Heraus zum 8. März, dem internationalen Frauenkampftag!
„Gegen Sexismus und Patriarchat – Hundert Jahre internationaler Frauenkampftag“ lautet das Motto der diesjährigen linken Aktivitäten zum 8. März, dem internationalen Frauenkampftag in Nürnberg. Linke und linksradikale Gruppen und Frauenprojekte und -vereine rufen zu Aktionen am 8. März und einer Demonstration auf. Das neu gegründete 8. März-Bündnis, an dem sich u.a. die Radikale Linke (RL), organisierte autonomie (OA), Autonome Jugendantifa (AJA), das Internationale Frauencafé, der Mädchentreff, die Karawane für die Rechte von Flüchtlingen und MigrantInnen, AGIF Nürnberg, die Revolutionär organisierte Jugendaktion (ROJA), Attac Nürnberg und der Verein Alternative Kultur Nürnberg beteiligen, hat sich vorgenommen, den 8. März in Nürnberg wieder deutlich politisch aussagekräftig und wahrnehmbar zu gestalten. In den vergangenen Jahren war der Nürnberger 8. März hauptsächlich von GewerkschafterInnen und bürgerlichen Fraueninitiativen besetzt gewesen. Nach einigen Jahren ohne Demonstration fand 2008 wieder eine antipatriarchale Demonstration zum Frauenkampftag in Nürnberg statt, die hauptsächlich von türkischen und kurdischen Organisationen getragen wurde. An diese Demonstration knüpfte letztes Jahr ein Bündnis aus linken Gruppen und Organisationen an, von denen viele jetzt auch im deutlich größeren Vorbereitungskreis zu den kommenden 8. März-Aktivitäten involviert sind. Sollte sich diese Entwicklung fortsetzen, könnte es tatsächlich gelingen, den 8. März in Nürnberg breit wahrnehmbar aus den Diskutierzirkeln und Partyevents heraus zurück auf die Straße zu bringen.
Die Geschichte des 8. März als Frauenkampftag
Der 8. März geht auf kein spezifisches Ereignis zurück, auch wenn es immer wieder Versuche gab, den Tag einem bestimmten historischen Ereignis zuzuordnen. Fest steht, daher auch das 100-jährige Jubiläum, dass die deutsche Kommunistin Clara Zetkin 1910 auf der „Zweiten Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz“ in Kopenhagen gegen den Willen ihrer männlichen SPD-Parteikollegen die Errichtung eines jährlichen „Internationalen Frauentages“ vorgeschlagen hatte, ohne diesen Tag auf ein bestimmtes Datum festzulegen. Die Inhalte, für die man kämpfen und werben wollte waren der Kampf für das Frauenwahlrecht, der Kampf gegen die Kriegsgefahr, der Kampf um Fürsoge für Mutter und Kind und der Kampf gegen Preisteigerungen. In den USA hatten SozialistInnen bereits ein Jahr zuvor den letzten Sonntag im Februar zum „Nationalen Tag der Frau“ deklariert. In Paris wurde anlässlich des 40. Jahrestages der „Pariser Kommune“ am 18. März 1911, aber auch in Wien ein „Tag der Frau“ begangen. Am 19. März 1911 fand der erste Internationale Frauentag in Dänemark, Deutschland, Österreich, der Schweiz und den USA statt. Allein in Deutschland nahmen über eine Million Frauen und Männer an Veranstaltungen und Demonstrationen teil, wobei die Frauen deutlich in der Überzahl waren. In den folgenden Jahren wurde die Idee des Internationalen Frauentages auch in Holland, Frankreich, Schweden, Russland und Tschechoslowakei aufgegriffen Die ersten Jahre des Frauentags waren auch ein Bekenntnis der Frauen zum Sozialismus. Dazu schrieb Clara Zetkin in der SPD-Frauenzeitung „Die Gleichheit“, deren Herausgeberin sie von 1891 bis 1917 war: „Sein Ziel [des Frauentages] ist Frauenrecht als Menschenrecht, als Recht der Persönlichkeit, losgelöst von jedem sozialen Besitztitel. Wir müssen Sorge tragen, dass der Frauentag nicht nur eine glänzende Demonstration für die politische Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts, sondern darüber hinaus der Ausdruck einer Rebellion gegen den Kapitalismus, eine leidenschaftliche Kampfansage all den reaktionären Maßnahmen der besitzenden und ihrer willfähigen Dienerschaft, der Regierung ist.“
In den zwanziger Jahren gewann der Internationale Frauentag als Kampftag in vielen Ländern immer mehr an Bedeutung: In China, Japan, England, Finnland, Estland, Litauen, Polen, Bulgarien, Rumänien, Türkei und Iran.
1921 wurde in der jungen Sowjetunion in Gedenken an den St. Petersburger Frauenaufstand vom 23. Februar 1917 – nach Julianischem Kalender 8. März – zum ersten Mal der 8. März zum „Internationalen Frauentag“ erklärt. Der Aufstand der St. Petersburger Frauen galt als Auslöser für die Februarrevolution, die den russischen Zarismus zerschlug. Dass der 8. März im Gedenken an einen Streik von New Yorker Textilarbeiterinnen 1857 gewählt wurde, gilt heute viele Geschichtsforscherinnen als Mythos, der wahrscheinlich im kalten Krieg konstruiert wurde, um eine von der kommunistischen Tradition des 8. März abweichende Deutung des Frauentags zu schaffen. Irrtümlich wird als Ausgangspunkt für den 8. März auch öfter der Brand in der Triangle Shirtwaist Factory am 25. März 1911 angeführt, bei dem 146 junge Näherinnen ums Leben kamen, weil ihre Bosse die Fabriktüren stets verschlossen hielten.
Zu Beginn der 30er Jahre wurden die Internationalen Frauentage angesichts der drohenden faschistischen Gefahr Sammelbecken gegen den Faschismus. Wegen des sozialistisch-kommunistischen Hintergrundes wurde der Internationale Frauentag von den faschistischen Staaten Europas verboten. Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte die Forderung nach Frieden und Abrüstung zum wichtigsten Anliegen der Internationalen Frauentage.
In der Sowjetunion entwickelte sich der Frauentag ab den 50er Jahren immer mehr zum Muttertagsersatz. 1975 begannen die Vereinten Nationen den 8. März als „Internationalen Frauentag“ zu feiern. 1977 wurde er als „Tag der Vereinten Nationen für die Rechte der Frau und den Weltfrieden“ offiziell eingeführt. Seit den 1970er Jahren wird der 8. März weltweit stark von autonom-feministischer Seite als wichtiger politischer Tag zur Agitation für Frauenrechte genutzt.
Kampf dem Patriarchat!
Natürlich braucht es keinen speziellen Tag, um gegen patriarchale Verhältnisse und sexistische Diskriminierung zu kämpfen. In der Tat findet patriarchale Unterdrückung ständig statt. In allen Teilen der Welt sehen sich Frauen mit verschiedenen Formen von Gewalt, Misshandlung, Demütigung und Ungerechtigkeit konfrontiert. Dabei sind die Erscheinungsformen patriarchaler Unterdrückung durchaus unterschiedlich: Kulturelle und ökonomische Unterschiede in verschiedenen Regionen der Welt bestimmen die Rollen von Frauen und Männern und damit auch die Formen der Herrschaft von Männern über Frauen. Dabei wäre es jedoch falsch, anzunehmen, dass patriarchale Herrschaft ein Relikt vergangener Zeiten wäre und nur in „rückständigen“, d.h. später vom Kapitalismus eroberten oder von religiös-fundamentalistisch regierten Regionen der Welt deutlich ausgeprägt wäre.
Der Kampf gegen Frauenunterdrückung wird zwar von den Herrschenden als moralischer Rechtfertigungsgrund für den imperialistischen Krieg in Afghanistan benutzt, wie ernsthaft es den westlichen Staaten jedoch dabei ist, zeigt, dass Frauenrechten keine dauerhafte Priorität in der Politik der afghanischen Regierung oder bei internationalen Gebern eingeräumt wird. Westliche Staaten, wie die BRD nutzen die desolate Situation der Frauen in Trikont-Ländern, um über die patriarchale Verfasstheit der eigenen Gesellschaften hinwegzutäuschen. Obwohl hierzulande die Unterdrückung und Ausbeutung der Frauen vielleicht insgesamt weniger sichtbar ist, als z.B. in Ländern des Trikont, sind doch Frauen insgesamt in nahezu allen Lebensbereichen benachteiligt. Selbst die vom Staat betriebene und von Teilen der bürgerlichen Akteure durchaus ernst gemeinte Gleichstellungspolitik in öffentlichen Einrichtungen hat die Struktur des Patriarchats kaum angekratzt.
Patriarchat und Kapitalismus
Obwohl das Patriarchat lange vor der kapitalistischen Produktionsweise entstanden ist, ist es als systematische und strukturelle Unterdrückung auch im Kapitalismus Bestandteil der herrschenden Ordnung. Eine wesentliche Grundlage ist die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, sie weist den Frauen die Verantwortung für den sozialen Reproduktionsbereich zu. Was die Erziehung von Kindern, die emotionale Betreuung des männlichen Partners, Haushalts- und Familienversorgung, die Pflege von kranken und alten Angehörigen meint. Soweit diese (gesellschaftlich notwendigen) Tätigkeiten keinen Profit erzielen, gelten sie im Kapitalismus nicht als „Arbeit“ und erhalten keinen eigenständigen Lohn. Weil aber Leistungen, für die man keinen Lohn erhält, als wertlos gelten, wird die Arbeit von Frauen bis heute gesellschaftlich missachtet. Diese Auffassung nutzt das Kapital, wenn es um die Verwertung der Arbeitskraft der Frau geht ebenso wie den Fakt, dass die Mehrheit der Frauen, auch wenn sie (lohn-) arbeitet, alleine für Haushalt und Kindererziehung zuständig ist – ob bei der Entlohnung (Frauenlohnarbeit wird im Durchschnitt um ein Drittel geringer bezahlt) oder bei der Flexibilisierung, wo sich das Interesse der Frauen nach Vereinbarkeit von Erwerbs- und Hausarbeit mit dem kapitalistischen Interesse nach optimaler Ausbeutung vorhandener Arbeitskraft deckt. Diese Bedingungen verhindern eine eigene soziale Absicherung (Rente, Krankenversicherung) und die Existenzunabhängigkeit von einem Ernährer. Zahlen über tatsächlich ausgeübte Gewalt zeigen, dass ihr Recht auf körperliche und seelische Unversehrtheit nicht anerkannt wird. Das Patriarchat ist ein hierarchisches System sozialer Strukturen, das aber nicht nur das gesellschaftliche Verhältnis von Frauen bestimmt. Die ihm innewohnenden Zwänge und strukturelle Unterdrückung beeinflussen zum einen auch die Konditionen jener, die den patriarchalen Normen und Rollenklischees nicht entsprechen und nicht beugen wollen und bedingen zum anderen die gegenseitige Diskriminierung und Disziplinierung.
Wie weiter?
Hundert Jahre Kampf sozialistischer, kommunistischer, autonomer und post-autonomer FeministInnen konnten das Patriarchat bislang nicht zerschlagen. Immer wieder kommen auch die optimistischsten Kämpferinnen und Kämpfer gegen die patriarchale Herrschaft nicht umhin festzustellen, dass sich leider kaum ein Ende der sexistischen Unterdrückung abzeichnet. Zu sehr sind im Bewusstsein der meisten Menschen die Rollen Mann und Frau verankert. Ansätze, Versuche, Experimente gab es viele, und dennoch wird selbst in linksradikalen Kreisen und auch in FrauenLesben-Gruppen immer noch im wesentlichen die gesellschaftlich propagierte Geschlechtsidentität gelebt. Damit einher geht eine ständige Reproduktion der Geschlechterrollen, die die patriarchale Herrschaft zementieren. Deshalb ist das Aufbrechen der sozialen Geschlechterrollenzuschreibung eine wesentliche Aufgabe linksradikaler Politik. Konkret heißt das, dass alle Menschen, egal ob Männer oder Frauen, ihre Geschlechterrollen ständig hinterfragen müssen. Weil es aber um einen politischen Kampf geht und nicht um eine Selbsttherapierung, muss diese Reflexion als kollektiver Prozess all jener, die es mit der Befreiung des Menschen ernst meinen, erfolgen. Das Abschieben dieses Prozesses auf Individuen, „die Frauen“ oder gar in die absurde Sphäre von „Männergruppen, wo sich die Männer mal mit ihrem Verhalten auseinandersetzen sollen“ wird dem Anspruch, eine herrschaftsfreie Gesellschaft erkämpfen zu wollen, sicher nicht gerecht. Wir sind Produkt der Verhältnisse. Unsere Freundschaften und Liebesverhältnisse, PartnerInnenwahl und Paarbildung, einfach alle sozialen Interaktionen zwischen Menschen finden unter den Bedingungen der derzeitigen kapitalistischen und patriarchalen Verhältnisse statt. Diese Verhältnisse durchdringen unser ganzes Leben, sie formen und verformen uns. Auch die Möglichkeit unserer Befreiung, unser kritisches Bewusstsein, entsteht durch und in diesen Verhältnissen. Wirkliche Befreiung ist nur durch Umsturz dieser Verhältnisse möglich. Individuelle Lösungen oder Inseln des richtigen Lebens im Falschen gibt es nicht.
Die patriarchale Verfasstheit der Gesellschaft muss als eine von vielen Ketten angesehen werden, die die Mehrheit der Menschheit versklaven. Sie zu zerschlagen ist eine notwendige, aber zur Befreiung des Menschen nicht hinreichende Aufgabe. Die nach wie vor gegebene Unterdrückung und Ausbeutung von Frauen lässt sich nämlich weder allein mit den vorkapitalistischen Formen patriarchaler Herrschaft, noch allein durch die Funktionsweise des Kapitalismus erklären. Patriarchat und Kapitalismus durchdringen sich gegenseitig. Der Kapitalismus hat das Patriarchat in seiner Entwicklung also nicht zerstört, sondern modifiziert. Die kapitalistischen Verhältnisse sind durch verschiedenste Herrschafts- und Unterdrückungsverhältnisse bestimmt, die sich aber gegenseitig bedingen und nicht einzeln bekämpft, geschweige denn überwunden werden können. Das menschliche Bewusstsein im Kapitalismus wird eben nicht nur durch die Geschlechterrollen bestimmt, sondern auch durch die Stellung im Produktionsprozess, durch die geographische und kulturelle Herkunft und so weiter. Dieses komplexe Identitätsbild der Individuen gilt es aus emanzipatorischer Sicht zu Hinterfragen. Dabei einzelne Unterdrückungsverhältnisse als besonders verwerflich oder besonders dringlich zu bekämpfen hervorzuheben, wie dies zum Beispiel im Triple-Oppression-Ansatz gemacht wird, ist der Befreiung des Menschen aber genauso wenig dienlich, wie zu glauben, sich auf die Bekämpfung eines Unterdrückungsverhältnisses, das als Hauptgrund für alle anderen angesehen wird, beschränken zu können. Der 8. März ist eine gute, aber selbstverständlich nur eine von unzähligen Gelegenheiten für all diejenigen, denen es mit der Befreiung der Menschen aus den herrschenden Verhältnissen ernst ist, zu zeigen, dass es keine Befreiung geben wird, ohne ALLE Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist. Deshalb heraus zum 8. März, gegen das kapitalistische Patriarchat!
Erschienen in barricada – März 2010