Occupy Wallstreet

Juhuu, die Revolution in den USA steht unmittelbar vor der Tür! Nein, das war natürlich nur ein Scherz, aber einige Linke mit Hang zur Romantik nutzen auch die jüngsten Proteste der Occupy-Wallstreet-Bewegung als Projektionsfläche für ihre Phantasien und Wünsche. Andere wieder wissen, dass das eh alles doof ist und Klassenkampf derzeit darin besteht, Protestierende zu kritisieren. Und zwar schriftlich. Diesen werden wir uns am Schluss des Artikels kurz widmen.

Ready for a Tahrir moment?“

Die bürgerlichen Medien gaben sich auch nach dem Anwachsen der Bewegung Mühe, den Protest weitgehend zu ignorieren. Vor diesem Hintergrund war es für die AktivistInnen ganz nützlich, dass sich, wie bei bunten bis bürgerlichen Protesten üblich, bald die ersten Prominenten einstellten, um ihre Solidarität mit der Bewegung zu zeigen. Als erste Prominente gab sich im New Yorker Camp Roseanne Barr die Ehre, die aus der Sitcom „Roseanne“. Sie gab zum Besten, dass ihr eine Mischung aus Sozialismus und Kapitalismus vorschwebt, um die gesellschaftlichen Probleme zu lösen. Einerseits ist das natürlich nichts als die naive Meinung einer amerikanischen Millionärin, andererseits vor dem Hintergrund des politischen Klimas, das derzeit in den USA herrscht, doch reichlich verwegen. Die überzeugte Antikommunistin Barr sprach sich einem TV-Sender gegenüber für die Wiedereinführung der Guillotine ein. „Schuldigen“ Bänkern sollte ihrer Meinung nach die Möglichkeit gegeben werden, alles persönliche Vermögen über 100 Millionen Dollar zurückzuzahlen. Wer von ihnen nicht fähig sei, von diesem Betrag zu leben, sollte in ein Umerziehungslager geschickt werden und, wenn auch das nichts hilft, geköpft. Frau Barr´s Vermögen wird übrigens auf 80 Millionen US-Dollar geschätzt. Natürlich ließen sich unter anderem auch Susan Sarandon und der unvermeidliche Michael Moore blicken. Mittlerweile hat auch Präsident Barack Obama Verständnis für die Anliegen der Protestierenden gezeigt. Schließlich gehören sicher viele der AktivistInnen zu den Menschen, die Obama bei der letzten Wahl ihre Stimme gegeben hatten und nun von ihrem ehemaligen Hoffnungsträger maßlos enttäuscht sind.

Die bürgerlichen Medien berichten inzwischen zwar über die Occupy-Wallstreet-Bewegung, verzichten aber selten darauf, die Bewegung offen zu kritisieren oder sich über sie lustig zu machen. Bemerkenswert ist das unterirdische Niveau der rechten Sender und Zeitungen. Diese versuchen, sich gegenseitig mit durchgeknalltem Gegeifere über die unamerikanischen kommunistischen Nazis, welche die Erfolgreichen für die Misere verantwortlich machen, zu übertreffen. Denn Schuld an allen Mißständen sind die Erfolglosen und der Umstand, dass der Staat sich ihrer Wohlfahrt zu sehr widmet. Die Reaktionen der rechten Hetzer und der Marktschreier der Herrschenden in den USA auf die Protestbewegung belegen eindrucksvoll, dass sich die Blödsinnigkeit und der Unverstand der medialen Tea-Party-UnterstützerInnen noch steigern ließen. Argumente vortäuschen müssen sie kaum noch, Gaga reicht inzwischen aus.

Angst vor der Breite

Wie sieht es mit einer vorläufigen Einschätzung der US-amerikanischen Protestbewegung aus? So: Die Gefahr ist groß, die politischen, kulturellen und sozialen Verhältnisse in den USA mit denen in Deutschland gleichzusetzen. Die Unterschiede sind gewaltig. Kritik an US-Protestbewegungen muss diesen Hintergrund würdigen. Kritisieren könnte man das im Durchschnitt mangelhafte Bewußstsein der meisten AktivistInnen, ihr teilweises Verhaftetsein im US-Patriotismus und einige der fragwürdigen Herangehensweisen der Protestierenden. Einige deutsche Linke werden genau das tun und die Bewegung damit gleich abschreiben. Wir kennen das: Was nicht reinen Wassers ist, ist des Teufels, was nicht offen und bewußt klassenkämpferisch ist, ist dumm und wertlos. Aber dumm ist manches nicht, was Unzufriedene, „Empörte“ und sonstige Menschen, deren Zweifel am System sich häufen, zu sagen haben. Und einen inhaltlich und methodisch wertvolleren Protest auf die Beine zu stellen: Wer hindert die revolutionäre Linke daran? Auch ein solcher Protest aber wird nicht zum Widerstand werden, wenn er „rein“ bleiben soll und die Breite des Protestspektrums scheut. In den USA genauso wie hier.
Das wäre ein netter Schlussatz gewesen, aber der Klarheit halber muss noch eines nachgeschoben werden: Mit all dem soll natürlich noch lange nicht denen das Wort geredet werden, welche die Illusion haben, über eine Verwässerung der eigenen Inhalte und Standpunkte „die Massen“ unter ihre Fuchtel zu bekommen.

Website von „Occupy Wallstreet“:
www.occupywallst.org

Erschienen in barricada – Herbst 2011