Rechte Provokateure auf Aufmerksamkeitstour.
Und wie darauf reagieren?
Wenn es an der Basis mangelt, dann bleibt die Provokation oft das einzige Mittel, um überhaupt wahrgenommen zu werden. Dies scheint jenen Parteien, die die reaktionärsten Programme und menschenfeindlichsten Ideen vertreten, zumindest in Wahlzeiten die Strategie zu sein. Mangels Anhängerschaft und realer Präsenz in politischen Bewegungen, bleibt diesen Gruppierungen auch fast nichts anderes übrig, als mit Hilfe der Provokation und der dadurch erhofften Medienresonanz zumindest in das Bewusstsein unentschlossener rechter WählerInnen zu gelangen. In Nürnberg hatten dann kurz vor der Bundestagswahl auch gleich zwei Wanderzirkus-Veranstaltungen halt gemacht: die neofaschistische NPD am 7. September und am 10. September die so genannte „Bürgerbewegung Pro Deutschland“, eine in Bayern eher unbedeutende, rassistische Partei.
Beide Parteien meldeten Veranstaltungen in zahlreichen verschiedenen Städten an und fuhren eine Art Tour de Provocation. Im Falle der NPD ein LKW mit Aufdruck und bei Pro Deutschland ein Kleinbus ohne Aufdruck, dafür mit abmontierbarem Pro-Deutschland-Logo. In beiden Fällen wurde die Tour mit einer Handvoll AnhängerInnen durchgeführt und bestand aus stationären Kundgebungen. Während es die NPD im wesentlichen dabei beließ durch ihre bloße Anwesenheit zu provozieren und in Nürnberg am eher abseitig gelegenen Nelson-Mandela-Platz ihren Auftritt hatte, suchte sich Pro Deutschland besondere Orte aus, die wohl auch einen besonders großen Aufschrei provozieren sollten. In Nürnberg waren dies gleich drei an einem Tag, nämlich die Moschee der Islamischen Gemeinde Nürnberg e.V. in der Hessestraße, das Nürnberger Rathaus und das Archiv & Bibliothek Metroproletan in der Eberhardshofstraße. Mit dem Archiv und der Moschee also zwei im Stadtteil Gostenhof liegende Adressen. Auch dies war sicher Teil der Provokationsstrategie. Das Kalkül war natürlich, indirekte Aufmerksamkeit über die Gegenaktivitäten zu bekommen. Während die meisten Medien kaum oder gar nicht über Aktivitäten von Parteien rechts der CDU/CSU berichten, wird über Gegenaktivitäten zu rechten Veranstaltungen, zumindest in Großstädten, durchaus berichtet. Eine Analyse, in wie weit die Art der bürgerlichen Mainstreammedien, über antifaschistische Aktivitäten zu berichten, tatsächlich den Rechten in die Hände spielt, würde leider den Rahmen des Artikels sprengen, weshalb hier nicht weiter darauf eingegangen werden kann.
Da die Kundgebungen von Pro Deutschland erst knapp vorher bekannt wurden, blieb nur wenig Zeit um Gegenaktivitäten zu planen. Die organisierte autonomie (OA) entschied sich offenbar, den Propaganda-Event der Provokateure umzudrehen. In einem Indymedia-Artikel der Gruppe heißt es:
„In Gostenhof sind AntifaschistInnen dabei, den RassistInnen einen gebührenden Empfang vorzubereiten. In der Hoffnung die Gostenhofer Bevölkerung für das Thema zu sensibilisieren und auf die Strasse zu bringen, werden im Viertel mehrere tausend Flyer in Briefkästen und öffentlichen Plätzen verteilt, es wird plakatiert, AnwohnerInnen dazu motiviert Transparente aus den Fenstern zu hängen und in Läden sowie Kneipen Plakate aufgehängt.
Auch wenn Pro-Deutschlands Werbestrategie hiermit voll und ganz aufgeht, sie bekommen mit wenig Aufwand viel Aufmerksamkeit, kann die revolutionäre Linke das Auftreten der RechtspopulistInnen nutzen um im Vorfeld und am Tag selber ein klares Zeichen gegen Sozialchauvinismus und Rassismus zu setzen. Gerade in von Armut und ‘Aufwertung’ bedrohten Vierteln wie Gostenhof, in denen Menschen jeglicher Herkunft leben, ist es wichtig die Notwendigkeit zur Klassensolidarität zu vermitteln und als Antwort auf die Hetze mehr denn je klar zu stellen, dass die einzige konsequente Antwort auf soziale Probleme nur der selbstorganisierte Klassenkampf von unten sein kann.“
Stadt und Polizei setzen das Recht ?auf faschistische Propaganda um
Mitten in der Mobilisierung gegen die Pro Deutschland Kundgebungen wurde kurzfristig bekannt, dass auch die NPD in Nürnberg am 7. September eine Kundgebung abhalten werde. Zu dieser von der Polizei weiträumig abgesperrten Kundgebung fanden sich ca. 12 mitgereiste Nazis und etwa 400 GegendemonstrantInnen ein. Bis auf ein paar Obstwürfe konnte während dieser Kundgebung kaum interessantes beobachtet werden. Einen großen Effekt dürfte dieser Auftritt für die NPD allerdings auch nicht gehabt haben. Obwohl es ein guter Erfolg für die lokalen AntifaschistInnen war, so viele Menschen gegen den Auftritt der NPD mobilisiert zu haben, blieb der Protest sowohl verbal als auch von den Aktivitäten her recht zahm.
Auch am 10. September, bei den Pro Deutschland Kundgebungen, setzte die Polizei alle drei Kundgebungen mit einem enormen Aufgebot durch, aber der Protest war anders geprägt, als noch einige Tage zuvor bei der NPD. In der Woche vor den Kundgebungen hatten Aktivisten der organisierten autonomie (OA) tausende Flugblätter in Gostenhof verteilt und Anwohner gebeten, Antirassistische Plakate in die Fenster zu hängen. Nicht wenige GostenhoferInnen beteiligten sich an dieser Aktion und an den Protesten, hängten die Plakate in ihre Fenster oder sogar große Transparente. Auch auf der Straße waren viele GostenhoferInnen unterwegs, setzten allerlei lärmendes Gerät ein und beschimpften die RassistInnen von Pro Deutschland. Manche warfen auch mit Obst auf die angereisten Hetzer. Vor dem Archiv Metroproletan tönte den Hetzreden der Provokateure laute linke Musik entgegen. Ein Versuch den letzten Kundgebungsort der Nazis zu besetzen scheiterte jedoch, weil zu wenige bereit waren, die Absperrungen der Polizei zu überwinden. Dabei gab es auch Festnahmen. Die Polizei hatte mehrere Straßen hermetisch abgeriegelt und so manche/r GostenhoferIn musste enorme Umwege laufen um z.B. Einkäufe zu erledigen. Insgesamt könnte man für diesen Tag in Gostenhof von einer Besetzung von Teilen des Stadtteils durch die Polizei zugunsten der rechten Provokation sprechen. Den ganzen Tag über dürften in etwa 350 Menschen aktiv am Protest teilgenommen haben. Für einen Wochentag in den Schulferien mit relativ kurzer Vorlaufzeit sicher ein Erfolg für die antifaschistischen Gruppen, die mobilisiert hatten.
Dass die Nazis mit ihrer Provokation bewusst auf antifaschistische Proteste setzen, um deren Mobilisierung in Aufmerksamkeit für sich selbst umzumünzen, kann kein Grund sein, auf eigene Aktivitäten zu verzichten. Es war richtig, dass das Antifaschistische Aktionsbündnis, das Bündnis Nazistopp und die organisierte autonomie (OA) gegen die Naziprovokationen mobil machten. Die organisierte autonomie (OA) verfolgte jedoch den interessantesten Ansatz, nämlich den Versuch, die Stadtteilbevölkerung auf unterschiedliche Weise in den Protest einzubinden. Während viele gute Ansätze verfolgt wurden, schien aber immer noch der Protest an den Gittern etwas hilflos. Für die Linke stellt sich hier weiterhin die Herausforderung aus der Aufmerksamkeit für die Nazis Aufmerksamkeit für die antifaschistische Linke zu machen. Ein weiterer guter Ansatz dazu war auch ein antifaschistischer Spaziergang einige Tage vor den Kundgebungen, bei dem AnwohnerInnen angesprochen und auch gleich der Stadtteil mit antifaschistischer Symbolik aufgewertet wurde.
Nutzen wir das Spektakel der Nazis und ?der Bullen für die antikapitalistische Linke!
Reine Anti-Nazi-Politik hilft, faschistische Banden zu isolieren und Bündnisse mit nicht linken NazigegnerInnen zu schaffen. Doch Antifaschismus ist nicht nur reiner Selbstschutz gegen faschistische Umtriebe oder solidarisches Beistehen gegen Rassismus. Wenn wir gegen Nazis auf die Straße gehen, dann auch gegen eine Gesellschaft, deren ökonomische Basis immer wieder faschistische und rassistische Tendenzen hervorbringt. Linker Antifaschismus positioniert sich nicht nur gegen die Handvoll Pro D-Schreihälse oder Aufmärsche tausender Nazis. Er positioniert sich auch nicht nur militanter und konsequenter als die bürgerlichen Anti-Nazi-KämpferInnen. Er positioniert sich an der Seite der Ausgebeuteten und Unterdrückten, derer, die durch die faschistische Hetze gespalten und gelähmt werden sollen und er positioniert sich gegen den Staat, der sich die Option faschistischer Krisenlösung offen lässt und daher faschistische Propaganda unter Schutz stellt. Wenn Antifaschismus mehr sein soll als „Nazis doof, buh!“ oder auch „Nazis doof, aufs Maul!“ dann braucht es dafür eine Verankerung in der gesellschaftlichen Basis. Im Stadtteil, konkret in der Nachbarschaft. Damit rückt die militante Verhinderung von Aufmärsche, die sich angesichts eines immer höheren polizeilichen Aufwands ohnehin schwierig gestaltet, in den Hintergrund. Im Vordergrund steht nicht erst seit heute die Verankerung in der gesellschaftlichen Basis. Das ist dann wohl gemeint, wenn die organisierte autonomie (OA) im Vorfeld schrieb, es käme darauf an „die Notwendigkeit zur Klassensolidarität zu vermitteln und als Antwort auf die Hetze mehr denn je klar zu stellen, dass die einzige konsequente Antwort auf soziale Probleme nur der selbstorganisierte Klassenkampf von unten sein kann.“
Was tun?
Wenn Nazis auftreten, und wir es nicht verhindern können, dann müssen wir dafür sorgen dass sie es nicht ungestört tun. Damit dies überhaupt gegen den Staat und seine hochgerüstete Polizei möglich ist, denn die sechs Hanseln von Pro-Deutschland könnten ohne deren Hilfe niemals in Gostenhof auftreten, müssen wir mit den Menschen sprechen, die uns umgeben, die manchmal Adressaten für die rechte Hetze sind und manchmal deren Opfer, aber dennoch unter den gleichen gesellschaftlichen Verhältnissen zu leiden haben. Wir müssen jene ansprechen, die bereits gegen Nazis protestieren, und die, die sich an der Polizeipräsenz und dem besatzerhaften Auftreten der Polizeikräfte stören. Wir müssen mit den Menschen darüber sprechen, warum die Nazis uns hassen, warum sie unsere Nachbarn hassen und warum die Polizei diese Arschlöcher schützt. Der linke Antifaschismus muss da ansetzen, wo auch die rechten Provokateure ansetzen: Am Bewusstsein der Menschen. Deshalb reicht es nicht, erst dann aktiv zu werden, wenn ein Aufmarsch vor der Tür steht. Die effektivste Form des Antifaschismus ist die Verankerung emanzipatorischer Politik im Alltag. Das können z.B. Kämpfe gegen steigende Mieten oder auch Lohnkämpfe sein. Wenn hier die rassistische Spaltungspolitik zurückgedrängt und die wahren Ursachen für soziale Probleme bewusster werden, dann kann die Voraussetzung geschaffen werden für eine linke antifaschistische Politik, die weit darüber hinausgeht, gegen Nazis zu mobilisieren und dabei ein paar antikapitalistische Phrasen zu dreschen. Für den nächsten Provokationsevent der Nazis heißt das, den Mut zu haben, eigene Inhalte und Positionen deutlich zu benennen und aufzuzeigen, dass die Nazis lediglich der vordergründig ekelhafteste Ausdruck einer großen Gesamtscheiße sind, die nur verschwinden wird, wenn wir die ökonomischen Grundlagen beseitigen.
Auf der Straße
Was die letzten Aufmärsche gezeigt haben ist, dass von der radikalen Linken alleine kaum ein Naziaufmarsch, der staatlichen Schutz erfährt und durchgesetzt werden soll, zu verhindern ist. Die vergangenen Jahre zeigen aber auch, dass Naziaufmärsche nicht nur widerliche Provokationen sind, sondern auch die Möglichkeit bieten, die Repressivität des Staates und seine Kumpanei mit Nazis an der eigenen Haut zu spüren. Hier besteht die Chance für linke AntifaschistInnen, statt möglichst unauffällig zu wirken, und auf Kleingruppenaktionen zu setzen, direkt in diese gesellschaftlichen Konfrontationen einzugreifen und mit den Menschen zu reden, mit ihnen zu diskutieren, sie zu ermutigen. Das mit dem Ziel, zu echten Massenaktionen zu kommen, die kaum jemand überfordern aber dennoch beständig sich radikalisieren. Das soll keine militanten Aktionen ausschließen oder bestreiten, dass vor allem die Tat, wenn gerade zu den Verhältnissen passend, die beste Propaganda macht, aber langfristig wird es uns mehr nützen, wenn wir versuchen möglichst alle NazigegnerInnen beständig zu radikalisieren. Damit kann dann eben aber nicht nur die Radikalisierung der Mittel sondern vor allem die Radikalisierung des Bewusstseins gemeint sein.
Erschienen in barricada – November 2013