What the fuck? Der Papst kommt!

Am 22.09.2011 stand Berlin Kopf. Ganze Stadtteile wurden abgeriegelt, AnwohnerInnen mussten die Fenster geschlossen halten und kamen nur noch in ihre Häuser, wenn sie PolizeibeamtInnen ihren Ausweis zeigten. Für den Papstbesuch sollte in Berlin alles sicher sein, bis hin zu den Gullideckeln, die verschweißt wurden. Die Aufregung im Vorhinein war groß: Abgeordnete kündigten an, der Rede des Kirchenoberhauptes im Bundestag fern zu bleiben, große Demonstrationen wurden angekündigt. Nach dem Debakel in Madrid, wo der Papstbesuch Straßenschlachten auslöste, wollte man in Deutschland auf Nummer sicher gehen und sprach vorerst Verbote gegen Demonstrationen und Kundgebungen aus, die sich gegen den Papst wendeten. Doch dieser Skandal wäre zu groß geworden und so konnten die Gegenproteste in Berlin letztendlich doch stattfinden. „Keine Macht den Dogmen“ war das Motto der Großdemonstration, die rund 10.000 Menschen mobilisieren konnte. Unter ihnen SchwulenLesbenTransgender Verbände, AtheistInnen und der „Block der Gesichtslosen“, bestehend aus Opfern sexuellen Missbrauches und deren Angehörigen. Letztere empfanden den Papstbesuch angesichts des Leides, das ihnen von Kirchenangehörigen angetan wurde und die Untätigkeit der Kirchenobersten als blanken Hohn. Das linksradikale Bündnis „Der Papst in Berlin! What the fuck?“ begleitete bereits die Ankunft des Papstes in Berlin Tegel gebührend und rief für Donnerstag Nacht zur Nachtkundgebung gegen päpstlichen Schlaf und Moralvorstellungsdingszeug auf. Auch auf ihrer Agenda standen die Kritik an Antisemitismus, Sexismus und Homophobie der Kirche und der Gesellschaft. Auch in Erfurt und Freiburg,weiteren Stationen des päpstlichen Besuches, beteiligten sich Hunderte Menschen an den Protestaktionen.

Wen interessiert`s?

Im Bundestag ließ der Papst auch von Beginn an wissen, dass er nicht als Staatsoberhaupt des Vatikans spreche, sondern „als Papst, als Bischof von Rom, der die oberste Verantwortung für die katholische Christenheit trägt. Sie anerkennen damit die Rolle, die dem Heiligen Stuhl als Partner innerhalb der Völker- und Staatengemeinschaft zukommt.“ Das war dann für einige Abgeordnete zu viel des Guten und sie verließen – wie zum Beispiel Ströbele (Grüne) aus Protest den Saal. Interessant ist, dass von bürgerlichen PolitikerInnen je nach Tageslaune einmal die  angebliche Trennung von Staat und Kirche hochgehalten wird und am nächsten Tag wieder fundamentalistischen Theokraten und ihren „christlichen“ Werten der Hof gemacht wird. Immerhin hat sich eine breite Mehrheit im Bundestag im Vorfeld für eine Einladung ausgesprochen. Als die Herren und Damen „VolksvertreterInnen“ jedoch merkten, dass die Stimmung in Berlin mehrheitlich gegen den „hohen Besuch“ kippte und etwa 60% der Besuch völlig egal war, musste so kurz vor den Berliner Wahlen eben noch mal Farbe bekannt werden.

Religion als Subkultur?

Inhaltlich war das Ganze keine große Überraschung. Nix mit Menschenrechtskonventionen und nix mit Schwulen. Ratzinger hält an seinem Geschwätz fest und AtheistInnen kann das glücklicherweise auch nicht enttäuschen. Die Gläubigen hierzulande haben sich da wohl mehr erwartet. Nun ja, wir können uns freuen, immerhin sieht Ratze die Kirche und den Glauben in Europa mittlerweile als Subkultur an:

„Das positivistische Konzept von Natur und Vernunft, die positivistische Weltsicht als Ganzes ist ein großartiger Teil menschlichen Erkennens und menschlichen Könnens, auf die wir keinesfalls verzichten dürfen. Aber es ist nicht selbst als Ganzes eine dem Menschsein in seiner Weite entsprechende und genügende Kultur. Wo die positivistische Vernunft sich allein als die genügende Kultur ansieht und alle anderen kulturellen Realitäten in den Status der Subkultur verbannt, da verkleinert sie den Menschen, ja sie bedroht seine Menschlichkeit.“

Bedrohen, befreien: so verschieden kann die Sicht auf die Welt sein… Dass die Bedeutung von Glauben und Kirche in einigen europäischen Ländern stark schwindet mag sein, doch auch die 60.000, die der päpstlichen Messe allein in Berlin folgten, müssen ja irgendwo her kommen.

Viele BesucherInnen kamen angeblich aus den osteuropäischen Ländern angereist. Dort ist der Glaube in einigen Ländern noch stark verwurzelt. Laut Ratzinger das beste Verhütungsmittel gegen Extremismus:

„Ich sage das gerade im Hinblick auf Europa, in dem weite Kreise versuchen, nur den Positivismus als gemeinsame Kultur und als gemeinsame Grundlage für die Rechtsbildung anzuerkennen, alle übrigen Einsichten und Werte unserer Kultur in den Status einer Subkultur verwiesen und damit Europa gegenüber den anderen Kulturen der Welt in einen Status der Kulturlosigkeit gerückt und zugleich extremistische und radikale Strömungen herausgefordert werden.“

Aber in welchen Ländern werden aktuell Sinti und Roma gerade mit staatlicher Unterstützung quasi zum Abschuss frei gegeben?! Und wie atheistisch war gleich noch mal der Attentäter Breivik aus Norwegen?!

Im Alter wird man klüger? Anscheinend ? nicht immer…

Doch zu guter letzt noch einen Ausschnitt aus der Papstrede im Bundestag:
„Der große Theoretiker des Rechtspositivismus, Kelsen, hat im Alter von 84 Jahren – 1965 – den Dualismus von Sein und Sollen aufgegeben. – Es tröstet mich, dass man mit 84 Jahren offenbar doch noch etwas Vernünftiges (!!!) denken kann. – Er hatte gesagt, dass Normen nur aus dem Willen kommen können. Die Natur könnte folglich Normen nur enthalten, wenn ein Wille diese Normen in sie hineingelegt hat. Dies wiederum würde einen Schöpfergott voraussetzen, dessen Wille in die Natur mit eingegangen ist. „Über die Wahrheit dieses Glaubens zu diskutieren, ist völlig aussichtslos“, bemerkt er dazu. Wirklich? – möchte ich fragen. Ist es wirklich sinnlos zu bedenken, ob die objektive Vernunft, die sich in der Natur zeigt, nicht eine schöpferische Vernunft, einen Creator Spiritus voraussetzt?“
Ja, das ist ein reichlich denkwürdiger Schluss und zeigt uns einmal mehr, dass wir auch im Kampf gegen den Irrationalismus auf der Welt zwar weiter aber noch lange nicht am Ende sind. Wer glaubt, im Jenseits gibt es die Erlösung, hat weniger Grund im Diesseits für Veränderung zu kämpfen. Von den erzreaktionären Ideologien der Kirchen ganz zu schweigen.

Erschienen in barricada – Herbst 2011