Libyen, Krieg und Bürgerkrieg
Die NATO, welche vorgibt die Resolution 1973 des UN Sicherheitsrates und das mit der Resolution 1970 verfügte Waffenembargo durchzusetzen, macht natürlich keine Anstalten, die Aufrüstung der libyschen Rebellen (die etwa von Katar betrieben wird) zu unterbinden. Im Gegenteil: NATO-Staaten statten selber die ihnen genehmen Fraktionen der Aufständischen großzügig mit Waffen aus. Die von Frankreich gelieferten Sturmgewehre und Raketen dienen dem französischen Generalstab zufolge der “Selbstverteidigung von Zivilisten???. Dass KombattantInnen in diesem Bürgerkrieg abstruserweise als ZivilistInnen tituliert werden, wird in nächster Zukunft sicher noch häufig geschehen.
Nur so lässt sich das Argument “Gaddafi führt Krieg gegen die eigene Zivilbevölkerung??? verkaufen. Anders als in Bagrain oder Syrien fehlen nämlich bisher schlüssige Beweise dafür, dass das libysche Regime systematisch ZivilistInnen ermordet. Eindeutig belegt ist hingegen die Ermordung von libyschen ZivilistInnen durch die NATO. Dafür gibt es dann manchmal ein lapidares “Entschuldigung???.
Wären die Resolutionen der “Vereinten Nationen??? ernstzunehmen, müssten UN-Truppen die NATO an ihrem Treiben hindern. Denn sie sind es, die selbst das Waffenembargo unterlaufen und nebenher Dritten ermöglichen, große Mengen Kriegsgerät ins Land zu schaffen. Sie sind es, die libysche ZivilistInnen töten. Natürlich geht es den imperialistischen Metropolen aber um etwas ganz anderes als das, was in den Resolutionen angegeben ist. Das Gaddafi-Regime soll durch Kräfte ersetzt werden, die bereit sind, den Reichtum Libyens restlos zu veräußern und politisch als vom Westen gesteuerte Marionetten agieren. Nicht zuletzt sollen mit dem angestrebten Regimewechsel die von Libyen forcierten Bemühungen torpediert werden, Afrika ökonomisch und finanzpolitisch unabhängiger zu machen. Auf die Fortschritte, welche die Aggressoren bei ihren Bemühungen machen, geeignete Vasallen zu finden und aufzubauen, werden wir noch zu sprechen kommen. Zunächst aber sehen wir uns einen weiteren humanitären Aspekt des Mordens der NATO in Libyen an:
Massenvergewaltigungen
Dass Vergewaltigungen eine Begleiterscheinung jedes Krieges sind, kann nicht ernsthaft in Frage gestellt werden. Auch, dass Kriegsparteien in unterschiedlichem Maß Vergewaltigungen systematisch als Kriegsmittel nutzen, dürfte unstrittig sein. Daher ist es unwahrscheinlich, dass gerade die Truppen der libyschen Regierung frei von Vergewaltigern sind. Ebenso unwahrscheinlich ist es, dass von den Aufständischen keine Vergewaltigungen verübt werden. Außerdem ist es denkbar, dass auf beiden Seiten de facto Straflosigkeit für Vergewaltiger herrscht oder sogar zu Vergewaltigungen aufgerufen wird. Nur: Erwiesen ist dies nicht. Trotzdem wissen nicht nur sämtliche Boulevard-Blätter Europas und der USA, dass Gaddafi den Befehl zu Massenvergewaltigungen gegeben hat, sondern auch der Chefankläger des berüchtigten “Internationalen Strafgerichtshofs??? in den Haag, Luis Moreno Ocampo, ist sich in dieser Sache absolut sicher. Höhepunkt der diesbezüglichen Propaganda war die Behauptung, Gaddafi habe die Regierungstruppen mit Unmengen von Viagra-ähnlichen Pharmazeutika ausgestattet. Diese seltsame Anschuldigung geisterte jedoch nur wenige Tage durch die Medien. Offenbar fiel einigen MeinungsmacherInnen auf, dass es der Glaubwürdigkeit schadet, wenn man so dick aufträgt. Chefankläger Ocampo lehnte sich mit seinen Vorwürfen sehr weit aus dem Fenster. Er stützte sich dabei auf Aussagen, die er aber noch nicht vorweisen mochte und auf seine durch rein garnichts belegte Theorie, der angebliche Befehl zu den angeblich systematischen Vergewaltigungen müsse einfach von Gaddafi persönlich gekommen sein. Ocampo war schließlich stinksauer, als der zuständige UNO-Ermittler Sherif Bassiuni seinen Behauptungen ungewohnt deutlich widersprach. Bassiuni machte klar, dass es bisher keinerlei Belege für systematische Vergewaltigungen gebe, allerdings entsprechende Geschichten auf beiden Seiten des Bürgerkriegs in Umlauf wären. Der Ermittler kündigte an, weiterhin Belege für die erhobenen Vorwürfe zu suchen und den von beiden Seiten erhobenen Anschuldigungen nachzugehen. Al Jazeera versuchte mit investigativen Mitteln, Beweise oder Indizien zu finden, kam aber zu dem gleichen Ergebnis wie Bassiuni. Eine Aufständische, die in Grossbritannien ausgebildeten Psychologin Seham Sergewa, hatte mit einer Fragebogenaktion angeblich 259 Frauen ausfindig gemacht, die angaben, sie seien Opfer von sexuellen Übergriffen verschiedener Art geworden, verübt durch die Truppen des Regimes. Bemerkenswert fand die Al Jazeera Reporterin, dass von den 70.000 angeblich verschickten Fragebögen 60.000 ausgefüllt zurückgekommen sein sollen. Die Psychologin konnte der Reporterin auf Nachfrage ein einziges Exemplar des Fragebogens vorweisen. Sherif Bassiuni hatte die 60.000 Fragebögen ebenfalls vergeblich als Beweismittel angefordert. Immerhin wird mit Ocampos Vorstoß ein weiteres mal klar, dass Den Haag eben nichts weiter ist als ein Kampfinstrument der Imperialisten.
In einem geleakten CIA-Memorandum vom März 2010 zur Verbesserung der öffentlichen Unterstützung des Afghanistan-Kriegs in Frankreich und Deutschland wird hervorgehoben, dass in Frankreich 8% weniger Frauen als Männer eine positive Meinung vom ISAF-Einsatz haben, in Deutschland sogar 22%. Die CIA empfiehlt, maßgeschneiderte Geschichten und Meldungen in die französischen und deutschen Medien zu bringen, deren Fokus bei Frauenschicksalen und Menschenrechtsverletzungen an Frauen liegt. Es war abzusehen, dass Massenvergewaltigung im Krieg gegen Libyen ein Hauptschlagwort der Greuelpropaganda sein würde. Diese Art Kriegspropaganda ist allerdings alles andere als neu. Ein erwünschter Effekt, gerade des Vorwurfs der systematischen Vergewatigung ist, dass diese Art der Kriegspropaganda Menschen bis weit in die Friedensbewegung und sogar in die Linke hinein zum Schweigen bringt. Doch welch Zynismus ist es auf dieser Grundlage einen Krieg zu legitimieren, in dem die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen massenhaft sexualisierter Gewalt ausgesetzt werden, zusätzlich steigt.
Die deutsche Regierung ist (wie auch SPD und Grüne) natürlich ebenfalls schwer entrüstet über Gaddafis Menschenrechtsverletzungen. Sie tut dies, während sie Kriegsgerät an das Terrorregime in Saudi-Arabien liefert (wie vormals die SPD/Grüne-Regierung) und während deutsche Bundespolizisten für den Konzern EADS in Saudi-Arabien Grenztruppen ausbilden. Die Panzer, die dem Regime in Riad verkauft werden sollen, werden erst in Zukunft dazu dienen können, auf “die eigene Zivilbevölkerung??? und die von Nachbarländern zu schießen. Die von der deutschen Polizei ausgebildeten Killer dagegen haben sich schon in Vernichtungsfeldzügen gegen Stammesangehörige, die an der Südgrenze Saudi-Arabiens lebten, glänzend bewährt.
Der libysche Nationalrat
Bereits im März hat der Nationalrat der libyschen Aufständischen eine provisorische Regierung für die von den Rebellen kontrollierten Gebiete eingesetzt. Chef dieser Gegenregierung ist der Ökonom und ehemalige Justizminister Mahmut Dshibril, ein Mann mit hervorragenden Beziehungen zu den USA und ein Garant für neoliberale Wirtschaftspolitik, zu dessen Aufgabengebiet unter Gaddafi ab 2007 die Vorbereitung von Privatisierungen gehörte.
Der Wirtschafts-, Finanz- und Ölminister dieser provisorischen Regierung verbrachte einen Großteil seines Lebens in den USA, wo er, wie der Regierungschef selbst, als Wirtschaftswissenschaftler lehrte. Der Außenminister der aufständischen Regierung war unter Gaddafi Wirtschaftsminister und Chef der Privatisierungsbehörde. Die Lebensläufe der anderen Minister und der Armeeführer ähneln den bisher erwähnten stark, abgesehen von wenigen Ausnahmen wie etwa einem ehemaligen Anti-Gaddafi-Putschisten und einem früheren Guantanamo-Gefangenen. Die meisten der vom Westen mittlerweile offiziell anerkannten Führer der Aufständischen sind frisch aus den USA eingereist oder waren bis vor kurzem Stützen der Gaddafi-Regierung. Es scheint, als hätten die FreundInnen der imperialistischen Staaten inzwischen unangefochten die Hoheit über Mittel und Ziele der Rebellion. Frankreich, das eine Vorreiterrolle beim Angriff auf Libyen und bei der direkten Unterstützung der aufständischen Bürgerkriegspartei spielte, wird von der provisorischen Regierung bereits ein dickes Stück vom Kuchen versprochen. Seit Mitte Juni erkennt nun auch die deutsche Regierung den libyschen Nationalrat als offizielle Vertretung Libyens an. Die imperialistischen Mächte haben sich festgelegt. Sie werden keinen anderen Ausgang dulden als den Sieg ihrer PartnerInnen und Marionetten und die politische oder auch physische Vernichtung Gaddafis. Dass es nicht um Waffenstillstände, Frieden oder den Schutz der Bevölkerung geht, machen nicht nur die NATO-Bomber klar, sondern ein ums andere Mal auch die Aufständischen. Vermittlungsangebote der Afrikanischen Union lehnen sie unumwunden ab (schon weil sie die Forderung nach einemallseitigen Waffenstillstand beinhalten), freuen sich aber gleichzeitig über die angebliche Anerkennung ihrer Legitimität, die ihnen die AU mit ihren Angeboten liefert.
Der militärische Verlauf des Konflikts bleibt abzuwarten. Besiegt ist Gaddafi jedenfalls noch nicht. Auch, ob die Situation in Libyen nach einem Sieg der Rebellen ganz so ist, wie die imperialistischen Mächte sich das erhoffen, ist alles andere als sicher. Vielleicht, schließlich, schafft es sogar die Antikriegsbewegung in den westlichen Ländern, halbwegs angemessen auf die NATO-Aggression zu reagieren.
Erschienen in barricada – Sommer [I] 2011