Linke Räume erkämpfen und verteidigen!

Sa, 20.10.07, 14 Uhr

Plakat - Linke Räume erkämpfenAm Wochenende des 19. und 20. Oktober 2007 organisiert die A.L.I. eine Demonstration, ein Veranstaltung und ein zweitägiges Festival für den Erhalt linker Räume und Strukturen in Göttingen.

Demo | 20.10.2007 | 14:00 Uhr | Markt/Gänseliesel | Göttingen

Räume sind in der Bundesrepublik und ganz Europa ein heftig umkämpftes Terrain zwischen linken AktivistInnen und der staatlichen Repressionsmaschinerie. Einige Beispiele aktueller Kämpfe:- In den ersten Märztagen 2007 wurde das Ungdomshuset, ein linkes Wohn- und Kulturprojekt, in Kopenhagen geräumt. Daraufhin lieferten sich mehrere Tausend Menschen Auseinandersetzungen mit der Polizei, um ihr Haus zu verteidigen.
– Jugendliche in Hennigsdorf bei Berlin erkämpften sich im Juli diesen Jahres ein eigenes Kulturzentrum.
– Im gleichen Monat wurden zwei besetzte Häuser in Genf gewaltsam von der Polizei geräumt, worauf UnterstützerInnen mit militanten Auseinandersetzungen antworteten.
– Ganz aktuell wird die Köpi in Berlin, ein von Räumung bedrohtes autonomes Wohn- und Kulturprojekt, mit einer regional übergreifenden Kampagne von vielen linken Gruppen unterstützt.
Reclaim our city!

Diese Ereignisse demonstrieren in einer Situation von massiven Verschärfungen der sozialen und politischen Situation offensiven Widerstand, der gesellschaftliche Widersprüche sicht- und angreifbar macht – ebenso wie die Demonstrationen von zehntausenden Menschen gegen den G8 Gipfel Anfang Juni 2007, als Tausende durch ihre Mittel der Auseinandersetzung bewusst mit staatlichen Regeln gebrochen haben.

Häuserkämpfe auch in Göttingen?
Göttingen, eine mittelgroße Universitätsstadt mit einer starken Tradition autonomer Politik, ist jetzt mit einer ähnlichen Situation konfrontiert. Neben dem Autonomen Jugendzentrum (JuZI, seit 1982), dem Roten Buchladen (Buchladenkollektiv, seit 1972), dem Theaterkeller (eine kollektiv betriebene Kneipe, seit 1964), hat die linke Szene in Göttingen lange Zeit von einem Netz selbstverwalteter Studentenwerkshäuser gelebt. Am symbolträchtigsten ist sicher der Block “Rote Straße 0-5???, jedoch sind noch weit mehr Häuser und Projekte von diesen „Umstrukturierungsmaßnahmen“ betroffen.
Die in der Innenstadt gelegenen Häuser der Roten Straße mit ihren ca. 50 BewohnerInnen wurden Anfang der 1970er Jahre besetzt, nachdem die Universität beschlossen hatte, die Häuser abzureißen. Nach einer Phase des illegalen Wohnens wurden die Häuser durch Verträge mit dem Studentenwerk legalisiert. Diese Verträge garantierten bezahlbare Mieten, unbegrenzte Wohnzeit für StudentInnen und erlaubte überdies einer begrenzten Zahl von Nicht-Studierenden die Häuser mit zu bewohnen.
Neben diesen Annehmlichkeiten ist aber das Wesentliche an solchen Projekten, dass damit die individuelle Beziehung von VermieterInnen und MieterInnen aufgelöst wird, und an dessen Stelle kollektive Verträge zwischen denen, die die Häuser bewohnen, und dem Studentenwerk getreten sind. Das ließ den HausbewohnerInnen einen relativ großen autonomen Handlungsspielraum – zum Beispiel darüber zu entscheiden, wer einzieht und wer nicht.
Allein die Größe dieser Gebäude, zusammen mit ihrem selbstverwalteten Charakter, machen sie zu einem begehrten Ort für Treffen, Filmnächte, zur Vorbereitung für Demonstrationen und andere Ereignisse, Partys usw. Sie sind damit als wichtige Strukturen der Linken in Göttingen zu charakterisieren.

Diese kollektive Struktur, ein Modell, das so auch in anderen Studentenwerkshäusern praktiziert wurde, versucht das Studentenwerk im Einklang mit der Universität seit einigen Jahren u. a. durch die Kündigung von Kollektivverträgen und deren Ersetzung durch individuelle Verträge zu zerschlagen.

Warum linke Räume erkämpfen?
Leider haben die bisherigen Bemühungen unserer Bewegungen nicht ausgereicht, um die Kräfteverhältnisse grundlegend zu verschieben. Immer tiefgehender werden alle gesellschaftlichen Bereiche im Sinne der kapitalistischen Verwertungslogik in Hinblick auf ihre Rentabilität und Profitabilität umstrukturiert. Dies gilt nicht nur für Wohnraum und Veranstaltungsmöglichkeiten: Im Alltag gilt dies auch für Betroffene der Hartz-Gesetze, bei der Einführung von Studiengebühren und der stetigen Verschärfung der Arbeitsbedingungen für die Mehrheit der Arbeitenden. Durch zunehmenden Druck in all diesen Bereichen sehen sich viele Menschen immer weniger in der Lage, kollektiv zu agieren und Widerstand zu organisieren. Stattdessen dominieren individuelle Lösungsversuche.
Nun ist zuerst nichts abzulehnen, was die Lebenssituation der Einzelnen verbessert. Allerdings wollen wir eine Perspektive eröffnen, die über die individuelle Lösung von in der Gesellschaft selbst angelegten Konflikten hinausgeht. Denn die eigenen Probleme haben in der Regel wenig mit einer zufälligen „Unglückslage“ zu tun und sind oftmals weit mehr als nur individuelle Probleme. Stattdessen muss es darum gehen, sich gemeinsam mit Anderen zusammen zu schließen, die eine ähnliche Perspektive teilen und solidarisch mit anderen gesellschaftlichen Gruppen für eine andere Gesellschaft zu kämpfen. Das hat im Konkreten die Perspektive, sich nicht allein mit dem Sozialamt herumschlagen zu müssen, sich nicht allein dem Leistungsdruck in Universität und Schule auszusetzen und sich nicht allein um Kind und Nebenjob kümmern zu müssen.

Egal in welcher Form sich eine solche Organisierung mit anderen gesellschaftlichen Gruppen gestaltet – sicher ist, dass sie Orte und Strukturen benötigt, um entwickelt und umgesetzt werden zu können. Dazu nehmen wir uns selbst gestaltete Formen und Räume, die mit unseren Inhalten gefüllt werden können. Damit entziehen wir uns zugleich dem Prozess der kapitalistischen Durchstrukturierung gesellschaftlicher Räume und organisieren uns stattdessen dagegen.

Solche linken Räume sind auch Wohngemeinschaften, in denen ein solidarisches und kollektives Zusammenleben entwickelt werden kann. Erst durch diesen gemeinsam geschaffenen Rahmen kann auch bei zunehmendem Druck von außen politisches Handeln möglich gemacht werden. Während soziale Probleme in einem hierarchisch-bürokratischen Studierendenwohnheim in Ausschüsse oder zur individualisierten Psycho- oder Sozialberatung verschoben werden, können kollektive Strukturen Handlungsspielräume für die Etablierung einer Alternative zu vorgegebenen Handlungsmustern schaffen. Genau solche Alternativen sind notwendig, um politisch langfristig handeln zu können.
Darüber hinaus bedarf es für linke Politik generell auch leicht zu erreichender Anlaufpunkte, um die von uns gesetzten Debatten zu führen und in die Öffentlichkeit zu tragen. Auf einer politisch-kulturellen Ebene kann dies durch Konzerte, Diskussionsveranstaltungen, als auch durch vorgelebtes politisches Selbstverständnis in Jugendzentren geschehen. Ein Minimalkonsens zu antisexistischen, antifaschistischen, antirassistischen und solidarischen Verhaltensweisen macht diese Räume zudem zu Rückzugsräumen, aber auch zu Bereichen, von denen aus wir offensiv nach außen treten und eine linke Alltagskultur entwickeln können. Ausgehend von diesen Räumen kann sich eine Organisierung entwickeln, kann sich eine Lebens- und Alltagskultur etablieren, die in der Lage ist, die bestehenden Verhältnisse von Grund auf zu verändern.

Wir wollen euch … in Göttingen!
Gerade auch für die Bekämpfung reaktionärer Tendenzen in der Gesellschaft sind solche Räume von Notwendigkeit: Dort, wo linke Räume nicht vorhanden sind, gewinnen faschistische und andere reaktionäre Positionen schnell an Bedeutung. Das beste Mittel gegen die Ausbreitung sexistischer, faschistischer und rassistischer Strukturen bleibt eine starke linke Kultur.
Besonders in der ländlichen und kleinstädtischen Region um Göttingen erstarken in den letzten Jahren erneut neofaschistische Strukturen. Gedeihen können diese in einem schwarz-braunen gesellschaftlichen Klima des Verschweigens und Wegschauens. In Herzberg am Harz, nur wenige Kilometer von Göttingen entfernt, bleibt beispielsweise ein „Rock gegen Rechts“ Konzert auf Betreiben des CDU-Bürgermeisters Gerhard Walter verboten. Dieses würde nur Punker anziehen und für Unruhe sorgen, so der Ex-Polizist. Selbiger Bürgermeister trank beim NPD-Landesparteitag am 15.4.2007 in Scharzfeld/ Herzberg mit dem versammelten NPD-Ordnerdienst „eine Apfelsaftschorle“, wenig später drohte er FotojournalistInnen und einem NDR-Fernsehteam. Während Neonazis und rechte Jugendcliquen sich hier wie „Fische im Wasser“ bewegen können, fehlt es antifaschistischen Jugendlichen an Räumen. Jede emanzipatorische Bewegung an jedem Ort im Harz braucht unsere Unterstützung, um sich ihre Räume zu erkämpfen.

Dies gilt auch gerade für die betroffenen Wohnprojekte in Göttingen: Für manche mögen sich die Maßnahmen des Studentenwerks als nervige, aber nicht gerade schrecklich wichtige, bürokratische Umstrukturierungsmaßnahmen darstellen. Doch die Folgen dieser Umstrukturierungspläne sind weitreichender: Treten individuelle Mietverträge an Stelle der Kollektivverträge, wird den Häusern ihr kollektiver Charakter nach und nach entzogen. Linksorientierte Menschen werden noch eine Weile darin leben, aber früher oder später durch normale Studierende ersetzt werden, da nun die BewohnerInnen keinen Einfluss mehr auf die MitbewohnerInnenauswahl haben. Die Zeiten in denen die “Rote Straße??? ein Teil der Göttinger linken Infrastruktur war, könnten damit schnell Geschichte werden.

Eine zweite Variante ist, dass die BewohnerInnen der “Roten Straße??? zu einem bestimmten Zeitpunkt über die Beendigung ihrer Mietverträge informiert werden und sich weigern, individuelle Mietverträge zu unterzeichnen. Sollte das Studentenwerk auf seinem Kurs beharren, gibt es kaum noch Möglichkeiten letztendlich um eine Illegalisierung der Wohnsituation herumzukommen – gefolgt von einer möglichen Räumung.

Um solch ein Szenario zu verhindern, bitten wir euch deshalb alle uns diesen Herbst zu besuchen. So wie wir in Solidarität zu verschiedenen Projekten in Deutschland und Europa mobilisiert haben und dort hin gereist sind, bitten wir euch uns diesmal diesen Gefallen zu tun: Wir mobilisieren am Samstag, den 20.10.2007 zu einer Demonstration in Göttingen. Es ist die Woche, in der das Semester an der Uni wieder beginnt und auch das „Fire and Flames???-Festival stattfindet. Ziel dieser Demonstration ist es, dem Studentenwerk eine klare Botschaft zu vermitteln: Es ist in ihrem besten Interesse, die Rote Straße und andere selbstverwaltete Strukturen in Ruhe zu lassen und produktive Verhandlungen mit der “Here to Stay???-Kampagne der BewohnerInnen zu beginnen!

Wir sind nicht die “Here to Stay???-Kampagne, wir sind nicht an Verträge oder legalistische Handlungsweisen gebunden. Wir sind nicht allein und werden keine weiteren Angriffe auf linke Strukturen mehr dulden. Wir wollen hiermit nur den freundlichen Vorschlag machen, dass die zuständigen Stellen im Studentenwerk damit aufhören, Kollektivverträge zu kündigen und stattdessen konstruktive Verhandlungen mit der Kampagne beginnen. Ansonsten werden sie sich mit einer mobilisierten radikalen Linken herumschlagen müssen.

Wir brauchen – gerade zu Zeiten wie diesen – viel mehr solcher Strukturen und Räumlichkeiten. Stattdessen werden linke Räumlichkeiten und Infrastrukturen zunehmend von staatlicher und privatwirtschaftlicher Seite zerstört. Deshalb fordern wir alle Menschen auf, sich diesem Prozess entschlossen und organisiert entgegenzustellen. Dort, wo unsere Plätze angegriffen werden, müssen wir Widerstand leisten. Dabei können wir auf Erfahrungen von internationalen Kämpfen zurückgreifen, in denen kollektive Strukturen in ganz Europa verteidigt werden.

Talking is over, action is on!
Hoch die internationale Solidarität!

Antifaschistische Linke International >A.L.I.< im September 2007