Links in Bewegung – November 2010
Krach schlagen gegen die soziale Realität
Mehrere tausend Menschen sind in Oldenburg für die Erhöhung der Hartz IV Regelsätze auf die Straße gegangen
Unter dem Motto: „Krach schlagen statt Kohldampf schieben – Mindestens 80 Euro sofort für Ernährung“ haben am Sonntag den 10. Oktober über dreitausend Menschen im niedersächsischen Oldenburg gegen die sogenannte Sozialpolitik der Bundesregierung demonstriert. Mit Trillerpfeifen, Kochtöpfen, Kochlöffeln, Trommeln und Vuvuzelas verliehen die TeilnehmerInnen des bunten Demonstrationszuges ihren Forderungen akustischen Nachdruck. Zu der Demonstration aufgerufen hatte ein breites Bündnis von Erwerbslosengruppen, darunter die Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg, die Bundesarbeitsgemeinschaft Prekäre Lebenslagen, das Erwerbslosen Forum Deutschland, Tacheles e.V. und verschiedene gewerkschaftliche Erwerbsloseninitiativen.
Das Krachschlagen soll, nach Aussagen der OrganisatorInnen, zum Symbol einer neuen Welle von Sozialprotesten werden: „Krach schlagen signalisiert, dass es ans Eingemachte geht, dass heute selbst in den reichen Ländern das Recht auf gesunde Ernährung verletzt wird. Aber Krachschlagen signalisiert auch, dass wir uns wehren, dass wir die Machthaber in diesem Land nicht mehr in Ruhe lassen.“
In einem gemeinsamen Redebeitrag der Erwebslosennetzwerke auf der Abschlußkundgebung wiesen diese die aktuelle Hartz IV Reform der Bundesregierung sowie die Erhöhung der Regelsätze um 5 Euro als Hohn zurück: „…Diese Regierung behandelt mehr als 5 Millionen Menschen wie den letzten Dreck! Sie hat das soziokulturelle Existenzminimum wieder in Hinterzimmern berechnen lassen….Sie hat keine öffentliche Diskussion darüber geführt, was ein Mensch in dieser Gesellschaft braucht für ein menschenwürdiges Leben .. sie hat nicht mit denen geredet die von Hartz IV leben müssen…Sie wirft ihnen 5 Euro hin wie den Tieren das Futter: Friss oder stirb! …. Wir wehren uns gegen die Spaltung in nützlich und überflüssig… wir fordern eine ausreichende und gleiche Grundsicherung für alle Menschen weltweit!“
Für die Unterstützung von Gewerkschaften, der Linken und anderen Parteien bedankten sich die OrganisatorInnen ausdrücklich. In Richtung der sich bei den DemonstrantInnen mit Solidaritätsbekundungen anbiedernden SozialdemokratInnen und Grünen hieß es aber auch, „mit flockigen Lippenbekenntnissen ist der Schaden den ihr mit der Durchsetzung von Hartz IV angerichtet habt nicht wieder gut zu machen. Wir werden euch an euren Taten messen, keine faulen Kompromisse im Vermittlungsausschuß, 80 Euro mehr für Lebensmittel und keinen Cent weniger!“
Nazis in Nürnberg, Fürth und vor Gericht
Bekanntlich wurde Ende April am U-Bahnhof Plärrer ein junger Mann von einem Fürther Neonazi fast totgeschlagen. Laut den Aussagen Unbeteiligter hatte der Mann die Begleiterin des Nazis auf ihre „Thor Steinar“-Bauchtasche angesprochen. Der Neonazi, der auch Kampfsport betreibt und mehrfach einschlägig vorbestraft ist, schlug und trat danach so lange auf sein Opfer ein, bis dieses leblos am Boden lag. Es folgten mehrere Reanimationen, zuerst durch zufällig anwesende Ersthelfer, danach durch den Notarzt. Einen Tag nach dem Angriff stellte sich der Täter der Polizei. Diese und die Staatsanwaltschaft setzten nach der Tat auf Vertuschung und Desinformation. Der Täter war der bekannte Neonazi und Kader des „Freien Netz Süd“, Peter Rausch. Tagelang weigerte sich die Polizei die Identität des Täters preiszugeben oder auch nur zu erwähnen, dass es sich bei ihm um einen Nazi handelt. Erst durch den Druck durch AntifaschistInnen sahen sich die Behörden genötigt, einige ihrer Kenntnisse zu veröffentlichen. Doch Staatsanwaltschaft und Polizei versuchten weiterhin, den Tathergang zu verschleiern und die Schuld des Täters zu relativieren. Sie rechtfertigten dies damit, dass es noch widersprüchliche Zeugenaussagen gebe. Damit meinte sie, dass die Aussage des Nazis und seiner Freundin den Aussagen unbeteiligter ZeugInnen widersprach. Das Tatopfer musste durch Ärzte in ein künstliches Koma versetzt werden und konnte daher zunächst gar nicht aussagen. Nach dem Erwachen aus dem Koma versuchten die Ermittlungsbehörden das noch benommene Tatopfer zu befragen. Dass der junge Mann noch nicht aussagefähig war, was ihm auch die behandelnden Ärzte attestierten, verdrehte die Staatsanwaltschaft vor der Öffentlichkeit zu der Behauptung, der Zusammengeschlagene verweigere alle Aussagen. Die Version des Täters wurde von Polizei und Staatsanwaltschaft dagegen an die Presse weitergegeben. Erst nach zwei großen Demonstrationen, massenhaften Flugblattverteilungen und dem Aufbauen politischen Drucks gelang es dem zum Thema gegründeten Soli-komittee, dem Antifaschistischen Aktionsbündnis und anderen antifaschistischen Kräften, die Behörden und die Stadt Nürnberg zum Einlenken zu bewegen. Oberbürgermeister Maly, der vorher wie sein Fürther Kollege Jung das Naziproblem in der Region heruntergespielt hatte, sah sich gezwungen, einen „Krisengipfel“ mit der Polizei anzukündigen. Was bei diesem Gespräch herauskam bleibt aber Malys Geheimnis.
Prozess steht an,
weiter Naziangriffe in Fürth
Peter Rausch, einer der brutalsten Nazis der Region, der bei früheren Verfahren gegen ihn immer auffallend billig davonkam, sitzt also in U-Haft. Die Naziumtriebe in Nürnberg und die Übergriffe in der Fürther Innenstadt gehen aber unvermindert weiter. Kurz nach Rauschs Tat drohte Sascha Rudisch, ein weiterer bekannter Nazischläger, einem Antifaschisten mit den Worten: Willst du auch im Koma landen? Peter Rauschs Freundin, die ebenfalls der Naziszene angehört, versuchte unterdessen, eine ihr bekannte Augenzeugin zu einer Falschaussage zu nötigen. Diese versuchte Strafvereitelung wurde mittlerweile vom Gericht mit einer milden Strafe bedacht. Ende Oktober wurde in der Fürther Innenstadt wieder ein Antifaschist von Aktivisten des „Freien Netz Süd“ geschlagen und getreten. Mehrere Nazis bedrohten, beleidigten und bespuckten eine Gruppe Antifas und schlugen dann auf einen von ihnen ein. Der Nazigegner musste danach im Krankenhaus behandelt werden. „Dieser erneute Übergriff durch Neonazis reiht sich ein in eine Serie von neonazistischer Gewalt in Fürth, die dem Freien Netz Süd zuzurechnen ist.“, so eine Sprecherin der Antifaschistischen Linken Fürth (ALF). „Wir werden die Aktivitäten der FaschistInnen auch weiterhin beobachten und dokumentieren und nazistischen Aktionen jeder Art entschieden entgegentreten.“
In Sachen Rausch hat die Staatsanwaltschaft nun Anklage erhoben. Die Prozesstermine dürften also in Kürze bekannt gegeben werden.
Erschienen in barricada – November 2010