Streik in der Schule

Hunderttausende SchülerInnen und StudentInnen beteiligten sich am Bildungstreik 2009
Rund 270000 SchülerInnen und StudentInnen, aber auch LehrerInnen, Eltern und andere mit dem Bildungssystem Unzufriedene beteiligten sich am 17. Juni bundesweit am Bildungsstreik 2009. Damit konnte die TeilnehmerInnenzahl des vergangenen Jahres, als etwa 100000 auf die Straße gingen, enorm gesteigert werden. In weit über 100 Städten gab es Kundgebungen, Demonstrationen und Aktionen. Aufgerufen hatten etliche Gruppen, Initiativen, Organisationen und Bündnisse, die von antikapitalistischen Gruppen über Gewerkschaftsjugendverbände bis zu parteigebundenen Schüler- und Studentenverbänden reichten. Einzig die Schülerunion hatte sich öffentlich distanziert und damit ihre eigene Bedeutungslosigkeit an vielen Schulen noch weiter zementiert. Vorangegangen waren dem Bildungsstreik zahlreiche mobilisierende Aktivitäten in vielen Städten, Bündnisse für Bildung wurden gegründet oder reaktiviert. An einigen Hochschulen kam es zu längeren Streiks und Besetzungen. Der Mobilisierungserfolg der aufrufenden Bündnisse ist beeindruckend, kam aber kaum völlig überraschend: Seit Jahren steht das Bildungssystem unter massiver Kritik. Die OrganisatorInnen hatten den Bildungsstreik bewusst in einen weltweiten Kontext gesetzt und  wendeten sich gegen die globale neoliberale Umgestaltung der Bildungssyteme. Der Aufruf zum Bildungsstreik ging sogar so weit, auch andere Bereiche der kapitalistischen Produktion, z.B. den Betrieb, ausdrücklich mit einzubeziehen. Auch wenn das noch nicht die Forderung nach der Abschaffung des Kapitalismus als ganzes ist, sind die Forderungen sehr weitgehend und lassen sehr deutlich erkennen, worum es den Protestierenden geht: Es wird ein demokratisches, für alle zugängliches, kostenloses Bildungssystem gefordert, das nicht kapitalistischer Profitlogik unterworfen sein darf. In letzter Konsequenz heißt das, dass die Gesellschaft als ganzes geändert werden muss. Diese notwendige Konsequenz haben die vielen OrganisatorInnen sehr deutlich gemacht.
Dass eine so konkrete Kritik an den Verhältnissen, vor allem so eindrucksvoll und massenhaft vorgetragen, den Herrschenden ein Dorn im Auge ist, kann leicht nachvollzogen werden. Deshalb wurde als Gegenstrategie zu den sehr konkreten Kritikpunkten der SchülerInnen und StudentInnen eine hauptsächlich auf Verdrehungen der Tatsachen aufgebaute Gegenpropaganda verbreitet. So behaupteten VertreterInnen bürgerlicher Parteien und Presse, eine linksextreme Unterwanderung der SchülerInnen und StudentInnen hätte stattgefunden, als ob diese nicht ohne radikale Linke in der Lage wären, das miserable Bildungssystem zu kritisieren. Die schlaueren VertreterInnen und FürsprecherInnen der Herrschenden versuchten, einfach die Forderungen in Beschwerden enttäuschter BildungskundInnen umzulügen, als ob es den DemonstrantInnen nur darum gegangen wäre, eine ordentliche Leistung für z.B. gezahlten Studiengebühren einzufordern. Dabei ist die Kritik am Bildungssystem seit Jahren die gleiche und es gab auch schon große, aber oft ungleichzeitige und regional sehr unterschiedlich ausgeprägte Proteste. Dass die politisch Verantwortlichen die Forderungen der StudentInnen und SchülerInnen nicht nur ignoriert, sondern das Bildungssystem noch weiter nach Kapitalinteressen umgestaltet haben, führte wohl jetzt zu einer massenhaften Unzufriedenheit und Wut in den Bildungseinrichtungen.
Im Gegensatz zu vergangenen Protesten der letzten Jahre scheint sich jetzt eine Bewegung mit Kontinuität zu etablieren, die auch auf die Umsetzungen ihrer Forderungen drängt. Eine Bewegung, die zumindest den Herrschenden so bedrohlich erscheint, dass in zahlreichen Städten die Repressionsorgane auf den Plan gerufen wurden. Von Verweisen für das „unerlaubte Fernbleiben vom Unterricht“ bis zu Knüppelschlägen, Einsatz von Reizgas und Festnahmen reichte die Palette der Schul- und Straßenbullen.

Bildungsstreik in Nürnberg
Zu unschönen Szenen kam es auch in Nürnberg, wo ausgerechnet die Berufsschlägertruppe USK eingesetzt wurde, um die Bildungsstreik-Demo zu „begleiten“. SchülerInnen wurden mit Gewalt am Betreten und Verlassen von Schulen und anderen Bildungseinrichtungen gehindert. Die Zentralmensa des Studentenwerks (gehört angeblich den Studierenden und wird zumindest durch Zwangsabgaben von diesen finanziert) wurde während einer Zwischenkundgebung von Polizeisondereinheiten abgeriegelt. Trotz etlicher Polizeiprovokationen und einiger Übergriffe, war die Nürnberger Bildungsstreik-Demonstration sehr fröhlich und laut. Da in Nürnberg der Schwerpunkt der Mobilisierung an den Schulen lag, beteiligten sich hauptsächlich Schülerinnen und Schüler. Es waren aber auch einige StudentInnen an der Vorbereitung des Nürnberger Bildungsstreik beteiligt und vereinzelt konnte man auch während der Demonstration angehende AkademikerInnen sehen.
Insgesamt haben sich ca. 4000 Menschen am Bildungstreik in Nürnberg beteiligt, die auch zur Demo gegangen sind. Am Ende wurden symbolisch Bildungsblockaden eingerissen, Papiertransparente, durch die Streikende hindurch stürmten.

Nach dem Streik: Banküberfall
In vielen Städten wurden von SchülerInnen und StudentInnen „Banküberfälle“ durchgeführt. Das bedeutete, größere Gruppen betraten Banken und machten auf sich aufmerksam, verteilten Flugblätter und erklärten Bankpersonal und -KundInnen den Hintergrund der Aktion: Aus dem Aufruf zur Banküberfall-Aktion: „Bundesweit und dezentral rücken wir den Profiteuren auf die Pelle, diesmal bleibt es aber noch niedrigschwellig und symbolisch. Wir klauen nichts, werden aber das Bankgeschäft real blockieren und unmissverständlich deutlich machen: Geld für Bildung statt für Banken! Kapital vergesellschaften statt private Verluste zu verstaatlichen, damit der gesellschaftliche Reichtum endlich uns allen gehört! Denn wir zahlen nicht für eure Krise.“
Das spannende am Bildungsstreik ist aber, dass es rund um den Höhepunkt, den Demonstrationen am 17. Juni in so vielen Städten so zahlreiche Aktionen gab, dass es den Rahmen dieser Zeitung sprengen würde, über alle zu berichten. Deshalb ist auch die Internetseite des Bildungsstreikes zu loben, die wunderbar einen Eindruck vermittelt, was für ein unglaubliches Ausmaß diese Basismobilisierung erreicht hat. Wenn es gelingt, die Bildungsstreik-Bewegung aufrecht zu erhalten, trotz der Versprechungen und halbherzigen Reförmchen, welche die Herrschenden jetzt sicher bald aus dem Ärmel schütteln werden, um dem Ganzen die Spitze zu nehmen, dann kann es sein, dass sich tatsächlich einiges zum besseren wenden wird, an Schulen und Hochschulen. Der Bildungsstreik sollte auf jeden Fall von allen radikalen Linken, die ihn nicht ohnehin schon mit vorbereitet haben, genauestens analysiert werden. Denn so was gab es schon lange nicht mehr. Vielleicht sind, wie so oft in der Geschichte, auch dieses Mal die SchülerInnen- und StudentInnenproteste die Vorboten von etwas viel Größerem.

Seite des bundesweiten Bildungsstreiks: www.bildungsstreik.net

barricada – Zeitung für autonome Politik und Kultur – Juli 2009