30 % Fahrpreiserhöhung? Schweinerei!
Für die nächsten drei Jahre hat sich die Stadt Nürnberg etwas ganz besonderes vorgenommen: Die Fahrpreise im öffentlichen Nahverkehr sollen um bis zu 30% steigen. Laut der SPD und CSU Stadtratsmehrheit ist diese Preiserhöhung natürlich völlig alternativlos und unumgänglich. Ja schlimmer sogar: Die Alternative wäre die Einstellung von Bus- und Straßenbahnlinien. So wurde denn auch am 8. Juni im Stadtrat mit den Stimmen von CSU und SPD beschlossen, bis 2015 einen Stadttarif einzuführen, durch den sich die Einzelfahrt von 2,10 Euro auf 2,70 Euro verteuern wird. Bei anderen Tickets sollen zusätzlich zur Verteuerung noch Extras wie z.B. verlängerte Geltungsdauer am Wochenende wegfallen. Da für die meisten Menschen, die auf öffentlichen Nahverkehr angewiesen sind, in den nächsten drei Jahren das Einkommen nicht um 30% steigen wird, gibt es natürlich Kritik an der Erhöhung und auch erste Proteste. Bereits vor der Stadtratssitzung waren die Pläne für die Fahrpreiserhöhung scharf kritisiert worden. In der Sitzung selbst geißelten die Linke Liste und der Offene Linke Stadtrat Hans Patzelt den unsozialen Charakter der Erhöhung. Patzelt forderte die Stadt sogar auf, analog zu Plänen, die in der VAG schon einmal diskutiert wurden, die Tarife um einen Euro zu senken. Dadurch, so die Logik, würden mehr Menschen den ÖPNV nutzen und die Stadt hätte weniger Ausgaben für andere (Verkehrs-)Infrastruktur. Es würde also ein volkswirtschaftlicher Zusatznutzen entstehen. Auch der ÖDP-Stadtrat und der Gute-Stadtrat positionierten sich gegen den Stadttarif. Die Grünen waren auch dagegen, allerdings wirkten sie vor allem deshalb beleidigt, weil die SPD sie nicht vorher mit ins Boot geholt hatte. So beschwerten sich die Grünen vor allem über das hektische Procedere, mit der die unglaubliche Erhöhung durchgezogen wurde. Dass das Vorhaben jetzt so plötzlich auf die Tagesordnung kam und so schnell durchgestimmt wurde, ist aber weniger erstaunlich, als dass es nach ersten Überlegungen im Sommer 2009 bis zum Mai 2011 wieder in der Versenkung verschwunden war. Es ist anzunehmen, dass es der Plan der Stadt und VAG war, das Ganze schon 2009 auf den Weg zu bringen. Doch dann kam die Diskussion um das Sozialticket dazwischen, die im Herbst 2009 richtig in Fahrt kam, als den Oberbürgermeistern von Nürnberg, Fürth und Erlangen insgesamt 12.000 Unterschriften für ein Sozialticket und mittelfristig den Nulltarif in Bus und Bahn übergeben wurden. In dieser Zeit sah man in der Stadt wohl nicht den idealen Startpunkt für die Preiserhöhung. Dass die Sozialticketdiskussion Relevanz hat, wurde auch daran deutlich, dass im Stadtrat immer wieder die Forderung nach dem bezahlbaren Ticket für alle auftauchte, zuletzt eben auch in der Diskussion um die Preiserhöhung. Während die Linken es weiterhin fordern, deklarieren SPD und CSU einfach das immer noch für viele zu teure Nürnberg-Pass-Ticket zum “Sozialticket???.
Protest gegen die Erhöhung
Der Protest gegen die Erhöhung kam allerdings erst richtig nach der Entscheidung im Stadtrat in Schwung. Auch wenn vor allem mit Mausklicks schon Tausende im Internet gegen die Fahrpreiserhöhung protestiert hatten, blieben die Proteste der Facebook-Gruppe mit dem vielsagenden Namen “Gegen drastische Preiserhöhungen bei der VAG??? im Real Life bisher doch eher bescheiden. Wesentlich sichtbarer waren andere Aktionen. Z.B. die satirische Aktion der linksjugend [‘solid]: Die AktivistInnen feierten in schicker Garderobe und mit Sekt und Häppchen die “unterschichtenfreie U-Bahn dank 30% Fahrpreiserhöhung???. Eine andere Aktion Jugendlicher rief zum kollektiven öffentlichen Schwarzfahren auf. Über eine Facebook-Gruppe wurde zu der Aktion eingeladen. Dies war wohl der Grund dafür, dass am Treffpunkt, der Lorenzkirche in Nürnberg, mehrere Polizisten u.a. auch Sondereinsatzkräfte des bayerischen Unterstützungskommandos (USK) warteten. Die Polizei schikanierte willkürlich alle dort anwesenden Jugendlichen, von denen manche nicht einmal etwas von der Aktion wussten, mit Personenkontrollen und Platzverweisen.
Nachdem so der Start der Aktion an der Lorenzkirche verhindert worden war, zogen die AktivistInnen einfach zu einer anderen Station weiter und stiegen dort in die U-Bahn.
Die anderen Fahrgäste wurden durch Megafon-Durchsagen und mit Infoflyern auf die Aktion aufmerksam gemacht. Manche AktivistInnen trugen Schilder mit der Aufschrift “Ich fahre schwarz weil:??? und dann einer persönlichen Begründung, ein Aktivist war als “roter Punkt??? verkleidet. Der “rote Punkt??? ist eine Kampagne, die von der Revolutionär organisierten Jugendaktion (ROJA) und der organisierten autonomie (OA) ins Gespräch gebracht und gestartet wurde und nun von vielen politischen Akteuren, wie dem Bündnis Sozialticket und der Linken Liste aufgegriffen wird. Der rote Punkt kann als Button angesteckt werden und soll anderen Menschen signalisieren, dass man eine gültige Fahrkarte besitzt, auf der noch andere Personen mitfahren können.
Die Resonanz der Fahrgäste auf die Schwarzfahraktion war durchweg positiv und es gab Applaus auch für die Forderung nach einem Sozialticket. Behindert wurde die Aktion, im Gegensatz zum Beginn, nicht weiter.
Bündnisdemonstration geplant
Um den Protest auch massenhaft auf die Straße zu tragen, hat die Linke Liste vor zwei Wochen die Vorbereitung einer Demonstration gegen die Fahrpreiserhöhung vorgeschlagen. Mittlerweile existiert ein Bündnis, das diese Demonstration für Freitag, den 22. Juli vorbereitet. Treffpunkt ist 17:00 Uhr am Rathaus. Doch obwohl die Fahrpreiserhöhung breite Teile der Nürnberger Bevölkerung betrifft, unterstützen bisher nahezu ausschließlich linke und linksradikale Gruppen und Organisationen (darunter auch OA und ROJA) die Demonstration. Das ist an sich nichts Schlechtes, lässt aber befürchten, dass die Massen sich auch diesmal nicht in Bewegung setzen werden, um die drastische Fahrpreiserhöhung noch zu verhindern. Dabei wäre in diesem Fall die Rechnung ganz einfach: Auf die Straße gehen und protestieren ist im Erfolgsfall für VAG-NutzerInnen bares Geld wert. Es wird sehr spannend, wie viele Menschen das Bündnis in den nächsten Tagen mobilisieren kann. Für alle, die gegen die Fahrpreiserhöhung sind, ist es natürlich ein absolutes Muss an dieser Demo teilzunehmen.
Kampf um Mobilität in der Krise?
Trotz der Kritik des unsozialen Charakters der ständigen “regulären??? Preiserhöhungen scheint man in der Stadt wenig Skrupel zu haben, dem Ganzen mit dem Stadttarif die Krone aufzusetzen. Während seit 2008 die Stadt massiv in der Kritik steht, über die Preispolitik immer mehr Menschen von der Mobilität auszuschließen, kommt nun so ein Hammer. Ein schwerer Schlag für die Sozialticket-Befürworterinnen? Ja und nein. Natürlich ist die Vision von “Mobilität für Alle??? nun ein Stückchen in die Ferne gerückt. Allerdings kann die Erhöhung, die nun alle NutzerInnen der VAG stark betrifft auch die Chance eröffnen, den Kampf um Mobilität als soziales Grundrecht zu verbreitern. Dazu ist aber viel Arbeit der AktivistInnen nötig und es muss vor allem kurzfristig dafür gesorgt werden, dass der Ärger der VAG-NutzerInnen zur Solidarisierung untereinander führt und nicht zur Spaltung. Die Aussagen von Stadt und VAG, dass die Fahrgäste eine saubere U-Bahn lieber hätten als einen niedrigeren Fahrpreis, lässt vermuten, dass im Falle eines breiten Protestes gezielt Sauberkeits- und Sicherheitsbedürfnisse gegen soziale Aspekte in Stellung gebracht werden könnten. Auch kann es sein, dass nächstes Jahr ein Sozialticket eingeführt wird, das einen Teil der Forderungen erfüllt. Wenn das der Fall wäre, sollten sich die Sozialticket-AktivistInnen der ersten Stunde diesen Erfolg nicht nehmen lassen. Auf all diese Eventualitäten muss eine linke Bewegung reagieren können und dabei konsequent das eigentliche Ziel, eine solidarische Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung, weiter verfolgen.
Erschienen in barricada – Sommer [I] 2011