Blockupy – ein Erfahrungsbericht
Für das lange Wochenende vom 16. bis zum 19. Mai, hatte ein breites Bündnis zu Aktionstagen gegen die unsoziale Politik der sogenannten EU-Troika in Frankfurt aufgerufen. Unter dem Titel „Blockupy“ sollte nach dem Willen der VeranstalterInnen von Attac, der interventionistischen Linken, ums Ganze, Erwerbslosenforum, 3A, der Linken, Pax Christi und vielen anderen die Bankenmetropole, zumindest im Zentrum, durch Camps und Blockaden lahmgelegt werden. Bereits im Vorfeld von Blockupy ging es hoch her: Alle Versammlungen wurden von der Stadt Frankfurt verboten. Die unter rechtlich fragwürdigen Begründungen verhängten Verbote wurden sogar vorerst höchstrichterlich bestätigt. Nur die für Samstag geplante Abschlussdemonstration wurde wieder erlaubt. In den Medien wurde ein Bild des Schreckens herbei phantasiert und das Frankfurter Bankenviertel in Trümmer imaginiert um die Verbotsorgie und einen riesigen Polizeiaufmarsch zu rechtfertigen. Auch eine Demonstration am 31.3. in Frankfurt musste als Verbotsgrund herhalten. Die Forderung nach Distanzierung von den im Zusammenhang mit dieser Demonstration passierten Glasbrüchen wurde von Seiten der Medien immer lauter. Doch das NoTroika Bündnis ließ sich nicht spalten. Ein gemeinsamer Aktionskonsens, wie bereits in Dresden formuliert, wurde gefunden und alle Beteiligten konnten damit leben. Im Endeffekt lässt sich der Konsens auf die Formel „von uns geht keine Gewalt aus, wir lassen uns aber auch nichts gefallen“ reduzieren. (Wer den gesamten Aktionskonsens und das Aktionsbild der Demo nachlesen will, kann dies auf www.blockupy.org tun.)
Als Erfolg im Vorhinein kann auch gewertet werden, dass die Medien, nachdem sie sich wieder etwas beruhigt hatten, von einem antikapitalistischen Protest sprachen. Zwar sah die Realität anders aus und einige kamen um gegen die „Zocker“ und den „Casino-Kapitalismus“ zu demonstrieren, aber es kann uns nur Recht sein, dass die ersten Darstellungen mit unserem Anliegen überschrieben waren. Doch dieses Bild änderte sich in den ersten Tagen, weil wohl auch den Medien klar wurde, dass sich da eine ganze Bandbreite von sozialdemokratisch bis linksradikal sammelte. Ab dann war man immerhin noch „Kapitalismuskritiker“.
Der folgende Teil ist ein Aktionsbericht und eine politische Einschätzung eines Aktivisten, geschrieben noch unter den unmittelbaren Eindrücken des Großereignisses.
Der Donnerstag – Asamblea und Kessel
Bereits am Mittwoch gab es die ersten Spiränzchen zwischen der Polizei und den TeilnehmerInnen des verbotenen – erlaubten – verbotenen Rave. Aus Nürnberg fuhren die rund 50 AktivistInnen jedoch erst am Donnerstag ab. Entgegen einiger Befürchtungen war weder in Nürnberg noch an den Gleisen in Frankfurt auch nur ein Bulle zu sehen. Das änderte sich jedoch schlagartig, als wir den Frankfurter Bahnhof verließen. Aufgrund einer Absprache mit dem Aktionsrat begaben wir uns vor den Bahnhof, wo 150 Leute auf uns warteten. Die Bullen drum herum waren schon bereit zum Kesseln und doch ließen sich die vorhandenen AktivistInnen davon nicht beirren und hielten in Ruhe eine Assamblea ab, um zu beratschlagen, was nun zu tun sei. (Asamblea ist übrigens die Plenumsform von Occupysten.) Basisdemokratie ist schon was Tolles – wenn man sie im Vorhinein betreibt. Auf einer Aktion selbst ist sie hinderlich und kostete uns in diesem konkreten Fall einen Durchbruch, der bei unserer Ankunft noch realistisch erschien. Nach einer Stunde Beratschlagen, hatten aber auch die Bullen Zeit sich zu formieren und so standen wir nach der Asamblea in einem Kessel. Ein Durchbruchversuch war zum Scheitern verdammt. Geschlagene drei Stunden vergingen, bis sie uns gehen ließen und jeden von uns einen Platzverweis für halb Frankfurt erteilten. Ein Verfahren, dass sie Donnerstag und Freitag wahrscheinlich bei 1000 Menschen anwandten.
Während wir im Kessel standen, nahmen sich etwa 1000 andere Menschen den Paulsplatz und den Römerplatz. Sie schlugen ihre Zelte auf und laut Berichten war die Stimmung super: man hatte sich an diesem Tag einen kleinen Erfolg verschaffen können, weil man schneller als die Polizei war und die Koordinierung in diesem Punkt gelungen war. Doch auch dieser Versuch wurde Stunden später beendet und der gesamte Platz geräumt. Schon an diesen ersten Tag war klar, dass die Blockadestrategie so nicht aufgehen konnte: zum einen waren es im Verhältnis zum Polizeiaufgebot (etwa 5000) viel zu wenig Leute (etwa 2500), die sich an den Aktionen beteiligten und zum anderen gab es keine gemeinsamen Schlafplätze in der Nähe der Blockadepunkte, so dass eine Koordinierung für den nächsten Morgen unmöglich war. Bereits an diesem Tag kristallisierte sich ein Umgang zwischen Bullen und AktivistInnen heraus, der auch die nächsten Tage anhalten sollte. Das Motto schien zu sein: wer ist schneller mit mehr Leuten an welchem Ort? Keine großen Prügelorgien und kein flächendeckender Pfeffereinsatz von Seiten der Bullen. Aufgrund der massiven Übermacht begnügten sie sich zu meist mit schieben und schlichtem präsent-sein. (An dieser Stelle sollen einzelne Vorfälle, die es durchaus auch gab, nicht relativiert werden, sondern eine Gesamteinschätzung versucht werden.) Auch die AktivistInnen versuchten immer wieder zu strategisch wichtigen Punkten durchzudringen und Camps aufzuschlagen, aber nie mit letzter Konsequenz. Als die Bullen mal wieder eine Blockade auflösten rief ihnen ein junger Mann nur entgegen: „Das können wir jetzt die ganzen Tage so weiter machen!“
Der Freitag – Demo gegen das Verbot der Demo gegen das Demo-verbot!
Am Vorabend wurde beschlossen, wegen der oben genannten Gründe, auf die eigentlich geplante Fingertaktik zur Umgehung von Polizeisperren zu verzichten. Stattdessen sollte ein Versuch unternommen werden, die Kaiserstraße, die direkt zur EZB führt, lahm zu legen. Doch auch an dieser Stelle ging einiges schief: der Termin sollte Freitag früh per Twitter kommuniziert werden und Hunderte blickten gebannt auf den Account. Doch lange war nichts zu sehen. Kurz vor acht rannte ein kleines Grüppchen mit dem Blockupy-Transpi auf die Kaiserstraße und eröffnete somit die Aktivitäten des Freitages. Sie wurden sofort eingekesselt und in Richtung Hauptbahnhof getrieben. Dort trafen nun immer mehr Menschen ein, da der Ort nun auf Twitter stand und es ergab sich eine kraftvolle Spontandemo mit etwa 1000 TeilnehmerInnen. Diese lief auch eine ganze Zeit lang durch die Stadt und es schien als wären die Bullen das zweite Mal in diesen Tagen wirklich überrascht und somit überfordert gewesen. Doch in der Nähe des Messegeländes brachten sie die Situation wieder unter ihre Kontrolle und kesselten etwa 300 Leute ein. Für alle anderen waren die Spiele wieder eröffnet und man versuchte neue Blockaden zu errichten und wenn sie bedroht waren, zog man mit vielen Leuten weiter und verwandelte jede Bewegung in kleine Spontandemos um dem Verboten eine praktische Absage zu erteilen.
Modetheorien in Frankfurt
Am Freitagabend versammelten sich die Sternchen der Modetheorien an der Uni: Im Studienhaus sprachen David Graeber und Michael Hardt. David Graeber ist quasi ideologischer Vordenker von Occupy in Deutschland und hat das Buch „Inside Occupy“ auf den Markt geworfen. Michael Hardt könnte dem ein oder anderen in Verbindung mit Negri ein Begriff sein. Die beiden Postoperaisten kreierten eine neue Ideologie, indem sie allen „alten“ Bewegungen und Richtungen entsagten und eine neue Richtung, die vor allem darin besteht, dass alles bekannte schlecht ist, nieder zuschreiben. Die Veranstaltung selbst ist durch einen Dialog, den ich während der Veranstaltung führte, gut zu charakterisieren: eine junge Frau kommt herein und fragt mich leise, wer der Referent ist und um was es geht. Ich antworte ihr und jemand neben mir ergänzt und gibt ihr den Veranstaltungsflyer. Neue Fragezeichen tun sich bei ihr auf und sie fragt mich, was denn der Postoperaismus, die Multitude und das Empire ist. Wieder versuche ich ihr so einfach wie möglich diese Theorien in ein paar Sätze zu fassen. Sie schaut mich an und fragt: „Was hast du denn studiert?“ ich antworte – in meiner Sicht bestätigt, wie weltfremd und elitär diese Veranstaltung ist. Ich frage sie – die Antwort erahnend – warum sie sicher sei, dass ich studiert habe. Sie lächelt und meint, dass es nun mal Debatten gäbe, derer sich nur ein gewisser Kreis bedient.
Inhaltlich gab die Veranstaltung auch nicht allzu viel her. Denn eines können AkademikerInnen besser als jedeR andere: die einfachsten Dinge in ein Meer an Worten und Geschwurbel verwandeln. Und eine Veranstaltung, bei der die Masse der ansonsten hoch gehaltenen 99% nicht einmal die Einladung verstehen kann, ist jenseits aller ideologischen Kritikpunkte, mehr als aussagekräftig. Es drehte sich dann auch viel um die Situation von Studierenden, um die Wichtigkeit der Subjektivität im Widerstand (Multitude) und so weiter. Klassenwidersprüche oder auch der schlichte Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit spielten natürlich keine Rolle. Alle Bewegungen, die in ihren Kämpfen schon einiges erreicht haben, wurden weggewischt, als wäre die Bedeutung des 8 Stunden-Tages, von Lohnerhöhungen oder Häuserkämpfen nichtig. Das Lernen aus ihren Fehlern und das Profitieren von erfolgreichen Strategien, wäre wahrscheinlich zu praktisch und eignet sich nicht so gut für den Geltungsdrang dieser neuen Polit-Pop Ikonen. Denn nur, wer vermeintlich etwas ganz neues schafft, wird in diesen Kreisen gefeiert wie der Gewinner von DSDS und mit Smart-Phones abgefilmt wie bei der Oskar-Nacht.
Der Demosamstag
So mancherR ZweiflerIn (also auch ich) wurde am Samstag mit Sicherheit positiv überrascht. Über 25.000 Menschen sammelten sich am Baseler Platz gegen die Troika und die Abwälzung der Krisenkosten auf die Lohnabhängigen der Welt. Der antikapitalistische Block umfasste etwa 3000 Menschen, nur die radikale Kapitalismuskritik hätte in diesem sicherlich noch mehr Ausdruck finden können. Begleitet wurde die Demo von einem massiven Polizeiaufgebot, das selbst den Wanderkessel der Münchner Sicherheitskonferenz mickrig aussehen lässt. Jede Bewegung wurde gefilmt und überwacht.
Eine neue Dimension an Solidarität einerseits und sozialer Kontrolle andererseits ließ sich rund um den „schwarzen Block“ beobachten. Zu Beginn liefen schlichtweg mehrere Menschen neben dem Block, was die Bullen fern von der eigentlichen Demo hielt und was durchweg als gutes Zeichen zu sehen ist. Auch das Entgegenwirken von Spaltungsversuchen war beeindruckend und die Bullen hätten zumindest an diesem Tag nicht einfach den Block abtrennen oder ähnliche Spielchen betreiben können. Doch später gab es eine einzelne Menschenkette rund um den Block. Auch das geschah von Einzelnen sicherlich nur aus solidarischen Gründen, aber fragen muss man sich dennoch: muss der schwarze Block geschützt werden? Gerade dieser Ausdruck, der eben signalisiert, dass man sich nicht alles bieten lässt, wird somit ein Stück weit untergraben. Selbst Versuche die Bullen aus der Demo zu drängen und auf Abstand zu halten waren schwierig, eben weil man in Zuge dessen einzelne „SchützerInnen“ noch massiver gegen die Bullen drängte. Jegliche Überlegungen der Militanz hätten diese Umstehenden mit einbeziehen müssen. Fairerweise muss man in diesem Fall hinzufügen, dass die massive Präsenz der Bullen wohl jede Solidarität nötig machte und jede auch nur halbwegs militante Massenaktion durch die massive Übermacht wohl wenige Chancen gehabt hätte.
Zumindest konnten ein paar Reihen die Vermummung von Anfang bis Ende durchziehen. In der deutschen Linken scheint sich mittlerweile die Sichtweise durchgesetzt zu haben, dass Vermummung automatisch mit der Planung einer militanten Aktion verbunden sei, für die man später nicht belangt werden kann. Zumindest aber müsse man irgendetwas tun, um Vermummung zu rechtfertigen, ansonsten sei es nur Lifestyle und Posing. Man kann es aber auch anders betrachten. Zum einen hat man in dieser Demo gezeigt, dass der Black Block nach wie vor ein Element der Proteste ist. Und durch Fahnen, Transparente, Megaphon und Doppelhalter wurde so in ein paar Reihen mehr an inhaltlichen Ausdruck erlangt, als bei vielen anderen. Ich möchte aber noch auf eine andere Sichtweise hinsichtlich der Vermummung eingehen: In Griechenland empörten sich massenweise Menschen, als dieses Mittel verboten wurde. Auch Bürgerliche sahen sich in ihrem Demonstrationsrecht beschränkt, weil sie das Nicht-erkannt-werden genauso als Recht sehen, wie den Besuch der Demo selbst. Egal ob man den Augen des Arbeitgebers entgehen will oder als Flüchtling mit Residenzpflicht kein Risiko eingehen will: Vermummung hat mehr Dimensionen als nur die gegenüber dem Repressionsorgan Bullen.
Allgemeines Fazit
Die rechtliche Bewertung wäre sicherlich noch einen extra Artikel wert. So wurde der die Linie der Verbotspolitik auch durch das Bundesverfassungsgericht getragen, indem es sich in letzter Instanz für unzuständig für das Durchsetzen der Versammlungsfreiheit erklärte. In diesem Sinne handelte auch die Justiz in Frankfurt, indem das Verwaltungsgericht an Christi Himmelfahrt keinen Notdienst bereit stellen wollte, um über die offenkundig rechtswidrigen Innenstadtverbote bereits am Donnerstag zu entscheiden.
Der Gedanke, dass man mit Blockupy einen Impuls setzen kann, auf den links gerichtete Menschen im Land nur gewartet haben, war so wohl nicht zutreffend. Die Mobilisierung lief vielerorts schleppend. Die schlechte Beteiligung an Vorfeldaktionen am 12. Mai – den Jahrestag von occupy – gaben schon in Nürnberg genug Anlass zur Sorge. Und auch verglichen mit anderen Themen, wie Naziaufmärschen oder ähnlichen, blieb die Mobilisierung, vor allem für die geplanten Blockaden schwach. Ob die Euphorie und der Glaube an einen Selbstläufer zu groß war oder das Blockadekonzept von Beginn an realistischer geplant werden hätte müssen, darüber lässt sich nun spekulieren. Dass aber aus Bologna und Venedig mehr Busse zu den Aktionstagen kommen, als aus Berlin, ist ein Fakt, der für sich spricht.
Doch das ewige Stiefkind der radikalen Linken hier ist und bleibt die soziale Frage. Das konnte man sehen und wahrscheinlich ist das auch das Problem schlechthin. Hinzu kam das Motto, das in seiner Anlehnung an Occupy wohl eher mit inhaltsleerem Geplänkel verbunden wird, als mit einem interessanten Bündnispartner.
Und doch waren es die ausdrucksvollsten Krisenproteste, die wir hier in den letzten Jahren erleben durften. Die Teilnahme an der Demo war überwältigend und die internationalen Gäste bereicherten und belebten den Solidaritätsanspruch, den sich NoTroika gegeben hatte. Aus Dänemark, Belgien, Italien, Österreich und vielen anderen Ländern kamen Menschen. In einigen Städten gab es Soliaktionen mit Blockupy. In Italien protestierten etwa 100 AktivistInnen gegen die Demoverbote in Frankfurt vor der deutschen Botschaft. Auch im Nachhinein gab es am 26. Mai einen Aktionstag zu den Verboten. Und so kann man schon eine durchweg positive Bilanz ableiten: ein zartes Band der Vernetzung ist gestärkt worden. Eine Notwendigkeit, die man immer wieder erkennt und benennt, die aber in der Praxis eher untergeht. Natürlich auch, weil man schon vor Ort so viele Interventionspunkte hätte und es meist nicht einmal dort schafft, diese befriedigend abzudecken. Bis ein Umschwung in der allgemeinen Stimmung spürbar wird und endlich mehr Menschen beginnen sich antikapitalistisch zu organisieren, wird dieser Zustand wohl auch so anhalten. Wir können heute nur weiter Benzin ins Feuer kippen und unbequem und radikal in unserer Analyse und Praxis sein.
Erschienen in barricada – Juni 2012