Flüchtlinge: Nicht willkommen in GoHo

“Unglaublich – in ein dicht besiedeltes Gebiet, solch eine Massenunterkunft zu setzen. Die Konflikte sind vorprogrammiert. Gostenhof war auf einem guten Weg – weg vom Glasscherbenviertel-Image hin zum Kreativ- und Familienviertel. Das ist nun gefährdet. Danke Herr Schmelzer! Wie wäre es denn, wenn sie zwischen Heilsarmee und Asylbewerberheim wohnen würden.???

LeserInnenkommentar von “GOHO???, Abendzeitung Online

Im Frühjahr 2012 soll in der Gartenstraße/Kohlenhofstraße in Gostenhof Ost ein Flüchtlingsheim mit circa 240 Betten eröffnet werden. Eigentümer des Hauses ist der Immobilienspekulant Gerd Schmelzer. Voraussichtlich wird das Gebäude eine ähnlich menschenunwürdige Wohnsituation bieten wie andere derartige Massenunterkünfte. Dass in der BRD Asylsuchende in solchen Lagern untergebracht werden und ein Dasein weit unter dem Existenzminimum fristen müssen, stellt sowieso einen Skandal dar. Dennoch: Im Rahmen des derzeit an Flüchtlingen verübten Unrechts wird das Heim in Gostenhof den Flüchtlingen in einigen Punkten Vorteile gegenüber den anderen Lagern in der Region bieten. Zum einen wird das Gebäude frisch saniert sein (wer die Bruchbuden kennt, in denen Asylsuchende sonst gezwungen werden zu wohnen, weiß, wie wichtig dieser Punkt ist), zum anderen befindet sich die Unterkunft nicht isoliert in der Pampa, sondern in einem Wohngebiet in zentraler Lage. Und natürlich gibt es in Gostenhof etliche Menschen, die Flüchtlingen und ihren Belangen gegenüber aufgeschlossen sind und bereit, aktive Unterstützung zu leisten.
Andere erschreckt die Vorstellung, demnächst Flüchtlinge als NachbarInnen zu haben. Die SPD Gostenhof beschwert sich bitterlich. Es lohnt sich, die diesbezügliche Pressemitteilung der Gostenhofer SozialdemokratInnen näher zu betrachten, denn darin findet sich fast alles, was manche Gostenhofer HaubesitzerInnen, Alternativlinge und „Anhänger des urbanen Loftstyles“ an Argumenten gegen die Überfremdung ihrer Nachbarschaft bringen:

„Die Entwicklung im Teil der Schanzäckerstraße, in der Loftrohlinge zum Selbstausbau angeboten werden, sehen wir positiv. (…) Umso erschreckender ist die Planung eines Asylbewerberheims für den Gebäuderiegel Gartenstraße/Kohlenhofstraße. Es soll fast 300 Betten beheimaten. Mehrere Zimmer sollen darüber hinaus sich eine Sanitäreinrichtung teilen. Anlieger und auch wir sehen hier ein großes Problem vor allem in einem so dicht besiedelten Wohngebiet. Solche Art von Massenunterkünften sind weder zeitgemäß noch für heutige Maßstäbe angemessen.???

In einem weniger dicht besiedelten Wohngebiet stellt es kein großes Problem dar, dass sich eine große Zahl von Flüchtlingen ein Klo teilen müssen. Manchmal sind SozialdemokratInnen unbeabsichtigt ehrlich. Es geht weiter:

„…Hervorzuheben ist, dass die Regierung von Mittelfranken den Verteilungsschlüssel des Regierungsbezirks missachtet. Die Stadt Nürnberg stellt bereits mehr Plätze zur Verfügung als sie müsste.???

Flüchtlinge sind eben eine Belastung und Zumutung. Wenn die „Stadt der Menschenrechte??? schon solche Elemente beherbergen muss, dann bitteschön so wenige wie möglich.

Die SPDlerInnen schließen ihre Pressemitteilung:

„Gostenhof-Ost ist ein sozial gut ausgeglichenes Wohnquartier. Durch die Stadtteilsanierung sind vor Jahren Grundsteine für eine lebenswertere Zukunft gelegt worden. Vielfältigste Begrünungen von Hinterhöfen sowie die Verkehrsberuhigung und Teilbegrünung des Straßenbildes sind Ergebnisse dieser positiven Entwicklung. Wir wünschen uns für Menschen, die in einer Notlage sind und um Solidarität und Asyl ersuchen, Bedingungen in einer Einrichtung, die 1. keinen Charakter von Massenunterkünften haben und den heutigen Standards entsprechen und 2. sich sozial verträglich in das Umfeld integrieren lassen. Beides sehen wir bei dieser Planung weder berücksichtigt noch möglich. Darüber hinaus leistet die Stadt Nürnberg bereits im Asylbereich mehr, als sie müsste. Wir fordern daher die Entscheidungsträger – insbesondere die Regierung von Mittelfranken – dazu auf, von dieser geplanten Maßnahme Abstand zu nehmen und den Verteilungsschlüssel für Asylbewerber im Regierungsbezirk einzuhalten.???

Unterm Strich lautet das Lamento: 1. Flüchtlinge werten den Stadtteil ab, der doch auf einem so guten Weg war. 2. Flüchtlinge stören die „soziale Balance??? in Gostenhof und 3. in Nürnberg leben ohnehin zu viele Flüchtlinge.
Immer hübsch eingeschoben (zum Beispiel gleich nach der Erwähnung der netten Begrünungen) plump heuchlerische Phrasen, man würde die Unterbringung in Sammelunterkünften ablehnen.

„Flüchtlinge brauchen unseren Schutz und Unterstützung. Große Unterkünfte aber lehnen wir ab.“ meint auch der lokale SPD-Boss Christian Vogel gegenüber der Abendzeitung. Maly schlägt in dieselbe Kerbe, die Grünen-Stadtratsfraktion ebenso, nur die Bürgerinitiative Ausländerstopp verzichtet auf diesen Teil der Argumentation.

Unschuldige SPD?

Vielleicht gehen wir unfair mit der SPD um, wenn sie neben ihre Ablehnung von Flüchtlingen die Sorge um das Wohl der Flüchtlinge setzt? Nun, wem haben die in Deutschland lebenden Flüchtlinge ihren miserablen Status und die menschenunwürdige Situation, in der sie hier leben müssen zu verdanken? Der CDU/CSU, der FDP, den Günen und – der SPD!
Im Sommer 1992 peitschten Oskar Lafontaine und der damalige Parteivorsitzende Björn Engholm eine Neupositionierung der SPD durch. Neben der grundsätzlichen Zustimmung der SPD zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr im Rahmen von „UN-Friedensmissionen??? wurde beschlossen, die Regierungsparteien bei ihrem Vorhaben zu unterstützen, das Recht auf Asyl aufzuweichen. Die Mittäterschaft der SPD bei dieser faktischen Abschaffung eines wirklichen Asylrechts war nötig, weil hierzu das Grundgesetz geändert werden musste. Der sogenannte Asylkompromiss zwischen SPD und der Regierungskoalition wurde im Dezember 92 besiegelt. Wenige Monate später änderte der Bundestag das Grundgesetz entsprechend. Eine drastische Verschlechterung der Lebensbedingungen von Asylsuchenden, die eine abschreckende Wirkung haben soll, wurde ebenfalls beschlossen. Der Vollständigkeit halber muss erwähnt werden, dass sich die Grünen (damals noch nicht ganz frei von ihrem halblinken Ballast), etliche Abgeordnete der SPD und sogar einzelne Abgeordnete der Regierungskoalition an der Grundgesetzänderung nicht beteiligten.

“Wir halten Sammelunterkünfte prinzipiell für nicht menschenwürdig. Sie sind immer mit großen Belastungen für die Betroffenen verbunden, die nicht selten traumatisiert sind. Auch für Kinder ist eine Unterbringung in einer „Gemeinschaftsunterkunft“ alles andere als förderlich. Lösungen, wie Einzelunterbringungen in Wohnungen, sollten herbei geführt werden.???

Aus einem Antrag der Stadtratsfraktion der Grünen

Da SPD und Grüne ab 1998 die Bundesregierung bildeten, hätten sie einige Jahre Zeit gehabt, die ihnen offenbar so verhassten Sammelunterkünfte zu beseitigen und Flüchtlingen per Gesetz ein halbwegs menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Natürlich taten sie nichts dergleichen.
Verlogen sind vor diesem Hintergrund nicht nur die Statements der SPD Gostenhof und der Nürnberger Grünen, auch Oberbürgermeister Dr. Malys mal wieder entdeckte Vorliebe für einen menschlichen Umgang mit Flüchtlingen, die er der Regierung von Mittelfranken unter die Nase reibt, ist nichts als Heuchelei. Zwar hat die Stadt Nürnberg tatsächlich kaum eine Möglichkeit, auf die Art der Unterbringung Einfluss zu nehmen, aber immerhin ist Maly Dienstherr der Nürnberger Behörden, auch des Ausländeramtes, das für seine rassistischen Schikanen berüchtigt ist.
Viele Menschen in Gostenhof sehen Flüchtlinge nicht als Quartiersschädlinge oder Zumutung. Sie werden mit uns zusammen die neuen NachbarInnen willkommen heißen. Einstweilen dürfen wir uns freuen über die „Ängste und Bauschmerzen???, die das Thema denjenigen bereitet, die den Stadtteil in ein Biotop für kreative Freunde des Loftstyles verwandeln wollen – inklusive Petra-Kelly-Platz und Dalai-Lama-Schanze. Diesen ein herzliches: Verpisst euch!

Erschienen in barricada – Sommer [I] 2011