung des Polizeieinsatzes zu „überdenken“. Diese Zeugenvernehmung sei im Rahmen der internen Polizeiermittlung erfolgt, wobei sie zum Verhalten von Polizist*innen nicht befragt wurde. Stattdessen wurde ihr ein Bild der Sitzblockade mit den Worten vorgelegt: „Sie solle mal davon ausgehen, dass die hier alle Gewaltbereit wären“ und „Ob sich unter dieser Annahme ihre Sichtweise nicht ändern würde.“ Mit dieser Erfahrung erklärte sie ihren Entschluss einen Zeugenbeistand bei der Verhandlung hinzuzuziehen. Damit endete der Prozesstag.
Im Rahmen des Folgetermins wurden die beiden Kolleg*innen der Pfarrerin geladen, auch sie waren am 31. Mai am Ort des Geschehens. Die Aussagen stützten im wesentlichen die Darstellung der Verteidigung und die ihrer Kollegin. Der Dekan der Gemeinde sprach von einer „Pattsituation“ bei der die Polizei nur mit Gewalt ihr Einsatzziel hätte erreichen können und es dann auch so versuchte, woraufhin die Situation erst eskaliert sei. So wäre nach Eintreffen des Erlangener Einsatzzuges sofort klar gewesen, dass es nun zur Eskalation käme. Wie auch der Dekan, wurde die folgende Zeugin zu dem LKA Verhör vernommen. Auf die Frage der Verteidigung, ob sie sich in dem fast dreistündigen Verhör manipulativ befragt gefühlt hätte, bejahte sie und schilderte, sie habe den Eindruck gehabt, es wäre mehr um ihre Gesinnung als um den Polizeieinsatz gegangen. Vor allem, weil auch sie nicht zum Agieren der Beamt*innen befragt wurde.
Der Prozesstermin vom 28.05. begann trotz der morgendlichen Uhrzeit unter umfangreicher kritischer Prozessöffentlichkeit. Es wurde zu diesem Termin lediglich ein Zeuge befragt. Der Mitarbeiter des bayerischen Flüchtlingsrats war am Tag selbst vor Ort. Trotz langjähriger Erfahrung mit polizeilichem Umgang mit Protest, konnte er sich nicht erinnern, jemals einen so harten und erst durch das Vorgehen der Beamt*innen so stark eskalierten Polizeieinsatz erlebt zu haben. Er schilderte, wie auch andere Zeug*innen der vorigen Prozesstage, dass der Ausgangspunkt der Eskalation das Eintreffen des Erlangener Einsatzzuges und dessen Angriff auf den Protest war. Weiter berichtete er, wie er während der Räumung der Sitzblockade immer wieder laute Schmerzensschreie der Protestierenden wahrnahm. Die Vorsitzende Richterin versuchte diese Aussage zu bagatellisieren, indem sie die Schreie der Demonstrant*innen mit denen von Kindern verglich, die schon zu schreien anfangen würden, wenn man sich nur vor sie stelle und „Du, Du, Du“ sage. Sie stellte weiter mit Eifer kritische Rückfragen an den Zeugen, wie sie es bisher bei keinem der Polizeizeugen tat. Einen Angriff auf Polizist*innen hatte der Zeuge zu keinem Zeitpunkt mitbekommen.
Beim Folgetermin zum 6.06. wurde der Zugführer der Erlangener Einheit gehört. Zunächst beantragte die Verteidigung jedoch die Einstellung des Verfahrens. Begründet wurde der Antrag im Kern mit der anzunehmenden fehlenden Rechtsgrundlage der Räumung und fehlender Geschädigter der angeblichen Tathandlung. Der neu eingesetzte Staatsanwalt lehnte den Antrag unter anderem mit der Begründung ab, es sei nicht ausschlaggebend, dass sich nach Meinung der Verteidigung bisher noch keine geschädigte Person einer vermeintlichen Tathandlung ausfindig machen ließen. Bei dem Mann handelt es sich um den leitenden Gesamtermittler der Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen die Protestierenden vom 31. Mai.
Der Zugführer schilderte den Angriff auf die Sitzblockade ohne auf Details einzugehen oder Rückfragen der Richterin ausgesetzt zu sein. Er wisse nicht, ob es sich um eine Versammlung gehandelt hätte und bestätigte, dass es keine Räumungsankündigung gegeben habe. Ihm sei mehrmals aufgefallen, dass der Angeklagte in der Nähe des Polizeieinsatzes stand, weiteres konnte er zu ihm nicht aussagen. Auf die Rückfrage der Verteidigung, ob es nicht sein könne, dass der Polizeieinsatz dort begann, wo der Angeklagte stand und er einfach überrannt worden sei, erwiderte er lapidar „ja, oder eben so“. Im Verlauf seiner Darstellung war auffallend, dass er von den Protestierenden wiederholt von „den Gegnern“ sprach. Nachdem die Verteidigung zu einem anderen Punkt eine kritische Rückfrage an den Beamten stellte, kommentierte die Richterin diese mit den Worten „die Hoffnung stirbt wohl zuletzt“.
Zum voraussichtlich vorletzten Prozesstag am 20.06. wurde eine Angestellte des Menschenrechtsbüros der Stadt Nürnberg als Zeugin geladen. Sie schilderte, wie sie dienstlich kurz vor der eskalierenden Situation vor Ort eintraf und sich ihr wenig später ein Polizeieinsatz offenbarte, wie sie ihn seit Wackersdorf nicht gesehen hätte. Sie war sich unsicher, wie sie sinnvoll mit dem vorgefundenen Geschehen umgehen sollte und bemühte sich, einen ihr bekannten Asylrechtsanwalt hinzu zu holen. Dieser kam allerdings nicht mehr rechtzeitig, um einzugreifen. Die Richterin stellte infrage, ob der Berufsschüler Asif N. überhaupt anwaltlichen Beistand hätte haben wollen und äußerte zum Bestürzen der Prozessbeobachter*innen, es könnte ja gut sein, dass Menschen sich auch freiwillig abschieben lassen würden. Danach erfragte die Richterin, um was für eine Stelle es sich beim Menschenrechtsbüro denn überhaupt handele. Nachdem ihr erläutert wurde, dass diese eine städtische, direkt am Bürgermeisteramt angesiedelte Institution sei, wirkte sie irritiert und setzte ihre Befragung in merklich freundlicherem Ton fort. Die Staatsanwaltschaft versuchte Fragen der Verteidigung an die Zeugin mit einem Verweis auf ihre Aussagegenehmigung zu unterbinden. Allerdings musste die Richterin mit sichtlichem Missfallen feststellen, dass der Zeugin keine Einschränkungen durch ihren Dienstherren gegeben wurden, so dass eine Befragung zugelassen werden musste. Im weiteren Bericht über ihre Wahrnehmung des Polizeieinsatzes, schilderte die Zeugin ihre Verwunderung darüber, dass die Polizei aus Deeskalationszwecken den Einsatz nicht einfach beendete.
Am sechsten und letzten Prozesstag waren sechs Zeug*innen geladen. Die erste Zeugin, eine Nürnberger Journalistin, verdeutlichte in ihrer Aussage, wie die zunächst ruhige Situation ganz plötzlich, als wäre „ein Schalter umgelegt worden“, durch das Agieren der Polizist*innen eskalierte. Ein derartiges Vorgehen, das sie als taktisch beschrieb, habe sie in einem solchen Zusammenhang noch nie erlebt. Ihre Fassungslosigkeit war auch ein Jahr später noch deutlich spürbar. Vor Gericht schilderte sie, wie sie im Nachgang zu ihrer kritischen Berichterstattung massiv beschimpft und angefeindet wurde, unter Anderem durch einen Polizeibeamten. Als Zeugin wurde sie weder von der Polizei noch durch das Innenministerium bei deren Landtagssitzung befragt.
Auch der nächste Zeuge, ein Fotograf der Nürnberger Nachrichten, beschrieb das Vorgehen der Beamt*innen als sehr brutal und unangemessen. Er sah Schüler*innen mit blutenden Nasen, wie drei PolizeibeamtInnen auf einem Schüler knieten und bekam den Einsatz von Pfefferspray mit. Das aggressivste, was er hingegen von Seiten der Demonstrant*innen mitbekam, waren ein gezeigter Mittelfinger und verbale Äußerungen. Auch er wurde weder durch die Polizei noch vom Innenministerium als Zeuge vernommen.
Zwei weitere Zeug*innen waren die Sachbearbeiter*innen der zentralen Ausländerbehörde Mittelfranken (ZAB), die die Abschiebung des jungen Berufsschülers veranlassten. Bei der Befragung kam es zu mehreren Diskussionen zwischen der Verteidigung und der Staatsanwaltschaft sowie der Richterin. Die Anwält*innen des Angeklagten beanstandeten, dass die Sachbearbeiterin der ZAB am 31.5. weder anwesend noch direkt für den Fall zuständig gewesen sei und so keinerlei Aussagen zu ihrer eigenen Wahrnehmung treffen könne. Die Aufgabe von Zeug*innen ist es jedoch, vor Gericht ausschließlich ihre eigene Wahrnehmung zu schildern, wie im Prozess bereits mehrfach betont wurde. Folgerichtig könne die Frau nicht als Zeugin vernommen werden, sondern allenfalls als Sachverständige. Auf die juristischen Ausführungen der Verteidigung antwortete der beisitzende Staatsanwalt nach kurzer Diskussion lediglich mit den Worten „Ich sehe das anders“. Die Richterin ignorierte die Einwände der Verteidigung und fuhr mit der Befragung fort, während die Verteidigung noch dabei war den Einspruch auszuführen. Die Anordnung wurde deshalb durch die Rechtsanwält*innen des Angeklagten beanstandet, was die Richterin ebenfalls ignorierte. Während der Befragung musste sie von der Verteidigung mehrfach darauf hingewiesen werden, dass ihre Fragen nicht auf die eigene Wahrnehmung der Zeugin, sondern auf Aktennotizen ihrer Kolleg*innen und deren Wertung abzielten.
Die Zeugenvernehmung der beiden Beamt*innen zeigte auf, dass bereits weit vor der geplanten Abschiebung eine Entscheidung über den Antrag des Schülers auf Aufenthalt nach §25a AufenthG getroffen wurde. Um „die Maßnahme nicht zu gefährden“, sollte der Bescheid Asif N. jedoch erst am Tag der Abschiebung übergeben werden. Außerdem ergab die Befragung, dass es der ZAB auch heute noch möglich ist, junge Menschen aus der Schule abführen zu lassen, um sie in Kriegsgebiete abzuschieben. Dem Lippenbekenntnis des Oberbürgermeister Maly als Reaktion auf die Ereignisse vom 31.Mai, folgten offensichtlich keinerlei Taten. Beim Verlassen des Gerichtssaals taten einige Zuschauer*innen ihre Verachtung und Missgunst kund, indem sie die Sachbearbeiter*innen als Schreibtischtäter und Mörder bezeichneten.
Die Schilderungen des nächsten Polizeizeugen, erweckten den Eindruck, als habe er sich auf die Vernehmung umfassend vorbereitet. Für ihn war es „völlig unverständlich“, warum die Situation um den Erlangener Einsatzzug am 31.Mai eskalierte. Er behauptete, dass ein regelrechter „run auf das Polizeiauto“ losging, als die schwarz gekleideten Beamt*innen um die Ecke kamen. Das Schleifen von Asif N. an Händen und Füßen über die Wiese hin zum dritten Polizeiwagen, beschrieb der Beamte als „geglückten Fahrzeugwechsel“. Bei dem Einsatz seien „etliche“ seiner Kolleg*innen verletzt worden.
Ganz anders als der Beamte, beschreibt der letzte Zeuge des Tages den Verlauf. Der Referent des Peco Instituts war am 31.Mai 2017 in der Klasse von Asif N., um einen Vortrag zum Thema „Vielfalt und Toleranz auf der Baustelle“ zu halten. Er schildert, wie die Situation zunächst friedlich war, bis der Erlangener Einsatzzug „die Sache dann gewaltsam geklärt hat“. Er sah Aktivist*innen mit Platzwunden, blauen Flecken und durch Pfefferspray gerötete Augen. Eine Polizistin hörte er sagen: „Wenn die [Erlangener Einsatzzug] anrücken, läuft das immer so“. Dass die Polizei attackiert wurde und es dadurch zu einer Eskalation der Lage kam, hält er für eine Schutzbehauptung. Er merkte außerdem an, dass es sehr unterschiedliche Berichterstattung zum 31.Mai gäbe, man merke jedoch sofort, welche Zeitung Medienvertreter an diesem Tag vor Ort hatte und welche nicht. Er spielte dabei auf die Schlagzeile der Bildzeitung an, in der es hieß: „Schüler verletzen bei Tumult 9 Beamte“. Vertreter der Bildzeitung waren am 31.Mai nicht vor Ort.
Im Plädoyer der Staatsanwaltschaft wird dem Angeklagten unterstellt, er hätte sein Fahrrad ruckartig, gezielt und mit Kraft in Richtung der Polizeibeamt*innen geschoben und dabei Widerstand, tätlichen Angriff und versuchte Gefangenenbefreiung begangen. Im Verlauf des Plädoyers ging er auf die Aussagen der Polizeibeamt*innen ein, kaum jedoch auf die unabhängiger Zeug*innen. In den Augen der Staatsanwaltschaft lässt sich die Schuld des Angeklagten sowohl durch die Zeugenaussagen als auch mit den Videoaufnahmen belegen. Auch die Abschiebung und der gesamte Polizeieinsatz werden als zweifelsfrei rechtmäßig dargestellt. Dass die angeblichen Tathandlungen für die betroffenen Beamt*innen keine Folgen, außer das Berühren am Bein und das Heben-müssen des Beines, hatten, ist für die Staatsanwaltschaft irrelevant. Zugunsten des Angeklagten wertet die Staatsanwaltschaft, dass er hingegen durchaus verletzt wurde. Zu seinen Lasten wertet sie die Vorstrafen des Angeklagten, von denen eine ebenfalls im Demonstrationskontext zustande kam. Die Staatsanwaltschaft forderte deshalb für das Schieben eines Fahrrades mit Kraft eine Freiheitsstrafe ohne Bewährung für 1 Jahr und 3 Monate.
Im Plädoyer der Verteidigung wurde kritisiert, dass die Aufarbeitung des 31.Mai mehr als einseitig verläuft. Die Falschdarstellung in den Medien, angetrieben durch das bayerische Innenministerium, ging so weit, dass sich zahlreiche Zeug*innen des Geschehens zu öffentlichen Gegendarstellungen genötigt fühlten. Die Verteidigung betonte, dass es sich bei diesem Prozess um ein politisches Verfahren handle, in dem dem Angeklagten nichts weiter zu Last gelegt werden soll, als dass er sich für Menschlichkeit einsetzte. Die Anwält*innen wiesen darauf hin, dass der Polizeieinsatz und Abschiebungen nach Afghanistan selbst in Zeiten des politischen Rechtsrucks auf breite Kritik stoßen. Der 31.Mai ist gezeichnet von einem Kampf um die Deutungshoheit, in dem Zeug*innen manipulativ befragt werden und linke Aktivist*innen zu Gewalttäter*innen stilisiert werden, um Polizeigewalt zu legitimieren. Im Prozess wurde jedoch deutlich, dass in der Wahrnehmung aller unabhängigen Zeug*innen, die Polizei für die Eskalation verantwortlich war. Die Verteidigung weist darauf hin, dass die Polizeibeamt*innen alle aus demselben Lager stammen und deren Aussagen deshalb als eine einzige gewertet werden müssen, der die zahlreichen unabhängigen Aussagen entgegenstehen. Statt wie von Polizei und Staatsanwaltschaft behauptet, ging der Angeklagte nicht auf die Beamt*innen los, sondern wurde stattdessen von deren überfallartigem Vorgehen überrannt. Das Versammlungsrecht der Demonstrant*innen wurde dabei der Polizeitaktik geopfert. Die Verteidigung legte dar, dass auch der Vorwurf der versuchten Gefangenenbefreiung nicht vorliegt, da Asif N. kein Gefangener war, sondern lediglich als Auswirkung der Zwangsanwendung durch die Polizei, Handschellen trug. Des Weiteren stellte sie fest, dass die formalen Bedingungen der Abschiebung nicht rechtmäßig waren.
Bezüglich des Vorwurfs des tätlichen Angriffs erinnerte die Verteidigung an das Normkontrollverfahren welches sie im Verlauf des Verfahrens angeregt hatte, und äußerte wiederholt Kritik an der Verschärfung der Paragraphen 113, 114 StGb vom 30.Mai 2017. Die Verteidigung zeigte auf, dass die Polizei zwar die Aufgabe hatte, den jungen Berufsschüler abzuschieben, dass es jedoch auch ihre Aufgabe ist, das Versammlungsrecht zu schützen. Die Abschiebung hätte durch die Polizei nicht gewalttätig durchgesetzt werden müssen.
Die Tatfolgen der angeblichen Tathandlung des Angeklagten verglich die Verteidigung mit einem Sommerschlussverkauf in der Innenstadt, bei dem mit ähnlichen Vorkommnissen gerechnet werden müsste und verdeutlichte so die Banalität der angeblichen Tathandlung und deren Folgen. Die Verteidigung forderte deshalb einen Freispruch.
Die Richterin verurteilte den Angeklagten wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte zu 8 Monaten Haft auf 3 Jahre Bewährung und 2500€ Strafe bzw. 250 Sozialstunden. Er muss die Kosten des Verfahrens tragen. Die Tatbestände des tätlichen Angriffs und der versuchten Gefangenenbefreiung sah die Richterin nicht gegeben.
Der Prozess wurde vom Bündnis Widerstand Mai31 – Solidarität ist kein Verbrechen mit Pressearbeit sowie einer kritischen Prozessöffentlichkeit begleitet. Im Prozess konnten so viele relevante Aspekte aufgearbeitet werden. Obwohl das Urteil gemessen am Tatvorwurf immer noch wahnsinnig hoch ist, stellt sich die Frage, wie viel härter das Urteil ausgefallen wäre, wenn der Prozess abseits der Öffentlichkeit stattgefunden hätte? Es besteht großes Interesse daran die Darstellung von Innenministerium und Polizei unwidersprochen in die Öffentlichkeit zu tragen. Zu diesem Zweck setzen Polizei und Staatsanwaltschaft auf massive Repression, bei der hohe Strafen zu befürchten sind. Mit Deals im Hinterzimmer der Gerichte wird versucht, die Aktivist*innen für eine geringe Strafe zum Schweigen zu bringen. Das Bündnis Widerstand Mai31 – Solidarität ist kein Verbrechen unterstützt die Betroffenen bei ihren Prozessen finanziell, durch Begleitung zu Anwaltsgesprächen und durch kritische Prozessbegleitung. Wir rufen dazu auf, die Darstellungen von Innenministerium und Polizei nicht unwidersprochen hinzunehmen. Informiert euch über Prozesse, zeigt euch solidarisch und unterstützt die Arbeit des Bündnisses mit einer Spende!
Der nächste Prozess steht bereits am 2.8.18 an, zahlreiche weitere werden folgen.
Nürnberg, den 16.7.2018