Linke GegenÖffentlichkeit im Wandel

Es muss sich jedeR Nutzer_In fragen, wie wichtig ihm/ihr das Projekt ist. Die Gemeinschaft steht vor der Frage, ob es de.indymedia.org als Veröffentlichungsplattform weiter braucht. In den letzten Jahren hat sich ergeben, dass immer weniger Menschen bereit sind, sich für den Erhalt des Netzwerkes einzusetzen. Falls sich keine weiteren Aktiven finden, die sich verbindlicher als jetzt einbringen, so wird sich de.indymedia.org wohl im Frühjahr/Sommer 2013 selbst auflösen.
So steht es bei Indymedia.de seit 10. Oktober in einem Artikel, der auf der Startseite verlinkt ist. Mal davon abgesehen, dass „Frühjahr/Sommer 2013“ streng genommen keine Deadline darstellt (eher eine „Deadzone“), scheint es nicht gut bestellt zu sein um die wohl meist genutzte Internet-Informationsquelle der Linken in Deutschland. Längst gibt es als Spaltprodukt inhaltlicher Auseinandersetzungen unter den deutschen Indymedia-Aktiven das Internetportal linksunten.indymedia.org, das einiges anders macht als de.indymedia.org, aber dennoch zum weltweiten Indymedia-Netzwerk gehört. So kann der Mangel an Menschen, die bereit sind bei de.indymedia.org mitzuarbeiten auch hausgemacht sein: Seit die Plattform im Netz steht hat sie sich kaum weiterentwickelt – im Gegensatz zum kleinen Bruder Linksunten. Kein Wunder, dass viele Netzaktivisten lieber dort mitarbeiten, als beim ursprünglichen Projekt. Seit dem Start war de.Indymedia weniger ein Informationsmedium des Graswurzeljournalismus, sondern eher eine Art Klowand des Internets, auf der alle mehr oder weniger veröffentlichen konnten, was sie wollten. Sicher, der Putzdienst von Indymedia, das Moderationskollektiv entfernte oft erstaunlich zeitnah rassistische, sexistische und andere ekelhafte Beiträge. Doch die Qualität der allermeisten Postings ging über das Niveau höchst unprofessioneller Pressemitteilungen kaum hinaus. Das an sich ist kein Problem, denn der Klowandcharakter überlässt es zumikndest den LeserInnen, was sie sich anschauen möchten. De.Indymedia.org zeichnet ein fast vollständiges Bild der deutschen Linken, der noch existierenden Basisbewegungen und allem, was sonst noch Interesse hat, dort zu veröffentlichen. So relativ ungefiltert bekommt man kaum woanders ein Bild davon, was in Deutschland alternativ zum Mainstream läuft. Freilich, auch unschönes und Dinge die man lieber nicht sehen möchte, sowie ganz viel Störfeuer von Nazis und anderen Witzbolden. Bei Indymedia muss man ein Gespür dafür haben, ob der Artikel, den man gerade gelesen hat auch nur ein Fünkchen Wahrheit enthält. Indymedia braucht, so wie eigentlich jedes Medium, vor allem Internetmedien, die Gegenrecherche. Doch nirgendwo wird das so deutlich wie bei dem linken Internetportal. Während die bürgerlichen Zeitungen, wie Süddeutsche, Frankfurter Rundschau etc. bei Falschmeldungen fürchten müssen an Ruf zu verlieren, ist bei Indymedia völlig klar, dass hier nichts stimmen muss. Ein Problem, mit dem der Graswurzeljournalismus aber seit jeher zu kämpfen hat. Vom Ansatz her ist Indymedia ein „jeder kann schreiben“-Projekt. Die Redaktion filtert nur das absolut unerwünschte, über dessen Unerwünschtheit es einen vermeintlichen Kontext unter dem Nutzermainstream gibt, heraus. Welche Informationen nun tatsächlich „wahr“ und welche „falsch“ sind, kann nur dadurch, dass wo anders Gegengelesen wird, überprüft werden. Dennoch fordern viele Linke ein geradezu unmögliches Redaktionsverhalten ein, alles was stört zu entfernen, aber gleichzeitig nie zu zensieren. Ob linksunten das vielleicht kommende Ende von de.Indymedia auffangen kann, bleibt abzuwarten. Was die verfügbarkeit von aufbereiteten Informationen betrifft, bleibt die Lage jedoch angespannt.

Das Zeitungssterben

Der AK (ehemals „Arbeiterkampf“) schrieb anlässlich seines relaunch 2011:
Richtig ist, dass es kaum noch eine Zeitung mit dem Zweck geben muss, unterdrückte Nachrichten publik zu machen – ein wichtiger Aspekt der Gegeninformation im Sinne der 1970er und 1980er Jahre. Damit verändert sich aber auch der Begriff der Gegenöffentlichkeit. Die Möglichkeit, Informationen zu erhalten, wird häufig mit Aufklärung und Analyse oder gar mit Einflussnahme und Politik verwechselt. Und hier wird das Papier und vor allem redaktionelle Arbeit weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Der begrenzte Platz auf Papier zwingt dazu, Themen zu gewichten, guten Argumenten Raum zu geben und heiße Luft aus Texten abzulassen. Auch das ist ein Moment von Gegenöffentlichkeit. Die redaktionelle Arbeit, d.h. eine kollektive Verständigung über wichtige Themen und Fragen, ist bereits eine politische Selbstverständigung.“ (ak – analyse & kritik – zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 566 / 18.11.2011 )
Ja, dem AK soll an dieser Stelle Recht gegeben werden – mit der Einschränkung, dass es sehr wohl noch viele unterdrückte Meldungen gibt. Dennoch, nicht nur in der Linken sinkt die Wertschätzung solcher redaktioneller Arbeit. Das sogenannte Zeitungssterben betrifft nicht nur Linke Zeitungen, sondern sogar noch stärker große, meist die liberaleren Blätter. Die Frankfurter Rundschau (FR) hat die Insolvenz beantragt, die Financial Times Deutschland (FTD) existiert nicht mehr. Im Zeitalter des Internets wird mit Informationen anders gehandelt als vorher. Viele Zeitungen haben bisher keinen Umgang damit gefunden, dass sich die Menschen zunehmend im Internet informieren und immer weniger Zeitungen kaufen. Generell scheint es garade die Zeitungen zu treffen, die noch für einen realtiv hohen journalistischen Anspruch standen. Auch wenn mit der Nürnberger Abendzeitung erst vor kurzem ein Blatt eingegangen ist, dass diesen Anspruch sicher nicht hatte, widerspricht das nicht unbedingt dem Trend. Während nämlich im seichten Boulevardbereich die Konkurrenz sehr hoch ist, stachen die FR und FTD durchaus aus dem Blätterwald heraus. Gerade für den an ökonomischen Ereignissen interessierten KommunistInnen bot die FTD einiges an Informationen, die sonst deutlich schwieriger auffindbar waren. Erstaunlich in dem Zusammenhang ist, dass es der finanziell prekär aufgestellten linken Tageszeitung Junge Welt erneut gelang, ihr Fortbestehen zu sichern. Mitte Januar teilte der Verlag der Jungen Welt mit, dass mit einer Zunahme der täglich verkauften Auflage um 1000 Exemplare im letzten Quartal 2012 der wirtschaftliche Grundstein dafür gelegt sei, dass die Zeitung im Jahr 2013 „in Ruhe arbeiten kann“. Ob nun die höhere Solidarität oder die größere Bereitschaft der Mitarbeiter der JW zur Selbstausbeutung das Blatt gewendet haben, während andere den Bach runter gehen – es wird sicher eine Herausforderung bleiben, noch auf Print-Journalismus zu setzen.

I like

Während also die Medien, bei denen man sich noch halbwegs auf gute Recherche verlassen kann, langsam aussterben, kommt als vermeintliche Alternative zur Gegenrecherche der Terror des Mainstream in Form von Wertungsseiten, Frage-Antwort-Portalen und Top-Listen. Hier kann sich jeder im Internet über einen Klick beteiligen. Bei Wikipedia wird daraus dann der Versuch, ob sich sehr viele Beiträge dann doch zu einem gewissen Wahrheitsgehalt ergänzen, auf die Spitze getrieben. Längst hat aber auch Wikipedia ein komplexes System zur Qualitätssicherung geschaffen, bei dem aber leider von außen kaum jemand durchblickt, wer da eigentlich das sagen hat. Zahlreiche Artikel, vor allem über historische Gegebenheiten und politische Fragen, lassen vermuten, dass sich hier eher der Internetmainstream durchsetzt, als die Faktentreue. Dennoch nutzen hunderte Millionen Menschen Wikipedia als Primärquelle für viele Fragen. Auch nicht wenige klären wichtige Fragen mit vergleichender Google-Suche a la „wie oft wurde das Wort in dieser Schreibweise gefunden“. Nicht unwahrscheinlich, dass man demnächst als der größte Narr gilt, wenn man eine andere Meinung hat, als die mit den meisten Facebook-Likes. Für die Linke ist es aber essentiell, andere Ansichten, entgegen dem Mainstream zu finden und natürlich die Analysen und Handlungen die sich daraus ergeben dann weiter zu verbreiten. Auf Großkonzerne, die schon jetzt erfolgreich Massenbasierte Kampagnen selbst gegen kapitalistische GegnerInnen fahren, wie Google und Facebook, dürfen wir uns dabei sicher nicht verlassen. Noch sind unsere Inhalte auch dort auffindbar, aber in zugespitzter Lage wird Google unsere Meinung wohl verstecken, sei es aufgrund des Drucks unserer GegnerInnen oder weil Google selbst natürlich als kapitalistischer Konzern kein Interesse an einer andere Gesellschaftsordnung hat. Für die radikale Linke ist die Zeit gekommen, über einen aktualisierten Umgang mit Gegenöffentlichkeit nachzudenken und effektive Mittel zu finden, Einfluss auf die Meinungsbildung der Massen zu bekommen. Bis dahin wird diese Zeitung relativ oldschool auf Papier (aber auch im Internet) ihren redaktionell aufbereiteten Senf zur aktuellen Lage der radikalen Linken dazugeben. Garantiert ohne Like-Button.

Erschienen in barricada – Februar 2013