Alexis Grigoropoulos- Das war Mord!

Wie alle Geschichten über Polizeigewalt hat auch diese zwei Versionen: die offizielle Version -also die der Polizei- und die inoffizielle Version -die der Augenzeugen.
Auch wenn es sich so fühlt, als würde man die Geschichte Rotkäppchens vom bösen Wolf hören, fangen wir mit der Version der Polizei an: Wild gewordene Anarchisten werfen Steine auf einen Streifenwagen. Als die Polizisten ausstiegen, um den Jugendlichen zu erklären, dass das nicht so nett von ihnen war, werden auch die Polizeibeamten mit Steinen beworfen. Als einer von ihnen keinen anderen Ausweg sieht als drei Warnschüsse abzufeuern, geschieht ein unglücklicher Unfall und einer der Jugendlichen wird in der Brust tödlich getroffen.
Die andere Version, die der Augenzeugen, schaut ganz anders aus: Während eine Polizeistreife in Exarchia, einem linksradikalen Viertel Athens, dessen Bevölkerung seit einigen Wochen von der Polizei terrorisiert wird, ihre Einschüchterungsrunden macht, wird sie mit einer leeren Plastikflasche beworfen. Danach kommt es zu einer verbalen Auseinandersetzung zwischen den Polizisten und drei Jugendlichen. Nachdem ein Polizist eine Schockhandgranate geworfen hat, zieht ein weiterer seine Dienstwaffe und schießt drei mal auf Alexis Grigoropoulos und trifft ihn in die Brust, was zu seinem Tod führt.
Kenner der Polizeigewalt, egal ob als Betroffene, Augenzeugen oder selber Täter(Polizist), wissen natürlich, welche der zwei Versionen der Geschichte der Wahrheit entspricht. Der Staat versucht nach solchen Szenen, sein Image und das Vertrauen seiner Bürger zu schützen bzw. wieder herzustellen. Aus diesem Grund nimmt er entscheidende Momente aus der Geschichte raus und ergänzt diese verkürzte, angenehmere Erzählung durch frei erfundene Ereignisse, die seinem demokratischen Image besser passen. Am Ende soll die Polizei, der Repressionsapparat der herrschenden Klasse, als Ordnungshüter erscheinen, ganz zu schweigen davon, um was für eine Ordnung es sich dabei handelt, und nicht als wild um sich schlagende Bande. Doch das letztere ist die Polizei, wie wir sie kennen. Eben nicht aus den Medien, aber aus eigenen Erfahrungen oder unmittelbaren Beobachtungen.

„Nieder mit der Regierung der Mörder“!

Die Nachricht des Mordes an Alexis breitete sich ganz schnell aus, schon in einer halben Stunde waren die Menschen in Exarchia auf der Straße und es dauerte nur einige Stunden, bis Zehntausende im ganzen Land der Polizei und dem gesamten Staatsapparat den Krieg erklärten.
Seit Tagen brennen in allen Städten Griechenlands Banken, Luxusautos, Streifenwägen und Polizeistationen. Universitäten und Schulen wurden/werden bestreikt und besetzt. Am Mittwoch (10.12.) fand ein Generalstreik statt. Antikapitalistische Parolen und „Mörder“-Rufe hallen in allen Straßen. Die Polizei spricht von der „größten jemals in Griechenland gesehenen Anti-Polizei-Welle“. Als dieser Artikel geschrieben wurde, hielten die Aufständischen noch die Athener Innenstadt. Während die Angriffe der griechischen Polizei mehrmals zurückgeschlagen wurden und in mehreren Fällen erneut „Warnschüsse“ abgefeuert werden mussten, wankt die konservative „Nea Demokratia“- Regierung des Premiers Konstantinos Karamanlis, der den Rücktritt des Innenministers Prokopis Pavlopoulos ablehnte. Eines der Ziele des Aufstands ist es auch, die Regierung zum Fall zu bringen.
Neben der KKE („Kommunistische Partei Griechenlands“), welche sich üblicherweise von den „Randalierern“ distanzierte, und dem SYRIZA („Bündnis radikaler Linker“) rief auch die sozialdemokratische PASOK zu Protesten auf, was als ein Versuch zu sehen ist, den Aufstand für die eigenen Machtambitionen zu missbrauchen und in den parlamentarisch-demokratischen Rahmen zurück zu holen. Gleichzeitig finden zwischen der PASOK und Nea Demokratia Gespräche statt, um den Aufstand gemeinsam zu unterbinden.

Der Hintergründe des Aufstands
Der Mord an dem 15-jährigen Alexis Grigoropoulos war der letzte Tropfen, der das Fass zum †berlaufen brachte. Die griechische Polizei ist für ihre faschistische Gesinnung bekannt und wurde ursprünglich aus den Reihen der faschistischen NS-Kolloborateure organisiert. Sowohl die faschistische Gesinnung der Polizei als auch ihre Morde an radikalen Linken zeigen eine ununterbrochene Kontinuität seit dem Zweiten Weltkrieg.
Alexis ist einer von vielen, die in den letzten Jahren von der griechischen Polizei gefoltert oder ermordet wurden. Der Polizeimord am jungen serbischen Studenten Bulatovic im Jahre 1998 in Thessaloniki, der Mord am jungen Leontidis durch einen Polizisten in der Cassandrou Straße 2003, der Tod des 24jährigen Onohua, nachdem er im Sommer 2007 von einer Zivilstreife in Kalamaria gejagt worden war, der Mord an der 45jährigen Maria in Lefkimi im Zusammenhang mit einem Angriff der Polizei auf Menschen, die sich gegen eine Mülldeponie wehrten, der Mord am pakistanistischen Migranten in der Straße Petrou Ralli in Athen im letzten Monat, die alltägliche Erniedrigung und Gewalt gegen jeden kleinen Missetäter bei Polizeiaktionen überall in Griechenland, die Schüsse gegen die TeilnehmerInnen von Studierendendemonstrationen im letzten Jahr, die gewaltsame Unterdrückung von Demonstrationen, der Tränengas-Krieg der Polizei, die Gewalt gegen jeden, der protestiert. Und natürlich der tagtägliche Mord an wirtschaftlichen und politischen Flüchtlingen durch die Grenzpolizei. Auch in vielen dieser Fälle wurde die Schuld an ihrem eigenen Tod den Opfern der Polizeigewalt in die Schuhe geschoben.
Auch wenn die oben aufgezeigte Kontinuität der Polizeimorde einer der wichtigsten Gründe des Aufstands ist, ist sie nicht der einzige. In Griechenland herrschen zur Zeit Armut und Arbeitslosigkeit und das kapitalistische System bietet vor allem der Jugend überhaupt keine Perspektive.
Tausende von Gefangenen hatten bis vor zwei Wochen gegen das Elend in griechischen Gefängnissen mit einem Hungerstreik protestiert. Im Oktober hatte ein Generalstreik stattgefunden. Große Demonstrationen und Streiks wurden in der letzten Zeit zur griechischen Normalität. In diesem Sinne können wir vom ersten Aufstand gegen die Wirtschaftskrise in Europa sprechen.
Mittlerweile sprechen sowohl der griechische Staat als auch die bürgerliche Presse vom Mord. Die Aufständischen haben die Wahrheit schon erkämpft, aber das ist nur der Anfang.

Solidarität mit den Aufständischen in Griechenland!

barricada – Dezember 2008