Links in Bewegung – Dezember 2010

Mobilität ist teuer – Solidarität kostet nichts!

Seit mittlerweile zwei Jahren findet in Nürnberg die Auseinandersetzung um ein Sozialticket für die öffentlichen Verkehrsmittel statt. Die Thematik wird auf verschiedensten Ebenen diskutiert: In der Presse, im Stadtrat und natürlich auch auf der Straße. Nun haben sich die organisierte autonomie und die Revolutionär organisierte Jugendaktion noch etwas einfallen lassen, um zum einen den Druck auf die VAG zu erhöhen und zum anderen praktische Solidarität unter den NutzerInnen der Öffentlichen Verkehrsmittel zu fördern. Der „Rote Punkt“ ist eine Aktion, die bereits in verschiedenen Städten von unterschiedlichen Akteuren initiiert wurde. Sie soll BesitzerInnen von Gruppentickets dazu animieren, andere mitzunehmen. Ähnlich wie bei Mitfahrgelegenheiten ist das Ziel, dass Menschen nicht vereinzelt Fahrkarten kaufen, sondern sich zu Gruppen zusammen tun. Dadurch steigt (hoffentlich) der ökonomische Druck auf die VAG durch Mindereinnahmen und es ist für uns billiger. In einer pressewirksamen Aktion wurde der „Rote Punkt“ in Nürnberg vorgestellt. Ein Aktivist nahm als roter Punkt verkleidet Menschen mit. Es wurden Flyer in der U-Bahn verteilt und der „Rote Punkt“ in Form eines Buttons an diejenigen verteilt, die im Besitz von Gruppentickets sind.

Reformistisch oder was…!?

Die Aktion reiht sich ein in eine Vielzahl von Versuchen die Öffentlichkeit für das Thema Sozialticket zu sensibilisieren und den Druck auf die Stadt zu erhöhen, ein solches Ticket einzuführen. Doch es lohnt sich immer wieder zu erwähnen, dass das alles nur kleine Schritte in die richtige Richtung sind. Selbst wenn das Sozialticket eingeführt werden sollte, ist der Kampf um die Mobilität noch lange nicht gewonnen. Es ist nur ein Beispiel für einen Verteilungskampf, der gerade in Krisenzeiten immens wichtig ist. Diese Kämpfe rufen allerdings auch immer die Kritik von links auf den Plan, die gerade Vorstöße in sozialen Verteilungskämpfen immer wieder als reformistisch etikettieren. Und natürlich ist der „Rote Punkt“ nicht an sich revolutionär oder antikapitalistisch. Doch welcher aktuelle Kampf kann das schon von sich behaupten?! Ist die Aufklärung über Nazi-Strukturen revolutionär? Oder der Kampf gegen eine Abschiebung? Auch die Anti-Atombewegung ist nicht per se antikapitalistisch. All das sind notwendige Kämpfe, die in der jetzigen Situation geführt werden. Wichtig ist die Argumentation, mit der wir uns in diese gesellschaftlichen Konflikte einmischen. Revolutionär ist es, wenn wir in inhaltlicher und praktischer Hinsicht die Widersprüche dieser Gesellschaft zuspitzen. Es geht darum, Menschen dazu zu befähigen, für ihre eigenen Interessen zu kämpfen. Einzig in diesen (Klassen-)Kämpfen um die unmittelbaren eigenen Interessen, kann sich das Bewußtsein entwickeln das Voraussetzung für einen Umsturz der herrschenden Ordnung ist.

Bundestagsbelagerung gegen das schwarz-gelbe Sparpaket

Berlin ist in Zeiten von Terrorhysterie und ähnlichen Späßen ein heißes Pflaster, vor allem für diejenigen, die sich mit der Politik der herrschenden Klasse nicht so ohne weiteres abfinden wollen. Die geplante Belagerung des Bundestages am 26. November fand unter ungünstigen Voraussetzungen statt: Terrorwarnung, Putin-Besuch und ein illustres Treffen einiger Bonzen in den Räumen des Reichstages. Das alles führte dazu, dass die Bannmeile um den Reichstag erweitert und mit schwer bewaffneten PolizistInnen geschützt wurde. Die von den Veranstaltern angedachte Route wurde ebenfalls nicht genehmigt. Stattdessen wurde eine Alternativ-Route „angeboten“, die nicht einmal in Sichtweite des Bundestages führte.
Im Vorfeld der Belagerung wurden am 18. November in verschiedenen Städten kleine Mobilisierungsaktionen an den lokalen Parteizentralen durchgeführt, so auch in Nürnberg von der Inititive Tatort Alltagskrise. Diese brachte an diversen Parteizentralen  Transparente an. Leider konnte auch der bundesweite Aktionstag die Mobilisierung auf die Belagerung nicht wirklich voran treiben. Den weitesten Weg traten wohl die AktivistInnen aus Nürnberg/Fürth an. Ansonsten war die Teilnahme aus anderen Städten eher überschaubar. Etwa 2000 Menschen fanden dann letztendlich den Weg zum Brandenburger Tor, darunter auch VertreterInnen von ver.di und die LINKE. Auch eine SchülerInnendemo schloss sich mit etwa 500 Menschen der Aktion an. Holger Burner heizte mit klassenkämpferischen Hip Hop- Beats den frierenden DemonstrantInnen ein. Auf der Route gab es immer wieder Versuche zur Bannmeile durch zu dringen, die aber im Großen und Ganzen an der massiven Polizeipräsenz scheiterten. Aber auch der Fakt, dass das Ziel nicht einmal in Sichtweite lag, schmälerte die Durchsetzungsbereitschaft vieler AktivistInnen. Wohl trug auch der Umstand dazu bei, dass sich einige, die sich bis zur zweiten oder dritten Polizeikette durchschlagen konnten letztendlich mit MPs bewaffneten Einheiten gegenüber stehen sahen. Nach diesen gescheiteren Versuchen, bewegten sich mehrere Menschen zur CDU Parteizentrale. Dort gelang es der  Polizei erst nach einiger Zeit die Menschen wegzudrängen. Es kam zu einzelnen Gewahrsamnahmen und man entschloss sich geschlossen zurück zu ziehen, um den Berliner Greiftrupps zu entgehen.

Ein Fazit

Was dieser Tag gezeigt hat, ist, dass die soziale Frage in Deutschland nach wie vor eine mehr als harte Nuss darstellt. Während in vielen anderen Ländern Europas Streiks, Massendemos und Aufstände stattfinden, verharren die Menschen hier weiterhin in ihrer Resignation. Ob nur noch niemand den richtigen Ton getroffen hat oder die Wut einfach noch nicht die Angst um die eigene Existenz ersetzen konnte, bleibt eine offene Frage. Doch auch so mancher Linksradikaler muss sich diese Frage gefallen lassen oder im besten Fall selbst an sich richten: wo ist die revolutionäre Linke in der sozialen Frage? Knapp 3000 Menschen in Berlin, auf einer bundesweiten Demo stehen in keiner Relation zu Castor oder Dresden. Wenn es um direkte Intervention geht, die einem auch noch schmackhaft serviert wird, stellt sich für viele gar nicht mehr die Frage, ob es sinnvoll ist dazu zu mobilisieren, teilzunehmen etc. Gerade soziale Themen scheinen aber dazu zu animieren, Aktionen und Ideen bereits im Vornherein in der Luft zu zerreißen. Natürlich ist nicht immer alles zu 100% vertretbar, was einzelne zur sozialen Frage machen, aber in welchem Bereich ist das schon so? Der Unterschied ist, dass man trotz teils massiver inhaltlicher Dispute zu Naziaufmärschen und Co fährt, aber die Teilnahme an Sozialprotesten mit einem falschen Satz zum kippen gebracht werden kann. Effektiver wären Diskussionen über gemeinsame Strategien und den Versuch zu wagen eine linksradikale Perspektive hinsichtlich der sozialen Kämpfe zu entwickeln.

Leyla muss bleiben

Die 18-jährige Nürnbergerin Leyla soll Deutschland verlassen. Der Kurdin, die seit ihrem 11. Lebensjahr in Nürnberg lebt, teilte das Einwohneramt der Stadt Nürnberg in einem 25-seitigen Eilbeschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach mit, dass sie ausreisen müsse, weil sie angeblich eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstelle. Abgeschoben werden soll sie in die Türkei, die für sie ein fremdes Land ist.
Als „Beweise“ für diese Gefahr, die von der 18-Jährigen ausgeht, werden das Rufen einer kriminalisierten Parole im Alter von 14 Jahren und die Teilnahme an mehreren legalen Versammlungen der kurdischen Bewegung im letzten Jahr genannt. Nach Meinung des Solidaritätsbündnisses, dass sich für Leyla gegründet hat, wurde vom Nürnberger Einwohneramt ein Fall konstruiert, der vollkommen politisch motiviert ist. Konstruiert werden soll, dass Leyla eine PKK-Sympathisantin sei. Sollte sich diese Rechtspraxis durchsetzen, würde etlichen Jugendlichen und deren Familien auch die Abschiebung drohen.
Aus Sicht des Solidaritätsbündnisses waren jedoch alle Veranstaltungen durch das Grundrecht auf auf Meinungs- und Organisationsfreiheit gedeckt. Die Anschuldigungen gegen Leyla seien »weder menschlich noch juristisch nachvollziehbar, da Leyla zu den angegebenen Zeitpunkten auch noch minderjährig war«. Deshalb soll, neben öffentlichkeitswirksamen Aktionen auch juristisch gegen die Abschiebung vorgegangen werden.
Am Freitag, den 11. November ging das Solidaritätsbündnis gegen die geplante Abschiebung von Leyla auf die Straße.
Vormittags fand eine Kundgebung vor dem Einwohneramt statt, in dem auch über den Aufenthaltstitel von Flüchtlingen entschieden wird. Mittels gut sichtbarer Transparente, verschiedenen Redebeiträgen und Flugblättern wurden die dortigen Beamten, Kunden und Passanten über die unverfrorene Praxis der Ausländerbehörde informiert. Es beteiligten sich bis zu 80 Menschen an dieser Solidaritätsbekundung. Am Nachmittag veranstaltete das Bündnis dann noch eine Kundgebung in der Nürnberger Innenstadt, um möglichst viele PassantInnen zu erreichen. Viele Menschen bekundeten ihre Sympathie mit der Aktion und empörten sich über die geplante Abschiebung der Jugendlichen. Insgesamt nahmen hier etwa 150 Menschen an der Kundgebung teil.
Für den 9. Dezember plant das Bündnis eine Kundgebung vor dem Nürnberger Rathaus. Um zusätzlichen Druck auszuüben läuft derzeit eine Faxkampagne. Es wird aufgerufen, Protestfaxe an das Einwohneramt zu schicken. Vorlagen dafür und Hintergrundinfos zur Kampagne gegen die Abschiebung von Leyle gibt es auf der Internetseite des Solidaritätsbündnisses

Dreißigtausend am 13 November in Nürnberg gegen das Sparpaket aktiv

An der bayernweiten Demonstration des Deutschen Gewerkschaftsbundes gegen das aktuelle Sparpaket der Bundesregierung und andere soziale Kahlschlagsmaßnahmen beteiligten sich mit dreißigtausend TeilnehmerInnen mehr Menschen als von den Veranstaltenden erwartet wurden. In mehrern Demonstartionszügen zogen die TeilnehmerInnen vor das Gewerkschaftshaus am Kornmarkt.
Neben zahlreichen sozialen Inititiativen, dem Nürnberger Sozialforum, dem Bündnis Sozialticket und vielen anderen zeigte auch ein von der organisierten autonomie (OA) vorbereiteter antikapitalistischer Block mit ca. dreihundert TeilnehmerInnen Präsenz. Im Zug der am Prinzregenten Ufer gestarteten Mittelfränkischen GewerkschafterInnen, fiel der Block dessen Lautsprecherwagen auf Anweisung des DGB – Vorsitzenden Stefan Doll von Polizeikräften an einer Beteiligung gehindert wurde, dennoch durch lautstarke Parolen auf. „Geschichte wird gemacht. Gemeinsam, Solidarisch, Kämperisch – Kapitalismus abschaffen“ lautete das Motto der von ROJA, DKP, SdAJ, FAU und einigen anderen Gruppen unterstützten Initiative der OA.

Erschienen in barricada – Dezember 2010