Bundesweiter Bildungsstreik 2009

…wie eine Schneeflocke. Eine allein ist harmlos, ein paar Dutzend sind schon ein Schneeball. Wenn du dann nicht aufpasst, hast du ratzfatz eine Lawine in der Hütte.

Mit 300 TeilnehmerInnen haben die Organisatoren des Schulstreiks 2008 gerechnet. Dem Aufruf gefolgt waren ca. 10 mal so viele. Die Überraschung war groß und ebenso die Freude darüber, es geschafft zu haben. In der ganzen BRD waren es an die 100 000 und betrachtet man andere Länder in Europa, so ist es durchaus möglich von europaweiten Massenprotesten zu sprechen. Vielleicht nicht ganz so militant wie im Ausland aber dennoch wurden einige Schulen und Unis gestürmt und kurzzeitig besetzt. Es bewegt(e) sich viel. Auch im Jahr 2009 steht ein bundesweiter Streik an. Er heißt nicht mehr Schulstreik sondern Bildungsstreik um so auch die Studis mehr mit einzubeziehen. Der Schulstreik als Methode des politischen Kampfes ist seit längerem wieder mit dem Irakkrieg 2003 aufgekommen. Wie den meisten schon bekannt ist, organisierte auch damals das SchülerInnenbündnis Nürnberg die Streiks und ist auch dieses Jahr der Initiator der Aktionen.
In Zeiten, in denen fast alle sich über das Bildungswesen ärgern, sind die Bedingungen für einen Bildungsstreik sehr günstig. Auch wenn alle, die sich ärgern, die verschiedensten Hintergründe haben. So schimpfen Unternehmerverbände und deren Lobby über die mangelnde Konkurrenzfähigkeit des Systems. Andere Länder würden weit vorraus sein. Viele haben noch PISA als den Weckruf für die notwendige Reformierung des Bildungswesens im Gedächtnis. Das schlechte Bildungssystem schaffe zu wenige gut ausgebildete Arbeitskräfte. Es herrscht Mangel an Fachkräften. Dieser Mangel führt zu höheren Löhnen und logischerweise ist das ein Dorn im Auge der UnternehmerInnen.
Die Reformen, die sich dieser Kritik der UnternehmerInnen anschlossen, richteten sich gegen SchülerInnen und StudentInnen. Das achtjährige Gymnasium, Büchergeld und die Studiengebühren sollten die Ausbildungszeit verkürzen, das Bildungssytem schlanker machen und die Zahl der StudienabbrecherInnen senken. Diese Umgestaltung rief bereits vor ein paar Jahren die StudentInnen und SchülerInnen auf die Straße.
Die KritikerInnen des Schulstreiks weisen darauf hin, dass SchülerInnen und StudentInnen gar nicht wirklich streiken können und sprechen eher von Boykott des Unterrichts oder der Vorlesung. Anders als ArbeiterInnen haben SchülerInnen und StudentInnen bei dieser Methode kein direktes ökonomisches Druckmittel. Sie können durch einen Streik keine direkte Minderung der Profite erreichen und so die Herrschenden nicht zu Zugeständnissen bewegen.
Dennoch kann der Schulstreik ein Druckmitttel sein. Er wirkt über die Mobilisierung einer breiten öffentlichen Empörung mit deren Hilfe auf der Straße dann Druck auf die verantwortlichen Regierungspateien ausgeübt wird. Die Mächtigen dieses Landes wollen die Problematik wie üblich aussitzen. Sie setzen einerseits auf Beobachtung durch Verfassungsschutz und wo es ihnen angebracht erscheint auf Polizeieinsätze, wie bereits während des Schulstreik 2008 und anlässlich der StudentInnendemo 2009. Andererseits versuchen sie mit der Aufstockung des Budgets für Bildung um Wählerstimmen zu ringen, zu beschwichtigen und den Protesten die Spitze zu nehmen.
Die Gewerkschaften haben sich in Bayern zum Schulstreik 2008 entweder gar nicht oder eher zurückhaltend und ängstlich verhalten. Die juristische Prüfung der Legalität des Schulstreiks und die Feststellung der Illegalität war wohl der Grund. Der Aufruf wurde nicht unterstützt. Der unerwartete Erfolg des Streiks hat dann aber so manchen Gewerkschaftsfunktionär in Bayern überrascht und die süddeutschlandweite DGB-Ausbildungsplatzdemonstration in Nürnberg mit 6000 Leuten etwas klein aussehen lassen.
Die Größe der Proteste ist letztlich jedoch nicht der wichtigste Aspekt der Angelegenheit. Am wertvollsten und wichtigsten erscheint uns die Tatsache, dass es dem SchülerInnenbündnis gelungen ist Menschen zu mobilisieren, sich selbst zu organisien und für ihre eigenen Interessen zu kämpfen. Massenhaft setzen sich SchülerInnen und StudentInnen für ihre eigenen Belange ein. Viele erkennen in der „Selektion des Bildungssystems“ in „verwertbar und Rest“ ein Problem. Die Perspektive wird für Jugendliche in diesem System immer düsterer. „Wenn uns das System keine Zukunft gibt, geben wir dem System keine Zukunft“ war das Motto 2008 und das ist nach wie vor aktuell. Die Herausbildung eines Bewusstseins in der Jugend über die Notwendigkeit für die eigenen Belange selbst zu kämpfen weist hier in die richtige Richtung.
Dennoch kann der Hype um den Bildungsstreik schnell verfliegen, wenn klar wird, dass es allein durch die Methode „Schulstreik“ ebenso wie durch frühere „Unistreiks“ weder gelingt Tagesforderungen durchzusetzen noch das gesamte, einzig an Kapitalinteressen ausgerichtete Bildungssystem über den Haufen zu werfen.
Am Streikgeschehen beteiligte revolutionäre Linke sollten deshalb einerseits auf eine Ausweitung der praktischen Kämpfe drängen, um den Druck auf die Herrschenden zu erhöhen und damit die Möglichkeit zu schaffen aktuelle Forderungen wirklich durchzusetzen. Andererseits besteht die Notwendigkeit, die Überwindung der kapitalistischen Verhältnisse in den Mittelpunkt der inhaltlichen Kritik zu rücken und aufzuzeigen, dass ein grundsätzlich anderes Bildungssystem nur jenseits dieser Verhältnisse zu haben ist.
Aber die SchülerInnen und StudentInnen belassen es ja auch jetzt schon nicht bei einem Bildungsstreik. Für Mitte Juni ist auch eine symbolische Bankbesetzung oder Bankraub geplant. Diese offen angekündigte Aktion des zivilen Ungehorsams, die nicht tatsächlich zum Ausrauben einer Bank auffordert, soll den Widerspruch zwischen der Behauptung der Herrschenden, dass kein Geld für Bildung da wäre und andererseits Banken mit Steuergeldern „gerettet“ werden, thematisieren. Klar, aus kapitalistischer Sicht muss das Finanzwesen gerettet werden um das kapitalistische Wirtschaftsweise aufrecht zu erhalten und ist damit wesentlich wichtiger als die Bildung. Diese Aktion ist eine weitere Möglichkeit das ganze System zu kritisieren. Auch wenn es auf einer symbolischen Ebene ist trägt sie vielleicht bei den Kampf zu verschärfen.
Der Kampf um das Bildungssystem ist ein Kampf, der an der Basis geführt, nicht nur die Perspektive systemimmanenter Verbesserungen hat, was alleine schon nicht schlecht ist, sondern auch über die Grenzen kapitalistischer Verwertungslogik hinaus weisen kann. Wie jede andere emanzipatorische Basisbewegung ist die Bildungsstreikbewegung Ausdruck massiver Unzufriedenheit mit den herrschenden Verhältnissen, wenn auch erst mal nur in einem Teilbereich. Wenn aber unterschiedliche Basisbewegungen zusammen kommen, dann stehen auch diese Verhältnisse schnell auf tönernen Füßen.

Aktuelle Infos, Termine und Kontakt findet ihr für Nürnberg auf http://schulstreik.org und bundesweit auf http://bildungsstreik09.de

barricada – Zeitung für autonome Politik und Kultur – Juni 2009