Krieg im Gaza Streifen
Am 27. Dezember 2008 begann die israelische Luftwaffe den Gazastreifen anzugreifen. In den Wochen darauf folgten Vorstöße von Panzer- und Infanterieverbänden. Bis Ende Januar 2009 zerstörte die israelische Armee einen erheblichen Teil der Infrastruktur und der Gebäude im Gazastreifen, über 1300 Menschen sind durch den Angriff ums Leben gekommen, Tausende wurden verletzt. Der überwiegende Teil der Kriegsopfer sind ZivilistInnen. Weltweit protestierten Hunderttausende gegen diesen Krieg. Die Reaktion der Linken in Deutschland allerdings blieb uneinheitlich und sehr schwach. Vor allem unter diesem Gesichtspunkt werden in folgendem Artikel einige Hintergründe und Aspekte des Konflikts erörtert.
Etwas zum geschichtlichen Hintergrund des Gazakonflikts
Der kleine Landstrich an der Küste Palästinas, der heute Gazastreifen heißt, wurde in den letzten tausend Jahren beherrscht von Ägyptern, später den Osmanen, und die Jahrzehnte nach dem 1. Weltkrieg mit einem Mandat des Völkerbunds vom britischen Empire. Nach der Gründung des Staates Israel im Mai 1948 übernahm Ägypten die Verwaltung des Gazastreifens. Die angestammte Bevölkerung und die zahlreichen arabischen Flüchtlinge, die aus Israel geflohen waren und teilweise auch brutal vertrieben wurden, erhielten von der ägyptischen Regierung kein Bürgerrecht. Sie blieben als Staatenlose Spielball ägyptischer Interessen, die auf die baldige Zerschlagung Israels ausgerichtet waren. Das Westjordanland andererseits blieb nach dem Palästinakrieg 1948 vom neu entstandenen Jordanien besetzt. Der im Teilungsplan der Vereinten Nationen vorgesehene Palästinenserstaat entstand also nicht. Erklärtes Ziel der arabischen Länder um Israel blieb die Zerstörung des Judenstaates. Erklärtes Ziel der Mehrheit in Israel blieb die Erweiterung der Staatsgrenzen weit über die im Teilungsplan der UN festgelegten Grenzen hinaus. Bereits 1948 war es Israel gelungen, mit Hilfe sowjetischer Rüstungsgüter die angreifenden Nachbarstaaten nicht nur zurückzuschlagen, sondern das eigene Territorium um ca. 20% zu vergrößern. Der Kriegszustand wurde dauerhafte Normalität in der Region.
Nach dem sogenannten Sechstagekrieg 1967, den die arabischen Nachbarländer Israels und der Irak verloren hatten, besetzte Israel den Gazastreifen dauerhaft. Die israelischen Regierungen genehmigten in den folgenden Jahrzehnten die Besiedelung des Gazastreifens durch Israelis und warben in der israelischen Bevölkerung für diese Kolonisation. Den SiedlerInnen wurden schließlich über ein Drittel des besetzten Gebietes übereignet. Verbindungsstraßen, Felder und Siedlungen waren für die palästinensische Bevölkerung verbotenes Gebiet. Die teilweise bizarren Apartheidsmaßnahmen im Gazastreifen und dem Westjordanland, die mit der israelischen Besatzung und Besiedelung einhergingen, verschärften natürlich den Konflikt zwischen PalästinenserInnen und Israelis. Die erste Intifada, ein breit getragener Aufstand der entrechteten PalästinenserInnen, der 1987 begann und sich vielfältiger Mittel bediente, vom zivilen Ungehorsam über Boykottaktionen, Generalstreiks und militante Demonstrationen bis hin zu militärischen Aktivitäten, erhöhte den internationalen Druck auf Israel und zwang die Herrschenden in Israel letztlich zu den Verhandlungen der 90er Jahre. Die mit kolonialistischer Brutalität angewandte Politik der „eisernen Faust“ zu Niederschlagung des Aufstands hatte versagt. Die Errichtung von Siedlungen mit eigenem Straßennetz, Kontrollpunkten und Sperranlagen wurde von Isarel freilich während und nach der Intifada noch verstärkt.
Mit den Friedensabkommen von Oslo 1993 bis 1995 erkannte Israel die PLO als Vertreterin des palästinensischen Volkes an. Im Gegenzug erklärte die PLO alle Passagen ihrer Charta, die die Vernichtung Israels forderten, für ungültig. Dem Gazastreifen und dem Westjordanland wurde zunächst eine Teilautonomie zugesprochen. Später erhielten die PalästinenserInnen die Verwaltungshoheit über Jericho, den Gazastreifen und einen Teil des Westjordanlandes. Das Problem der israelischen Siedlungen, der Hoheit über Jerusalem und der zahlreichen Militärstützpunkte auf palästinensischem Gebiet blieb ungelöst. 1995 wurde der israelische Ministerpräsident Rabin von einem israelischen Rechtsradikalen ermordet. Bei den Wahlen 1996 setzte sich Benjamin Netanjahu vom rechten Likudblock durch. Dieser intensivierte in der Folgezeit die Besiedlungspolitik, die Apartheidsmaßnahmen gegen PalästinenserInnen und die Bemühungen um eine Schwächung der PLO. Unter dem späteren Ministerpräsidenten Barak wurden zwar Verhandlungen über eine permanente Autonomie wieder aufgenommen, blieben jedoch nahezu ergebnislos. In den Jahren der Verhandlungen hatten Organisationen, die sich in Opposition zur PLO befanden, wie etwa die vom Iran gestützte Hamas, weiterhin auf militärische Aktionen und Attentate mit dem Ziel der Vernichtung Israels gesetzt. Die linken arabischen Organisationen PFLP und DFLP hatten die Ergebnisse der Oslo-Abkommen abgelehnt. Die Regierenden in Israel hatten ihrerseits zu keinem Zeitpunkt auf Gewalttaten gegen PalästinenserInnen in den besetzten Gebieten verzichtet. Mit dem Beginn der 2. Intifada Ende 2000 beteiligten sich aber auch wieder die führende Gruppierung der PLO, die Fatah und nahezu alle politischen Organisationen der PalästinenserInnen an militärischen Aktionen und Attentaten gegen Israel. Während dieser 2. Intifada wurden über 1000 Israelis und ca. 3500 PalästinenserInnen getötet. Zahlreiche Führungspersönlichkeiten der Hamas, aber auch der PFLP und anderer Organisationen waren von Israel durch gezielte Anschläge getötet worden, die Reste der palästinensischen Selbstverwaltung wurden durch israelische Militäreinsätze paralysiert und gingen nahezu unter. Unter anderem der Ausbau der Einzäunung des Gazastreifens und die israelische Praxis, in den Konfliktgebieten die Wohnhäuser der Familien von „Verdächtigen“ zu sprengen, hatten zu einer weiteren Vertiefung der Verzweiflung und Verbitterung in den Autonomiegebieten geführt und die islamistischen und unversöhnlichen Kräfte nachhaltig gestärkt. Der nach Yassir Arafats Tod zwischen der israelischen Regierung und dem neuen Präsidenten der palästinensischen Autonomiegebiete, Mahmud Abbas, ausgehandelte Waffenstillstand brachte eine vorübergehende relative Beruhigung der Lage mit sich.
2005 setzt der rechte israelische Ministerpräsident Ariel Sharon nach internationalem Druck gegen einen Teil seiner eigenen Partei mit den Stimmen der Opposition den Abzug des Militärs aus dem Gazastreifen und die Auflösung der israelischen Siedlungen im Gazastreifen durch. Die meisten der Siedlungen müssen vom israelischen Militär gewaltsam geräumt werden. Der seit einiger Zeit andauernde Beschuss Israels durch Raketen und Granaten aus dem Gazastreifen wurde durch die Hamas und Gruppen wie den Islamischen Dschihad in der Folge noch verstärkt. Anfang 2006 gewann die Hamas die Wahlen in den palästinensischen Autonomiegebieten mit 76 von insgesamt 132 Parlamentssitzen. Sie war unter dem Namen Wechsel und Reform angetreten, war knapp vor der Fatah stärkste Partei geworden und erhielt bedingt durch das Wahlsystem in Palästina mit ihren 44% der Stimmen diese satte absolute Mehrheit der Parlamentssitze. Dieses Wahlergebnis war zum einen Resultat der Militäraktionen und der Apartheidpolitik der israelischen Regierungen, zum anderen Ergebnis der extremen Korruptheit der Fatah, die bis dahin die Autonomiebehörde beherrschte und in deren Taschen die internationalen Fördergelder und Hilfslieferungen größtenteils landeten. Die EU und die USA machten weitere Hilfsleistungen an die Autonomiegebiete nach dem Wahlsieg der Hamas von einer Anerkennung Israels und der Einstellung bewaffneter Aktionen gegen Israel abhängig. Dies lehnte die Hamas jedoch ab. Der Zusammenbruch in den von der Hamas kontrollierten Gebieten blieb zwar aus, jedoch sah sie sich aufgrund des wirtschaftlichen Drucks und der inneren Spannungen in den Palästinensergebieten nach nur einem Jahr gezwungen, trotz ihrer absoluten Mehrheit in eine „Regierung der nationalen Einheit“ einzuwilligen, an der die Fatah und andere Parteien beteiligt waren. Bereits nach wenigen Monaten löste der Präsident Abbas diese Regierung auf und ersetzte den Hamas-Ministerbräsidenten Haniya durch einen Politiker der Partei des dritten Wegs. Der Rest des Kabinetts bestand aus nominell unabhängigen Politikern. Die Hamas erkannte diese Regierung natürlich nicht an, verlor jedoch die Macht im Westjordanland. In ihrer Hochburg Gazastreifen dagegen übernahm die Hamas die Macht. 2007 und 2008 kam es im Westjordanland und im Gazastreifen wiederholt zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Hamas und Fatah und schließlich zu wechselseitigen politischen „Säuberungen“. Im Herbst 2007 erklärte Israel den Gazastreifen, der nun faktisch von einer Kraft kontrolliert wurde, die erklärter Feind Israels ist und die den Beschuss israelischer Grenzstädte aufrechterhielt, zu feindlichem Gebiet. Israel folgte dabei weiterhin einer kolonialistischen Logik und setzte auf eine weitere Vergrößerung der Not und Verelendung der ohnehin schon notleidenden Zivilbevölkerung im Gazastreifen. Der Landstrich ist auf Energieversorgung durch Israel angewiesen, daher kann die Industrie, Gesundheitsversorgung und Telekommunikation durch Israel auch ohne Militäraktionen nahezu zum Stillstand gebracht werden. Israel hat sich dieses Mittels bedient und setzt es immer wieder als Drohpotential ein. Durch das Einsperren der 1,5 Millionen BewohnerInnen des Gazastreifens (auch von ägyptischer Seite), militärische Angriffe und die zahlreichen wirtschaftlichen Sanktionen wurde jedoch die Opposition im Gazastreifen, die unter der Diktatur der Hamas ohnehin extremen Härten ausgesetzt ist, weiter geschwächt.
Im Juni 2008 einigten sich Hamas und israelische Regierung über Vermittler auf eine Waffenruhe. Die Bedingungen: Einerseits Einstellung des Raketenbeschusses und anderer feindlicher Handlungen vom Gazastreifen aus, andererseits eine Aufhebung der Blockade und eine schrittweise Öffnung der Grenzen für Güter und Menschen. Beide Bedingungen wurden nicht realisiert. Beide Seiten beschuldigten sich gegenseitig fortwährend, das Abkommen nicht einzuhalten.
Wer ist die Hamas?
In den Zeiten der Konfrontation zwischen dem Ostblock und dem kapitalistischen Westen war es den USA und ihren Vebündeten egal, welcher Art die Regimes und Bewegungen waren, die sie unterstützten oder an die Macht brachten. Strategische und taktische Erfolge gegen den Kommunismus, die Vernichtung linker Bewegungen oder unliebsamer Regimes waren das Ziel, und so kam es, dass so unterschiedliche Figuren wie Saddam Hussein, Pinochet oder Osama bin Laden gleichermaßen (zeitweise) zu den Verbündeten der „freien Welt“ wurden. An dieser kapitalistischen Realpolitik hat sich auch nach dem Ende der Blockkonfrontation nichts grundlegendes geändert. Auch Israel versuchte sich immer an der Methode „Teile und herrsche“, da die erste Wahl der Metropolenstaaten, die Schaffung von Vasallen- und Marionettenregimes, für die Herrschenden in Israel nicht möglich war. So kam es, dass Israel, um die PFLP, die Fatah und andere damals mächtige linke und bürgerliche Kräfte der PalästinenserInnen zu schwächen, bis in die 80er Jahre hinein die Mutterorganisation der Hamas, die Muslimbruderschaft, welche damals in Palästina hauptsächlich karitativ und religiös-kulturell agierte, zumindest indirekt unterstützte und als Vertreterin der Palästinenser auf sozialem Gebiet anerkannte.
Die 1928 in Ägypten gegründete Muslimbruderschaft ist eine der wichtigsten Organisationen des fundamentalistischen Islams. Sie agiert weltweit, mit einem deutlichen Schwerpunkt im Nahen Osten. Gerade in ihrem Entstehungsland ist sie seit vielen Jahrzehnten ein wichtiger innenpolitischer Faktor und eine Kraft, welche die Herrschenden teils bekämpften, teils zu instrumentalisieren versuchten (oft beides zur gleichen Zeit). Mit ihrem muslimisch-internationalistischen Anspruch ist sie die Vorläuferin der späteren Organisationen und Netzwerke des militanten Islamismus. Von Beginn an engagierte sich die Muslimbruderschaft im sozialen und kulturellen Bereich, wo sie versuchte, „Gerechtigkeit und Solidarität“ unter den Gläubigen und die vollständige Abkehr von westlichen Vorstellungen von Kultur und Zivilisation zu befördern. Die Bruderschaft wuchs sehr schnell und verbreitete sich in allen Ländern des nahen Ostens. Ihre politischen Ziele waren das Abschütteln jeder Fremdherrschaft, die Errichtung eines Gottesstaates nach den Gesetzen des Korans und hierzu der Sturz zu westlicher oder zu säkularer muslimischer Regierungen. Ideologisch spielte neben dem „heiligen Krieg“ von Anfang an eine ausgeprägte Verherrlichung des „Märtyrertodes“ und eine Abwendung vom „diesseitigen Leben“ mit einem dazugehörigen Kult um den „Tod für Gott“ eine wichtige Rolle. Die Organisation stellt allerdings keinen homogenen Block dar. In Wahlkämpfen können sich ihr angeschlossene Parteien z.B. durchaus pragmatisch zeigen und bezahlen für die Teilnahme den Preis der Anerkennung der bürgerlichen Demokratie. Weder der radikale noch der pragmatische Flügel der Muslimbruderschaft stellt aber die Notwendigkeit der Errichtung der Herrschaft des Islams in Frage. Die Bruderschaft und ihre Ableger sind auch in Deutschland aktiv.
Ab 1967 gelang es der Muslimbruderschaft, im Gazastreifen Fuß zu fassen. Sie errichtete, finanziert vor allem durch Saudi-Arabien und Syrien und wohlwollend geduldet durch Israel, Schulen, medizinische, soziale und kulturelle Einrichtungen. Ihre Politik und die Freigebigkeit ihrer Geldgeber verschafften der Bruderschaft bald eine Massenbasis gerade bei den ärmeren Teilen der Bevölkerung. Die sozialistischen Kräfte im Gazastreifen und ihre sozialen und kulturellen Einrichtungen wurden gleichzeitig von Israel brutal bekämpft. Obwohl sich die Bruderschaft in den 70er Jahren auch im Westjordanland ausbreitete, gelang es ihr dort nie einen so großen Einfluß zu gewinnen wie im Gazastreifen. Im Laufe der 80er Jahre gewann der Flügel der palästinensischen Muslimbruderschaft die Oberhand, der sofortige militärische Schritte zum Erreichen des Zieles der Organisation, nämlich der Vernichtung Israels und der Errichtung eines Gottesstaates in ganz Palästina forderte. Führer dieses Flügels und religiöses Oberhaupt der palästinensischen Muslimbruderschaft war Scheich Yassin. Mit dem Beginn der Intifada 1987 gründeten er und seine Gefolgschaft die „Islamische Widerstandsbewegung“, die Hamas, als die offizielle palästinensische Tochterorganisation der Bruderschaft, die 1988 das erste mal öffentlich in Erscheinung trat. Die Hamas erkannte die PLO als „Vater, Bruder, Verwandten und Freund“ an, betrieb jedoch in ihren Hochburgen einen strikten Islamisierungskurs, jagte echte und vermeintliche Kollaborateure und warf der PLO Nachgiebigkeit gegenüber Israel vor. Durch Anschläge und Selbstmordattentate gegen die Zivilbevölkerung in Israel versuchte die Hamas in den Zeiten der 2. Intifada in direkter Konfrontation mit der Fatah die Verhandlungen und Vermittlungen zur Beendigung des Konflikts zu hintertreiben. In den letzten Jahren wurden vom von der Hamas kontrollierten Gebiet aus ca. 10.000 Granaten und Raketen auf israelische Dörfer und Städte abgefeuert. Die Hamas äußert in ihren Medien und Verlautbarungen immer wieder das Ziel der islamischen Weltherrschaft. Erster Schritt zum Weltreich Gottes ist die Eroberung Palästinas. Um dies zu erreichen, schwört die Hamas bereits Kindergarten- und Schulkinder darauf ein, dass es ihr höchstes Ziel sein muss, im Kampf gegen die Feinde Gottes den Märtyrertod zu finden. Hintertrieben werden die Pläne der Gottesfürchtigen laut Hamas vom internationalen Judentum, wie in den Protokollen der Weisen von Zion (deren Echtheit die Hamas in ihrer Charta anerkennt) nachgelesen werden kann. Zu diesem Zweck haben die Juden den Kapitalismus und den Kommunismus erfunden, sie haben den Holocaust vorgetäuscht und stecken insgeheim hinter den Freimaurern, dem Lions-Club und den Rotariern. Man kann es sich fast denken: Der aktuelle Hauptunterstützer der Hamas ist neben privaten Geldgebern aus Saudi-Arabien das Regime im Iran.
Der Krieg – Operation gegossenes Blei
und die internationalen Proteste
Kurz nach dem Beginn der Angriffe auf den Gazastreifen kam es in den arabischen und muslimischen Ländern, aber auch in den Metropolen und in Israel zu Großdemonstrationen gegen den Krieg.
Obwohl die Friedensbewegung gespalten und geschwächt ist, fand in Tel Aviv eine der größten Antikriegsdemonstrationen der letzten Jahre statt. In Europa demonstrierten Zehntausende in London, Paris, Berlin und Hamburg. Auch in Nürnberg und zahlreichen anderen Städten wurde gegen die Angriffe Israels protestiert. In Deutschland waren die Demonstrationen im Ausdruck aber dominiert von islamischen Gruppierungen. Obwohl auch hierzulande die Friedensbewegung eine Rolle spielte, war es im Vergleich zum US-Krieg gegen den Irak eine sehr kleine.
Die revolutionäre Linke war in Deutschland nahezu unsichtbar. In vielen Städten war es sogar umstritten, überhaupt zu den Angriffen Stellung zu beziehen. Dass eine revolutionäre Position aber durchaus sichtbar gemacht werden kann, zeigte sich in Stuttgart. Die von 2000 Menschen besuchte Demonstration hatte einen linken Ausdruck und es wurden richtige, emanzipatorische Inhalte transportiert, während reaktionäre Positionen, im Gegensatz zu anderen Städten, konsequent ausgegrenzt wurden.
Zwar ist ein zentraler Bezugspunkt weiter Teile der Linken in Deutschland immer noch die eigene wechselhafte Geschichte in Bezug auf den Israel/Palästina-Konflikt vor dem Hintergrund der deutschen Rolle in der Geschichte, zwar ist auch dieser Krieg in Palästina wieder Auslöser dafür, dass der eine oder andere linke Theoretiker den Verstand verliert. Aber immerhin: Neben den üblichen ritualisierten und reflexartigen Grabenkämpfen und den unsäglichen Äußerungen der Teile der „Antideutschen“, die sich noch als Teil der Linken sehen möchten, neben dem pragmatischen Schweigen mancher Gruppen sind einige reflektierte Stimmen laut geworden und der innerlinke Diskurs scheint zumindest nicht weiter an Niveau zu verlieren. Unsicherheit und der Wille, sich nach Möglichkeit nicht, oder allenfalls „humanitär“, zu positionieren und so Konflikte zu vermeiden sind jedoch immer noch in vielen linken Organisationszusammenhängen zu finden. Eine richtige und angemessene gemeinsame Positionierung der radikalen Linken gegen die Kriege und den Terror der Herrschenden (in diesem Fall) in Israel ist so nicht möglich. Dieser Umstand ist zu bedauern, kann aber nicht durch empörte Appelle hinweggewischt werden. Geändert werden kann er aber durch positive Beispiele. So sollte auch der Teil der Linken und der Friedensbewegung, der meinte, mangels Alternativen an reaktionär geprägten Demonstrationen teilnehmen zu müssen und im schlimmsten Fall dort Anhängsel von Organisationen wie Milli Görüs wurde, nicht der erste Adressat linker Kritik sein. Zu kritisieren sind vielmehr vor allem all jene, die es trotz richtiger eigener Positionen nicht auf die Reihe gekriegt haben, Protest und Widerstand gegen den imperialistischen Krieg zu entwickeln, der vom proletarischen Internationalismus getragen ist und von der Solidarität mit der revolutionären Linken in Israel und Palästina.
Der Kriegsbeginn liegt gerade einen Monat zurück, deshalb brauchen wir den Verlauf der Ereignisse hier nicht noch einmal darlegen. Nur soviel: Das Zahlenverhältnis zwischen palästinensischen und israelischen Kriegsopfern beträgt etwa 100 zu 1.
Versuchen wir lieber eine Einschätzung: Die israelische Rechte, die weiterhin das Ziel hat, ein Großisrael zu errichten und die palästinensische Bevölkerung dauerhaft loszuwerden, hat natürlich weder ein Interesse an einem dauerhaften Frieden noch an den Voraussetzungen für einen solchen Frieden. Diese wären ein selbstverwaltetes, wirklich unabhängiges und säkulares Palästina sowie ein Mindestmaß an (bürgerlicher) Gerechtigkeit für alle in Israel und Palästina lebenden Menschen. Aus der bürgerlichen Linken Israels kamen immer wieder, teils halbherzige, Vorstöße in die Richtung einer echten Zweistaatlichkeit und eines dauerhaften Friedens. Jedoch bei jedem bewaffneten Konflikt und jedem Risiko für die Sicherheit Israels begibt sich diese Linke zurück in das Korsett des nationalen Konsens, der kurz gefasst diesen Kern hat: Die Bedrohung der Existenz des Nationalstaates Israel, Heimat eines Volkes, das jahrtausendelang verfolgt wurde und gewillt ist, nie wieder Opfer zu sein, rechtfertigt kurzfristig alle Maßnahmen. Auf diese Art behält die Rechte die Initiative und gibt tendenziell die Richtung vor. Die Rechten, ob im Likudblock oder den anderen Parteien, produzieren ein feindliches Umfeld und nähren den Terror von außen, die friedenswillige staatstragende Linke sieht sich dann gezwungen diese Bedrohungen in nationaler Eintracht mitzubekämpfen. (Freilich resultieren nicht alle politischen und militärischen Entscheidungen der israelischen Regierungen in diesem Konflikt, die der Bevölkerung Israels objektiv schaden, aus finsteren Plänen der Großisraelfanatiker. Einige ergeben sich aus der kolonialen Haltung und der Kurzsichtigkeit auch der bürgerlichen Linken)
Jitzchak Rabin, der diesen nationalen Konsens zwar nie verließ, dessen Politik aber für die Rechte die Gefahr einer dauerhaften friedlichen Lösung darstellte, wurde 1995 nach monatelanger Hetze gegen seine Person von einem israelischen Rechtsradikalen ermordet.
Dass der Konflikt sechs Jahrzehnte nach der Gründung des Nationalstaats Israel noch nicht beigelegt ist, liegt nicht an Naturnotwendigkeiten. Es liegt daran, dass Teile der Herrschenden in Israel, den USA und zahlreichen anderen Staaten kein Interesse an einer friedlichen Koexistenz von Israelis und Palästinensern haben. Der Krieg, die Zerstörungen und die Massaker im Gazastreifen bringen nicht alleine der Bevölkerung Tod und entsetzliches Leid, sie stärken auch die Basis der islamistischen Bewegungen auf der ganzen Welt und bilden die Grundlage für eine Zukunft voll Tod und Leid, eine Zukunft der globalen kapitalistischen Normalität.
Ein eigenständiges und selbstbestimmtes Palästina wäre, wie palästinensische und israelische Linke es sehen, ein Zwischenschritt auf dem Weg zu einer befreiten, gemeinsamen säkularen Zukunft. Diese wiederum wäre die Voraussetzung für eine gesellschaftliche Ordnung frei von kapitalistischer Ausbeutung, nationaler und rassistischer Ideologie, in der die Menschen ohne Staat zusammenleben.