Verfassungsschutz ersatzlos auflösen!
Unter den Augen von Polizei, Staatsanwaltschaft und Verfassungsschutz wurde von der neofaschistischen Terrorgruppe NSU eine Mordserie begangen, die in den letzten Jahrzehnten in der BRD ihres gleichen sucht. Doch das, was das Trio (inklusive weiterer Mitglieder des „nationalsozialistischen Untergrunds“) in Zwickau organisierte, deckt die Qualität des faschistischen Terrors nun auf. Aufgrund der zahlreichen bisher aufgedeckten Verbindungen zu Verfassungsschutz und anderen Nazis ist klar, dass die Terrorgruppe Unterstützung hatte. AntifaschistInnen brauchen Mut – Nazis den Staat. Die drei brauchten keinen Mut, denn irgendwer im Staatsapparat hielt schützend die Hand über die drei – mehr als ein Jahrzehnt. Kein Sondereinsatzkommando stürmte ihren Unterschlupf, niemand kam ihnen auf die Spur. Es sind beklemmende Fragen, die man sich nun stellen muss!
Alle drei: Uwe Bohnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe waren einschlägig bekannt. Alle drei kamen aus den Reihen des 1998 verbotenen „Thüringer Heimatschutzes“, dessen Chef erhielt vom Verfassungsschutz in den 90er Jahren rund 200.000 D-Mark (gut 100.000 Euro), für seine Dienste als V-Mann. Das Geld floss in den Aufbau der militanten Organisation. Für den „Thüringer Heimatschutz“ hat sich das Geschäft gelohnt!
Selbst André Schulz, Chef des Bundes deutscher Kriminalbeamter, konnte nur seine Verwunderung über den Verlauf des Falls zum Ausdruck bringen. Gegenüber den „Dresdner Neuesten Nachrichten“ vom 14.11.2011 hielt er fest: „Wir wissen nichts Konkretes. Aber irgend etwas stimmt hier nicht.“ Sein Seitenhieb geht in Richtung der Generalbundesanwaltschaft. Diese habe sehr schnell 24 Aktenordner über das Nazi-Trio vorgelegt, obwohl die Terroristen angeblich niemandem bekannt waren. In der Tat, das braune Terrornetz hat Fäden geknüpft, die an irgendeiner Stelle sehr wahrscheinlich beim Verfassungsschutz zusammenlaufen. Das zeigt in erschütternder Weise, wie sehr die antifaschistische Bewegung mit ihrer Analyse, dass man sich auf den Staat im Kampf gegen Nazis keinesfalls verlassen könne, man ihn also selbst in die Hand nehmen muss, recht hat.
Alle die vielen aktuellen Erklärungen, Vermutungen, neuen Erkenntnisse und geplanten Projekte zum Rechtsextremismus, die täglich von PolitikerInnen, VertreterInnen der Staatsanwaltschaften, des Verfassungsschutzes und der Polizei über die Medien verbreitet werden, haben eines gemeinsam: Sie gehen am Kern des Problems vorbei! Sie klammern aus, dass die Geschichte der Bundesrepublik vom ersten Tage ihres Bestehens an gekennzeichnet war von großzügiger Förderung und wirksamer Einflussnahme zigtausender ehemaliger Nazis, ja sogar nicht weniger Kriegsverbrecher, auf alle relevanten Gebiete des gesellschaftlichen Lebens und einem gnadenlosen Kampf gegen alle, die im Verdacht standen, zum linken Spektrum der Gesellschaft zu gehören oder mit ihm zu sympathisieren.
Diese von der Adenauer-Regierung und den ihr folgenden Bundesregierungen betriebene Restauration des Verwaltungs-, Justiz-, Geheimdienst-, Polizei- und sonstigen Behördenapparates unter nahezu restloser Einbeziehung des „bewährten Fachpersonals“ der untergegangenen Nazidiktatur, auch vieler aufs Schwerste Belasteter, hatte zur Folge, dass das öffentliche Bewusstsein in der BRD planmäßig und systematisch antikommunistisch geprägt wurde. Die Sicherheitsorgane jedes Staates handeln nach dem politischen Willen und den politischen Vorgaben ihrer Regierung, und es lässt sich durch noch so viele anderslautende Erklärungen und Ablenkungsmanöver nicht ungeschehen machen, dass die von den Bundesregierungen, dem Verfassungsschutz, der Polizei und den zuständigen Justizorganen vorgegebene Hauptstoßrichtung ihres Wirkens das linke Spektrum war und noch immer ist.
Die abstoßende Geschichte ?der Schweinebande vom Bundesamt ?für Verfassungsschutz!
Heute wird am Schutzschirm zur Erhaltung der Banken und des kapitalistischen Bank- und Wirtschaftssystems gearbeitet – in den Nachkriegsjahren wurde der Schutzschirm für Naziaktivisten und Kriegsverbrecher, für die Erhaltung antikommunistischer und sowjetfeindlicher Ideologien und Positionen durch die Westmächte, besonders die USA, und durch die Bundesregierung und Justiz aufgespannt. Dieser Schutzschirm reichte über die neuentstandenen Geheimdienst- und Sicherheitsbehörden der BRD in alle Bereiche der Gesellschaft, vorrangig in die Organe der Bundesregierung, der Justiz und der Bundeswehr.
Nazigeneral Reinhard Gehlen hatte nach seiner Rückkehr aus den USA im Jahre 1947, in dem der Aufbau eines neuen deutschen Geheimdienstes abgesegnet wurde, hinreichend Erfahrungen bei der Sammlung »geeigneter Kräfte« machen können. Deshalb verwundert es nicht, dass er in Vorbereitung der Bildung des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) ein Angebot von Hans Globke erhielt, das Amt als Leiter zu übernehmen. Gehlen kam nicht zum Zuge, da die Briten als Ausgleich für die Pullacher USA-Position ihren Agenten Otto John durchsetzten, der mit der Gründung des BfV im September 1950 die Leitung des Amtes übernahm.
Hubert Schrübbers, der von 1955 bis 1972 das BfV leitete, sicherte die Besetzung zahlreicher Führungspositionen durch bewährte SS- und SD-Offiziere und durch Exmitarbeiter der Gestapo. Schrübbers selbst war überzeugter Nationalsozialist, vor 1945 in der Generalstaatsanwaltschaft am Reichsgerichtshof tätig und zeichnete sich durch hohe Strafanträge gegenüber Gegnern des Naziregims aus. Er musste schließlich auf Druck der Öffentlichkeit zurücktreten und in den »verdienten« Ruhestand gehen.
Bereits 1951, kurze Zeit nach Gründung des BfV, hatte Gehlen seinen Mitarbeiter und Vertrauten Albert Radke in das Amt geschleust, der dort die Position des Vizepräsidenten einnahm. Radke war Oberst im Amt Ausland/Abwehr des Oberkommandos der Wehrmacht und nachweislich an Judendeportationen beteiligt.
Im »Polizeibrief« der Alliierten vom 14. April 1949, in dem auch die Grundsätze für den Aufbau und die Tätigkeit eines Verfassungsschutzes festgelegt wurden, war das Sammeln von Nachrichten ohne polizeiliche Exekutive zugestanden worden. Das ist sicher als eine formale Reaktion auf die Erfahrungen mit der Gestapo zu bewerten. Aber von Anfang an waren viele Angehörige der Gestapo im Bundesamt und in den Landesämtern für Verfassungsschutz als offizielle und inoffizielle Mitarbeiter beschäftigt. Dazu gehörten unter anderem Werner Aretz, Gustav Barschendorf, Richard Gercken, Paul Opitz, Johannes Strübing, Erich Wenger, Alfred Wurbs als leitende Mitarbeiter des BfV. Das faschistische Reichssicherheitshauptamt versammelte sich wieder.
Die Tarnung von Faschisten mit anderen Namen und Ausweispapieren gehörte von Anfang an zur Praxis des Verfassungsschutzes. Alfred Wurbs, auf dem Balkan und in Norwegen an Kriegsverbrechen gegen jüdische Bürger beteiligt, wurde mit Decknamen abgeschirmt und Mitarbeiter des BfV, 1956 dann nach formaler Beendigung der »Aufsichtspflicht« der Alliierten mit Klarnamen legalisiert; auch Kurt Fischer und Karl-Heinz Siemens, nach 1945 als »Karschner« bzw. »Dr. Kaiser« untergetaucht, fanden Anstellung im BfV mit der späteren Legalisierung unter Klarnamen.
Seriösen Forschungen zufolge waren 500 bis 800 Naziaktivisten in den Ämtern für Verfassungsschutz tätig. Schlimmste Verbrechen wurden von einigen begangen. Gustav Barschdorf, bis in die 60er Jahre im BfV beschäftigt, war u. a. am Auspeitschen norwegischer Bürger beteiligt, hierfür erfolgte erst 1974 seine Verurteilung als Kriegsverbrecher; Kurt Lischka, der wegen der Beteiligung an Massenmorden durch ein französisches Gericht zum Tode verurteilt worden war, fand Anstellung im BfV, bevor er 1980 mit zehn Jahren Haft bestraft wurde; Richard Gercken, dessen Beteiligung an Verbrechen bei der Verfolgung von Antifaschisten in Holland nachgewiesen ist, schaffte es sogar bis zum Chef der Spionageabwehr des BfV und blieb unbestraft; Kurt Fischer zeichnete sich in den Konzentrationslagern Dachau und Auschwitz aus; Gustav Halswick war an Kriegsverbrechen in Polen, der Sowjetunion und in Frankreich beteiligt. Seine Verurteilung zu zehn Jahren Haft durch ein französisches Militärgericht wurde ignoriert.
Es ist bezeichnend, dass seit der Gründung des BfV im Jahre 1950, also unmittelbar nach Gründung der BRD, die Abteilung »Rechtsradikalismus« die personell kleinste und offensichtlich unbedeutendste Abteilung war und geblieben ist. Das gilt vergleichsweise auch für die Strukturen der Landesämter. Der Verfassungsschutz hatte von der Adenauer-Regierung eine ganz andere Orientierung erhalten. Noch vor dem Erlaß des 1. Strafrechtsänderungsgesetzes vom 30. August 1951 begann eine beispiellose Verfolgung linker Kräfte, in deren Folge bis zum Jahre 1968 250.000 Ermittlungsverfahren gegen BRD-BürgerInnen eingeleitet wurden. 7000 Verurteilungen sind nachgewiesen, auszugehen ist von 10.000.
Gegenwärtig wird durch Vertreter der Bundes- und Landesregierungen, allen voran die Innenminister der beteiligten Länder, versucht, die Mordserie der Terrorgruppe »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU), die Bundeskanzlerin Angela Merkel als Schande für Deutschland bezeichnete, mit ungenügender Abstimmung zwischen den beteiligten Stellen, mit Erfassungs- und Koordinierungsfehlern zu erklären. Das ist jedoch nur ein Teil der Wahrheit und sicher auch nicht der bedeutendste. Die Hauptursache des “Versagens??? liegt vielmehr in der Ideologie, im Geist der Mitarbeiter der Verfolgungs(Überwachungs)organe, die in der Unterschätzung der rechten Gefahr ihren Ausdruck findet, historische Wurzeln hat und auch nach Generationen noch wirkt.
Erschienen in barricada – Dezember 2011