Krise und Proteste aktuell – Generalstreik und Tageskämpfe

Bei allen Schwierigkeiten, die bei der Grenzüberschreitung von Protesten noch bestehen, haben die südeuropäischen Länder nun eine weitere Hürde in der notwendigen Verbrüderung gegen den bereits grenzenlosen Klassenkampf von Oben genommen. Der Generalstreik und vielfältige Aktionen in Spanien, Italien, Zypern, Malta, Griechenland und Portugal haben Millionen Menschen zumindest für einen Tag aus der Isolation ihrer Kämpfe gebracht. Zwar schwanken die Einschätzungen zur Streikbeteiligung, aber in Portugal und Spanien wurden Zahlen mit bis zu 80% genannt.

Geschlossene Reihen in Portugal

Vor allem ein offener Brief, unterzeichnet von 100 portugiesischen Intellektuellen machte schnell Furore und fand breite Unterstützung. Anlässlich des Besuches von Merkel hielten sie fest, dass sie in Portugal unerwünscht sei und solidarisierten sich in ihrem Schreiben mit den Bevölkerungen der anderen Krisenländer. Auch fällt auf, dass das Schreiben fokussiert auf einen Zusammenschluss der Lohnabhängigen in ganz Europa ist. Zu Deutschland schreiben sie: „Wir wissen, die angeblich florierende deutsche Wirtschaft beruht auf brutalen Gehaltseinschnitten seit mehr als 10 Jahren, auf der Ausweitung von kurzfristiger bzw. geringfügiger Beschäftigung, welche weite Teile der deutschen Bevölkerung in Sorge stürzt. Das zeigt, welche Perspektiven Sie auch für das deutsche Volk in petto haben.“ Und sie schließen kämpferisch: „Die Europäische Union, der Internationale Währungsfonds und die Europäische Zentralbank können versuchen, uns zu ignorieren. Aber wir werden immer mehr, Frau Merkel. Hier und in all den anderen Ländern. Unsere Demonstrationen und Proteste werden machtvoller. Wir erlangen zunehmend besseres Wissen über die Realität. Die Geschichten, die man uns erzählte, waren nie ganz stimmig, und jetzt wissen wir, sie sind glatte Lügen. Wir sind aufgewacht, Frau Merkel. Seien Sie in Portugal unwillkommen.“ (Den ganzen Brief könnt ihr auf http://carachancelermerkel.blogspot.pt in sieben Sprachen lesen.)
Interessant ist auch in Portugal die Reaktion der Militärs, die in Portugal eine andere Geschichte haben als die vieler anderer Länder. In der Nelkenrevolution brachten linke Militärs die Diktatur zu Fall. Otelo Saraiva de Carvalho, damals einer der Anführer der Nelkenrevolution, hatte schon vor einem Jahr erklärt, dass dann, wenn bestimmte Grenzen überschritten würden, „die Antwort ein Militärputsch sein kann, der einfacher wäre als der vom 25. April 1974“. Gemeint sind natürlich die Sozialeinschnitte. Denn in Portugal sind sich Gewerkschaft und Militär einig: eine Reichensteuer muss her. Doch unter der Bewegung gibt es ebenfalls radikalere Kräfte, denen die Proteste nicht weit genug gehen. Sie ließen ihrem Zorn direkt vor dem Parlament freien Lauf und forderten unter Flaschenwürfen den Sturz der Regierung. Die Polizei, die sich zu Teilen auch an den Massenprotesten gegen Merkel beteiligte, zeigte an dieser Stelle dann doch, wo sie steht wenn es darauf ankommt und ging gegen die Protestierenden vor. Trotz alledem wird es bei dieser breiten Front wohl kein leichtes Spiel für die konservative Regierung.

Repression und Zuspitzung in Spanien

In Ländern, in denen so ein breiter Konsens nicht hergestellt ist und die Polizei wie auch das Militär historisch schlichtweg rechts gerichtet ist, läuft der Prozess nicht so harmonisch.
In Spanien und auch in Italien wurden die Proteste schon vor dem 14. November immer wieder von exzessiver Polizeigewalt überschattet. Als die Bewegung der Empörten ankündigte, das Parlament einzukreisen, schlug die Regierung Alarm und die regierende PP fantasierte einen Staatsstreich herbei. Dementsprechend rüsteten sie auf. Dennoch gelang die Aktion letztendlich. Doch bei den Versuchen Absperrgitter einzureißen prügelte die Polizei massiv und jagte DemonstrantInnen noch bis in die Nacht. Doch die Menschen in Spanien ließen sich auch für den 14. November nicht einschüchtern und streikten und protestierten zu Millionen. SchülerInnen und Studierende solidarisierten sich mittels mächtiger Demonstrationen. Doch die Repression blieb nicht aus. Streikende und Protestierende wurden im Lauf des Tages immer wieder von der Aufstandsbekämpfung angegangen. Und die SpanierInnen radikalisieren sich weiter. AktivistInnen der kämpferischen Andalusischen Gewerkschaft SAT haben in zwei Supermärkten Grundnahrungsmittel „enteignet“, um sie an Bedürftige zu verteilen. Sozialhilfe gibt es nicht und in der Region herrscht eine Arbeitslosenquote von 37%. Doch auch in Spanien lohnt sich noch ein Blick hinter die Fassade der Kämpfe. Der Eindruck der Einigkeit täuscht nämlich auch bei den Protestierenden. Schon im März haben die baskischen Gewerkschaften einen großen Teil ihrer Gebiete mit Streiks nahezu komplett lahm gelegt. An diesem Streik hatten sich die CCOO und die UGT herausgehalten und verweigerten ihre Unterstützung. Doch der massive Erfolg der baskischen Streiks und die Massenproteste, die sich immer mehr häuften, zwangen sie letztendlich zur Aktion. Selbst der Europäische Gewerkschaftsbund, der nicht gerade für seine kämpferische Grundhaltung bekannt ist, musste sich dem Druck der Bewegungen beugen und rief den 14. November als europaweiten Aktionstag (nicht Generalstreik!) aus.
Doch die Krise in Spanien weitet sich mehr und mehr aus. Schon lange sind nicht mehr nur die Ärmsten betroffen. Zunehmend gerät auch die Mittelschicht in den Strudel der Krise. In Spanien ist die Wohnsituation eine komplett andere als zum Beispiel in Deutschland. Hier ist es eher normal zu mieten und nur etwa 30% besitzen Wohnraum. In Spanien hingegen besitzen über 70% Wohnraum. So dass in Zeiten der Krise Pfändungen und Zwangsräumungen an der Tagesordnung sind. Schlagzeilen machte vor allem der Fall einer ehemaligen „sozialistischen“ Stadträtin, die sich aus Verzweiflung und als Anklage an ihre ehemaligen „GenossInnen“ aus dem Fenster in den Freitod warf. Als Antwort darauf gab es nun vermehrt Widerstand und breite Solidarisierungen gegen Zwangsräumungen. Vereinzelt weigern sich mittlerweile PolizistInnen Zwangsräumungen durchzuführen und RichterInnen drängen auf eine Gesetzesänderung.

Und was passiert hier?

In Deutschland gab es – wie zu erwarten – keine Solidaritätsstreiks oder ähnliches. Ver.di hat zwar im Gegensatz zur IG-M den Aufruf der Europäischen Gewerkschaft unterstützt, jedoch nicht mit der Konsequenz von Arbeitsniederlegungen. Wie auch in Nürnberg gab es, initiiert von linken Gruppen, attac, dem Bündnis Umfairteilen, ver.di und occupy, Demos und Kundgebungen. Leider erreichten nur wenige davon nennenswerte Zahlen.
In Frankreich und Belgien sieht das ganz anders aus. Hier gingen Tausende Menschen auf die Straße um sich einerseits zu solidarisieren und zum anderen auch um gegen die Kürzungspolitik „ihrer“ Regierungen zu protestieren.
In der Auswertung kann der 14. November als ein erster und durchaus gelungener Versuch gesehen werden, die Proteste über Landesgrenzen hinaus zu führen. Doch es darf nicht an denen hängen bleiben, die sowieso bereits die mangelnde Kampfbereitschaft der Lohnabhängigen in Deutschland ausbaden müssen. Hier muss die Lohnspirale nach oben gezogen werden, hier müssen gezielt Firmen bestreikt werden, die nun an der Kürzungspolitik verdienen und hier muss vor allem begriffen werden, dass die Spirale von Kürzungen und Lohndrückerei, Entrechtungen, Sozialeinschnitten und die Scharfmachung der Repressionsapparat sich auch ihren Weg zurück nach Deutschland bahnen wird. Doch der Weg ist lang und in Deutschland muss er wohl auch gegen die Gewerkschaften erkämpft werden – was die Sache nicht unbedingt leichter macht …

Erschienen in barricada – Zeitung für autonome Politik und Kultur – Dezember 2012