ArbeiterInnenbewegung, Revolution und Tradition – Der 1. Mai 2009
Seit fast 120 Jahren ist der 1. Mai der internationale Kampftag der ArbeiterInnenbewegung. Er wurde auf dem Gründungskongress der Zweiten Internationalen 1889 zum Gedenken an die Opfer des Haymarket Riot in Chicago, wo es um die Durchsetzung des 8-Stunden-Arbeitstages ging, als „Kampftag der Arbeiterbewegung“ ausgerufen. Am 1. Mai 1890 wurde zum ersten Mal dieser „Protest- und Gedenktag“ mit Massenstreiks und Massendemonstrationen in der ganzen Welt begangen. Auch dieses Jahr gingen weltweit wieder Millionen Menschen auf die Straße. Das Spektrum der Demonstrationen reichte von Kundgebungen reformistischer, staatstragender Organisationen über Gewerkschaften bis zu antikapitalistischen, revolutionären Demonstrationen. In Taiwan demonstrierten mehr Menschen als jemals zuvor am 1. Mai gegen die steigende Arbeitslosigkeit und forderten staatliche Maßnahmen. In den USA gab es zahlreiche Versammlungen, die Rechte für migrantische ArbeiterInnen einforderten. Auf allen Kontinenten gab es Demonstrationen zum 1. Mai. In den europäischen Ländern beteiligten sich an den gewerkschaftlichen Kundgebungen insgesamt wieder mehr Menschen als die Jahre zuvor, was wahrscheinlich auf die aktuelle Wirtschaftskrise zurückzuführen ist. So fanden in Frankreich über 300 Kundgebungen gegen die unsoziale Krisen-Politik der Regierung statt.
Türkische ArbeiterInnenbewegung setzt sich durch
Zu einem für die ArbeiterInnenbewegung in der Türkei bedeutsamen Ereignis kam es in Istanbul. Innerhalb von 32 Jahren konnte die türkische Gewerkschaftsbewegung zum zweiten mal eine Kundgebung auf dem Taksim-Platz durchsetzen. Trotz Verbot gelangten etwa 5000 GewerkschaftlerInnen auf den von der Polizei abgeriegelten Platz. Allerdings wurden Zehntausende weitere MaidemonstrantInnen von der Polizei unter massiver Gewaltanwendung daran gehindert, sich der hauptsächlich vom Gewerkschaftsdachverband DISK und dem Dachverband der Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes KESK organisierten Demonstration zum Taksim anzuschließen. 1977 war eine der bisher größten Maikundgebungen in der Türkei auf dem Taksim von Heckenschützen mit Schnellfeuergewehren angegriffen worden. Dabei wurden 36 Menschen getötet und hunderte verletzt. Obwohl es bis heute nicht eindeutig geklärt ist, wer die Angreifer waren, deutet viel auf eine Beteiligung staatlicher Organe hin. Seit dem Massaker 1977 waren linke Demonstrationen auf dem Taksim staatlich verboten und der Platz immer wieder das Ziel großer Mai-Demonstrationen, die von der Polizei zerschlagen wurden. Erst letztes Jahr kam es zu massiven Polizeiübergriffen auf Mai-Demonstrationen, die versuchten den Platz zu erreichen, bei denen über 500 Menschen festgenommen und teilweise verletzt wurden. Für die türkische Gewerkschaftsbewegung ist das jetzt geglückte Vordringen auf den Taksim also ein großer, wenn auch rein symbolischer, Erfolg.
Revolutionäre Mai-Aktivitäten in Deutschland
Die meisten Revolutionäre gingen in der BRD in Berlin auf die Straße. Natürlich gab es in Berlin wieder mehrere links von der DGB-Veranstaltung stehende Mai-Aktivitäten. So versammelten sich um 13:00 Uhr schon einige Hundert AntikapitalistInnen zur Demonstration des „Revolutionären 1. Mai-Bündnisses“, das heuptsächlich von maoistischen Gruppen getragen wird. Eine halbe Stunde später startete der Berliner Euromayday mit etwa 4000 TeilnehmerInnen, die gegen prekäre Arbeits- und Lebensverhältnisse, den Zwang zur Lohnarbeit oder für eine gesundheitliche Grundversorgung für Alle demonstrierten. Als die Parade am Bundesfinanzministerium vorbeizog, kam es zu einer symbolischen militanten Aktion gegen das Gebäude. „Dutzende Farbeier fliegen aus der Maydayparade auf den grauen Bau in der Wilhelmstraße. Darunter tanzen DemonstrantInnen und über ihren Köpfen tanzen Regenschirme. Nach einer Minute ist es vorbei. Fast 100 Farbeier sind an der Fassade des Finanzministeriums zerplatzt. Die Ecke Leipziger Straße-Wilhelmstraße leuchtet weithin sichtbar Äganz schön buntÕ wie ein Polizeisprecher sagt.“ So wird die Aktion in einem Bericht bei Indymedia beschrieben. Während der Farb-Attacke sollen auch Papierschnipsel in die Demonstration geworfen worden sein, auf denen zu lesen war: „Wir sollen für die Krise bezahlen. Das tun wir heute – in unserer Währung. Die ist bunt, 300g schwer, liegt gut in der Hand und hat beste Flug-Eigenschaften. Der Kapitalismus ist in der Krise? Der Kapitalismus IST die Krise. Wer dieses System retten will und die Krise auf ArbeiterInnen, Erwerbslose und prekär Beschäftigte abwälzt, riskiert soziale Unruhe. Bitte schön.“
Die größte Berliner Demonstration formierte sich ab 18 Uhr am Kottbusser Tor. Unter dem Motto „Kapitalismus ist Krieg und Krise -Für die soziale Revolution“ beteiligten sich rund 12000 Menschen an der sogenannten 18-Uhr-Demonstration. Diese wurde immer wieder von der Berliner Polizei angegriffen und nach der Demonstration kam es zu bis in die Nacht andauernden Straßenkämpfen gegen die Polizei, an der sich StadtteilbewohnerInnen, Autonome und mindestens auch ein Polizist aus Frankfurt (der dabei von seinen Kollegen festgenommen wurde) beteiligten.
Ebenfalls gekracht haben soll es auch Abends im Hamburger Schanzenviertel. Zuvor hatten auch etwa 2000 Menschen an der Hamburger Mayday-Parade teilgenommen.
1. Mai – Schlechter Tag für Nazis
Für die Nazi-Szene, die sich am 1. Mai als KämpferInnen gegen „Verarmung und Überfremdung“ präsentieren wollte, war der 1. Mai, bundesweit betrachtet, eher ein Flop. Eine für Hannover geplante Nazidemonstration der sogenannten „Freien Kameradschaften“ wurde verboten, und in Berlin, Ulm und Weiden demonstrierten Tausende AntifaschistInnen gegen die Naziaufmärsche. In Mainz wurde sogar ein Aufmarsch von GegendemonstrantInnen durch Blockaden verhindert. In Ulm kam es während der antifaschistischen Proteste zu massiven Polizeiübergriffen um den Aufmarsch der Nazis zu ermöglichen. In Dortmund ermöglichte die Polizei dagegen etwa 300 Nazi-Schlägern, sich unbehelligt am Bahnhof zu treffen um dann im Anschluss die örtliche DGB-Mai-Demonstration anzugreifen. Das Verhalten der Polizei stieß auf breite Kritik, zumal diese zuerst ausgerechnet Menschen angriff, die sich gegen den Naziangriff zur Wehr setzten.
Auch in Nürnberg spielte der antifaschistische Kampf eine Rolle am 1. Mai, auch wenn es dieses Jahr in Nürnberg keinen von Staat und Stadt geduldeten Nazi-Aufmarsch zu verhindern galt. Denn anders als in den letzten zwei Jahren, haben sich weder Nazis aus der faschistischen NPD, noch Nazis aus dem Spektrum der „Freien Kameradschaften“ nach Nürnberg getraut. Stattdessen mobilisierte ein Teil der fränkischen Naziszene zum Aufmarsch in Ulm, ein anderer Teil ins oberfränkische Weiden. Dass über 3000 Menschen auch in Nürnberg demonstrieren, wenn es keine faschistische Provokation gibt, zeigt, dass es den TeilnehmerInnen um eine revolutionär-antikapitalistische Perspektive geht.
Der revolutionäre 1. Mai in Nürnberg
Dieses Jahr wurde hauptsächlich die Krise des Kapitalismus bei der inhaltlichen Ausrichtung der revolutionären 1. Mai-Demonstration in Nürnberg thematisiert. Rund 3000 Menschen schlossen sich der von der organisierten autonomie (OA) initiierten und einem breiten Bündnis linker Gruppen getragenen Demonstration an, die unter dem Motto „Unsere Revolution statt eurer Krise. Banken und Konzerne enteignen und vergesellschaften. Kapitalismus abschaffen!“ statt fand. Die OrganisatorInnen waren positiv von der hohen TeilnehmerInnenzahl überrascht. Bis zuletzt war unsicher gewesen, wie viele an der Demonstration teilnehmen würden, nachdem die letzten Jahre thematisch der Kampf gegen Naziaufmärsche eine dominante Rolle gespielt hatte. Bereits am Auftaktplatz der Demonstration konnte man feststellen, dass nicht nur sehr viele, sondern auch sehr unterschiedliche Menschen an der Demonstration teilnehmen. Es konnte weit über Szenegrenzen hinaus mobilisiert werden und das Spektrum der TeilnehmerInnen umfasste alle Altersgruppen, was wohl auch an der umfangreichen Mobilisierung gelegen haben dürfte. Neben dem zentralen Aufruf wurden zahlreiche Aufkleber und Plakate zum 1. Mai in Nürnberg geklebt und die DKP stellte etliche ihrer im Rahmen der Europaparlamentswahl aufgestellten Wahlplakatständer für 1. Mai-Plakate zur Verfügung. Wie die letzten Jahre, hat das Jugendbündnis, ein Bündnis junger antikapitalistischer Nürnberger Gruppen, zu einem eigenen Jugendblock aufgerufen und erfolgreich an Schulen dafür geworben. In Gostenhof warben zusätzlich Postwurfsendungen und eine Plakatwand der organisierten autonomie für den revolutionären 1. Mai. Die Antifaschistische Linke Fürth (ALF) veranstaltete am Vorabend des 1. Mai eine „Reclaim the Streets“-Parade durch Fürth die in einer Schaumparty im Brunnen vor dem Fürther Bahnhof gipfelte.
In Nürnberg wurde den so mobilisierten Menschen bereits auf der Auftaktkundgebung in einem Redebeitrag der organisierten autonomie für das revolutionäre 1. Mai-Bündnis klar gemacht, worum es bei der Demonstration geht: „Klassenkampf auf allen Ebenen mit revolutionärer Perspektive“ und Ziel ist „eine Gesellschaft, in der die Befriedigung der Bedürfnisse der Menschen im Vordergrund steht, eine Welt, in der allen alles gehört und die Ziele der Produktion kollektiv bestimmt werden.“ Zur aktuellen Krise des Kapitalismus wurden auch deutliche Worte gefunden: „Wenn also die Herrschenden jetzt behaupten, der Kapitalismus sei in der Krise, dann kann die Antwort nur lauten: Dann weg mit der Scheiße und her mit einem besseren Wirtschaftssystem!“ Die Rede wurde mit begeistertem Applaus aufgenommen. Nach der Auftaktkundgebung, auf der auch die Feministische Gruppe, die Autonome Jugendantifa und Solidarität International sprachen, setzte sich die Demonstration in Bewegung und zog über den Plärrer zum Naziladen „Tönsberg“. Dieser wurde von starken Polizeikräften mit Absperrgittern geschützt. In einem Redebeitrag wurde der Schutz, den Nazis durch die Polizei genießen thematisiert und auch die Stadt Nürnberg, die den Nazis bereits letztes Jahr mit Sonder-U-Bahnen und Versammlungsverboten für Antifaschisten einen Aufmarsch ermögliche, wurde für ihre Untätigkeit angegriffen: „Der Oberbürgermeister Maly von der SPD hat vor etlichen Monaten angekündigt, dass er «ausloten« will, welche Möglichkeiten es für die Stadt gibt, den Laden loszuwerden. Offenbar ist er dabei noch nicht weit gekommen“, so der Redner.
In der Fußgängerzone kam es zu einer kurzen Auseinandersetzung mit der Polizei. Einsatzkräfte hatten versucht, sich in aggressiver Weise in einer Engstelle an DemonstrantInnen vorbeizurempeln, was sich DemonstrationsteilnehmerInnen nicht gefallen lassen wollten. Dies führte kurzzeitig zu Verwirrungen bei dem Leiter des Polizeizuges, der glaubte einen oder mehrere Beamte ÄverlorenÕ zu haben. Um weitere peinliche Vorfälle dieser Art zu vermeiden und wohl auch wegen der zahlenmäßigen Unterlegenheit der „OrdnungshüterInnen“, beschloss die Einsatzleitung von nun an lieber etwas Abstand zur Demonstration zu halten, anstatt wie sonst so oft die eigenen Provokationen als Vorwand für Prügelorgien und Festnahmen zu benutzen.
Aus der Innenstadt hinaus ging die Demonstration weiter bis zur Arbeitsagentur und zurück Richtung Plärrer. Auf einer weiteren Zwischenkundgebung auf der Fürther Straße zwischen der städtischen VAG und der N-Ergie wurden deren unsozialen Preiserhöhungen kritisiert: „Mobilität und Energieversorgung sind Grundbedürfnisse aller Menschen. Doch immer mehr Menschen in dieser Stadt, können sich selbst diese eigentlich selbstverständlichen Dinge kaum mehr leisten. Deshalb fordern wir den Nulltarif für alle Dinge des täglichen Lebens. Bei der Stadt Nürnberg kümmert man sich allerdings lieber um Prestigeprojekte, wie automatische U-Bahnen und Delfin-Lagunen, anstatt grundlegende städtische Dienstleistungen für Alle zu gewährleisten. Wir müssen uns die Grundlagen eines menschenwürdigen Lebens wieder ganz zurück erobern. Der Kampf um ein Sozialticket oder gegen Stromsperrungen kann ein erster Schritt in die richtige Richtung sein.“ Hier kam es zu einer kurzen Konfrontation zwischen Polizeieinheiten und DemonstrantInnen, die sich das N-Ergie-Gebäude etwas näher anschauen wollten.
Beendet wurde die lautstarke und kämpferische, revolutionäre 1.Mai-Demonstration auf dem „Internationalistischen Straßenfest der autonomen Gruppen“ in der Müllnerstraße in Gostenhof. Dort feierten Tausende auf einem prall gefüllten Festplatz, gut versorgt durch Essens- und Getränkestände. Zahlreiche Gruppen waren mit Infoständen präsent und im Festzelt spielten Bands unterschiedlicher Musikrichtungen.
Beeindruckende Entwicklung in Nürnberg
Hatten sich 1992 an der ersten eigenständigen revolutionären Mai-Demo in Nürnberg noch 200 Menschen beteiligt, ist die TeilnehmerInnenzahl innerhalb von 18 Jahren um das 15-fache gestiegen. In dieser Hinsicht hat die Nürnberger revolutionäre Linke beeindruckende Aufbauarbeit geleistet. Zum ersten Mal musste dieses Jahr auch die Polizei zugeben, dass sich mehr Menschen an der revolutionären Demonstration als am DGB-Umzug beteiligt hatten. Auch die „Nürnberger Nachrichten“ sieht sich seit letztem Jahr genötigt nach vielen Jahren des Ignorierens etwas über die Inhalte der Demonstration zu schreiben. Die Demonstration erfüllt also ihren Zweck: Sie schafft Öffentlichkeit für revolutionär-antikapitalistische Inhalte. Zusammen mit dem Straßenfest bietet sie jedes Jahr die Möglichkeit, dass Menschen, die sich etwas besseres als den Kapitalismus vorstellen können, zusammen kommen. Sie ist Bezugspunkt für fast alle linksradikalen Gruppen in der Region. Allerdings ersetzt die Demonstration keine revolutionäre Organisierung, keine kontinuierliche Alltagspraxis. Die positive, beeindruckende Entwicklung die die revolutionäre 1. Mai Demo gemacht hat und hoffentlich noch weiter machen wird, sollte Anreiz sein, auch in allen anderen Bereichen revolutionärer Praxis eine ähnliche Entwicklung zu beginnen. Die hohe Anziehungskraft, die der 1. Mai auf viele Menschen hat, lässt vermuten, dass auch soziale Kämpfe diese Kraft entwickeln können, wenn sie richtig vermittelt werden. Zentrale Aufgabe der Nürnberger revolutionären Linken muss es daher sein, nicht nur viele Menschen zu Demos zu mobilisieren, sondern auch zum tatsächlichen Kampf gegen die herrschenden Verhältnisse im Alltag. Sonst besteht die Gefahr, dass der 1. Mai zum bloßen Ritual wird.
barricada – Zeitung für autonome Politik und Kultur – Juni 2009