Griechenland hat die Wahl – radikal links oder ewige Knechtschaft
Wenig ist hierzulande bekannt über die politischen Parteien im vom europäischen Krisenregime unter deutscher Führung gebeutelten Griechenland. Mit den Wahlen vom 6. Mai 2012 wurde klar, dass es in Griechenland für die bisher abwechselnd regierenden Parteien Neue Demokratie (ND) und Panhellenische Sozialistische Bewegung (PASOK) schwierig werden würde, noch einmal die Regierung zu bilden. Mit dem bisher für sie höchsten Ergebnis von 16,8% der abgegebenen Stimmen erreichte die Koalition der Radikalen Linken (Syriza) ihr bisher bestes Ergebnis und wurde noch vor der sozialdemokratischen PASOK zweite Kraft. Doch die Koalitionsgespräche verliefen ergebnislos, da die Parteien, die die Fortsetzung der unsozialen Sparmaßnahmen wollen, keine Mehrheit erreichten. Die ehemalige Opposition konnte keine Mehrheit bilden, da unter den gewählten Abgeordneten nun auch Vertreter der offen faschistischen Goldenen Morgenröte saßen, mit denen jegliche Zusammenarbeit von linker Seite auszuschließen ist. Deshalb sind für den 17. Juni 2012 nun erneut Wahlen in Griechenland angesetzt. Als Favoriten gelten nach Meinungsumfragen derzeit die radikal Linke Syriza und die neoliberal-korrupte Neue Demokratie.
Laut vier repräsentativen Umfragen soll die ND als stärkste Kraft, die 23,3 bis 25,8 Prozent auf sich vereinen könnte, aus den Wahlen hervorgehen. Die Syriza könnte zwischen 20,1 und 23,2 Prozent erhalten. Für die PASOK sieht es, wenig verwunderlich, nachdem sie für die EU-Troika den sozialdemokratischen Bluthund spielte, eher schlecht aus. Auch die faschistischen Goldenen Morgenröte scheinen schlechter abzuschneiden. Ebenfalls Stimmen verlieren könnten die kommunistische KKE und die linkssozialdemokratische Dimar.
Das Bündnis der radikalen Linken mit ihrem Spitzenkandidaten Alexis Tsipras will die von der EU-Troika diktierten Sparmaßnahmen in Griechenland aussetzen, die neo-liberale ND ist für eine Fortsetzung der Maßnahmen und wahrscheinlich auch ursächlich für die schwierige Lage Griechenlands verantwortlich.
In die Regierungszeit der ND fielen von 2004 bis 2009 zahlreiche Korruptionsskandale und neoliberale Angriffe auf die soziale Sicherheit der Bevölkerung. Besonders stark erschüttert wurde die damalige ND-Regierung durch einen Skandal um umstrittene Immobilientransaktionen zwischen dem griechischen Staat und dem Athos-Kloster Vatopedi. Das Kloster machte Besitzansprüche auf den ihm angeblich vor fast 1000 Jahren von byzantinischen Kaisern vermachten Vistonida-See geltend. Obwohl diese Ansprüche des Klosters zweifelhaft waren, wurden sie vom Staat anerkannt: Im Tausch gegen den See mit seiner gesamten Wasseroberfläche und allen Ufergrundstücken erhielt das Kloster 260 wertvolle Grundstücke in Tourismus-Gebieten, die es teilweise sogleich mit Gewinn weiterverkaufte. Da die vom Kloster beanspruchten Seegrundstücke stark überbewertet wurden und die staatlichen Tauschgrundstücke stark unterbewertet wurden, ist dem Staat ein Schaden entstanden, der auf 100 Millionen Euro beziffert wird. Dieser Immobilienskandal und die allgemein krisenhafte finanzielle Situation des Landes waren wesentliche Gründe dafür, dass Ministerpräsident Kostas Karamanlis im September 2009 vorgezogene Neuwahlen ankündigte. Mit diesen Neuwahlen gab die ND erfolgreich den schwarzen Peter des heruntergewirtschafteten Staates an ihre politische Konkurrenz ab – die sozialdemokratische PASOK gewann die Wahl mit einem sehr guten Ergebnis.
Die Neoliberalen hatten den Sozialdemokraten ein kaputtgewirtschaftetes, von Korruption gebeuteltes Land übergeben und sich selbst relativ elegant aus der Affäre gezogen. Die Sozialdemokraten – es verwundert kaum – nahmen sofort und bereitwillig ihre Tätigkeit als reformistische Bluthunde des Kapitals auf und begannen kapitalistische Reformen gegen die Interessen der Lohnabhängigen durchzusetzen. Sinnlose Reformen, die zwar die Lebensqualität der lohnabhängigen Bevölkerung enorm verschlechtert, aber Griechenland kein Stück aus der Schuldenfalle hinausmanöveriert haben.
Griechenland, so Alexis Tsipras, Vorsitzender der Allianz der Radikalen Linken (SYRIZA) drohe eine humanitäre Krise. Trotz der beiden Pakete zur Rettung der griechischen Wirtschaft sei die Rezession auf einem historischen Niveau, die Arbeitslosenquote hoch und der gesellschaftliche Zusammenhalt zusammengebrochen.
„Wir schlagen die Alarmglocke und appellieren an die Völker Europas, uns in unserer Bemühung zu unterstützen, den Kurs des Landes in das zu stoppen, was als gesellschaftliche Hölle bezeichnet wird“, sagte Tsipras und betonte, dass die Unterzeichnung des Memorandums, das Griechenland die Sparmaßnahmen auferlegte, ein politischer Beschluss gewesen sei, der in Abwesenheit des griechischen Volkes gefasst wurde und sich als katastrophal erwies.
Die somit von Tsipras angedrohte Aussetzung der Sparmaßnahmen und Zinszahlungen wird von den meisten neoliberalen Medien als gefährliches Pokerspiel dargestellt. Um von den Zockern an den Finanzmärkten abzulenken ist offenbar heute jedes Mittel recht. Manche ExpertInnen befürchten auch, dass es Deutschland ohnehin nur darum ginge, Griechenland aus der EU zu drängen um endlich einen Sündenbock zu haben, der die ebenfalls unter Druck geratenen EU-Länder Spanien und Italien rettet.
Doch egal wer nun die Wahl gewinnt: Der griechische Witschaftsraum kann gerade die Zielvorgaben aus dem Memorandum gar nicht erfüllen. Wie schwach die Wirtschaft momentan ist, zeigt sich an der prekären Situation, in der viele Griechen gerade leben. So gibt es für die steigende Anzahl der Erwerbslosen keine Krankenversicherung und in einigen Fällen drohten Krankenhäuser z.B. Müttern, dass sie ihre Neugeborenen als Pfand zurückbehalten würden, wenn die Rechnung nicht bezahlt würde.
Dramatische Rezession
Die dramatische wirtschaftliche Lage zeigt sich aber auch daran, dass immer mehr Selbständige das Handtuch werfen. So stellten infolge der Wirtschaftskrise und ständig steigenden Abgaben und Steuern seit 2010 über eine halbe Million Betriebe und Unternehmen ihre Aktivitäten ein. Während der ersten vier Monate des Jahres 2012 schlossen mehr als 68.000 Gewerbetreibende (Unternehmen, Freiberufler, Selbständige) ihre Bücher. Sie gaben beim Finanzamt an, den kontinuierlich wachsenden steuerlichen Belastungen nicht mehr entsprechen zu können. Seit 2010 und bis einschließlich Ende April 2012 schlossen insgesamt mehr als 500.000 Gewerbetreibende ihre Bücher und stellten den Betrieb ihrer Unternehmen ein. Von den insgesamt 1.000.572 Gewerbetreibenden, die bis einschließlich 2009 beim griechischen Finanzamt eine aktive Steuernummer inne hatten, stellten also innerhalb von weniger als zweieinhalb Jahren 50% ihre Aktivitäten ein.
Als eine der nächsten Maßnahmen sieht das Memorandum eine weitere Erhöhung der Abgaben auch für kleine Unternehmen vor. Die Sparpolitik stranguliert die griechische Wirtschaft erbarmungslos. Ob die relativ neue und zerstrittene Syriza tatsächlich, sollte sie die Wahl gewinnen, daran etwas ändern können wird, ist unklar. Sehr klar ist jedoch, dass mit den von der EU-Troika von Griechenland erpressten Sparmaßnahmen für die griechische Bevölkerung nichts zu gewinnen ist. Bedient werden nur die Interessen des vor allem deutschen Kapitals. Laut einer Monitor-Reportage der ARD soll der tatsächlich zur wirtschaftlichen Stützung Griechenlands zur Auszahlung gekommene Betrag nicht höher als 15 Mrd. Euro sein, während Deutschland im letzten Jahr seine Exporte durch den krisenbedingt gefallenen Euro ungeheuer gesteigert und an der Griechenland-Krise rund 50 Mrd. Euro verdient haben soll. Auch für die übrigen Bevölkerungen sollte Griechenland insofern eine Warnung sein, dass in Europa die Interessen der Großkonzerne die Politik diktieren. An der Euro-Krise und der Lage in Griechenland wird deutlich, dass Sparmaßnahmen nur dem Kapital nutzen und dass im Kapitalismus von jeder Krise am Ende nur das Kapital profitiert, die Bedürfnisse der Bevölkerung sind dagegen egal. Die verarmten Bevölkerungen werden nicht nur ins Elend getrieben, sondern von den Profiteuren der Krise sogar noch als faul und unfähig beschimpft. Für die europäische Linke ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, das Ruder herumzureißen und wieder die Bedürfnisse der Menschen in den Vordergrund zu stellen. Um das zu erreichen muss die gesellschaftliche Basis nicht nur begreifen, dass der Kapitalismus außer Krieg und Krise wenig zu bieten hat, sondern sich auch für ihre Interessen organisieren. Ansonsten droht eine düstere Zukunft – und nicht nur für die GriechInnen.
Erschienen in barricada – Juni 2012