Freiheit und Glück für Sonja und Christian!

Von der breiten Öffentlichkeit nahezu unbemerkt, findet zur Zeit eine Veranstaltungsrundreise statt. Auch in Nürnberg wurde auf Initiative der organisierten autonomie (OA) dabei ein Stopp eingelegt und die Auslieferung und Inhaftierung von zwei älteren Menschen thematisiert. Wer da nun an Naziverbrecher aus dem 3. Reich oder gar ihre aktuellen Widergänger aus der NSU-Terrortruppe denkt, der ist selbstverständlich falsch gewickelt und hat das Wesen der bundesrepublikanischen Klassenjustiz einmal mehr verkannt. Fast 40 Jahre nach den Ereignissen, sollen mit dem Prozess um den es hier geht, selbstverständlich weder Kriegsverbrechen, noch irgend eine andere Nazigreultat aufgeklärt werden. Im Visier der fleißigen Verfolgungsbehörden finden sich einmal mehr radikale linke AktivistInnen. Die Justiz nimmt erneut die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen der `70er bzw. `80er Jahre aufs Korn. Vergangene Klassenkämpfe und mit den Revolutionären Zellen (RZ), eine in der BRD bewaffnet gegen den Kapitalismus kämpfende Organisation, die sich wie andere Guerilla-Gruppen bereits vor Jahren aufgelöst hat. Der kapitalistische Normalzustand hat sich allerdings nicht aufgelöst und genausowenig die Verfolgung von Menschen die sich seiner Logik entziehen, mit ihr brechen oder sie bekämpfen. Und so ist es, für die bei Naziverbrechern bis zur aktiven Blindheit gehende, stets nachlässige und gelähmte Justiz- und Ermittlungsbehörde, hier selbstverständlich, auch Jahre nach den Ereignissen, mit allem aufzubringenden Verfolgungswillen vorzugehen. Es soll abgeschreckt und das Rachebedürfnis der herrschenden Klasse befriedigt werden.

Sonja und Christian

Nach 33 Jahren im Exil sind, nach ausdauernden Bemühungen von deutscher Seite, im September 2011 Sonja Sunder und Christian Gauger von Frankreich an die deutsche Justiz ausgeliefert worden. In diesem Jahr soll ihnen der Prozess von dem Landgericht Frankfurt gemacht werden, wegen Aktionen der Revolutionären Zellen (RZ) aus dem Jahr 1977. Beide lehnen jegliche Zusammenarbeit mit dem Staatsschutz ab.
Sonja ist heute 79 Jahre alt und sitzt in Frankfurt Preungesheim im Knast, sie ist in Leibzig und Berlin aufgewachsen, studierte in den 70er Jahren in Frankfurt Medizin, engagierte sich politisch, ging auf Demos, hatte Kontakte zur Hausbesetzerbewegung und zu StudentInnengruppen.
Christian ist 70 Jahre, sehr krank und deshalb unter Auflagen frei. In den `70ern lebte er in Frankfurt wo er ein Psychologie Studium abschloss und als Sozialarbeiter tätig war. Als Aktivist nahm er an den sozialen Bewegungen der Zeit teil und war unter anderem in der Roten Hilfe aktiv.

Ihre Geschichte

Im August 1978 bemerkten beide, dass sie wie viele andere Linke in der Zeit des „Deutschen Herbst“, von der Polizei observiert wurden und vermuteten das sie verhaftet werden sollten. Erst nach ihrer Flucht nach Frankreich erfuhren sie jedoch worum es eigentlich ging. Sie sollen an Anschlägen der RZ gegen deutsche Konzerne beteiligt gewesen sein, die das Atomprogram des rassistischen Apartheitsregime in Südafrika unterstützten. Unter anderem geht es dabei um einen Sprengsatz, der 1977 ein Loch in die Ausenfassade des Firmengebäudes der MAN in Nürnberg riss. Des weiteren um einen Anschlag auf das Heidelberger Schloss, der sich gegen die, damals Vertreibungspolitik genannte, Gentrifizierung der Stadt Heidelberg richtete und bei dem ein Sachschaden von 40. 000 Euro am adligen Parkett entstand.
Der Vorwurf gegen beide, an den Aktionen beteiligt gewesen zu sein, basiert auf den Aussagen eines Schwerverletzten, die dieser unter Folter gemacht hat. Das RZ-Mitglied Hermann Feiling wurde nachdem er beide Beine und beide Augen nach einer Explosion verlor, unter dem Einfluss von starken Medikamenten 4 Monate verhört. Später widerrief er alle Aussagen. Ein weiterer Vorwurf, basiert auf einer zweifelhaften Kronzeugenaussage, mit der sich ein Renegat namens H.J. Klein seine eigene Freiheit erkaufte. Er lautet, Sonja Suder hätte den Überfall auf die OPEC-Konferenz 1975 logistisch unterstützt, bei dem die anwesenden Erdölminister als Geiseln genommen wurden.
Seit ihrer Flucht lebten Sonja und Christian in Frankreich, bestritten ihren Lebensunterhalt von Flohmarktverkäufen, beschäftigen sich mit Literatur und politischen Debatten aus aller Welt. Drei Jahre nach dem Christian Gauger einen Herzstillstand erlitt und infolgedessen sein Gedächtnis verlor wurden die beiden im Januar 2000 verhaftet, nach drei Monaten U-Haft, jedoch gegen Kaution entlassen und schließlich auch nicht an die BRD ausgeliefert, da, die ihnen vorgeworfenen Taten nach französischem Recht verjährt waren. Ein Angebot der BRD-Justiz freiwillig zurückzukommen, Aussagen zu machen und dafür nur eine Bewährungsstrafe zu bekommen, lehnten beide entschieden ab. Im Sommer 2007, werden sie aufgrund eines neuen europäischen Haftbefehls, den die deutschen Behörden beantragten, erneut für einige Wochen inhaftiert. In letzter Instanz wird schließlich ihre Auslieferung beschlossen die am 14. September 2011 erfolgte.

Unsere Solidarität ?gegen ihre Kriminalisierung

Bis heute hat in der BRD für die staatlichen Organe die Verfolgung der revolutionären Guerilla -Gruppen, bzw. ihrer ehemaligen Militanten, oder zumindest derer die sie dafür halten oder ausgeben, oberste Priorität. Alles, was im Zusammenhang mit dem bewaffneten Kampf steht, abgesehen von den eigenen Verbrechen – wie z.B. der Unterstützung des Apartheitsregimes in Südafrika, soll aufgeklärt werden. TäterInnen bzw. jene die einfach zu diesen gemacht werden, sollen auch Jahrzehnte nach den Ereignissen noch abgeurteilt werden, um potentielle zukünftige Empörer abzuschrecken. Zerstört werden soll darüber hinaus durch die Verfolgung ehemaliger Mitglieder und anderer AktivistInnen, die bis heute, von wenigen Ausnahmen abgesehene, ungebrochene Solidarität und Verweigerung jeder Kooperation mit den Staatsorganen und damit die unter den Augen der Öffentlichkeit fortbestehende punktuelle Niederlage der Repressionsorgane.
So wie wir als radikale Linke, auch wenn die meisten von uns zu einer anderen Generation gehören, für den Staat und die herrschende Klasse grundsätzlich schuldig sind, muss unsere Solidarität selbstverständlich allen von der Klassenjustiz verfolgten Genossinnen und Genossen gelten, über alle inhaltlichen, taktischen und strategischen Unterschiede und über Generationen hinweg. Deshalb Arsch hoch, beteiligt euch selbstständig an der Kampagne für die Freiheit von Sonja und Christian, schreibt den beiden, schafft Öffentlichkeit und denkt an das was Karl Kraus einmal sagte: „Das wirkliche Verbrechen beginnt immer erst mit der Gerichtsverhandlung.“
Informationen: www.verdammtlangquer.org

Jedes Herz eine Zeitbombe

Die Revolutionären Zellen (RZ) waren eine Anfang der `70er Jahre gegründete antikapitalistische Guerilla, mit antipatriarchal, antiimperialistisch, internationalistischer Ausrichtung. Nach einer ersten Phase, in der vor allem ihr internationalitischer Flügel mit palästinesischen Organisationen zusammenarbeitete, bezogen sie sich mit ihren Aktionen auf Inhalte und Aktivitäten, der in der BRD agierenden radikalen Linken und versuchten im Rahmen von Bewegungen und Massenkämpfen theoretisch wie praktisch zu intervenieren. Gewöhnlich richteten sich ihre Angriffe gegen Objekte und Einrichtungen, in seltenen Fällen auch direkt gegen Personen. Sie agierten in autonomen Zellen und ihre Mitglieder lebten soweit möglich in der Legalität. In den `80er Jahren besaßen sie eine Verankerung in den radikalen Teilen der verschiedensten sozialen Bewegungen. Mit der Roten Zora (RZ) gab es eine eigenständig agierende Guerilla von Frauen.
Wer mehr über die Geschichte, Aktivitäten und Inhalte der RZ erfahren möchte, dem sei empfohlen in Antiquariaten oder Archiven nach dem 2 Bände umfassenden Werk: „Die Früchte des Zorns“ zu fragen.

Erschienen in barricada – Juni 2012