Krieg um die Köpfe

Funktioniert der gute alte Gleichschaltungsreflex der bürgerlichen Medien noch? Selbstverständlich! Die Gleichschaltung klappt wie geschmiert und in vielen Fällen ist sie das nicht einmal (zumindest nicht unmittelbar).
Zwar regeln staatliche und private PR-Maschinen die Meinungsmache teils durch direkte Beeinflussung, Angebote, Dauerberieselung, durch Umschmeichelung der Egos der bürgerlichen JournalistInnen, durch simple Bestechung oder einfach indem sie ihrer Faulheit entgegenkommen und die Arbeit des Recherchierens oder sogar des selber Schreibens abnehmen. Zwar sorgen ChefredakteurInnen und HerausgeberInnen, die das große Ganze der kapitalistischen und nationalen Interessen eher im Blick haben und wissen, was von ihnen erwartet wird, für den nötigen Druck, die gewünschte politische Richtung und gegebenenfalls Zensur in der Berichterstattung – Jedoch scheinen die meisten JournalistInnen recht autonom und reflexhaft ohnehin das zu liefern, was von ihnen erwartet wird: Die jeweilige Mainstream-Propaganda, vorgegeben durch Agenturen und die großen meinungsbildenden Medien.
Neben notorischer Feigheit und Bequemlichkeit spielt für viele sicher auch der Zeitmangel, dem ihre Tätigkeit in der Regel unterworfen ist, eine wichtige Rolle.
Wenn Herr und Frau DurschnittsjournalistIn etwa nach Kiew geschickt werden, um über die Geschehnisse in der Ukraine zu berichten, haben sie nicht nur die von ihrem Blatt oder Sender erwartete Richtung im Hinterkopf, sondern werden unter Umständen von VerteterInnen der Putschistenregierung am Flughafen empfangen und zu einem informativen Abendessen geleitet. Am nächsten Tag erfahren sie alles, was sie wissen müssen im Ukraine Crisis Media Center. Dieses Medienzentrum wird vom EU- und USA-freundlichen ukrainischen Regime, einem US-amerikanischen Milliardär und einer ukrainischen Tochtergesellschaft des amerikanischen PR-Unternehmens Weber Shandwick, finanziert.
Im Crisis Media Center wird unserE DurchschnittsjournalistIn nun mit Infomaterial, den Meinungen hochrangiger proimperialistischer ExpertInnen und leckeren Häppchen versorgt. Er oder sie erfährt, dass es keine Zeichen für Faschismus in der Ukraine gebe. Der Rechte Sektor und die Partei Swoboda seien weder antisemitisch noch antirussisch, würden entweder eine untergeordnete Rolle spielen oder seien sogar verdienstvoll. Dagegen wird vermittelt, dass die russischen Aktionen bezüglich der Ukraine der schwerste Angriff auf die Menschenrechte seit dem kalten Krieg seien und jede Berichterstattung, die dem ukrainischen Regime oder den Aktivitäten bewaffneter Nationalisten kritisch gegenübersteht, lediglich auf die Propaganda aus Moskau hereinfalle. Einen Tag später steht ein Rundgang über den Majdan Nesaleschnosti auf dem Programm, wo unter dem Unabhängigkeitsdenkmal Gespräche mit wichtigen Persönlichkeiten und VertreterInnen der Majdan-Besetzung geführt werden. Am nächsten Tag geht´s schon wieder nach Hause und da der Beitrag im Flugzeug geschrieben wird, bleibt keine Zeit mehr, um zu recherchieren, was das für seltsame Abzeichen waren, die auf so vielen Uniformteilen, Bannern und Transparenten auf dem Majdan zu sehen waren.

Krieg der Worte

So kommt es, dass faschistische Milizionäre und Paramilitärs kurzerhand zu Verteidigern der demokratischen Ukraine gegen Russland und „pro-russische Aktivisten“ werden.
Der ukrainische Soldat richtet seine Waffe nicht auf DemonstrantInnen, sondern auf den pro-russischen Mob. Aufständische Selbstverteidigungsgruppen in der Ostukraine, die die Putschregierung in Kiew nicht anerkennen, werden zu SezessionistInnen und von Moskau gelenkten SeparatistInnen.
Die Angehörigen einer uniformierten faschistischen Miliz heißen schlicht Aktivisten. Attacken gegen ostukrainische Selbstverteidigungskräfte durch Militär und Faschisten heißen Anti-Terror-Einsatz der ukrainischen Armee. Aufständische Ukrainer im Osten des Landes werden zu Putins unheimlichen Masken-Kriegern.

Bürgerliche JournalistInnen wissen, wann Sezessions- oder Autonomiebestrebungen gerechtfertigt sind und wann nicht. Im Fall der sogenannten Befreiungsarmee des Kosovo (UÇK) im Nato-Krieg gegen Jugoslawien 1999 waren sie es. Bei der sezessionistischen Minderheit in der Ostukraine sind sie es nicht. Bürgerliche JournalistInnen wissen auch, wann militärische Intervention legitim ist und wann nicht. Die Kriege gegen den Irak oder in Afghanistan waren vielleicht umstritten, aber keine schwerwiegenden Verbrechen. Ein militärisches Einschreiten Russlands in Teilen der Ukraine ist selbstverständlich völlig inakzeptabel. Auch hier erkennt man an der Wortwahl in den Medien, ob ein Krieg den Interessen der US- und EU-ImperialistInnen nützt oder nicht. Die Propaganda muss im Detail gar nicht geglaubt werden. Sie bildet ein wirksames Hintergrundrauschen, hergestellt durch beständige Wiederholung und Dauerberieselung.
Leider begehen auch im aktuellen Konflikt um die Ukraine Teile der Linken wieder den Fehler, sich in ihren Publikationen reflexartig auf die Seite der Kräfte zu stellen, deren Interessen durch die Aktivitäten der westlichen ImperialistInnen beeinträchtigt werden. Sie liefern damit häufig einfach ein Spiegelbild der bürgerlichen Propaganda. Hilfreicher als diese Herangehensweise ist eine differenzierte, redliche und im Sinn des proletarischen Internationalismus parteiische Stellungnahme. Und Parteilichkeit heißt dabei nicht, unangenehme Fakten zu verschweigen und zu verdrehen.

„Anti-imperialistisches“ von rechts

Sehen wir uns zuletzt noch eine Strömung an, die den aktuellen Ukrainekonflikt nutzt, um als „Friedensbewegung 2014“ bzw. neue „Anti-Imperialisten“ verschwörungstheoretische und deutsch-nationale Propaganda auf die Straße zu tragen. Ihre Kritik an der westlichen bürgerlichen Berichterstattung ähnelt durchaus zunächst der linken Medienkritik.
Mediale Hilfe erhält diese Bewegung, die versucht, eigenständige Montagsdemos zu ihren Themen zu etablieren und auch in Veranstaltungen der traditionellen Friedensbewegung hineinzuwirken, vom unsäglichen Publizisten Jürgen Elsässer.
Dieser war einst ein Linker, später einer der Vorreiter und Leitfiguren der sogenannten Antideutschen, heute Ahmadinedschad-Fan, der mit seiner „Volksinitiative gegen das Finanzkapital“ auch bei Querfrontfreunden des rechten Spektrums auf Zuspruch stößt. Er unterstützt politisch und über seine monatlich erscheinende Zeitschrift „Compact“ die „Friedensbewegung 2014“. Der gemeinsame Feind: Das volksschädliche internationale Finanzkapital und speziell die US-amerikanische Notenbank.
Die „Volksinitiative“ gewinnt Verbündete, und diese Allianz könnte eine bedeutende neurechte Strömung hervorbringen. Nach Elsässers Vorstellung geht es bei dieser Initiative, die, „neben den unteren Klassen auch die Mittelschichten umfassen sollte und darüber hinaus auch die Teile des Kapitals ansprechen“, darum ein Lager zu formieren, „das alle diejenigen, die Nation und Nationalstaat verteidigen wollen, in einer Volksbewegung zuammenführt, die nicht nach Herkunft und Religion unterscheidet. Ein Muslim, der Goethe liest und versteht, wird darin eher seinen Platz finden als ein atheistischer Konsumidiot, der nur Lady Gaga im Kopf hat.“ Lady Gaga!
Wir hoffen, in Zukunft keinen Anlass zu haben, uns dieser Richtung zu widmen. Ihr Vorhandensein stellt allerdings jetzt schon einen weiteren guten Grund für die linke Antikriegsbewegung dar, den Arsch endlich in angemessener Weise hochzukriegen.

Erschienen in barricada – Mai/Juni 2014