Geistiges Eigentum ist Diebstahl

Künstlern ins Gesicht gepinkelt

Jahrelang lebten KünstlerInnen und AutorInnen in Angst vor den KonsumentInnen ihrer Produkte. Dank Sharing, MP3 und YouTube konnten die Verlage und Produktionsfirmen ihnen nicht mehr zahlen, was ihnen zustand (und was z.B. ein Dieter Bohlen seinen Superstars schon immer gern gezahlt hätte). Doch sich gegen die Umsonstmentalität auszusprechen oder gar Repressionen gegen diebische Downloadkids zu fordern – das ging nur hinter vorgehaltener Hand, konspirativ im Backstage-Klo. Schließlich könnten die scheiß Fans es uncool finden wenn ihre Idole beginnen, sie für modernes Konsumverhalten oder einfach für ihre Armut zu beschimpfen. Lars Ulrich von Metallica („Sue ´em all“) hatte sich zu Beginn des Jahrhunderts weit aus dem Fenster gelehnt und erlitt einen üblen Verlust an Credibility. Doch im März 2012 traute sich endlich ein deutscher Künstler, zu sagen, was man doch wohl noch wird sagen dürfen. Dank dieses mutigen Vorreiters fanden auch etliche andere den Mut sich gegen die Zumutungen der modernen Welt auszusprechen und nebenbei ungehemmt dem Kapitalismus zu huldigen. Sven Regener (ehemals Kommunistischer Bund Westdeutschland, danach Element of Crime) war es, der im bayerischen Zündfunk mit einer „Wutrede“ den Startschuss gab. Irgendwer muss Regener erzählt haben, dass Menschen auf ihren Beat-Feten zu seiner Musik abhotten ohne dafür bezahlt zu haben. Das macht wütend: „Das ist nichts anderes, als dass man uns ins Gesicht pinkelt“, „Das ist kein Geschäftsmodell, das ist Scheiße! Wir sind die Penner aus der letzten Reihe!“, „Ich kann diese ganzen asozialen Leute nicht mehr hören, die sagen: Diese Künstler sind doch Nutten, wenn sie es für Geld machen.“ Es lohnt sich durchaus, dieses Interview ganz zu hören. Sachkundige und sachliche Antworten auf Regeners Behauptungen finden sich natürlich mittlerweile auch zuhauf im Netz. Wir können uns also hier die harte Arbeit sachlicher Kritik ersparen.
Darüber, wie Schreiberlinge, KünstlerInnen und Verwertungseinrichtungen im Kapitalismus in Zukunft Gewinne erzielen, brauchen wir uns zum Glück ohnehin keine konstruktiven Gedanken zu machen. Das erledigen Piraten, der Chaos Computer Club, ein Heer von BloggerInnen – und in Wahrheit natürlich auch die Kuturindustrie und etliche UrheberInnen. Interessant für radikale Linke ist aber der desaströse Bewußtseinszustand, der mittlerweile im Künstler- und Musikantenmilieu zu herrschen scheint. Sinnvoll reflektiert wurde die eigene Lage im Kapitalismus schon immer nur von einer Minderheit der Kulturschaffenden. Was heute aus den Köpfen von vielen ehemals linksliberalen AutorInnen oder Punkrockikonen tropft, zeugt von einem historischen Tiefstand der sozialen Selbsterkenntnis. Offenbar werden mitterweile auch die dümmsten gesellschaftlichen Künstlermythen von den ProtagonistInnen selbst übernommen.

Holocaust an Urhebern

Einige Wochen nach dem Zündfunk-Interview meldete sich Sven Regener mit Verstärkung zurück: Er und andere bedrohte Kulturschaffende wie Roger Willemsen, Oliver Tolmein, Günter Wallraff, Feridun Zaimoglu und Martin Walser unterzeichneten das Pamphlet „Wir sind die Urheber – Gegen den Diebstahl geistigen Eigentums“. Die Urheber – also alle. Die unglaublich doofe Botschaft:
Die UrheberInnen haben ihren natürlichen Feind, die parasitäre Verwertungsindustrie, ganz doll lieb. Das Problem sind nicht Verlage und Labels, die in der Vergangenheit Milliarden über Knebeldeals und Total Buy Out Verträge gescheffelt haben und nun Schwierigkeiten haben, ihre Geschäftsmodelle zügig den Bedingungen des 21. Jahrhuderts anzupassen , sondern die asozialen KonsumentInnen. Während sich der alte Herr Prince standhaft weigert, jemals wieder „Sklave“ der Musikindustrie zu werden, unterzeichnen coole UrheberInnen wie Charlotte Roche (die aus der Genieschmiede VIVA) solches: „Der in diesem Zusammenhang behauptete Interessengegensatz zwischen Urhebern und „Verwertern“ entwirft ein abwegiges Bild unserer Arbeitsrealität. In einer arbeitsteiligen Gesellschaft geben Künstler die Vermarktung ihrer Werke in die Hände von Verlagen, Galerien, Produzenten oder Verwertungsgesellschaften, wenn diese ihre Interessen bestmöglich vertreten und verteidigen.“ Ach so! Dass dies kein Urheberlein, sondern ein Agent formuliert hat, vermutet man ganz zu recht.
Das Pamphlet endet mit: „Das Urheberrecht ermöglicht, dass wir Künstler und Autoren von unserer Arbeit leben können…“ (Genau so ist es. Können sie alle) „Die alltägliche Präsenz und der Nutzen des Internets in unserem Leben kann keinen Diebstahl rechtfertigen und ist keine Entschuldigung für Gier oder Geiz.“ Über den billigen Trick, Urheberrechtsverletzungen als Raub oder Diebstahl zu bezeichnen, brauchen wir uns nicht auszulassen. Lustig ist die Unterstellung der Gier und des Geizes.
Für die in ihrer Existenz bedrohten Kreativen scheint es unvorstellbar zu sein, dass das Bafög des BWL-Studenten eventuell nicht reicht, um zu überleben und sich das neueste Ärzte-Album zu kaufen, dass die Renten so mancher SeniorInnen nicht hoch genug ist um die CD-Sammelbox von Element of Crime zu erwerben.
Auch so manche durch Hartz IV ausgehungerte überlegen sich wahrscheinlich, ob sie gegen Ende des Monats etwas zu essen kaufen oder von bedürftigen Urhebern Kulturprodukte kaufen.
Die relative Verarmung der großen Mehrheit hat eben zur Folge, dass weniger Geld für den individuellen Kulturkonsum ausgegeben werden kann. Milliardäre kompensieren dies nicht durch den massenhaften Ankauf von Punkrockalben. Wer die staatliche Kultursubventionen bezahlt, von denen direkt oder indirekt so manche Künstler profitieren, scheint „den Urhebern“ auch zu entgehen.

Let There Be Rock

In der Diskussion, die von „den Urhebern“ losgetreten wurde, offenbart sich die traurige Sicht vieler KünstlerInnen auf das eigene Treiben und eine erschreckend naive Vorstellung der Grundlage geistiger Produktion. Dass auch diese immer eine Gesellschaftliche ist, ist leicht zu erkennen, verletzt aber das Kreativen-Ego. Jedes geistige Produkt ist notwendigerweise eine Komposition, ein Zusammensetzen und Umwandeln von Vorgefundenem, und man sollte meinen, dass die Moderne dies ausreichend dargelegt hätte. Künstler wie Brecht oder Picasso etwa bedienten sich nicht nur ungehemmt aus dem bestehenden kulturellen Fundus, sie thematisierten das notwendige Abkupfern und wirkten – jedenfalls ein bißchen – dem Mythos vom einsam aus sich selbst schaffenden Künstlergenie entgegen.
Nichts kommt aus dem Nichts, außer bei der Band Die Ärzte: Nach deren Meinung erschaffen Musiker ihre Werke „aus dem Nichts“. Den Rock hätten die Ärzte eben sicher auch ohne Chuck Berry und Co. hingekriegt. Ein von jahrzehntelanger Abstinenz offenbar zerrütteter Farin Urlaub meint: „Kaum jemand würde sich ernsthaft hinstellen und sagen: Also ich gehe immer zum Bäcker und klaue meine Brötchen. Weil da sind ja genug. Da würde jeder sofort sagen, das ist asozial. Aber von den Urhebern wird das mittlerweile erwartet.“ Wer von den Urhebern erwartet,dass sie immer beim Bäcker Brötchen klauen oder dies zumindest sagen, verrät uns Herr Urlaub nicht. Er hat auch nicht erkannt, wo der schwerste Fehler in seinem Vergleich liegt: Geistige Produkte werden nicht verzehrt, sondern durch Verfielfältigung verbreitet. Ein Unterschied, der eigentlich für Leute vom Fach und ihre Überlegungen recht wichtig sein sollte. Urlaubs Bandkollege Bela B. (Schlagzeuger!) glaubt, da er seine schöne alte Welt untergehen sieht, an das Ende guter Musik: „Es gibt übrigens schon urheberfreie Musik im Netz. Einfach mal googlen und reinhören, was schon bald unsere Zukunft sein wird.“ Als alte Googleanbeter haben wir Belas Befehl gern gehorcht und 175 Treffer erhalten, bei einem großen Teil davon geht es darum, dass es urheberfreie Musik natürlich nicht gibt. Wenn Bela B. das meint, was zu vermuten ist, pisst er nebenbei eine Vielzahl von (teils hervorragenden) Bands und MusikkünstlerInnen an, die seine Vorstellungen von Distribution oder auch von Eigentum nicht teilen und erklärt die Produkte all jener, die von ihrer Musik nicht leben, für Schrott.
Schlimme Befürchtungen für die Zukunft hat auch Alec Empire (Atari Teenage Riot). Der geißelt Erwartungen „des Mobs“, welche er „in christlicher und sozialistischer Tradition“ sieht und weiß: „In einer Gesellschaft, in der eine kreative Idee automatisch zum Volkseigentum wird, ziehen sich die besten Köpfe sofort zurück.
Zuletzt, um nicht falschen Ansichten Vorschub zu leisten: Dass auch schlauere Urheber als Alec Empire bei dem Thema auf das Denken verzichten, ist zum Teil sicher auch die Schuld der Vielen, welche die Arbeit der BäckerInnen, nicht aber die der Kulturschaffenden im Kapitalismus als Arbeit erkennen. Auch die revolutionäre Linke neigt dazu anzunehmen, linke Bands sollten von Luft und Liebe leben und sich ihr Equipment aus dem Arsch ziehen. Es ist schön, wenn KünstlerInnen bereit sind, uns für lau zu unterstützen. Es ist ärgerlich, wenn dies dazu führt, dass wir annehmen, sie müssten gefälligst immer und überall umsonst für uns arbeiten. Damit verabschieden wir uns jetzt aufs Fight Back Festival und kaufen dort die Merchandising-Stände der Bands leer, deren Musik wir uns aus dem Internet herunter geladen haben.

Erschienen in barricada – Juni 2012