Links International – Kolumbien

Seit Oktober 2012 stehen Delegationen der Regierung Kolumbiens und der größten kolumbianischen Guerillaorganisation FARC-EP in Friedensverhandlungen. Für uns ist dies ein Anlass, euch einen kurzen Überblick über die Geschichte und den aktuellen Stand des Konfliktes in Kolumbien zu bieten. Wir beschränken uns hierbei darauf, einige Schlaglichter zu werfen auf die jüngere Landesgeschichte, einige Aspekte der politischen und sozialen Situation, die Entwicklung des zivilen und bewaffneten Klassenkampfs und die beiden großen Guerillagruppen FARC-EP und ELN.

Kolumbien ist eines der lateinamerikanischen Länder, mit dessen Regierung die Herrschenden in den USA völlig zufrieden sein können – und dies seit vielen Jahrzehnten. Dass der Kapitalismus ein mörderisches System und ein Verbrechen an der Menschheit ist, tritt in Kolumbien so offen zu Tage wie in in kaum einem anderen Land Südamerikas. GewerkschafterInnen, kritische JournalistInnen, Mitglieder von Menschenrechtsorganisationen oder linken Gruppierungen, kurz: Menschen, die den Interessen der herrschenden Klasse im Wege stehen oder das System in Frage stellen, sind einem hohen Risiko ausgesetzt, von Polizai oder Armee, staatlich geförderten Paramilitärs oder von Unternehmen bezahlten Todesschwadronen ermordet zu werden.
30 Millionen der insgesamt 46 Millionen KolumbianerInnen leben nach Angaben der Guerilla in Armut. (nach Zahlen der Weltbank sind es „nur“ 24 Millionen Arme). Die Ungleichverteilung des Reichtums ist die höchste in Lateinamerika.
Dass trotz allgemeiner Wahlen ein Großteil der Bevölkerung von politischen Entscheidungen ausgeschlossen ist, wird in Kolumbien besonders deutlich. Bereits das gesamte 20. Jahrhundert hindurch machten die konservativ gerichteten Herrschenden (v.a. Landwirtschaftsoligarchie und mit ihr verbündete Klassenfraktionen) auf der einen und liberal eingestellte Kapitalisten auf der anderen Seite im wesentlichen unter sich aus, wie das Land politisch gestaltet werden soll.

La violencia

1948 schlug der Konflikt zwischen liberaler Partei (welche zu dieser Zeit einen starken linken Flügel hatte) und Konservativen in einen allgemeinen Bürgerkrieg um. In diesem Jahr wurde der in der Bevölkerung beliebte Präsidentschaftskandidat der Liberalen, Jorge Eliécer Gaitán, in Bogotá ermordet. Gaitán stand für relativ weitreichende Reformvorhaben und eine in etwa sozialdemokratische Politik des Ausgleichs zwischen den Klassen. Seine Ermordung führte zu massiven Aufständen in den Städten. Bis 1958, als Liberale und Konservative sich auf eine paritätische Machtteilung unter dem Namen „Nationale Front“ einigten, starben im kolumbianischen Bürgerkrieg ca. 300.000 Menschen. Auch nachdem sich die Eliten auf ihre Lösung (die jede Opposition ausschloss) geeinigt hatten, kehrte, vor allem in den ländlichen Gebieten, kein Friede ein.
Zum Schutz vor Übergriffen durch Repressionsorgane oder von Großgrundbesitzern und Firmen angeheuerte Möderbanden wurden in vielen Regionen Kolumbiens indigene und bäuerliche Selbstschutzorganisationen gegründet, die oftmals größere Gebiete zu repúblicas independientes (unabhängige Republiken) erklärten.

Die FARC-EP

Eine dieser autonomen Republiken, die República de Marquetalia, wurde, nach mehreren gescheiterten Versuchen, die Guerilla-Selbstschutzeinheiten gewaltsam aus dem Gebiet zu vertreiben, 1964 von 16.000 Soldaten der kolumbianischen Armee angegriffen. US-amerikanische Spezialisten unterstützten das Militär bei diesem Angriff „in beratender Funktion“. Tatsächlich stammte ein Großteil der Aufstandsbekämpfungsstrategie, die im Verlauf der Violencia-Jahrzehnte und in der Zeit danach zur Anwendung kam, direkt aus den USA.
Die wenigen dutzend spärlich bewaffneten Selbstschutzeinheiten, die im wesentlichen der Kommunistischen Partei Kolumbiens zuzuordnen waren und ca. 1000 unbewaffnete DorfbewohnerInnen hatten keine Chance gegen die Übermacht, konnten aber zum Teil ihrer Ermordung oder Gefagennahme entgehen. Überlebende des Angriffs gründeten noch im Mai 1964 den „Südblock“, eine effizientere und formaler strukturierte Organisation, aus der zwei Jahre später unter der Führung Manuel Marulanda Vélez´ die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) hervorgehen sollten. Die FARC erzielten bald militärische Erfolge in den südlichen Regionen Kolumbiens, in denen sie vor allem operierte. Ihre Ziele waren hauptsächlich Armee- und Polizeieinheiten. Die Regierung reagierte auf den wachsenden Erfolg der Guerilla mit einer weiteren Entrechtung der Menschen in den umkämpften Gebieten und der verstärkten Bildung von paramilitärischen Einheiten. Die Herrschenden wenden in Kolumbien unter der Regie der USA offen faschistische Methoden gegen die Bevölkerung an.
Weite Teile Kolumbiens sind nahezu unbesiedelt. Die besiedelten ländlichen Gebiete werden zudem nicht alleine durch die in vielen Ländern Lateinamerikas stattfindende Landflucht weiter entvölkert, sondern auch durch gezielte Vertreibungsaktionen seitens Regierungstruppen oder Paramilitärs sowie der Flucht vieler aus den Bürgerkriegsgebieten. Dies erschwert die Lage für eine klassische Landguerilla wie die FARC-EP. Seit den 70er Jahren operierte die Guerilla daher auch verstärkt in Städten und rekrutierte nun nicht mehr nur Männer und Frauen aus der Bauernklasse und ländliche Schullehrer, sondern vermehrt StudentInnen und ProletarierInnen die aus der Stadt stammten. Mit ihrer siebten Konferenz richteten die FARC 1982 ihre Strategie entscheidend neu aus. Sie beschlossen, die Mittel des politischen Kampfes wesentlich stärker zu nutzen und sich besser mit den anderen Guerillaorganisationen Amerikas zu vernetzen. Auch größere Militäroperationen waren nun möglich. Zwischen 1984 und 1987 herrschte zwischen der FARC-EP, die in größeren ländlichen Gebieten des Landes nun faktisch die die Staatsmacht stellten, und der kolumbianischen Regierung Waffenstillstand.

Die Erfahrung der Union Patriotica

1985 begann der Versuch der FARC-EP, auf nichtmilitärischem Weg dem Ziel eines befreiten Kolumbiens näherzukommen. Mit Mitgliedern der Kommunistischen Partei Kolumbiens und der FARC nahestehenden Menschen gründete sie die Partei Patriotische Union (UP), welche im folgenden Jahr offiziell anerkannt wurde. Bei den Parlamentswahlen 1986 erhielt die UP lediglich 1,4% der abgegebenen Stimmen. Ihr Präsidentschaftskandidat kam bei den Wahlen zur Besetzung des höchsten Staatsamtes auf 4,5% – ein Jahr später wurde er von einem Mitglied der Paramilitärs ermordet. Und er war nicht der einzige UPler, den die Herrschenden beseitigen ließen: Nach Angaben der FARC waren es 5000 Funktionäre, Mitglieder und Anhänger der UP, die in den Jahren nach ihrer Legalisierung von Paramilitärs und Todesschwadronen, teils unter Beteiligung des Militärs und der Polizei, entführt, gefoltert und ermordet wurden. Der Plan der kolumbianischen Regierung und ihrer Auftraggeber in den USA ging auf: Nachdem auch der Präsidentschaftskandidat der UP zu den nächsten Wahlen ermordet wurde und der Mitgliederbestand buchstäblich ausgeblutet worden war, verschwand die Partei in der Bedeutungslosigkeit. 2002 wurde das Experiment UP offiziell eingestellt.
1998 ließen sich die FARC-EP erneut auf Friedensverhandlungen mit der kolumbianischen Regierung ein. Für diese Verhandlungen wurde ein Teil des von den FARC faktisch kontrollierten Gebietes zur neutralen Zone erklärt. Während der Verhandlungen bereitete sich das kolumbianische Militär auf großangelegte Feldzüge gegen das Guerillagebiet vor. Mit der Wahl des Präsidentschaftskandidaten Alvaro Uribe, der ein härteres Vorgehen gegen die revolutionären Kräfte angekündigt hatte im Jahr 2002 fanden die Friedensbemühungen der FARC ein Ende. Die Regierung führte einen massiven Angriff auf die Gebiete der Guerilla durch, der zunächst für das Militär eher verlust- als erfolgreich war. In den folgenden Jahren gab das Uribe-Regime Unsummen für die Bekämpfung der revolutionären Kräfte aus und stockte die Repressionsorgane massiv auf. Die FARC gerieten in eine militärische Defensive. Zur Zeit laufen nun wieder Friedensverhandlungen, die auch Landverteilung und soziale Reformen zum Gegenstand haben. Die Guerilla hatte allerdings angekündigt, aus den Fehlern der früheren Verhandlungen, die den Herrschenden schließlich strategische Vorteile geboten hatten, gelernt zu haben.
Staatlichen Stellen zufolge hat die FARC derzeit 18.000 Mitglieder.

ELN – „Nicht einen Schritt zurück -? Befreiung oder Tod“

Die zweite große Guerillaorganisation Kolumbiens, die nationale Befreiungsarmee (ELN) entstand zwar, wie die FARC, 1964, hatte ihre Wurzeln aber nicht unmittelbar in der aufständischen Bewegung, die sich seit Ende der 40er Jahre entwickelt hatte, sondern in der studentischen Bewegung Kolumbiens und der Guerillatheorie Ernesto Guevaras. Nach guevaristischem Vorbild schuf der Student Fabio Vasquez Castaño einen kleinen Guerillafokus, der bereits Anfang 1965 groß genug war, in einer ersten spektakulären Aktion die Kleinstadt Simacota zu besetzen. In den nachfolgenden Jahren traten nicht alleine lokale Bauern der neuen Guerillaorganisation bei, sondern auch viele katholische Befreiungstheologen nahmen den bewaffneten Kampf in den Reihen der ELN auf. Einer von ihnen war der wohl bekannteste sozialrevolutionäre Priester Lateinamerikas, Camilo Torres Restrepo, der aufgrund seines aktiven Eintretens für eine vereinigte revolutionäre Front zunächst von der Kirche suspendiert wurde und 1966, nach wenigen Monaten in der Guerilla, in einem Gefecht mit der kolumbianischen Armee getötet wurde. Mit der Zerschlagung der einflussreichen und weltweit vernetzten Befreiungsbewegung im katholischen Klerus war übrigens Joseph Ratzinger betraut, dem nach seinem kürzlichen Rücktritt als Papst die ELN einen entsprechenden Nachruf widmete.
1973 konnte die ELN, die den Fehler begangen hatte einen Großteil ihrer Kräfte zu konzentrieren, vom kolumbianischen Militär nahezu aufgerieben werden. Ende der 70er Jahre setzte sich in der ELN, die sich bis dahin nur langsam von dieser Niederlage erholen konnte, eine Fraktion um den exkommunizierten Priester Manuel Perez Martinez durch, welche auf eine gewisse interne Demokratisierung setzte und das Volksmachtkonzept des italienischen Kommunisten Antonio Gramsci adaptierte. Somit begriff sich die Guerilla nicht mehr als eine einzig legitime Avantgarde der unterdrückten Klassen, sondern als ein bewaffneter Akteur, der im Zusammenspiel mit anderen Kräften und sozialen Bewegungen die Klassen der Arbeiter und Bauern zur Herrschaft verhelfen und so den Sozialismus in Kolumbien einführen würde. Nach diesen Richtungsänderungen, mit denen der Ausschluss des Gründers Fabio Vasquez einherging, wuchs die ELN rasch wieder an.
Wie die FARC in der von ihnen kontrollierten Gebieten richtete die ELN in den ausgedehnten Regionen, in denen sie aktiv ist, ein eigenes Bildungs-, Verwaltungs- und Sozialsystem ein. Die ELN finanziert sich hauptsächlich durch die Erhebung von Kriegssteuern und Zahlungen für die Freilassung festgenommener Politiker, Manager oder Angehöriger der Repressionsorgane. Auch Auswärtige, die ohne Genehmigung der Guerilla von der ELN kontrolliertes Gebiet betreten, laufen Gefahr festgenommen und erst nach Lösegeldzahlung wieder freigelassen zu werden.
An den Friedensverhandlungen 1998 bis 2002 beteiligte sich die ELN nicht. Es fanden allerdings in dieser Zeit Sondierungsgespräche zwischen der kolumbianischen Regierung und der ELN statt. 2006 kam es zwischen der FARC-EP und der ELN zu ernsten Spannungen, die schließlich zu militärischen Auseinandersetzungen führten. Die FARC, welche auf von der ELN beanspruchte Gebiete vorgedrungen war, beklagten sich auf ihrer Homepage über Angriffe die sie so nur vom Feind erwartet hätten. 2009 wurde der Konflikt schließlich beigelegt. Zeitgleich mit der militärischen Spannung zwischen den beidenGuerillaorganisationen führte die ELN Friedensverhandlungen mit der kolumbianischen Regierung, die jedoch ergebnislos blieben. Die Regierung war nicht willens, sich in wichtigen Fragen auf die Guerilla zuzubewegen.
Momentan besteht die ELN aus wahrscheinich 5000 Männern und Frauen.

Die Regierungszeit Uribes und der ?Plan Colombia – Massaker und Vertreibung

Alvaro Uribe, kolumbianischer Präsident von 2002 bis 2010, verfügte über beste Verbindungen zur US-amerikanischen Geheimdiensten, dem Medellin-Kartell Pablo Escobars und dem Dachverband kolumbianischer Paramilitärs, den berüchtigten „Vereinigten Selbstschutzgruppen Kolumbiens“ (AUC) sowie anderen kriminellen Organisationen. Die AUC wurde zwar nach Verhandlungen 2006 offiziell aufgelöst, tatsächlich aber bestehen die prokapitalistischen Terrorgruppen ohne offiziell auftretenden Dachverband weiter und verfügen über enormen Einfluss im politischen Apparat des Landes, in Armee und Polizei sowie Justiz und Geheimdiensten. Im Rahmen der kosmetischen Demobilisierung der AUC wurde den Killern Straffreiheit für vergangene Taten verschafft. Die Massaker an ZivilistInnen und Guerillaeinheiten aufzuzählen, die Uribe zu verantworten hat, würde den Rahmen dieses Artikels sprengen.
Uribes Amtsvorgänger Pastrana hatte zusammen mit der Clinton-Administration bereits 1999, während die Friedensverhandlungen mit den FARC-EP liefen, den „Plan Colombia“ ausgeheckt. Offizielles Ziel des Plan Colombia war es, Drogenanbau, -verarbeitung und -handel zu bekämpfen. Tatsächlich ging es darum, die Guerilla in Kolumbien entgültig zu zerschlagen. Im Rahmen dieses Plans erhielt der kolumbianische Staat mehrere Milliarden US-Dollar Militärhilfe aus Washington. Die geheimdienstliche Zusammenarbeit sowie direkte militärische Beratungs- und Unterstützungstätigkeit wurden intensiviert. Zudem terrorisierten nun auch private US-amerikanische Militärunternehmen wie DynCorp kolumbianische Bauern. Die Zahl der aus ihren Dörfern vertriebenen geht mittlerweile in die Millionen. Die Übergriffe auf ecuadorianisches und venezolanisches Hoheitsgebiet wurden in den 2000ern immer drastischer. 2008 etwa griff die kolumbianische Luftwaffe mit US-amerikanischer Unterstützung ein Camp in Ecuador an, das unmittelbar nach dem Luftschlag von kolumbianischen Bodentruppen erstürmt wurde. 24 Menschen kamen hierbei zu Tode, darunter der Sprecher des Oberkommandos der FARC. Verwundete wurden noch vor Ort ermordet. 2009 erließen ecuadorianische Behörden Haftbefehl gegen den verantwortlichen kolumbianischen Verteidigungsminister Juan Manuel Santos. Der Uribist Santos, der erklärt hatte, stolz darauf zu sein die Militäroperation in Ecuador angeordnet zu haben, ist seit 2010 Präsident Kolumbiens.

Erschienen in barricada – März 2013