Wohin geht Europa?
Sie kommen von Rechts und Rechtsaußen: die „Euro-KritikerInnen“, die „Euro-SkeptikerInnen“. Verharmlost und relativierend wird nationalistische, chauvinistische und menschenverachtende Hetze von AfD und Co. als skeptisch klassifiziert. Auch die Konservativen machen in den einzelnen Nationalstaaten mobil für die eigene wirtschaftliche und politische Stärke. Es geht um Konkurrenz und darum nicht unterzugehen. Das Vorbild heißt Deutschland, die Ziele sind Arbeitsmarktreformen nach deutschem Vorbild. Den Menschen wird damit wirtschaftliche Stabilität versprochen, die sich letztlich auch wieder auf sie positiv auswirken soll. Die BRD zeigt, dass „Gürtel-enger-Schnallen“ und „Arbeit um jeden Preis“ tatsächlich dem deutschen Kapital Stabilität bringen, den Lohnabhängigen allerdings Existenz-und Zukunftsängste, wachsende Armut und Leid bescheren.
Diese Versprechen, angefangen von den alltäglichen Konkurrenz- und Verzichtspredigten der Konservativen bis hin zur faschistischen Zuspitzung der Propagierung des nationalen Heils, ist für viele Menschen scheinbar eine Option, der sie sich vermehrt zuwenden. Und da stellt sich die Frage, wie das so einfach passieren kann, wenn die Menschen aus ihrer Realität wissen könnten, dass genau diese Konkurrenz ihren Alltag in eine Odyssee in Schule, Beruf oder bei der Wohnungssuche verwandelt. Eine der Antworten dürfte in der momentanen Europa-Politik der linken Kräfte zu finden sein. Zwar finden Schlagworte wie „soziales Europa“ und „Solidarität“ den Einzug in die Wahlprogramme, jedoch mangelt es an Analyse und Konsequenz. Wie die LINKE, in der die Positionierung zur Europa-Frage von dem linken und dem rechten Flügel erbittert geführt wurde. Durchgesetzt hat sich letztlich der rechte Flügel. „Spätestens seit dem Vertrag von Maastricht wurde die EU zu einer neoliberalen, militaristischen und weithin undemokratischen Macht“, hieß es im ersten Programm-Entwurf. Nach Protesten der „Realpolitiker“ um den Fraktionsvorsitzenden Gregor Gysi wurde dieser Satz gestrichen.
Mit ihrer relativ konsequenten europakritischen Haltung, scheint Sarah Wagenknecht mittlerweile eine Rarität in der Partei die LINKE darzustellen. Aus Angst davor, sich außerhalb des Scheinkonsens der bürgerlichen Mitte zu bewegen, ist die LINKE auch nicht die einzige linke Partei, die mit ihrer schwammigen Haltung zu Europa keine Alternative für die Menschen bieten konnte, die sich selbst in Europa als (potentielle) VerliererInnen betrachten.
Für die revolutionäre Linke und aber auch für linke Parteien war und ist es schwierig, sich in der Europa-Frage klar zu positionieren. Die einen freuen sich, dass die Nationalstaaten an Bedeutung verlieren, die anderen meinen, dies habe lediglich eine Auswirkung auf die Verschärfung der Abschirmung der Außengrenzen. Die einen wollen Einfluss nehmen auf die Entwicklungen in den Parlamenten, die anderen lehnen das Projekt Europa an sich ab.
Wo stehen wir?
Als revolutionäre Linke lehnen wir den bürgerlich kapitalistischen Staat ohne Wenn und Aber ab. Wir lehnen ebenso die kapitalistische Wirtschaftsweise ab. Und was ist Europa schon anderes als eine große kapitalistische Freihandelszone, die sich auch den gleichen parlamentarischen Mantel umlegt wie jeder bürgerliche Nationalstaat? Als machtpolitischer und wirtschaftlicher Block ist der EU an einer gewissen Vereinheitlichung gelegen und dass sich bei diesem Prozess an das angepasst wird, was als kapitalistisches Erfolgsmodell gilt, dürfte klar sein. Wenn auch innerhalb der EU weiterhin Konkurrenz zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten besteht, so will sich das europäische Kapital auch gegen die Konkurrenz aus Amerika und dem asiatischen Raum absichern. Letztlich ist das aber auch kein Unterschied zu den Merkmalen des nationalen Kapitals. Auch hier in der BRD gibt es konkurrierende Kapitalfraktionen und Aufgabe des Staates ist es, sicher zu stellen, dass national eine solche Ausgewogenheit besteht, die verhindert, dass der Karren an die Wand fährt. Der Staat übernimmt als Gesamtkapitalist die Verantwortung dafür, dass die BRD als Gesamtes wettbewerbsfähig bleibt, neue Absatzmärkte erschließen kann oder alte sichern lässt (Ob durch Krieg oder „Diplomatie“). Nichts anderes macht die EU. Die „diplomatischen“ Karten werden in Krisenzeiten aktuell mit der Troika aus EZB, IWF und Europäische Kommission in den Ländern des europäischen Südens ausgespielt. Sie sollen auf deutschen Kurs gebracht werden: Strukturanpassungsprogramme wurden diesen Staaten in alter Kolonialmanier aufgedrückt. Die Order lautet: Beamte entlassen, Sozialausgaben und Löhne kürzen und zugleich Investitionen jeder Art Tür und Tor öffnen; wer hierbei nicht spurt, bekommt kein Geld. Die Folgen für die Lohnabhängigen: Massenarbeitslosigkeit, wachsende Armut und Verzweiflung.
Am deutschen Wesen ?soll ganz Europa genesen…
Nun ist es nicht so, dass die herrschenden Klassen anderer Länder nicht froh wären, diese Maßnahmen endlich durchsetzen zu können und die Verantwortung dabei nicht direkt selbst tragen zu müssen. Für das Kapital der jeweiligen Länder kommt es nicht ungelegen, dass sie sich nun aus einem Heer an Arbeitslosen bedienen können, das zu den miesesten Bedingungen arbeitet. Und auch das deutsche Kapital profitiert einmal mehr von ausgebildeten ebenso wie von niedrig qualifizierten Kräften, die ihre Arbeitskraft nun hier in der BRD feilbieten, weil sie zu Hause keine Chance auf einen Job haben. Die einen helfen nun unfreiwillig den Fachkräftemangel zu beheben und die anderen üben Arbeiten aus, die kaum ein „Deutscher“ bereit wäre, für so einen Hungerlohn auszuführen. Dies drückt auch wieder die Lohnspirale in Deutschland und so geht das Kapital überall auf Kurz oder Lang als Gewinnerin einer Krise hervor, die für nahezu alle Lohnabhängigen eine Verschlechterung bedeutet. Ob der Mindestlohn hier auch nur ein Tropfen auf dem heißen Stein sein kann, wird sich zeigen, wenn endgültig beschlossen ist, für wen er gilt und für wen nicht.
Wenn den Menschen aber nun verkauft werden soll, dass es überall so „erfolgreich“ laufen kann wie in Deutschland, wenn nur erst die Lohnabhängigen auf Zack gebracht werden, ist selbst dies nur Augenwischerei Dabei wird nämlich die Konkurrenz aus den Augen gelassen. Deutschland schafft es durch die Ausbeutung der Lohnabhängigen nicht nur Produkte zu einem niedrigen Stückpreis auf den Markt zu werfen, es profitiert als Exportland auch von einer starken Währung, während diese eher eine Last für Länder darstellt, die gezwungen sind mehr zu importieren als zu exportieren. Letzten Endes zielt aber alles darauf ab, eine Pseudo-Gleichheit an Ausgangsbedingungen zu schaffen, bei der Deutschland die Vorbildrolle zugeschrieben wird. Mit dem neoliberalen Projekt „Europa 2020“, was zumindest in punkto Arbeitsmarktreformen der „Agenda 2010“ nicht unähnlich ist, bekommt das Kind nun auch einen Namen. Wer bei diesem Kurs auf der Strecke bleibt, sind die Lohnabhängigen aller Länder. Dies zu erkennen, ist den meisten noch nicht gelungen und es wird von Seiten der herrschenden Klasse auch alles daran gesetzt, dass sie es nicht tun.
Wir haben die Wahl!
Weiterhin bekommen sie gesagt, dass es nun darum gehe, die eigene Nation konkurrenzfähig zu machen. Dass diese Propaganda mit einem plumpen Nationalismus, Rassismus und Abgrenzung einhergeht, ist augenscheinlich und somit haben auch die Europawahlen lediglich gezeigt, dass die Propaganda in vielen Ländern gezogen hat. Nur Portugal und Griechenland haben anders gewählt. Inwiefern dies auch mit offenerer Ablehnung der EU von Seiten der linken Parteien einhergeht, ist nur zu vermuten. Doch hier scheint die Linke Antworten zu haben auf die Probleme der Menschen. Es muss uns also gelingen, unsere radikale Kritik an der EU an die Menschen zu bringen und den rechten „Euro-KritikerInnen“ somit das Heft aus der Hand zu nehmen und den Plänen der herrschenden Klasse Europas einen Strich durch die Rechnung zu machen. Denn eines ist klar: die verstärkte Zusammenarbeit der KapitalistInnen der europäischen Länder muss folgerichtig auch eine bessere Kommunikation und Strategie der AktivistInnen in den europäischen Ländern nach sich ziehen, wenn wir diesen geballten Angriff, diesen Klassenkampf von oben, eine solidarische und geschlossene Absage erteilen wollen.
Erschienen in barricada – Zeitung für autonome Politik und Kultur – Juli/August 2014