Was der Kollaps des Finanzsystems über den Reichtum der kapitalistischen Nation lehrt
Vortrag mit Diskussion
Donnerstag, 30. Oktober 08, 20.00 Uhr
K4 im Künstlerhaus, Festsaal, Königstr. 93, Nbg.
In der letzten Septemberwoche erklärt die US-Regierung ihre Absicht, nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers keine weitere große Bank mehr scheitern zu lassen. Dafür will der Finanzminister den Banken für 700 Milliarden Dollar ihre wertlosen Wertpapiere abkaufen und sie so mit frischem Geld versorgen. Das Rettungspaket löst im US-Kongress und in der Öffentlichkeit heftige Kontroversen aus: Man bemerkt die Vorzugsbehandlung, die das Spekulationsgewerbe genießt, und fragt kritisch, ob es denn Aufgabe des Staates sei, die „Zocker“ der Investmentbanken mit „dem Geld der Steuerzahler“ herauszuhauen und gescheiterten Spekulanten das Vermögen zu retten. Linke Demonstranten und rechte Republikaner protestieren gegen den „Wall-Street-Sozialismus“: „No bail out!“
Mit Beginn Oktober ist die Debatte erledigt. Ob der Staat die Spekulanten retten soll, ist überrundet durch eine fundamentalere Erkenntnis: Er muss – Gerechtigkeit hin, Gerechtigkeit her. Denn an zusammenbrechenden Banken hängt das Bankensystem – und an dem die ganze Wirtschaft und ihre Konjunktur. Von der Gesundheit des Spekulationsgewerbes leben nicht nur Rendite und Wachstumsrate des Finanzkapitals; von ihm lebt offenbar das Geldverdienen der gesamten Gesellschaft: Wenn die Unternehmen Kredit nicht mehr bekommen können, wenn sie Investitionen und andere Erfordernisse ihres Geschäfts nicht vorfinanzieren können – können sie überhaupt kein gewinnbringendes Geschäft machen. Und wenn deren Bereicherung nicht klappt, dann fällt auch der Segen aus, den ein florierender Kapitalismus für die Masse bereithält: Arbeit! Tatsächlich: Wenn es den Jongleuren an den Börsen und in den Bankpalästen nicht gelingt, ihre Einsätze rentabel zu vermehren, gibt es für die Armen im Land keine Gelegenheiten, sich durch Dienst an fremdem Reichtum einen Lebensunterhalt zu erarbeiten.
Damit nicht genug. Mit einem Schlag kommt öffentlich zu Bewusstsein, dass auch das schon verdiente und zurückgelegte Geld – keineswegs nur der Reichen – auf dem Spiel steht. Das Ersparte existiert gar nicht anders als in Form gefährdeter Bankguthaben und windiger Wertpapiere. Die private Altersvorsorge, die Lebensversicherung – alles ist weg, wenn die Banken pleite gehen, die es eingesammelt und in spekulative Investments gesteckt haben.
Noch eine Woche später weicht die Auffassung, dass der Staat die Banken retten muss, den Zweifeln, ob er das überhaupt kann. Täglich treten Kanzler, Finanz- und Premierminister sowie Notenbankchefs vor die Presse und verkünden neueste Staatshilfen zu Stabilisierung des Finanzsektors. Inzwischen garantiert die Obrigkeit fast überall unbegrenzt die Spareinlagen, europaweit will man keine wichtige Bank mehr krachen lassen, weltweit senken Zentralbanken die Zinsen, um den Privatbanken das Gewinnemachen zu erleichtern – und Kredit geben sie ihnen sowieso ohne Ende. Nach jeder Ankündigung wartet alles gespannt auf die Öffnung der Börsen am nächsten Morgen: Honorieren die Anleger den Schritt, schenken sie den Garantien Glauben und setzen sie wieder Vertrauen ins Spekulieren – oder bringt das alles nichts und der Staat muss mit Hilfen und Garantien noch weiter gehen? Wie zum Beispiel die britische Regierung. Sie gibt es auf, die bankrotten Institute mit Kredit über Wasser zu halten, und nimmt sie gleich unter Staatsregie, um ihre Funktion aufrecht zu erhalten.
Langsam kommt die Frage auf, ob sich die Staaten die Garantie und Übernahme all der schlechten Schulden denn leisten können. Den einen, dem kleinen Island etwa, steht der Staatsbankrott ins Haus; größere Staaten drohen gerade durch ihre Rettungsaktionen die Stabilität ihrer Währung zu ruinieren; das Wort Währungsreform wird wiederentdeckt. Auch das Geld, lernt man, das gar nicht auf der Bank liegt, sondern schon im Geldbeutel seines Besitzers steckt, ist nur so viel wert, wie der Staat, der es herausgibt, über einen funktionierenden Bankensektor verfügt.
Der Herbst 2008 ist wie ein Crashkurs über die Frage: Was es heißt, im Kapitalismus zu leben. Schlechterdings alles, das Arbeiten und Kaufen, das Leben und Überleben, ist eine abhängige Variable des Finanzgeschäfts. Wenn Börsianer und Bankiers mit ihrer Bereicherung scheitern, dann scheitert alles – und das ganze Volk ist schlagartig enteignet.
Leider hat das Volk in all der Panik gerade keine Zeit, sich mit dieser absurden Vorbedingung seines Alltags auseinanderzusetzen. Es ist vollauf beschäftigt, mit Hoffen und Bangen die Rettung des Finanzsystems zu begleiten, damit alles weitergehen kann wie bisher.
Damit es nicht weitergeht wie bisher, nehmen wir uns die Zeit für die Erklärung von
Leistung, Funktionsweise und Zusammenbruch des Finanzkapitals
Donnerstag, 30. Oktober 08, 20.00 Uhr
K4 im Künstlerhaus, Festsaal, Königstr. 93, Nbg.
Veranstalter: GegenStandpunk