Das Manko von Bewegungen

Am 9. und 10. Juni fanden in Nürnberg Aktionen zum bundesweiten Bildungsstreik statt. In beiden Städten rief das Bildungsstreikbündnis Nürnberg/Erlangen zur Teilnahme an den Streikdemos auf. In Nürnberg beteiligten sich rund 900 Streikende und in Erlangen gingen etwa 700 Menschen auf die Straße.
Den Kernforderungen, wie etwa „eine Schule für alle“, kostenfreies Lernen, Übernahme für alle Azubis und „Bundeswehr und Konzerne raus aus Bildungseinrichtungen“, wie auch der Forderung nach Mitbestimmung, sollte ein weiteres Mal Nachdruck verliehen werden.

In Nürnberg kam es im Verlauf der Demonstration zu Festnahmen.

Drei Aktivisten  zeigten ihre Solidarität mit dem Streik, indem sie vom Dach des AStA (Allgemeiner Studierenden Ausschuss) ein Transparent mit der Aufschrift „Bis die Scheiße aufhört“ herunter ließen (siehe Titelseite). Um der Aktion einen kämpferischen Ausdruck zu verleihen, ließen sie bengalische Feuer abbrennen. Das war für die Polizei, die seit Beginn der Demonstration ein massives Aufgebot präsentierte, Anlass genug, das Gebäude zu stürmen, um die drei Aktivisten fest zu setzen. Doch so einfach wollten es die anderen DemoteilnehmerInnen dem USK nicht machen. Ein Teil der Demonstration folgte ihnen in das Gebäude und forderte lautstark und nachdrücklich die Freilassung der Gefangenen. Wie nicht anders zu erwarten, reagierten die Beamten der hochgekokst wirkenden Prügeleinheit wenig erfreut und wendeten massive Gewalt an, um die Leute aus dem Gebäude zu jagen. Ein 14-jähriger wurde bei diesem Einsatz verprügelt, eine junge Frau geschlagen bis sie zu Boden ging und beim Verlassen des Gebäudes wurde eine Person von einem USKler die Treppe herunter gestoßen. Da kann man nur von Glück reden, dass keines der Opfer schwerere Verletzungen davon trug.

Die Abschlusskundgebung wurde spontan auf den Platz vor der Polizeiwache „Mitte“ gelegt, um dort die Freilassung der Gefangenen zu beschleunigen. Um halb vier war dann auch der letzte draußen. Die drei werden sich wahrscheinlich wegen dem Benutzen der bengalischen Feuer verantworten müssen. Soweit der Redaktion bis zum jetzigen Zeitpunkt bekannt ist, hat die Hochschulleitung auf eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch verzichtet.

Inhaltlich versuchte Nürnberg auch diesmal einen Schritt weiter zu gehen. Nachdem die Ausweitung des Widerstandes auf Eltern, LehrerInnen und ArbeiterInnen in Ländern wie Frankreich bereits zu politischen Erfolgen geführt hat, wollte man diesen Ansatz auch einmal in Nürnberg ausprobieren. Bereits im letzten Jahr wurde die Situation von Auszubildenden in Flyern und Reden thematisiert. Jedoch war der Zeitpunkt der eigentlichen Bildungsstreikdemo für Azubis, Eltern und LehrerInnen meist unmöglich zu besuchen. Die Abenddemo, die am 10. Juni statt fand, sollte jeden die Teilnahme ermöglichen.

Leider erwies sich die Mobilisierung von eben diesen Personengruppen aber als schwierig. So groß der Zuspruch bei den Verteilungen wohl war, leider repräsentierte das die Demo mit lediglich rund 200 TeilnehmerInnen nicht wirklich. Die anwesenden Eltern und LehrerInnen lobten den Ansatz aber und ermunterten das Bündnis, diesen Versuch ruhig weiter zu führen. Eine Mutter meinte bei ihrem Grußwort: „Wenn alle heute hier wären, die sonst immer auf den Elternstammtischen lautstark motzen, was ihnen am Bildungssystem nicht passt, dann wäre das hier eine ganz gigantische Demo.“ Nun ja, vielleicht nächstes Mal. Neues muss sich auch in Nürnberg immer erst einmal etablieren. Immerhin hat der 1. Mai in Nürnberg auch mit 150 Menschen begonnen und heute sind es zwischen 2000 und 4000.

Und natürlich stellt sich die Frage warum bei der TeilnehmerInnenzahl beim Bildungsstreik diesmal ein solch rapider Einbruch stattfand. Immerhin waren es bei den vorangegangenen Demos auch rund 3000 SchülerInnen, Studierende und vereinzelt auch Azubis, die sich am Streik beteiligten. Einzelaspekte finden sich garantiert viele, wie zum Beispiel die ungünstige Lage des bundesweiten Termins, der in Bayern dazu führte, dass der Großteil der Schulverteilungen ferienbedingt in drei Tagen passieren musste. Oder die massive Polizeipräsenz, die die Proteste kriminalisieren und abgrenzen sollte. Aber vielleicht ist auch einfach die Luft momentan raus. Immerhin waren es bundesweit lediglich etwa 70.000, die auf die Straße gegangen sind im Gegensatz zum letzten Jahr, in dem es knapp 300.000 waren. So ist das mit Bewegungen, sie sind so schwer einzuschätzen wie die Flugbahn des neuen WM-Balls und manchmal ebenso unkontrollierbar. Die radikale Linke muss an dieser Stelle einen langen Atem beweisen, um kontinuierlich mit dem zu arbeiten, was von der Bewegung übrig ist. Sie muss reflektieren, was wann wie sinnvoll ist, um zu vermeiden, dass man irgendwann eine tote Bewegung künstlich am Leben hält. Aber der Sprung von Event zu Event kann politisch nicht die Lösung sein. Vielmehr muss der Fokus auf dem Alltäglichen liegen, auf einer konsequenten und kontinuierlichen Basisarbeit. Das schließt Events zwar nicht aus, lebt aber nicht von ihnen, so wie es momentan bei vielen linken Projekten der Fall ist.

Erschienen in barricada – Juli 2010