Wenn Naziträume platzen

Der Großaufmarsch in Dresden wurde erneut verhindert

Was bisher geschah…

Bis 2009 zauberte der Gedanke an Dresden deutschen Nazis ein wohliges Lächeln in ihre Fressen. Denn der jährliche so genannte Trauermarsch zum „Gedenken“ an die Opfer der Bombardierung der Stadt im Zweiten Weltkrieg war zum größten Nazi-Event in Europa geworden. Bis zu 7000 Nazis hatten sich seit Beginn des neuen Jahrtausends in Dresden am 13. Februar oder dem darauf folgenden Wochenende getroffen und mit stundenlangen Schweigemärschen ihren Beitrag zur Verklärung der Bombardierung Dresdens durch die Alliierte Luftwaffe geleistet. Durch das Herauslösen aus dem Kontext des deutschen Vernichtungskrieges versuchten die Nazis die Bombardierung Dresdens als unnötiges und vor allem unprovoziertes Kriegsverbrechen darzustellen. Die systematische Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden, der Verfolgung und Ermordung von KommunistInnen, GewerkschafterInnen, Schwulen und Lesben, Sinti und Roma, Zeugen Jehovas und anderer, die nicht ins Weltbild der Nationalsozialisten passten, wurde ausgeklammert. Anknüpfen konnten die Nazis in Dresden dabei an eine Gedenkkultur der offiziellen DDR, die seit den 50er Jahren ebenfalls die deutschen Verbrechen gegen die Menschheit als Ursachen für die Bombardierung zunehmend außen vor ließ. Die einseitige Schuldzuweisung des DDR-Gedenkens gegen die Westalliierten leistete unfreiwillige ideologische Vorarbeit für den Versuch der Nazis, die Deutschen im Nationalsozialismus als Opfer zu inszenieren. Nun, bis 2009 gelang das den Nazis ganz gut. Nach der Annexion der DDR konnten sie sich sogar unter die bürgerlichen Trauernden mischen, ohne, dass die sich am Anfang groß daran gestört hätten. Es wurde so richtig rumgeopfert und der Nazitrauermarsch von den wachsenden antifaschistischen Protesten kaum tangiert. Das änderte sich letztes Jahr drastisch: Ein breites Bündnis hatte sich die Verhinderung des Naziaufmarsches durch Massenblockaden auf die Fahnen geschrieben und das Konzept ging auf! Zu einem großen Trauermarsch kam es nicht. Stattdessen musste der größere Teil der angereisten Nazis letztes Jahr nach stundenlangen Herumgestehe im Polizeikessel frustriert wieder abreisen, während der kleinere Teil der Nazis sinnlos in der Stadt herummarodierte, immer wieder Angriffen von Antifas ausgesetzt, die mit militantem Handeln die FaschistInnen daran hinderten, die antifaschistischen Blockaden überhaupt zu erreichen.

2011 – Ein Desaster für die Nazis

Dieses erfolgreiche Konzept der Blockaden, von denen keine offensiven Aktionen ausgehen, kombiniert mit militantem Handeln abseits der Blockaden, führte dieses Jahr zu einem großen taktischen Erfolg. Obwohl die Polizei per Gerichtsurteil dazu verpflichtet wurde, eventuelle Blockaden mit Gewalt zu räumen, gelang es den etwa 15-20.000 AntifaschistInnen, von denen über 10.000 mit mehr als 300 Bussen angereist waren, die angemeldeten Nazi-Sammelpunkte erfolgreich zu blockieren. Am Rande der Blockaden beschäftigten Kleingruppen die Polizei und verhinderten Naziübergriffe auf die Blockaden. Dennoch  kam es immer wieder zu Polizeiübergriffen auch auf SitzblockiererInnen oder Menschen, die sich einfach von einer Blockade zur nächsten bewegten. Die Polizei setzte dabei nahezu permanent und mit größter Selbstverständlichkeit Pfefferspray, Schlagstöcke und sogar beißende Hunde ein. Auch vollautomatische Pfefferkugel-Gewehre wurden von der Polizei mitgeführt und mindestens ein Mal gegen Menschen eingesetzt. Weiter versuchte die Polizei DemonstrantInnen mit Wasserwerfern so zu durchnässen, so dass diese den Protest gegen den Naziaufmarsch aufgeben. Trotz kalter Witterung ging dieser Plan jedoch genauso wenig auf, wie der Plan die Nazis überhaupt laufen zu lassen. Während die Polizei erfolglos versuchte, AntifaschistInnen von der Straße zu prügeln, gelang es etwa 200 Nazis das alternative Hausprojekt „Praxis“ minutenlang anzugreifen. Dabei gingen etliche Fensterscheiben – auch von Nachbarhäusern – zu Bruch. Die anwesende Polizei beschränkte sich, während die Nazis immer mehr Steine in das Haus warfen, auf das Regeln des Verkehrs. Auf eine großzügige rund-um-die-Uhr-Bewachung durch die Polizei, wie sie z.B. der Nürnberger Toensberg-Laden bis zu seiner Schließung erfuhr, können sich NazigegnerInnen also nicht stützen. Und das obwohl das Wohnprojekt „Praxis“ letztes Jahr bereits zwei Mal von Nazis angegriffen wurde.

Trotz dieser unschönen Szenen, die nahe legen, linke Strukturen in Zukunft besser zu schützen, wenn die Polizei Nazis das offene Auftreten und Sammeln in größeren Gruppen ermöglicht, war der 19. Februar für die angereisten ca. 2000 Nazis ein völliges Desaster. Die Naziszene war nicht in der Lage auf die Niederlage des letzten Jahres sinnvoll zu reagieren. So endete auch der Versuch, abends spontan in Leipzig aufzumarschieren bereits am Leipziger Hauptbahnhof. Insgesamt ist die Naziszene völlig zerstritten darüber, wie mit dem Scheitern in Dresden umzugehen sei. Die Einen üben sich als Großmäuler, die KameradInnen Feigheit vor der Antifa und der Polizei vorwerfen, die Anderen weisen auf den Trauermarsch-Charakter des Aufmarsches hin und empfinden das Herumgemackere der Kameraden als unpassend. Es ist allerdings davon auszugehen, dass dieses Jahr ohnehin die zweite Fraktion kaum nach Dresden gefahren sein dürfte.

Feiernde Antifas und die Rache der Versager

Am Abend wurden die erfolgreichen Blockaden in Dresden gefeiert und die acht Busse aus Nürnberg und Umgebung kamen vollbesetzt mit zufriedenen AntifaschistInnen (mit Ausnahme einer Schwerverletzten, die nach einem massiven Polizeieinsatz ins Krankenhaus gebracht werden musste) wieder nach Mitternacht in Nürnberg an. Bei den Nazis dürfte die Stimmung dagegen generell kaum feierlich gewesen sein und wenn doch, dann ist dies sicherlich nur dem Umstand geschuldet, dass die deutsche Naziszene jede erbärmliche Niederlage in einen heroischen Erfolg umdeuten muss. Die Polizei wollte es jedoch nach dem Scheitern ihrer Taktik zur Durchsetzung des Rechtes auf Nazipropaganda nicht dabei belassen und stürmte am Abend brutal das Pressezentrum des Bündnisses Dresden Nazifrei. Einen schriftlichen Durchsuchungsbefehl konnten die LKA-Beamten  dabei zwar nicht vorweisen, aber dafür Vollvermummung und einen Hass auf die unverschlossenen Türen des Büros. Die anwesenden Bündnis-VertreterInnen wurden dann gezwungen, sich nackt auszuziehen und sich einer Erkennungsdienstlichen Behandlung zu unterziehen. Ihnen wird, nach aktuellen Informationen, die Verabredung und die öffentliche Aufforderung zu Straftaten sowie Landfriedensbruch vorgeworfen. Bei der Durchsuchung wurden alle Computer und Speichermedien beschlagnahmt. Ein Sprecher des Bündnisses bezeichnete den Angriff auf die Öffentlichkeitsarbeit deshalb auch konsequent als „Racheaktion“. Offenbar wollte sich die Polizei an den Menschen rächen, „die den Erfolg des Tages ermöglicht haben.“

Ob damit der Naziaufmarsch in Dresden „Geschichte wird“, hängt nun vor allem davon ab, ob es den Nazis gelingt, auf das erfolgreiche antifaschistische Blockade-Konzept eine Antwort zu finden. Der Polizei dürfte es, trotz einer erfolgreichen Verbesserung des Images als brutale Schläger, nicht gelungen sein, AntifaschistInnen davon abzuschrecken wieder nach Dresden zu fahren. Die Nazis waren nicht in der Lage ihre Träumereien von „Rache“ für letztes Jahr umzusetzen. Im Gegenteil: Sollte es nächstes Jahr wieder ein paar Nazis geben, die meinen in Dresden rumopfern zu müssen, wird der Traum von Dresden definitiv ein Alptraum für sie.

Erschienen in barricada – März 2011