Die Kurden in der Türkei – ein Einblick
Es ist mir zwar auf einer Seite nicht möglich die gesamte Geschichte Kurdistans nieder zu schreiben, aber immerhin ein Einblick, der die aktuelle Situation dort ein wenig transparenter macht, soll dem Leser/der Leserin an dieser Stelle ermöglicht werden.
Kurdistan ist mehr ein politischer Kampfbegriff als ein Fakt. Der Staat existiert so momentan nicht und genau das ist der Zündstoff für den Konflikt auf dem Gebiet, das die Kurden für sich beanspruchen. Es handelt sich hierbei nicht nur um das Gebiet, das ebenso die Türkei für sich beansprucht und aktuell auch regiert, sondern auch um Teile des Irans, des Iraks und Syriens. Gut die Hälfte aller Kurden lebt auf dem türkisch regierten Terrain.
Bis vor acht Jahren wurde die Existenz der Kurden in der Türkei völlig geleugnet und nicht wenige landeten im Knast, weil sie das Gegenteil behaupteten oder die kurdische Sprache anwendeten. Doch das war nicht immer der Fall. Im Kampf gegen England und Frankreich lockte Atatürk die Kurden mit Versprechungen, damit sie sich am Kampf gegen die Kolonialherren beteiligten. Nachdem die Besatzer vertrieben waren, war davon jedoch keine Rede mehr und im Zuge der Errichtung eines türkischen Staates, wurde keine Abweichung in Kultur, Sprache und vor allem Nationalgefühl geduldet. Was das bedeutete, erlebten sowohl tausende Armenier als auch Kurden am eigenen Leib. Kurdistan ist ein Ressourcenreicher und strategisch wichtiger Teil der heutigen Türkei, was wohl auch den territorialen Anspruch des türkischen Staates nicht schmälert.
Dennoch hinkt das kurdische Gebiet der rasanten kapitalistischen Entwicklung der Zentral-Türkei stets hinter her. Nach wie vor beherrschen agrarische Großgrundbesitzer die Wirtschaft in Kurdistan. Diese investieren dann jedoch bevorzugt im modernen industriellen Zentrum, was zur Folge hat, dass Kurdistan bis heute der Hinterhof für die Rohstofflieferungen an die Türkei ist. In der gesellschaftlichen Struktur ähnelt die Entwicklung der Industrialisierung in Europa: Landflucht ist an der Tagesordnung, auch weil die Arbeitslosigkeit auf dem Land ansteigt, nicht zuletzt weil die Subsistenzwirtschaft von Großbauern mehr und mehr verdrängt wird. Doch die Gründe liegen nicht nur in ökonomischen Entwicklungen. Dörfer, in denen die Unterstützung der PKK hoch war, KämpferInnen z.B. mit Nahrung versorgt wurden, wurden vom türkischen Militär über Jahre systematisch nieder gebrannt und UnterstützerInnen an Ort und Stelle erschossen, um ein Exempel zu statuieren. Ein weiterer Grund um in die Städte zu gehen, war also auch die Anonymität, die in der Stadt leichter zu wahren ist als im Dorf.
Die Linke in Kurdistan
Wer sich nun fragt, warum die türkische Linke nicht ausreichend auf die Greuel der Armee reagiert hat, muss die Hintergründe ihrer Politik kennen. Die revolutionäre Linke erstarkte in der Türkei in den 60er und 70er Jahren. Ideologisch waren viele jedoch nach wie vor vom Kemalismus (großtürkische Ideologie nach Atatürk) beeinflußt, manche leugneten sogar die Existenz der Kurden. Des weiteren waren sie an einem gesamtrevolutionären Prozess interessiert, den die kurdischen und türkischen ProletarierInnen gemeinsam führen sollten und blendeten deshalb die spezielle Situation der KurdeInnen aus.
Die Kurden sahen keine Perspektive, die sie und die vorhandenen Bewegungen vereinen konnte und so entwickelte sich eine eigenständige kurdische revolutionäre Bewegung. Die bedeutendste Organisation in diesem Zusammenhang ist wohl die „Kürdistan Devrimcileri (Kurdistan Revolutionäre). Zuerst nur eine Gruppe kurdischer Intellektueller, folgten bald die ersten Aktivitäten. Im November 1978 ging diese Organisation dann in der neugegründeten PKK auf. Im Gegensatz zu vielen anderen marxistisch-leninistischen Gruppen, gelang es der PKK sich eine reelle Basis unter den Bauern und Arbeitern zu sichern und so auch einen stabilen Rückhalt in der Bevölkerung zu erlangen.
Dem sowjetischen Sozialismus-Modell setzt die Programmatik der PKK im Lauf der Zeit ein dynamisches und antizentralistsiches Modell entgegen. Die Einflussnahme des Staates hierbei so gering wie möglich zu halten und stetig zu minimieren ist das Ziel. In der Idee des demokratischen Konföderalismus, die bei den kurdischen RevolutionärInnen großen Anklang findet, findet sich diese Strategie wieder. Man könnte dieses Vorgehen auch mit dem Aufbau einer Gegenmacht ausgehend von den kommunalen Verwaltungsgremien umschreiben. Es geht der PKK darum sich ökonomisch unabhängig zu machen, die politische Bewusstseinsbildung in den Schulen, Unis etc. voran zu treiben und die Befreiung der Frau wird statuarisch nach wie vor als „Revolution in der Revolution erachtet.
Angesichts der massiven staatlichen Repression hat es die PKK im Verlauf des Kampfes darüber hinaus für notwendig erachtet sich zu bewaffnen. Zuerst zur Selbstverteidigung, später dann auch um Angriffe auszuführen und die eigenen Ziele durchzusetzen.
Zu Beginn richteten sich die Aktivitäten der PKK auch gegen kurdische Großgrundbesitzer und und es wurden Landbesetzungen organisiert, später blieb dies leider aus, vielleicht weil viele Großgrundbesitzer begannen die PKK finanziell zu unterstützten.
Am 12 September 1980 putschte das Militär unter General Kenan Evren zum dritten Mal in der Türkei. Der Putsch wurde unterstützt von der NATO und der USA, die mit dem Sturz des Schah von Persien einen Bündnispartner verloren hatte. Die NATO stationierte schnelle Eingreiftruppen im Herzen Kurdistans, in Van und Batman. Evren begründete den Putsch unter anderem damit: „zu den Quellen des Kemalismus zurückkehren“ zu wollen und „die separatistische Umtriebe zu bekämpfen“.??Der Putsch richtete sich eindeutig gegen die erstarkende kurdische Befreiungsbewegung und andere kommunistische Kräfte. Tausende von politischen Gefangenen wurden gefoltert und zum Tode verurteilt. Die PKK zieht sich befristet in den Libanon zurück. Mitglieder türkischer und kurdischer oppositioneller Gruppen gehen ins Exil, die meisten nach Europa. Nach dem Rückzug ging die PKK jedoch bereits 1984 zur Offensive über und die neu gegründete Frontorganisation der PKK (HRK) besetze zeitweise zwei Städte Kurdistans. Es folgen Jahre des Kampfes und der Repression. Nicht einmal vor dem Einsatz von Giftgas schreckt das türkische Militär zurück und so starben allein dadurch 5000 Menschen. Parteienverbote, Folter, „ungeklärte Morde und Verhaftungen waren an der Tagesordnung. Das Militär ließ sich für die moralische Vernichtung des Gegners immer neue Skurilitäten einfallen. So kam es, dass die türkische Armee am 1990 14 Maultiere und Esel tötete. Der Vorwand hierfür war, dass mit diesen Tieren der Proviant für die Guerilla in die Berge gebracht würde. (Quelle: Yüzyil, 23.09.1990 ).
1993 wurde vom PKK-Vorsitzenden Öcalan ein einseitiger Waffenstillstand ausgerufen, noch im selben Jahr kam es von türkischer Seite erneut zu politischen Morden, Angriffen auf Dörfer und massiver Pressezensur. In den darauf folgenden Jahren begeben sich mehr und mehr Gefangene in den Hungerstreik, der zum Todesfasten ausgedehnt wird und sich gegen die grausamen Haftbedingungen richtet. Über zehn Menschen ließen ihr L eben, damit sich die Bedingungen zumindest formal besserten. Ein erneuter Waffenstillstand im Jahr 1999, im selben Jahr also, in dem Öcalan fest genommen wurde, blieb ebenso einseitig wie die vergangenen.
Leben! Einzeln und frei wie ein Baum und dabei brüderlich wie ein Wald
Und wenn in den letzten Jahren auch einige kleine Veränderungen erzielt werden konnten, wie die Legalisierung der kurdischen Sprache, steigt aktuell denoch wieder einmal der Druck auf die Kurden massiv. Wieder gab es Militär Offensiven, wieder brannten Dörfer, wurden Frauen vergewaltigt und wieder wurden tausende von Kindern und Jugendlichen gefangengenommen und sollen jahrzehnte Haft ertragen, weil sie einen Stein geworfen oder ein Victory -Zeichen gezeigt haben. Im Juni diesen Jahres hat die PKK den Waffenstillstand für beendet erklärt und die Menschen in Kurdistan hoffen, dass nun die Entscheidung zu ihren Gunsten ausfällt. Viele sehen es als die letzte Chance an, zumindest den Status der Autonomie für die Region Kurdistans in der Türkei zu gewinnen.
Momentan steht die PKK aufgrund der Annäherung der Türkei an die EU sehr isoliert dar. Da die PKK in der BRD weiterhin verboten ist und deshalb nur eingeschränkt handlungsfähig, ist es das mindeste, was die Linke im Rahmen des proletarischen Internationalismus für die Menschen in Kurdistan tun kann, Aufklärung zu leisten und so die Verbrechen des türkischen Staates nicht von der politischen Tagesordnung verschwinden zu lassen.
Kommt also am 1. September, den weltweiten Antikriegstag, um 15 Uhr an den Aufseßplatz und informiert euch über die aktuelle Situation in Kurdistan, über die spezielle Repression gegen Kinder und Jugendliche, über den Kampf der Frauen und wie die deutsche Rüstungsindustrie ihren Profit durch den Konflikt steigert. Es wird Vorträge, Schautafeln und viele interessante Gespräche geben!