Griechenland in Aufruhr!

Ein Signal für die ArbeiterInnen in der EU?

Korrupt sollen sie sein, über ihre Verhältnisse sollen sie gelebt haben. Aber anstatt Einsicht zu zeigen, gehen sie auf die Straße und fordern, entgegen jenem „gesunden Menschenverstand“, wie ihn die Springer-Presse vertritt auch noch, dass an ihnen nicht gespart werden soll. Im Fernsehen kann sich jede/r überzeugen, dass der Protest in Griechenland auch alles andere als gesittet abgeht. In der Krise streiken, „wo es doch ums anpacken geht“? Damit hat der Grieche kein Problem. Banken anzünden, Polizisten verprügeln, das Parlament stürmen? Auch das macht der Grieche gerne. Die Griechen, so muss es den meisten, von jahrzehntelanger Verzichtslogik gebeutelten deutschen SteuerzahlerInnen erscheinen, sind verrückt.
So weit die Propaganda der neoliberalen und der StandortnationalistInnen über die Krise in Griechenland. Tatsächlich gehen seit dem 1. Mai in Griechenland wieder Menschen auf die Straße, die ihr Gehirn nicht an der Türschwelle auf dem Weg zur Arbeit abgeben.  Sie gehen auf die Straße, um gegen die einschneidenden Sozialkürzungen der regierenden Sozialdemokraten zu protestieren. Bereits im März wurde die Mehrwertsteuer von 19% auf 21% erhöht und eine Kürzung der Beamtengehälter beschlossen. Dadurch sollen jährlich 4,8 Milliarden Euro eingespart werden. Am 28. April wurde von der Regierung beschlossen, dass die Verwaltungsausgaben um 1,8 Milliarden Euro jährlich eingespart werden sollen. Davon sollen etwa 200.000 Angestellte betroffen sein. Durch das am 6. Mai beschlossene Sparpaket  wurden die Löhne und Renten gekürzt, die Mehrwertsteuer wurde erneut um weitere zwei Prozent erhöht, zusätzliche Steuern wurden auf Benzin, Tabak und Alkohol gelegt. Zudem wird das Renteneintrittsalter heraufgesetzt und das Kündigungsgesetz gelockert. Alles Maßnahmen, die sich – gerade bei den Verbrauchssteuern – hauptsächlich gegen diejenigen wenden, die ohnehin über wenig Einkommen verfügen.
Kein Wunder, dass es am Mittwoch, den 5. Mai, einen Tag, bevor das Parlament das neue Sparpaket beschloss zu den wohl größten Demonstrationen von ArbeiterInnen seit dem Ende der Militärdiktatur 1974 kam. Nach unterschiedlichen Schätzungen waren im Athener Stadtzentrum zwischen 150.000 und etwas mehr als 200.000 Menschen auf den Straßen und protestierten wütend gegen die Sozialkürzungen der Regierung. Im Rest des Landes sollen weitere 50.000 Menschen demonstriert haben. Gewerkschaften riefen zu Streiks auf, die das griechische Leben weitgehend lahm legten. Eine für hiesige Verhältnisse schwer vorstellbare Straßenmilitanz und die weit verbreitete Bereitschaft, die Grenzen der Legalität weit zu überschreiten, prägten den Protest. So wurde am 5. Mai fast das Parlament gestürmt, was die Polizei nur mit Mühe und Not verhindern konnte. Nach einem Bericht der radikal linken Gruppe TPTG (Ta paidia tis galarias, Die Kinder der Galerie) wurden in der darauf folgenden Straßenschlacht Bereitschaftspolizisten der Gruppe D – einer neuen Einheit mit Motorrädern – von einigen Lehrern und Arbeitern umzingelt und verprügelt, während die Polizisten riefen: „Bitte nicht, wir sind auch Arbeiter!“ Banken, Luxusautos, staatliche Gebäude wurden angegriffen. Doch auch die Gegenseite, der korrupte griechische Staat, der mit dem Großkapital verbündet ist, ging nicht gerade subtil gegen den Protest vor. Neben der üblichen Zurschaustellung staatlicher bewaffneter Macht auf den Straßen, Einsatz von Tränengas und Knüppeln, zeichneten sich die staatlichen Prügeleinheiten auch durch offen faschistisches Handeln aus: Arbeitslose Lehrerinnen und Lehrer, die das Fernsehstudio des staatlichen Fernsehsenders ERT besetzten, und eine Live-Diskussion mit dem griechischen Bildungsminister forderten, wurden kurze Zeit später von der herbeigerufenen Polizei angegriffen und zum Teil schwer verletzt. Nach den Großdemonstrationen vom 5. Mai griffen mehrere Hundertschaften der Polizei im alternativ geprägten Athener Stadtviertel Exarchia besetzte Häuser und Cafés an und verprügelten wahllos zahlreiche Bewohnerinnen und Bewohner des Viertels. In den vergangenen Jahren gab es auch immer wieder Vorwürfe, dass die griechische Polizei ihre Angriffe auf linke DemonstratInnen mit faschistischen Organisationen koordieren würde.

Der tragische Tod dreier Streikbrecher

Eine wichtige Rolle im Verlauf des Widerstandes gegen die Sparmaßnahmen spielte der Vorfall am 5. Mai, als DemonstrantInnen eine Bank, die Marfin-Bank anzündeten und drei Angestellte, die von ihrem Chef dort zum arbeiten gezwungen wurden, durch Verbrennungen und Rauchvergiftung starben. Zuvor waren etliche DemonstrantInnen an der Bank vorbeigezogen, der einzigen Bank, die in der Athener Innenstadt trotz des Generalstreiks geöffnet hatte. Blöcke organisierter Streikender hatten, bevor die Bank angezündet wurde, die Streikbrecher aufgefordert, sich am Streik zu beteiligen und sie dann als Streikbrecher beschimpft. Ein Angestellter hatte dann, offenbar um zu verhindern das Menschen in die Bank hinein oder aus der Bank herausgehen, die Türen verschlossen.
Der Tod der drei Bankangestellten, die von weiten Teilen des Protestspektrums zu Recht als Teil der Ausgebeuteten und Unterdrückten wahrgenommen wurden, löste zunächst eine Lähmung der griechischen Proteste aus. Die Gewerkschaften riefen nicht dazu auf, am Tag der Verabschiedung der Sozialkürzungen im Parlament in den Generalstreik zu treten. Das Sparpaket wurde dann am Donnerstag, nach den Demonstrationen verabschiedet, was den regierenden Sozialdemokraten von der PASOK nicht schwer fiel, verfügen sie doch nach einem erdrutschartigen Sieg bei den letzten Wahlen nun über eine absolute Mehrheit (160 von 300 Abgeordneten) im Parlament. Dass ausgerechnet wieder Sozialdemokraten, gewählt gegen die neoliberalen Vorgänger, als Bluthunde der herrschenden Klasse gegen die Klasse der Lohnabhängigen vorgehen, ist in Europa schon längst Gewohnheit und spricht Bände über den Geisteszustand der vielen verwirrten ArbeiterInnen, die immer noch glauben, diese Parteien wären auf ihrer Seite.
Die brutalen Kürzungen der griechischen Regierung erfreuen sich wahrhaftig keiner großen Beliebtheit. Nach unterschiedlichen Umfragen ist die übergroße Mehrheit der GriechInnen gegen die Einschnitte. Auch die Proteste gehen weiter: Am Samstag, den 15. Mai folgten über 10.000 Menschen dem Aufruf der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE).  Die Generalsekretärin der Partei, Aleka Papariga, rief zum „Widerstand und Aufstand“ gegen die Sparmaßnahmen auf.
Für den 20. Mai rufen die Dachverbände der Gewerkschaften des staatlichen Bereichs (ADEDY) und des privaten Sektors (GSEE) zum Streik auf.
Die Lage in Griechenland ist für die Regierung alles andere als stabil. Da die Sparpläne sowohl von fortschrittlichen Kräften als auch von Reaktionären angegriffen werden, hat die regierende PASOK in der Gesellschaft kaum mehr eine Basis. So stimmten auch ihre christdemokratischen Regierungsvorgänger gegen das Sparpaket. Es ist also zu erwarten, dass die PASOK wohl kaum über diese Regierungsperiode hinaus allein regieren wird.

Was bedeuten die Ereignisse in Griechenland für die europäische Linke?

Die griechische ArbeiterInnenklasse wehrt sich zu Recht gegen die sozialen Angriffe einer Regierung, die sich willig vom Europäischen Kapital als Bluthund benutzen lässt. Die Krise in Griechenland ist nur der Auftakt eines massiven Angriffes auf die Rechte der Lohnabhängigen in allen europäischen Staaten. Wer jetzt in Deutschland noch von den faulen Griechen spricht, wird sich bald wundern, an welchen sozialen Errungenschaften europaweit noch gespart werden kann, um die Profite einer kleinen Minderheit KapitalistInnen weiter sprudeln zu lassen. Die aktuelle Krise des Kapitalismus soll natürlich auf dem Rücken der Lohnabhängigen gelöst werden. Das Kapital wird keinen Cent abgeben, statt dessen soll bei den Lohnabhängigen gespart werden. Der Staat wird zum Vollstrecker eines Zwanges zum Wirtschaftswachstum. Dieses Wachstum soll auf Kosten sozialer Errungenschaften gesichert werden und bedeutet zunehmende Verschlechterungen für die Mehrheit der Bevölkerung. Auch die Milliarden, die jetzt innerhalb der EU, von der europäischen Arbeiterklasse erwirtschaftet, erst mal an Griechenland „verliehen“ werden, landen bald wieder in der Kasse der deutschen Exportwirtschaft und anderer KapitalistInnen, die Waren nach Griechenland exportieren. Und davon profitiert natürlich niemand außer denjenigen KapitalistInnen, denen es ohnehin egal ist, ob sie durch die Ausbeutung deutscher, griechischer oder sonstiger ArbeiterInnen ihre Profite erlangen. Der Kampf in Griechenland muss als legitimer Kampf der Klasse gegen die Interessen des Kapitals verstanden und vermittelt werden.

Erschienen in barricada – Mai/Juni 2010