Razzia gegen das Freie Netz Süd
Am 10. Juli bekamen etliche FaschistInnen in Bayern vielleicht nicht unerwarteten, aber wahrscheinlich ungewünschten Besuch. Angeblich 700 Polizeibeamte durchsuchten 70 Objekte, die Mitgliedern des Kameradschaftsdachverbandes Freies Netz Süd (FNS) gehören sollen. Wer nun geglaubt hatte, bei den Durchsuchungen wurde es sich um Maßnahmen im Rahmen konkreter Ermittlungen wegen z.B. Sachbeschädigung, Brandstiftung, Körperverletzung oder ähnlicher Verbrechen handeln, sah sich ein weiteres Mal eines Schlechteren belehrt. Laut Innenminister Herrmann wolle man im Rahmen eines „vereinsgesetzlichen Ermittlungsverfahren“ lediglich „Beweismaterial für ein Vereinsverbot“ sammeln. Von den zahlreichen Anschlägen auf AntifaschistInnen und deren Eigentum, die vermutlich von FNS-Mitgliedern geplant und durchgeführt wurden, war keine Rede auf der Pressekonferenz des Innenministers.
Um Erkenntnisse über das FNS zu sammeln, hätte man aber wohl kaum bis Juli 2013 warten müssen. Schon seit 2009 existiert das Netzwerk nach dem Vorbild des Freien Netz Sachsen. Es war von Kadern der vereinsrechtlich verbotenen Fränkischen Aktionsfront (FAF) gegründet worden. Nach dem Verbot, das 2004 erfolgte, betätigten sich die ex-FAF-Nazis in der NPD und deren Jugendorganisation. Nachdem die NPD ihnen zu lasch wurde, kam es zu versuchen, die NPD nach ihren Vorstellungen zu verändern. Die parteiinterne Auseinandersetzung verloren die FAFler jedoch und traten zumeist aus der NPD wieder aus. Danach gründeten sie das Freie Netz Süd. Schon während der Zeit in der NPD hatten die ehemaligen FAF-Mitglieder ihre sogenannte Anti-Antifa-Arbeit fortgesetzt. Nach der FNS-Gründung häuften sich dann die systematischen Angriffe auf GegnerInnen und deren Eigentum. Natürlich blieb dies nicht ohne Gegenwehr. Sowohl die Aktivitäten des FNS, als auch die Gegenwehr nahmen über die Jahre zu. Dennoch blieb die Polizei bei den Ermittlungen zu zahlreichen Anschlägen auf Nazigegnerinnen bisher erfolglos. Nach dem Bekanntwerden der NSU-Morde wurde das FNS Thema im bayerischen Landtag. Dort wurde einstimmig beschlossen, die bayerische Staatsregierung aufzufordern, das Freies Netz Süd zu verbieten.
Alles Wahlpropaganda?
Wenn die Staatsregierung ausgerechnet jetzt, kurz vor den Landtagswahlen, anfängt Beweismaterial zu sammeln, ist das in der Tat etwas durchsichtig. Dennoch wird die Hauptmotivation für die Großrazzia eher die wachsende Kritik am staatlichen Umgang mit Naziorganisationen gewesen sein. Die Großaktion sollte Handlungsfähigkeit zeigen. Klar, optimal findet das vor den Wahlen, statt und, hier spricht der Innenminister selbst, „Die (…) Aktion zeigt, dass wir konsequent mit allen rechtsstaatlichen Mitteln gegen Rechtsextremisten und ihr menschenverachtendes Gedankengut vorgehen“.
Interessanterweise zeigt sie aber eher, dass sich über acht Jahre lang Nazis einer verbotenen Organisation in fast völlig gleicher Zusammensetzung wieder reorganisieren konnten und dabei ihre Strukturen in vielfacher Hinsicht vergrößern und verbessern konnten. Erst als der Unmut über die nun fast in ganz Bayern verbreitete Naziorganisation und deren Aktivitäten nicht mehr ignoriert werden konnte, schreitet der Staat zur Aktion. Lange Zeit waren die Aktionen des Freien Netz Süd durch Großeinsätze der Polizei geschützt worden. In Nürnberg konnte das FNS zuletzt am 30. März auftreten. Die 40 AnhängerInnen des Freien Netz Süd waren fast alle ähnlich gekleidet und bewarben damit ihren Aufmarsch am 1. Mai in Würzburg, der ebenso freundlich von der Polizei beschützt wurde, wie die Kundgebung in Nürnberg.
Durch gesteigertes Interesse, die zahlreichen Übergriffe und Anschläge der FNS-Nazis aufzuklären und die durch die Nazis geschädigten zu unterstützen, zeichnete sich der Staat in den Jahren nach dem FAF-Verbot nicht aus. Im Gegenteil: Zunehmend wurde der Polizei und dem Innenministerium selbst aus Kreisen bürgerlicher AntifaschistInnen vorgeworfen, dem Treiben der Nazis tatenlos zuzusehen. Die qualitativ hochwertigen Veröffentlichungen über NazigegnerInnen durch die von der FAF gegründete Anti-Antifa Nürnberg nährten auch Theorien, dass die Nazis ihre Informationen nicht alle selbst recherchiert hatten. Dass die Nürnberger Polizei in einem belegten Fall sogar von Nazis veröffentlichte Informationen gegen AntifaschistInnen verwendete, zeigte, dass die Nazis sehr wohl gezielt eingesetzt wurden, um linke Aktivistinnen zu kriminalisieren.
Für den Staat zu nützlich, um auf sie zu verzichten
Warum und dass faschistische Strukturen zur Bekämpfung von linken GegnerInnen der herrschenden Verhältnisse staatlicherseits gefördert werden, wurde schon häufig in dieser Zeitung ausgeführt. Dass sich dadurch auch die große Narrenfreiheit, die Nazis in Bayern haben erklärt, ist ebenfalls klar. Im Dezember 2011, nach Bekanntwerden des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) schrieben wir „die faschistischen Bluthunde sind einfach viel zu nützlich, als dass die Herrschenden auf sie verzichten könnten.“ Wenn nun – erneut – ein Verbot des Dachverbandes der Freien Kameradschaftsszene (jetzt weit über Mittelfranken hinaus aktiv) von der Staatsregierung angestrebt wird, dann heißt das eben nicht, dass die Nazis damit verschwinden. Sie werden auch allein dadurch kaum in ihren Aktivitäten langfristig eingeschränkt werden. Denn nach dem Verbot der FAF gab es zu keinem Zeitpunkt einen ernsthaften Versuch, die Reorganisation als FNS zu verhindern. Der Argumentation der Nazis, bei dem FNS würde es sich lediglich um eine Internetplattform handeln gab Innenminister Herrmann indirekt noch im Mai 2012 Recht, als er sagte „Es ist eindeutig so, dass das Freie Netz Süd anders agiert als die Organisationen, die bisher verboten worden sind.“ Seit dem hat sich, wohl auch nach den Durchsuchungen, daran wohl wenig geändert. Was sich geändert hat, ist ein zunehmender Druck auf die Staatsregierung, gegen Nazis Aktionismus zu zeigen. Freilich wird auch das an der Praxis, in AntifaschistInnen die wahren GegnerInnen zu sehen, nichts ändern. Die Razzia gegen das FNS richtet sich an die bürgerlichen NazigegnerInnen, die immer noch daran glauben, dass es im staatlichen Interesse liegt, Nazis zu bekämpfen. Dieses Interesse besteht auch. Aber nur dann, wenn Nazis sich nicht darauf beschränken auf „Ausländer“, „Penner“ und „Zecken“ loszugehen, sondern ihr Auftreten auch andere gesellschaftliche Kräfte empört.
Aufkeimende Hoffnung, man könne eine CSU-Regierung noch weiter treiben, als ein Vereinsverbot zu verfolgen, wollen wir nicht gänzlich zerschlagen, aber eine Vernichtung des Faschismus und seiner Wurzeln wird es mit ihr nicht geben, sondern nur gegen sie. Um rassistische und faschistische Hetze zu bekämpfen, müssen deren Wurzeln, die heute vor allem in der Kapitalistischen Konkurrenzwirtschaft und der Aneignung des gesellschaftlichen Reichtums durch eine Minderheit liegen, zerstört werden. Dass die CSU sich vom Kapitalismus abwendet ist aber noch nicht auszumachen. Die Razzia ist lediglich der Versuch, Zeit zu gewinnen. Wenn die Wahlen gelaufen sind, wird die bayerische Regierung konsequent weiter AntifaschistInnen diskreditieren. Antifaschistischer Selbstschutz bleibt die einzige Möglichkeit, sich gegen Naziterror zu wehren.
Erschienen in barricada – August/September 2013