Trotz NSU-Skandal: Die extreme Rechte in Franken bleibt selbstbewusst

Mehr als ein halbes Jahr ist nun vergangen, seit dem klar wurde, dass die Nazi-Mörderbande NSU für mindestens neun rassistische Morde die Verantwortung trägt. In Bayern wurde die Hälfte der Morde begangen, drei alleine in Nürnberg. Die TäterInnen entstammten einer BRD-Naziszene, die spätestens seit Mitte der 90er Jahre bundesweit gut vernetzt ist. Sie hatten HelfershelferInnen quer durch Deutschland und sicher auch welche in Bayern. Die Verbindungen sind gut dokumentiert: Das „Freie-Netz-Süd“ (FNS), der größte Kameradschafts-Zusammenschluss in Bayern und seine Vorläufer-Organisationen, wie die verbotene Fränkische Aktionsfront, pflegten beste Kontakte zum Umfeld des NSU. Der Fürther Nazi Matthias Fischer, der als Führungsfigur im FNS gilt, unterhielt engen Kontakt zum „Thüringer Heimatschutz“, in dem die drei NSU-Hauptverdächtigen vor ihrem Abtauchen aktiv waren. Schon Mitte der 90er Jahre reiste die frühe Kerntruppe der „Kameradschaft Jena“, zu der auch die bislang bekannten NSU-Mitglieder Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe zählten, zu einem Kameradschaftsabend nach Nürnberg. Mit dabei sollen auch der wegen Unterstützung der NSU inhaftierte Ralf Wohlleben sowie Andre Kapke gewesen sein. Der Franke Matthias Fischer hielt den Neonazis aus Jena bis heute die Treue: Bei fast allen von Ralf Wohlleben organisierten „Festen der Völker“ oder anderen Veranstaltungen war der mehrfach verurteilte Fischer in den kommenden Jahren anwesend, des öfteren auch als Redner.
Diejenigen, die gedacht hatten, dass die Aufdeckung der NSU, die ja immerhin schwerpunktmäßig in Bayern gemordet hatte, die örtliche Naziszene in Schwierigkeiten bringen würde, wurden spätestens nach der Haftentlassung des fränkischen Nazi-Anführers Matthias Fischer im Herbst letzten Jahres eines besseren belehrt. Gegen NazigegenerInnen und deren Treffpunkte wurden mehrere Anschläge verübt: Die Scheiben des linken Nürnberger Stadtteilladens Komm e.V. wurden eingeworfen und auch in Fürth, wo es Stadt und Polizei im Februar dem FNS erstmals seit Jahren wieder ermöglichten eine Demonstration durchzuführen, wurde nach dem Naziaufmarsch die Frontscheibe des Infoladens Benario beschädigt. Auch kam es zu Sachbeschädigungen und sogar körperlichen Übergriffen. Von den Anschlägen in Nürnberg und Fürth, die seit Jahren von Nazis verübt werden, ist bis jetzt immer noch keiner von der Polizei aufgeklärt worden, obwohl die Nazis auch nicht davor zurückschreckten, Brandstiftung zu verüben.

Rechte Provokateure mit Kamera

Während die fränkische Naziszene sich unbeirrt weiter militant gibt, wird die Anti-Antifa-Strategie weiter konsequent fortgesetzt. Teil dieser Strategie ist es, linke Personen, Treffpunkte und Aktivitäten auszuspähen. Die Schreiberlinge des FNS versuchen sich außerdem, vor allem mit ihrer Internetseite, als investigative Journalisten darzustellen. In den hauptsächlich von Kai-Andreas Zimmermann verfassten Artikeln ist ein immer wiederkehrendes Muster zu erkennen: Während der Staat angeblich rigoros gegen Rechte vorgehe, würden Linke staatlich gefördert und geschützt werden. Obwohl die Realität diese Fantasien Lügen straft, scheint diese Strategie das Mittel der Wahl bei den Nazis zu bleiben. Der erst kürzlich wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilte Kai-Andreas Zimmermann ist auch meist dabei, wenn es darum geht, linke Veranstaltungen zu beobachten. Dabei kann aufgrund der Penetranz, die die Anti-Antifa-Truppe dabei an den Tag legt, davon ausgegangen werden, dass dieses Verhalten Angriffe provozieren soll.
Am 15. Juni 2012 kam es jüngst zu einem Aufeinandertreffen zwischen Zimmermann und einem weiteren Anti-Antifa-Kumpanen und TeilnehmerInnen einer Solidaritätskundgebung für den inhaftierten Antifaschisten Deniz K in Fürth. Während die von Passanten gerufene Polizei im Polizeibericht nur einen Tritt des Begleiters von Zimmermann gegen eine Antifaschistin erwähnt, brüsten sich die Nazis auf der FNS-Homepage mit den Worten „eine abgebrochene Flasche in der Hand des […] nationalen Aktivisten sorgte dafür, dass die Angreifer [gemeint sind die AntifaschistInnen] ihre Attacken vorerst einstellten.“ Auch in einer Mitteilung der Antifaschistischen Linken Fürth wird die abgebrochene Flasche erwähnt. Auch dass der Begleiter von Kai-Andreas Zimmermann mit ihr in Richtung des Halses eines Antifaschisten gestochen haben soll, wird dort behauptet. Die Nazis sehen sich jedoch, auch das ist Taktik oder Wahn, als verfolgte Unschuld. In Pseudo-juristischem Tonfall bemüht sich der Autor des FNS-Artikels (wahrscheinlich Zimmermann selbst) das Zusammentreffen als reine Zufallsbegegnung darzustellen. Bei einem Spaziergang (mit professioneller Fotoausrüstung) seien er und sein Begleiter unvermittelt von Linken angegriffen worden.
Kurz nach dem Naziübergriff fanden sich am Montag, den 18. Juni dann spontan etwa 100 AntifaschistInnen in Fürth zusammen, um gegen den Naziterror und dessen Duldung durch städtische und staatliche Behörden zu demonstrieren. Die hektische Polizei sprach wahllos DemonstrantInnen an, in der Hoffnung, jemand würde sich als AnmelderIn zur Verfügung stellen. Glücklicherweise fand sich niemand und so blieb die Demonstration, die quer durch die Fürther Innenstadt führte unangemeldet. Die Polizei beschränkte sich auf das Regeln des Verkehrs. Von PassantInnen gab es viel Zuspruch, einige applaudierten sogar. Gerufen wurde von den DemonstrantInnen unter anderem „Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda“.

Entschlossenes Handeln ?statt Vertrauen in den Staat

Es ist natürlich aufgrund der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse nicht immer der beste Weg, den Behörden jegliche Kooperation zu verweigern. Für längerfristig mobilisierte Demonstrationen würde die Verweigerung einer Anmeldung eventuell bedeuten, dass sie gar nicht stattfinden könnte. In diesem Fall war jedoch die politische Lage so, dass die Verweigerung einer Anmeldung nicht zu einer Unterbindung der Demonstration durch die Polizei geführt hat. Dafür standen die Fürther Behörden viel zu sehr in der Kritik, was ihren Umgang mit Nazis betrifft. Die Antifaschistische Linke Fürth schreibt dazu, die Nichtanmeldung sei „eine logische Konsequenz aus dem Verhalten der Fürt her ‚Sicherheitsbehörden‘, die nicht die Lösung, sondern viel mehr ein Teil des Fürther Naziproblems sind. Die Nichtanmeldung von antifaschistischen Demonstrationen, wird aber nicht die einzige Folge aus den Vorkommnissen der letzten Monate sein. So werden wir zukünftig mehr denn je auf die Verstrickungen von Verfas sungsschutz bzw. Polizei mit der Neonaziszene aufmerksam machen. Damit dem – über weite Strecken – staatlich alimentierten rechten Terror, endlich Einhalt geboten wird.“

Nazis fühlen sich noch sicher

Das dreiste Auftreten der Nazis, vor allem vom „Freien Netz Süd“ und deren Anti-Antifa-Gruppe um Norman Kempken, Sebastian Schmaus, Kai-Andreas Zimmermann und Michael Reinhardt zeigt, dass die Nazis sich wohl sehr sicher fühlen. Von staatlicher Seite war die örtliche Naziszene auch weitgehend geschont worden. Auch wenn immer wieder Kader des FNS ins Gefängnis müssen, scheint das wenig abschreckende Wirkung auf den eher kleinen Kreis der NaziaktivistInnen zu haben. Die antifaschistische Antwort auf die Naziprovokationen muss eine Kombination aus Aufklärung über Naziaktivitäten, deren Protagonisten und deren Rolle und natürlich antifaschistischen Aktionen sein. Am Wichtigsten ist es aber, zu verhindern, dass Nazis in der Gesellschaft Fuß fassen können. In der Region versuchen die Nazis des FNS seit langem mit sozialdemagogischen Flugblättern in der sozialen Frage an politischem Gewicht zu gewinnen. Das gelingt ihnen zwar aufgrund ihrer gesellschaftlichen Isolation durch gute antifaschistische Arbeit nur sehr bedingt, doch das kann kein Grund zur Entwarnung sein. Wie derzeit in Griechenland zu beobachten ist, können faschistische Organisationen schnell erstarken, wenn die bürgerliche Rechte deligimitiert ist und unfähig scheint, für ihr klein- und großbürgerliches Klientel einzutreten. Bei aller Stümperhaftigkeit, die die Nazis bei ihren politischen „Kampagnen“ an den Tag legen, sollte das FNS nicht unterschätzt werden. Sie sind lernfähig und kopieren – wie ihr historisches Vorbild die NSDAP – alles von linken Bewegungen, was ihnen nützlich erscheint. Sie stellen sich als Systemalternative dar, obwohl sie das natürlich nicht sind. Aber die Gefahr, dass sich ihnen trotzdem Unzufriedene zuwenden, besteht. Antifaschismus kann daher nicht bei der Bekämpfung der Nazis alleine stehen bleiben. Nachhaltiger Antifaschismus besteht darin, konkrete Alternativen zum kapitalistischen System aufzuzeigen und zu beschreiten und gleichzeitig die systemerhaltende Rolle faschistischer und nazistischer Gruppen zu thematisieren. Gerade die Verwicklungen der staatlichen Geheimdienste mit der NSU zeigen, dass ein Netzwerk zur staatlichen Kontrolle und Lenkung faschistischer Aktivitäten besteht. Mit ihrer sogenannten Anti-Antifa-Arbeit tun die Nazis auch genau das, was von ihnen staatlich erwartet wird: Terror gegen fortschrittliche Bewegungen ausüben, wo der Staat sich die Hände nicht schmutzig machen möchte.


Erschienen in barricada – Juli 2012