Leiharbeit – moderne Tagelöhnerei

In den vergangenen Wochen machte der Online-Versand amazon Negativschlagzeilen: Massiver Einsatz von Leiharbeit, grauenhafte Arbeitsbedingungen und als Garnitur noch Nazi-Securities, welche die LeiharbeiterInnen aus anderen Ländern tyrannisierten. Und dann die letzte Meldung: amazon reagiert sofort und wechselt die Security – Firma. Doch wie positiv ist diese Meldung zu lesen?! Warum braucht eine Firma überhaupt Securities in den Unterkünften der ArbeiterInnen? Und was hat Leiharbeit für eine Bedeutung in der kapitalistischen Produktion? Die richtigen Fragen stellen, fällt den hiesigen Medien nicht leicht und so scheint mit dem Wechsel der Sicherheitsfirma das Thema vom Tisch zu sein.
Aber beginnen wir am Anfang: die ARD deckte im Februar einen Riesen – Skandal auf: amazon beschäftigt über ein Subunternehmen systematisch LeiharbeiterInnen aus den verschiedensten krisengebeutelten Ländern. Die Arbeitsagentur leistete tatkräftige Unterstützung und schickte die Stellengesuche ihren europäischen KollegInnen. Busse mit Menschen kamen von Spanien und Portugal und brachten Arbeitskraft. Menschen, die in ihren Ländern keine Aussicht auf einen Job hatten, die voller Freude an etwas Geld zu kommen nach Deutschland kamen. Ihnen wurden gute Gehälter und sichere Arbeit bei amazon versprochen. Bekommen haben sie einen Arbeitsvertrag mit einem Subunternehmer über weitaus weniger Lohn und Bedingungen, die von einem sicheren Arbeitsverhältnis weit entfernt sind – allerdings wurde ihnen dies erst in Deutschland mitgeteilt. Wenn sie „Glück“ haben, holt sie einmal am Tag ein Bus ab, der sie zur Schicht bringt. Nicht alle werden jeden Tag gebraucht. Vor allem während des Weihnachtsgeschäft stellt amazon tausende LeiharbeiterInnen ein, um sie je nach Bedarf arbeiten zu lassen, sie in der Rückhand zu halten oder eben wieder zu feuern, wenn sie nicht mehr gebraucht werden. Wenn sie an einen oder mehreren Tagen nicht gebraucht werden, sitzen sie ihre Zeit in den schäbigen Unterkünften ab und warten – unbezahlt versteht sich. die erwähnten Securities machen ihnen das Leben noch zusätzlich schwer. Jederzeit dürfen sie die ArbeiterInnen kontrollieren, sie sind immer präsent, die Leute trauen sich nicht, miteinander über die Arbeitsbedingungen zu sprechen. Und eben das ist ihr Zweck. Dass die Angestellten sowie die Betreiber der Sicherheitsfirma H.E.S.S., Nazis waren (Überraschung, wer hätte das bei diesem Namen gedacht) ist zwar eine zusätzliche Schikane, aber lange nicht das eigentliche Problem. Auch Nicht-Nazis werden die Aufgabe haben die Arbeitskräfte zu isolieren, zu überwachen und zu disziplinieren.
Wer sich bei diesen Arbeitsbedingungen nun an John Steinbeck Roman „Stürmische Ernte“ erinnert fühlt, die sich mit der Situation von Tagelöhnern und SaisonarbeiterInnen der 1930er Jahre in Amerika beschäftigt, hat sowohl einen guten Buchgeschmack und zum anderen schlichtweg Recht. Denn die „Hire & fire“ Methode ist eigentlich nur die moderne Variante eben dieser Arbeitsbedingungen. Die Leiharbeit bietet den KapitalistInnen völlige Flexibilität bezüglich der Senkung der Lohnkosten. Sie müssen Arbeit nur bezahlen, wenn sie real statt findet und können sich bei Flauten dieser Kosten wieder komplett entledigen. In Deutschland gibt es vor allem für größere Betriebe zwar Auflagen, wie viel Prozent der Arbeitskräfte LeiharbeiterInnen sein dürfen. Das hält KapitalistInnen aber nicht davon ab, ganze Produktionsbereiche an Subunternehmen abzutreten, die dann so viele LeiharbeiterInnen einstellen können, wie sie wollen. Doch die Leiharbeit spielt noch eine andere wichtige Rolle: sie dient als zusätzliches Druck- und Spaltungsinstrument innerhalb der Belegschaften. In einigen Betrieben gibt es mittlerweile drei Gehaltsstufen: die Stammbelegschaft, betriebseigene LeiharbeiterInnen und LeiharbeiterInnen von Subunternehmen. Sie alle verrichten so ziemlich dieselbe Arbeit, werden aber völlig unterschiedlich bezahlt und die beiden letzteren können am nächsten Tag auch einfach wieder gefeuert werden. Der Stammbelegschaft soll gezeigt werden: Die machen dasselbe wie du für weniger Geld. Von denen gibt es viele und somit ist dein Arbeitsplatz auch nicht sicher. Solange du ihn aber hast, sei froh und beschwere dich nicht.
Die Konkurrenz steigt immens, weil jedeR LeiharbeiterIn auch immer die Hoffnung auf eine feste Übernahme in einen Betrieb hat. Dies geschieht bei lediglich 2,8%, aber diese kleine Hoffnung veranlasst viele, alles zu ertragen und zu tun, um den begehrten Festvertrag zu erhalten.
Der Versuch, mit Leiharbeit Arbeitskämpfe zu untergraben, hat beim Verpackungshersteller Neupack in Hamburg für Aufsehen gesorgt. Seit nunmehr fünf Monaten befindet sich rund die Hälfte der Lohnabhängigen dort im unbefristeten Streik. Sie streiken gemeinsam mit der Gewerkschaft IG BCE (Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie) für einen einheitlichen Tarifvertrag im Werk. Die „Unternehmerfamilie Krüger“ reagierte prompt mit dem Anwerben von polnischen LeiharbeiterInnen über die Mittlerfirma „work express“. Die Streikenden und UnterstützerInnen blockierten den Bus, mit dem die geliehene Arbeitskraft angekarrt wurde und nachdem die StreikbrecherInnen auch nach Aufklärungsversuchen von Seiten der Streikenden ihre Arbeit beginnen wollten, kam es wohl auch zu einem handfesten Gemenge. Zwar gelangten die StreikbrecherInnen trotzdem ins Werk, aber der Betrieb traute sich vorerst nicht mehr StrikbrecherInnen anzukarren. Letztendlich wurde der gesamte Vorgang des Anwerbens als fragwürdig eingestuft. Work express monierte mehrfach, dass sie von dem Streik nichts gewusst hätten, obwohl dies von der Gewerkschaft schriftlich widerlegt werden konnte. Die Firma Neupack löste diesen Konflikt, indem sie ein paar der StreikbrecherInnen für ihre Loyalität entlohnte und ihnen befristete Verträge anbot um den Streik zu überstehen.
Das konsequente Vorgehen der Streikenden gegen die StreikbrecherInnen schlug hohe Wellen. Während ihnen von der einen Seite der Vorwurf des Rassismus gegenüber den polnischen LeiharbeiterInnen entgegen geschleudert wurde, biederte sich die NPD an und hetzte gegen „die Polen“. Die Streikenden hielten mit einer Erklärung ihrerseits dagegen. Sie seien eine „Multi-Kulti-Truppe“ und solidarisch untereinander und mit anderen Lohnabhängigen. Doch nicht jede Belegschaft ist so kämpferisch und fortschrittlich wie die KollegInnen bei Neupack. Hier ist dieser Angriff auf einen Arbeitskampf, der Versuch der Spaltung, zumindest großteils ins Leere gelaufen. In einem anderen Fall könnte diese Methode des Streikbruchs mehr Erfolg haben. Und auch wenn eine Methode im Nachhinein für illegitim erklärt wird, kann sie vorher die Moral eines Streiks brechen.
Leiharbeit ist ein gefährliches Instrument und die Lohnabhängigen dürfen sich von ihm nicht spalten lassen. Schwierig ist, dass die meisten Menschen, die aus krisengebeutelten Ländern heraus Arbeit in Deutschland oder sonst wo annehmen zum einen verzweifelt sind, die Sprache oft nicht sprechen und somit völlig ausgeliefert sind. Zum anderen ist es aber auch ein Unterschied, ob einE organisationserfahreneR GewerkschafterIn hierher kommt oder einE ArbeiterIn, die von Arbeitskämpfen noch nichts mitbekommen hat und einfach nur etwas Geld für ihre Familie verdienen will. Neupack ist eine erfrischende Abwechslung in der protestarmen BRD und obwohl das erste Angebot nach Monaten von Seiten des Unternehmens noch lange nicht deren Vorstellungen entspricht, wurde dennoch schon einiges erreicht.

Erschienen in barricada – März 2013