Klassenkampf und Repression
Zwischen der ausbeutenden Klasse und den ausgebeuteten Klassen herrscht Krieg. Leider erkennen die Herrschenden diesen Umstand nach wie vor klarer als die Beherrschten, was für sie in mehrfacher Hinsicht einen entscheidenden Vorteil darstellt. Menschen, die ihre Möglichkeiten und die Umstände ihrer Existenz nicht erkennen, Menschen die sich gegeneinander ausspielen lassen und dazu gebracht werden können, die Partei ihrer Feinde zu ergreifen, sind leichter beherrschbar. Aufwendige und auf lange Sicht profitsenkende direkte Gewaltanwendung lässt sich reduzieren, wenn ein beträchtlicher Teil der Beherrschten die herrschende Ideologie verinnerlicht hat.
Wer die Situation im wesentlichen überblickt und realistisch einschätzt, kann natürlich auch besser planen. Wir können sicher sein, dass Thinktanks und Behörden sehr detaillierte und weitgehende Pläne zur präventiven und frühzeitigen Bekämpfung von Aufständen gegen ihr mörderisches System parat haben.
Das System der Profitwirtschaft ermordet täglich Tausende Menschen für die Bereicherung einer kleinen Minderheit. Die Herrschenden haben bereits mehrfach bewiesen, dass sie alles zu tun bereit sind, um dieses System zu verteidigen und ihre Profite zu sichern. Zur Sicherung ihres weltweiten Terrors und Massenmords verfügen die Herrschenden über stetig nachwachsendes Personal: PolitikerInnen, Klassenjustizangehörige, wackere KämpferInnen an der Front der Ideologievermittlung, Polizei und Militär als ExekutorInnen der staatlichen Gewalt und nicht zuletzt ein Freiwilligenheer von FaschistInnen, denen je nach Bedarf auch der Zugang in die erstgenannten Gruppen gewährt werden kann.
Soweit ein paar Worte zum kleinen Einmaleins der staatlichen Unterdrückung im Dienste der herrschenden Klasse.
Warum gehen wir das Thema diesmal auf diese Weise an? Weil allzu oft Repression losgelöst von ihrem Rahmen betrachtet wird. Weil die Argumentation bezüglich der Repressionsthematik manchmal in die Richtung „wir sind doch gar nicht so schlimm, die Repression gegen uns ist überzogen.“ geht.
Natürlich findet der Kampf gegen die Gewalt der Herrschenden auch auf ideologischen, der politischen und sogar der juristischen Ebene statt, also teils auf dem Terrain der Herrschenden. Wenn die Herrschenden und ihre Angestellten sich nicht an die selbstverkündeten Regeln halten, ist das natürlich immer einen Angriff wert und dazu angetan, den Klassencharakter des Staates und seiner Organe aufzuzeigen und damit bestenfalls Menschen dazu zu bringen, für ihre eigenen Interessen einzustehen.
Es ist aber eben notwendig, darüber nicht der Illusion erliegen, die Herrschenden könnten auf Repression und Terror verzichten oder würden das jemals tun.
Wenn die Unzufriedenheit wächst, wenn Unterdrückte die Augen öffnen, sich zusammenfinden und beginnen, sich gemeinsam zu wehren, ist das ein Grund für unverzügliches staatliches Handeln. Je größer das Ausmaß der „sozialen Unruhe“, desto umfangreicher die Gegenmaßnahmen.
Ausschlaggebend: frühzeitiges Eingreifen, geschicktes Nutzen der ohnehin permanent stattfindenden Propaganda zum Zwecke der Spaltung und präventiven Aufstandsbekämpfung.
Konkreter: Wenn soziale Bewegungen, Gewerkschaften und radikale Linke sich einander annähern, Proteste und Widerstand wachsen, wenn KommunistInnen beginnen, sich in Stadtteilen und Betrieben zu verankern, wenn für sie Rückhalt und Zuspruch in der übrigen Bevölkerung wachsen, ist folgendes gefordert: Spaltung, Abschreckung, Kriminalisierung, Isolierung und natürlich direkte gewaltsame Bekämpfung
Splitterbomben und Säureclowns
Das Instrumentarium und die Methoden der präventiven Aufstandsbekämpfung sind sehr umfangreich. Ein Klassiker ist die unpopuläre Bombe. Eine Gewalttat, die geeignet ist Unverständnis oder gar Furcht auszulösen, wird dem politischen Gegner zugeschrieben und propagandistisch ausgeschlachtet. Meistens liefern die FeindInnen des Kapitalismus solche Gewaltakte nicht in der gewünschten Art. Nicht selten werden ihnen dann Taten staatlicher Handlanger angelastet, welche die Linken diffarmieren und spalten sollen. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist das Staatsmassaker von Mailand 1969, bei dem eine Bombe an der Piazza Fontana 16 Menschen tötete. In der Regel greift die herrschende Propaganda aber einfach auf Lügen und Phantasien zurück. Bis die Wahrheit ans Licht kommt, bestehen diese Lügen in der öffentlichen Wahrnehmung. Wenn die Wahrheit ans Licht kommt, interessiert sich oft fast niemand mehr für den Fall. Ein besonders dreistes, wenn auch nicht sehr folgenschweres Beispiel hierfür war der Vorwurf während der Proteste gegen den G8-Gipfel von Heiligendamm, Angehörige der Clandestine Insurgent Rebel Clown Army hätten Polizeibeamte mit Säure angegriffen.
Weniger Einfallsreichtum brauchten Polizei und bürgerliche Medien nach der Großdemonstration gegen Sozialabbau am 12. Juni in Berlin. Bekanntlich war am Rande der Demo nach allerlei Gewalttaten der Polizei ein Böller explodiert, und mehrere Polizeibeamte wurden angeblich durch eben diesen Böller verletzt. Der Böller war wohl tatsächlich lauter als die sonst geworfenen Kracher und wahrscheinlich sogar lauter, als das bei einer Demo zweckmäßig ist. Tatsächlich blieben die Verletzungen der Beamten weit hinter dem zurück, was PolizistInnen mit ihren Waffen regelmäßig bei DemonstrantInnen anrichten. PolitikerInnen, Polizei und Medien hatten aber ihren Aufhänger: Eine neue Dimension linker Brutalität und linken Terrors. Passender weise hatte es schon seit Wochen eine Medienkampagne zum Thema „wachsende Gewalt gegen Polizeibeamte“ gegeben. Kernstück dieser Kampagne war eine freiwillige Umfrage unter PolizistInnen, deren Aussagewert zwar gegen null ging, die aber verkauft wurde als sei sie eine wissenschaftliche Studie. Selbstverständlich traten in der Berichterstattung die Inhalte der Demonstrationen in Berlin und Stuttgart hinter den schrecklichen Böller zurück. Letzterer mutierte in weniger als einem Tag zur Splitterbombe. Die Berliner Polizei teilte der Presse am Sonntag nach der Demonstration mit, Unbekannte hätten einen Sprengsatz auf die eingesetzten Polizeibeamten geworfen. Kurz darauf meldete die dpa, nach Angaben der Polizei sei eine Splitterbombe explodiert, eventuell mit Nägeln oder Glas präpariert. Wenige Stunden später berichteten fast alle großen Medien von einer Splitterbombe. Allerlei PolitikerInnen, Polizeigewerkschaften usw. verurteilten den Böllerwurf, der sich mittlerweile zu einem Mordanschlag ausgewachsen hatte und begannen von linkem Terror zu schwadronieren und den MitveranstalterInnen der Demo schwere Vorwürfe zu machen, weil diese gemeinsam mit „Linksextremisten“ auf die Straße gingen. Am Montag titelte die Bildzeitung: „Bombenanschlag auf Polizisten!“. Die anderen Blätter und die Fernsehsender unterschieden sich meist kaum von dieser Art der Berichterstattung. Bundesinnenminister Thomas de Maizière beeilte sich, ein weiteres Mal eine Verschärfung des Strafrechts anzukündigen. So ging das einige Tage weiter, bis die Berliner Staatsanwaltschaft mitteilte, es habe sich um keinerlei Splitterbombe gehandelt. Diese Information schaffte es aber nicht mehr auf die Titelseiten oder in die Fernsehnachrichten. Das Ziel war erreicht: Eine Diskreditierung und Kriminalisierung sozialen Protests. Was hängen bleiben sollte: Er ist schon schrecklich, der Terror, der die Mitte der Gesellschaft bedroht – von links wie von rechts. Nein, doch eher von links.
Die goldene Mitte
Mit der Extremismustheorie haben wir uns in diesem Jahr schon beschäftigt. Ihr Zweck ist zum einen, emanzipatorische politische Richtungen zu diffamieren, indem diese mit einer zur Zeit unerwünschten Affirmation der gegenwärtig herrschenden Ideologie in einen Topf geworfen werden und als krankhafte Abweichung stigmatisiert werden. Darüber hinaus implizieren die solchermaßen gleichgesetzten „extremen Abweichungen“ (wie Faschismus und Antifaschismus, Naziideologie und Kommunismus) eine richtige, gesunde Mitte.
Ob jemand das Naziregime wieder errichten und alle Jüdinnen und Juden ermorden will oder eine Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung erreichen will, ist den ExtremismustheoretikerInnen egal. Gemeinsam ist den ExtremistInnen schließlich, dass sie sich nicht an alle Gesetze gebunden fühlen und sich nicht in allen Punkten an die Verfassung des bürgerlichen Staats halten – ganz im Gegensatz zu den KapitalistInnen, welche daher auch nicht im Verfassungsschutzbericht vorkommen. Die Staatsorgane und private Propagandamedien begnügen sich meistens nicht damit, die rechten und linken „Extreme“ als gleich übel darzustellen. Nein, selbstverständlich sind die Linken für die Gesellschaft gefährlicher, gewalttätiger, krimineller. Wenn sich entsprechende Fakten nicht im Vorfeld schaffen, stellt das kein Problem dar für die
Antikommunistische Kampfpresse
Die Berichte der verfassungsschützenden Behörden haben seit jeher auch den Zweck, für eine stärkere Bekämpfung der radikalen Linken zu werben. Sie sind ein Teil der Propaganda, mit der neue Repressionswellen gegen Linke vorbereitet werden.
Losgelöst vom Wesentlichen, nämlich der Zielsetzung, werden dabei Delikte aufgelistet, die in ihrer Quantität dann verglichen werden können mit den Straftaten der FaschistInnen. Für 2009 kommt der Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz zu einem immer noch unbefriedigendem Ergebnis: Ihm zufolge wurden 2009 18750 Straftaten von Neonazis und 4734 Straftaten von Linken begangen. Welche Straftaten Eingang in diese Statistik finden und wie sie zugeordnet werden (oder eben nicht) wäre ein interessantes Thema, aber wir lassen diese Zahlen mal so stehen.
Dem Chef der der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, gab der Verfassungsschutzbericht Anlass zu folgender Äußerung: „Es droht eine Renaissance des linken Terrorismus in einem neuen Gewand, geprägt von einem Hass auf den Staat und seine Eliten und mit dem Potential für neue und tödliche Anschlagswellen.“ Natürlich nahmen große Teile der Presse dies dankbar auf und vermengten es mit zeitgleich produzierter Hetze diverser PolitikerInnen und sonstiger ExpertInnen. Besonders lustig war der Umgang der Bildzeitung mit dem Bericht, wobei festzuhalten ist, dass weiterhin viele „seriöse“ bürgerliche Blätter manche Inhalte der Bild ungeprüft übernehmen. Unter der Schlagzeile „Verfassungsschutzschutz schlägt Alarm! Immer mehr Hass-Attacken auf den Staat Gewalt von linken Chaoten nimmt dramatisch zu +++ Neue Anschlagswellen drohen“ traktiert Bild.de die LeserInnen über mehrere Absätze hinweg mit allerlei schlimmen Befürchtungen. So nähmen die „linken Chaoten“ immer häufiger den Tod von Menschen in Kauf und die Brutalität der Linken würde zwar zuerst verstärkt Polizeibeamte treffen, jedoch durchaus auch die „Normalbürger“. Die Information, „linke Gewalt“ steige, wird den LeserInnen durch ständige Wiederholung regelrecht eingehämmert. Am Schluss des Artikels stehen dann noch fünf Sätze zu dem Teil des Verfassungsschutzberichts mit Bezug auf die Rechten. Kein Wort zu den begangenen Morden, dafür deutliche Entwarnung: „Die Zahl der rechten Gewalttaten (959) ging 2009 deutlich zurück (minus 14,5 Prozent). Insgesamt registrierten die Sicherheitsbehörden 18750 „rechte“ Straftaten, davon 13280 sogenannte Propagandadelikte (z.B. Hakenkreuzschmierereien).“ Also alles nicht so wild. Die „Rechten“(!) begingen mit knapp 19000 Straftaten weniger als im Vorjahr und während alle Welt die Nazis verfolgt, obwohl sie nur mal Hakenkreuze auf ihre Schulhefte malen oder ähnliches, dürfen die linken Chaoten ungestraft unsere Autos anzünden und Bomben werfen. Wie lange soll das noch so weiter gehen?
Natürlich ist es sinnvoll und unerlässlich, das Jonglieren mit nicht vergleichbaren Statistiken, die Mechanismen der Propaganda gegen Links und die Lügen der Herrschenden zu sehen und aufzuzeigen. Das wesentliche bleibt aber: Den Schuss der Partisanin und den Schuss des KZ-Aufsehers gleichzusetzen ist entweder saublöd oder kriminell. Die Akte der staatlichen Gewaltmaschinen gleichzusetzen mit dem Widerstand der Menschen gegen die Zumutungen des Kapitalismus ist ähnlich obszön.
Gegen allen Extremismusquark, gegen Geschichtsrevisionismus und Hetze gilt es, folgende Erkenntnis zu verbreiten:
Der kapitalistische Normalzustand ist ein Verbrechen. Der Widerstand dagegen ist eine Notwendigkeit.
Erschienen in barricada – Juli 2010