Wie kann man verschiedene Kämpfe und soziale Probleme erfolgreich miteinander verbinden? Ein Interview mit Daniel Meier von der „Organisierten Autonomie“ Nürnberg.
Erstveröffentlicht auf perspektive-online.net.
Für den 14. Juli plant ihr eine Demonstration unter der Motto: „Auf die Straße gegen Sozialraub und Mietenwahnsinn! Mieten runter! Einkommen rauf! Kapitalismus abschaffen!“ Was ist der Anlass für die Demonstration?
Seit einigen Jahren sind wir im Bereich Wohnen und Einkommen an verschiedenen Basisaktivitäten und Aufbauprozessen beteiligt. Speziell im Nürnberger Stadtteil Gostenhof gibt es eine aktive Stadtteilpolitik mit der Initiative „Mietenwahnsinn stoppen“, im Bereich der Kämpfe um Einkommen arbeiten wir mit in der „Initiative Solidarische ArbeiterInnen“ (ISA). Natürlich beteiligen wir uns auch an den Kämpfen der Geflüchteten und MigrantInnen um soziale und politische Rechte.
Etwa seit 2015 sind soziale Kämpfe etwas aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden. Statt den Forderungen und den Bedürfnissen der Menschen prägt ein rassistischer Diskurs um angebliche „Flüchtlingswellen“ die Öffentlichkeit. Dieser Diskurs lastet den Geflüchteten die „Schuld“ an der verschärften Konkurrenz um Arbeitsstellen und Wohnraum an und blendet die Profitinteressen der von der Konkurrenz Profitierenden aus. Daher finden wir, dass es höchste Zeit ist, in Nürnberg an die aus unserer Sicht erfolgreiche Demonstrationspraxis von ca. 2004 bis 2012 anzuknüpfen. Schon zur Einführung des ALG II im Rahmen der sogenannten Hartz IV-Reformen 2005 hatten wir verschiedene Demonstrationsinitiativen angestoßen und bis etwa 2012 gab es in Nürnberg verschiedene größere Demonstrationen mit 500–10.000 TeilnehmerInnen, die verschiedene Bereiche sozialer Kämpfe zusammenführten.
Nach 2012 hatten wir uns auf den Aufbau einer sozial kämpferischen Basisarbeit konzentriert und eher kleinere Aktionen und Kundgebungen zu den jeweiligen konkreten Kämpfen oder Themen veranstaltet. Nun wollen wir ausprobieren, ob es gelingt die vielen AkteurInnen, die es in diesem Bereich – teilweise fernab von institutioneller Stellvertreterpolitik – gibt, zusammenzuführen und auf die Straße zu bringen. Unserer Einschätzung nach ist für diesen Versuch jetzt die Zeit, da der Klassenkampf von Oben sich stetig verschärft und dem dringend Widerstand von Unten entgegengesetzt werden muss. Mit der Demonstration wollen wir die Aktiven zusammenbringen, die Kämpfe sichtbar machen und stärken, und diejenigen, die noch eher passiv sind, bzw. individuell kämpfen, ermutigen, sich zusammenzuschließen.
Mit dem Motto bringt ihr viele verschiedene Themen zusammen, die sonst oft nebeneinander stehen. Wie wollt ihr diese miteinander verbinden?
Die beiden Kernthemen sind Einkommen und Wohnen. Bei stagnierenden Einkommen und gleichzeitig steigenden Mieten ergeben sich für immer mehr Menschen existenzielle Fragen. Für uns geht es bei beiden Themen um menschliche Grundbedürfnisse. Die Voraussetzungen, in denen um diese Grundbedürfnisse gekämpft wird, sind für viele Menschen sehr unterschiedlich. So spielen Geschlecht, Alter, Familiengröße, Herkunft und Aufenthaltsstatus z.B. bei der Wohnungssuche eine Rolle.
Die Schwierigkeit, eine bezahlbare gute Wohnung zu finden oder einen guten Job, haben jedoch erst mal alle Lohnabhängigen. Wir hoffen, dass die meisten davon sich von unserer Hauptforderung „Einkommen rauf – Mieten runter“ angesprochen fühlen. Um solche Forderungen jedoch durchzusetzen, müssen verschiedene Spaltungslinien durchbrochen und eine Gegenmacht aufgebaut werden. Unserer Ansicht nach ist es dazu notwendig, dass wieder eine themenübergreifende antikapitalistische Bewegung entsteht.
Um die Spaltungen zu überwinden sehen wir es als notwendig an, dass diese Bewegung sich als klassenkämpferisch versteht, da sich dadurch Menschen unabhängig von Herkunft und Geschlecht als kämpfende Einheit konstituieren können. Auch die sozialen Kämpfe der Flüchtlinge und MigrantInnen, der Frauen, der Lohnarbeitenden, der Angestellten und der Erwerbslosen und anderer gesellschaftlicher Gruppen, sind Klassenkämpfe.
Auch wenn sie oft isoliert und manchmal spalterisch geführt werden, sehen wir ein Potential, diese Kämpfe als Klassenkampf zusammenzuführen. Es sagt viel über die aktuelle Situation aus, dass die offensichtlichen Zusammenhänge zwischen diesen Kämpfen kaum hergestellt werden. Das muss sich ändern. Wir hoffen, die Demonstration trägt dazu bei. Immerhin sehen bereits über 20 unterstützende Initiativen und Gruppen diese Zusammenhänge. Das mach schon mal Mut.
Ihr wollt weiter den „Klassenkampf von Oben mit einem starken und selbstbewussten Klassenkampf von Unten beantworten“. Wie sollen wir uns das vorstellen?
Wir würden uns das so vorstellen, dass ein Aspekt sein könnte, dass all die wunderbaren und gute Arbeit leistenden Basisinitiativen endlich anfangen, sich zu vernetzen und aufeinander zu beziehen, wo das nicht schon passiert. Bisher konnten noch alle Kämpfe im sozialen Bereich befriedet werden, weil das nicht geklappt hat. Es fehlte oft die einigende Klammer und damit die Bereitschaft zur Solidarität. Wir sehen die Zugehörigkeit zur lohnabhängigen Klasse als die geeignetste einigende Klammer. Es ist an der Zeit, dem täglich stattfindenden Klassenkampf von Oben einen organisierten Klassenkampf von Unten entgegenzustellen. Aufbauend auf dem eigenen sozialen Umfeld, über lokale Ansätze bis zu überregionaler Vernetzung kann eine Gegenmacht aufgebaut werden. Dabei müssen aber viele mitmachen, die Diversität der lohnabhängigen Klasse anerkennen und alte, anachronistische Vorstellungen vom Klassenkampf des männlich-weißen Arbeiters über Bord werfen, sonst wird sich an den Verhältnissen zwar etwas ändern, aber in die falsche Richtung.
Wie beantwortet ihr die Frage, wie die Linke wieder zu einem gesellschaftlichen Faktor werden kann?
Das ist natürlich eine schwierige Frage, die zu beantworten ein eigenes Interview füllen würde, hätten wir eine umfassende und zufriedenstellende Antwort. Wir denken, dass die Linke ein gesellschaftlicher Faktor ist, wenn auch leider kein sehr großer. In Nürnberg hat die revolutionäre Linke es immer wieder geschafft, ein gewisser gesellschaftlicher Faktor zu sein, was nicht zuletzt an den Aktivitäten der revolutionären Linken lag. Die Verantwortlichen mussten, wie z.B. in einer Kampagne für ein Sozialticket oder im Kampf um die Deutungshoheit beim Verdrängungsprozess im Nürnberger Stadtteil Gostenhof reagieren. In diesen Fällen waren wir relativ erfolgreich, Themen auf die gesellschaftliche Agenda zu setzen.
Generell scheitern leider viele Kämpfe an Faktoren wie mangelnde Ausdauer, fehlendes Aufeinander-beziehen und daran, dass es nicht gelungen ist, sie geographisch auszuweiten. Es gibt aber auch einige beeindruckende Basisaktivitäten in diversen Städten, die es schaffen, vernetzt und kontinuierlich zu arbeiten. In der weiteren Vernetzung und Zusammenführung der verschiedenen Ansätze sehen wir die Zukunft der Linken. Dabei gilt es, einerseits Spaltungen zu überwinden, aber andererseits auch zu einer verbindlichen, solidarischen und vertrauensvollen Arbeit zu kommen, die verschiedene Ansätze anerkennt, aber auch von solidarischer Kritik geprägt ist. Grundsätzlich mangelt es weiten Teilen der Linken an der Vermittlung einer Perspektive. Zu oft wird sich an notwendigen Abwehrkämpfen abgearbeitet – allerdings ohne die eigene revolutionäre Perspektive als Antwort anzubieten. Es sind jedoch die konsequenten Antworten auf immer drängendere soziale Fragen, die uns letzten Endes weiter bringen können.