Links in Bewegung – Februar 2013

Reclaim the streets! Die Strassen und Häuser denen, die darin wohnen!

Am Freitag, den 18. Januar zogen etwa 250 meist jugendliche Menschen in den Abendstunden durch das verschneite Fürth. Obwohl ihr Marsch am grünen Markt begann und anschließend sofort in die belebte Fürther Kneipenmeile Gustavstraße führte, war der Spaziergang nicht nur der abendlichen Unterhaltung geschuldet. Anstatt, wie so viele, am Wochenende von Kneipe zu Kneipe zu ziehen, verband die TeilnehmerInnen – neben dem Wunsch zu feiern und zu tanzen – auch ein politisches Anliegen: Die Straßen, die Plätze, die Häuser, ja die ganzen Städte sollen wieder den Menschen, die darin wohnen gehören. Die Rede ist natürlich von einer sogenannten „reclaim the Streets“-Demonstration. Veranstaltet wurde diese von der Jugendantifa Fürth (JAF), mit der Unterstützung zahlreicher linker Gruppen aus der Region. Gefordert wurden bezahlbarer Wohnraum für alle, freier, also kostenlose Zugang zu öffentlichen Orten für jede und jeden und die Beendigung der Kriminalisierung von Jugendlichen. Mit Letzterem ist die zunehmende Tendenz des Staates und gesellschaftlicher Kräfte gemeint, die Jugend pauschal als ordnungspolitisches Problem im öffentlichen Raum zu definieren. Nicht selten werden harmlose Feiern von Jugendlichen, durch die sich manche gestört fühlen, weil z.B. die Musik als zu laut empfunden wird, von Spezialeinheiten der Polizei gestürmt. Anstatt der Jugend Freiräume zu lassen, die ihnen ermöglichen, sich selbst zu entdecken und Grenzen mit Respekt aufzuzeigen, wird das „Jungsein“ an sich, vor allem bei migrantisch geprägten Jugendlichen, als Bedrohung erst konstruiert, um dann von Polizei, Ordnungsamt, Justiz und Sozialpädagogik repressiv gelöst zu werden. Diese Institutionalisierung von Erziehung, die der Staat statt der Gesellschaft ausübt wird zur Entschuldigung für jene, die schon immer zu spießig waren, um Verantwortung selbst zu übernehmen. Sie wollen alle gesellschaftliche Interaktionen den Behörden überlassen. Oder einfacher formuliert: Anstatt lauten Jugendlichen zu sagen, dass man gerne schlafen möchte, weil man früh aufstehen muss, werden die Bullen gerufen. In Fürth hat diese Institutionalisierung von gesellschaftlichen Konflikten, die etwas mit Jugendlichen zu tun haben, Tradition. In der Gründungsphase der Antifaschistischen Linken Fürth konnte man das Zusammenwirken von Stadt, Polizei und Justiz beobachten, die meist jugendlichen Gründungsmitglieder der Fürther Gruppe möglichst durch Kriminalisierung vom politischen Engagement abzuhalten. Eine Entwicklung, die es natürlich nicht nur in Fürth gab und gibt. Doch dort hat man sich bisher, auch mit Unterstützung solidarischer Gruppen aus Nürnberg, gut dagegen gewehrt. In der Tradition des Widerstandes gegen staatliche Bevormundung und kapitalistische Ausgrenzung stand auch die nun zum 2. Mal veranstaltete Reclaim the Streets Demo in Fürth, die in der Nähe des nun schon einige Zeit bestehenden linken Infoladens Benario endete. Von der Stadt Fürth ist allerdings wohl kaum ein Umdenken, was den repressiven Umgang mit Jugendlichen betrifft zu erwarten. So war es der Demonstration per Auflage untersagt, in der Gustavstraße bestimmte Meinungen zum Konflikt zwischen AnwohnerInnen und Kneipenbetreibern zu äußern.

SiKo

Anfang Februar durfte in München ein weiteres Mal die sogenannte Sicherheitskonferenz stattfinden. Geladen waren wie immer internationale KriegspolitikerInnen, Militärs und Rüstungslobbyisten. Zugegen war aber zum Beispiel auch der Präsident der syrischen „Nationalen Koalition der Oppositionskräfte“, welche sich am blutigen Bürgerkrieg gegen sie syrische Regierung maßgeblich beteiligt.

Selbstverständlich protestierten auch dieses Jahr Menschen aus der Antikriegs- und Friedensbewegung gegen das Kriegstreibertreffen – eines der wichtigsten und wahrscheinlich das größte seiner Art. Mit ca. 2000 TeilnehmerInnen geriet die Demo gegen die Siko am 2. Februar allerdings kleiner als von den VeranstalterInnen erwartet. Im Vorfeld der Kundgebung und Demonstration hatte es im Bündnis gegen die „Sicherheitskonferenz“ Querelen über den geplanten Redebeitrag des antikapitalistischen Blocks gegeben. Auf Einladung der AL/M sollte Inge Viett auf der Auftaktkundgebung reden. Teile des Bündnisses wollten daraufhin entgegen bereits getroffener Bündnisabsprachen dem antikapitaistischen Block das Rederecht entziehen, da man kein ehemaliges Mitglied der RAF auf der Kundgebungsbühne dulden wollte. Ein Sprecher des Bündnisses griff in den Medien die radikal linken Gruppierungen, die zu dem antikapitalistischen Block aufgerufen hatten, scharf an und beschimpfte seine BündnispartnerInnen als „kindisch“: Eine Art der Bündnisarbeit, die direkt demobilisierend wirkt. Der schließlich gefundene Kompromiss sah so aus, dass Inge Vietts Redebeitrag auf der Auftaktkundgebung von einer Person verlesen werden durfte, die vermutlich noch nicht in einer Stadtguerillagruppe organisiert gewesen war (soviel zum Thema „kindisch“) Inge Viett selbst konnte ihre sehr klassenkämpferische Rede schließlich während der Demonstration noch einmal vom Lautsprecherwagen aus halten. Sie brachte die Notwendigleit des Protestes und Widerstandes gegen die kapitalistische Kriegspolitik treffend auf den Punkt und nannte den einzig möglichen Ausweg aus der Barbarei und dem Terror des Kapitalismus:

„Schlag auf Schlag folgen die Militäreinsätze. Deutschland ist seit dem Untergang des realsozialistischen Lagers immer dabei und treibt wieder seine Rolle als Global Player oder genauer: als imperialistischer Akteur in der Weltpolitik voran. Das deutsche Kapital und das deutsche Militär samt ihren politischen Vertretern sind sich darin einig, daß es ihr Recht ist, überall auf der Welt zu intervenieren, wo sie ihre gegenwärtigen und zukünftigen Interessen bedroht sehen oder diese nicht umsetzen können. Vorrangig sind dies die weltweite Kontrolle der Handelswege, Eroberung von Absatzmärkten und Sicherung von Ressourcen. Das Kriegsministerium spricht es ohne Scheu aus: »Unser Feld ist die Welt« (Staatssekretär Rüdiger Wolf auf der Handelsblatt-Konferenz »Sicherheitspolitik und Verteidigungsindustrie«, Berlin 19./20.11.2012). (…) Unser Kampf als revolutionäre Antiimperialisten orientiert sich an zwei großen Linien: im eigenen Land das Klassenbewußtsein und die Solidarität der Lohnabhängigen stärken durch Initiierung und Unterstützung der Kämpfe gegen die Zumutungen des Kapitals in allen Arbeits- und Lebensbereichen. Und international sind wir solidarisch mit linken und fortschrittlichen Kräften, die für eine Befreiung und Verbesserung der Lebensbedingungen der unterdrückten, ausgebeuteten Klasse kämpfen und sich jeder imperialistischen Intervention entgegenstellen.

Mit der Zerstörung der kapitalistischen Machtverhältnisse wird auch die Kriegslogik gebrochen. Wir wissen alle, wie schwer es ist, eine revolutionäre Bewegung aufzubauen. Aber ohne sie werden wir schwerlich vorankommen. Es zeigt sich immer wieder, dass große sporadische Demonstrationen und Kampagnen nicht ausreichen. Um langfristig zu einer Klassenmacht zu werden, ist es notwendig, eine starke Organisierung voranzutreiben, die in der Lage ist, revolutionäre Strukturen zu festigen.

Sich organisieren, vernetzen, gemeinsame Ziele und Perspektiven erarbeiten! Den Kapitalismus abschaffen! Die NATO zerschlagen!

(Die ganze Rede kann auf Indymedia nachgelesen werden)

Am antikapitalistischen Block beteiligten sich ungefähr 300 Menschen. Die Polizei, die mit 3400 BeamtInnen das Kriegstreibertreffen schützte, trat wie immer sehr provokativ auf und stoppte den Demozug, als ihr das seitliche Zeigen von Transparenten nicht genehm war. Zu größeren Auseinandersetzungen kam es jedoch nicht.

Die Herrschenden wissen, dass ein Großteil der Bevölkerung ihre grundsätzlich Kriegspolitik ablehnt, aber einstweilen ruhig bleibt und mit größeren Propagandaanstrengungen zur Duldung und punktuell manchmal sogar Billigung des mörderischen Treibens gebracht werden kann. Es wäre ein fatales Zeichen, wenn die Proteste gegen die verbrecherische Konferenz, die alljährlich in München stattfindet, einschlafen würden. Nötig ist sicher eine Ausweitung von Protest und Widerstand und hoffentlich zur nächsten SIKO eine breitere Mobilisierung der radikalen Linken – denn auf die bürgerlichen Bündnis“partnerInnen“ in München können wir uns sicher nicht stützen.

Etappensieg für arme StudentInnen

Das Volksbegehren zur Abschaffung der von der CSU eingeführten Studiengebühren in Bayern war erfolgreich. Es haben sich ausreichend Menschen für das von den Freien Wählern gestartete Plebiszit eingetragen. Auch dazu beigetragen, dass das Volksbegehren genug Aufmerksamkeit erhielt, hatte sicherlich die hauptsächlich von StudentInnen veranstaltete Demonstration am 12. Januar in Nürnberg. Etwa 400, meist studierende Menschen waren dem Aufruf des Arbeitskreises „Volksbegehren“ an der Ohm-Hochschule gefolgt. Die Demonstration zog durch die Nürnberger Innenstadt und mit Flugblättern und Lautsprecherdurchsagen wurden die PassantInnen und TeilnehmerInnen zum Unterschreiben für das Volksbegehren aufgefordert. Aber inhaltlich beschränkte man sich auf dem Lautsprecherwagen und in den Redebeiträgen nicht auf Studiengebühren oder das Thema Bildung. Immer wieder wurde thematisiert, dass der Kampf für eine wirklich solidarische Gesellschaft von Menschen aus der Basis aller gesellschaftlicher Bereiche geführt werden muss und der Kampf gegen Ausbeutung, Ausgrenzung und Unterdrückung nicht am Unitor enden kann.

Aufgerufen hatte auch die studentische Basisgruppe Lista, die in ihrem Flugblatt zur Demonstration klar stellten, wie der Erfolg des Volksbegehrens zu werten ist: „Für uns als Lernende, die die wirtschaftliche Verwertung des Menschen nicht für ein Naturgesetz halten, ändert sich erst Mal nicht viel. Weder kann für uns gelten, mit der CSU, der SPD oder irgendeiner anderen Partei, die sich außer Sozialkahlschlag und Zuspitzung der Verhältnisse für die Mehrheit der Menschen nicht allzu viel auf die Fahnen schreiben können, auf einmal auf Kuschelkurs zu gehen. Noch dürfen wir unterwürfig auf ‚deren‘ Erfolg verweisen, wenn die Studiengebühren nun abgeschafft werden sollten. Dass dieses Thema überhaupt die Relevanz erlangt hat, die aktuell auszumachen ist, haben wir mit all unserer Ausdauer, Phantasie und Unbequem-Sein erkämpft!“

Für den nun anstehenden Volksentscheid prognostizieren die Umfragen, dass die Mehrheit für die Abschaffung der Studiengebühren ist. Zeit weitere Forderungen in die Öffentlichkeit zu tragen, die uns dem Ziel „Bildung für alle“ näher bringen.

Oskar Maria Graf Spezial

Am 22. 2. 2013 wird euch im Rahmen der allseits beliebten Prolo–Kneipe (jeden 4. Freitag im Monat) ein besonderes Schmankerl präsentiert, welches über die ansonsten üblichen Veranstaltungen und Beiträge hinausgeht.

An Hand von Texten des bayrischen Schriftstellers Oskar Maria Graf wollen wir unter dem Motto „Geschichten und Geschichte – die Münchner Räterepublik von 1918/19“ die Zeit der bayerischen Revolution wieder aufleben lassen.

Da die Geschichte einige Aspekte bereithält, die vielen Menschen heute nicht mehr gegenwärtig sind, sollen sie hier der Vergessenheit entrissen werden.

Aus dem Veranstaltungstext:

„Dass gerade das bayrische München die erste deutsche sozialistische Revolution und Räterepublik hervorbrachte, ausgerechnet ein preußischer Jude, Kurt Eisner, den Freistaat Bayern ausrief, mag sich heute kaum einer vorstellen, der geschichtsvergessen glaubt, die CSU hätte alles Bayrische für sich gepachtet.

Bayern war nicht immer die „Ordnungszelle“ rechtskonservativer, klerikaler Kreise, nur kurzzeitig konnte München zur „Hauptstadt der Bewegung“ erklärt werden, nein, es gab viele widerständige Bewegungen, die sich oft genug, wie ihre Protagonisten, auch durch Witz und Bauernschläue auszeichneten.

Uns als Linke, und zudem oft auch noch Franken, fällt es freilich nicht leicht uns für den „Freistaat Bayern“ zu erwärmen, wir sollten den Großkopferten aber nicht die Hegemonie über die Geschichtsschreibung lassen.

Bayern war nicht immer CSU-Land wie mensch uns heute glauben machen will. Dass es noch eine ganz andere Geschichte gibt soll die geplante Veranstaltung zeigen.

Neben den chronologischen Daten, die den geschichtlichen Hintergrund vermitteln, werden auch immer wieder Textpassagen aus den Werken Oskar Maria Grafs eingestreut, der als Zeitzeuge die nüchternen Fakten lebendig werden lässt. Und darin ist er Meister, der Oskar Maria Graf. Seine Romane sind für alle, die eine unverschnörkelte, kraftvolle Sprache lieben ein echter Spaß zu lesen und dabei noch einige der besten Geschichtsbücher die es gibt.

Oskar Maria Graf erzählt nicht von fiktiven Begebenheiten und Romanfiguren sondern von tatsächlich Erlebtem. Viele seiner Romane sind autobiografisch gefärbt oder spielen in der bäuerlichen Umgebung Bayerns aus der er stammt. Vor allen die Texte der Autobiografie seiner Jugendzeit „Wir sind Gefangene“ behandelt die Zeit um die Münchner Räterepublik und den beginnenden Aufstieg der Nazis und finden dadurch verstärkt Eingang in die Veranstaltung. Schonungslos geht er mit sich selber ins Gericht, mit seiner inneren Zerrissenheit, seiner Derbheit, seiner Trunksucht und krachenden Geselligkeit, die teilweise schon misanthrope Züge trägt. Sowie seiner grenzenlosen Naivität mit der er als „junger Bursch´ vom Land“ in die Wirrungen der vorrevolutionären Zeit des Nachkriegsmünchen gerät.

Das ist zum Schmettern lustig und teilweise wegen Fremdschämen an der Grenze des Erträglichen. Wenn er beispielsweise ausgerechnet einen Bullen, nachdem er die von einem Genossen angegebene Adresse zu einer Veranstaltung der Anarchisten vergessen hatte, nach dem Versammlungsort derselben fragt. Der Bulle freilich nimmt ihn prompt fest und entlässt ihn erst nach eingehender Befragung und strengsten Ermahnungen, nachdem er sich endlich davon überzeugt hat, dass er es mit einem wirklichen Deppen zu tun hat.

Derlei Anekdoten gibt es zuhauf. Graf beschreibt sein Eintauchen in die Münchner Boheme, sein Leben mal als Deserteur, Schieber oder Revolutionär, seine Begegnungen mit später bekannt geworden Künstlern, Revolutionären wie Erich Mühsam ( von dem wir auch ein Gedicht zum besten geben wollen) und selbst Nazis, ja Adolf Hitler selbst. Eben all jenen, die sich im München der damaligen Zeit tummelten. Nicht immer sympathisch kommt er dabei rüber, oft ist er der Mega-Assi, aber dennoch im Prinzip auf der richtigen Seite – und immer brutal ehrlich.

Man darf also gespannt sein auf diesen Abend, bei dem auch durch die Äußerlichkeiten die Bierkellerstimmung des revolutionären Münchens um die 1919/1920 Jahre nachempfunden werden soll.

Bier vom Fass, in Maßkrügen ausgeschenkt, deftiges Essen und entsprechende Begleitmusik, teilweise live, werden garantiert. Mitmachen ist angesagt. So ist auch das Publikum gehalten sich im Stile der Zeit zu kleiden (die LangweilerInnen unter uns müssen natürlich nicht) und die Beiträge gegebenenfalls lautstarktrunken zu begleiten. Alles in Allem verspricht das eine „riesen Hetz´“ zu werden!

Spricht also nichts dagegen am vierten Freitag (22.) im Februar mal wieder einen netten Prolo- Kneipenabend zu verbringen. Einlass ist ab 19.00 Uhr, die Veranstaltung beginnt pünktlich um 20.30 Uhr. Wir freuen uns jedenfalls auf euer Kommen und Bombenstimmung!

Eure OA/Prolos

Erschienen in barricada – Februar 2013