Gostenhof ist gefragt – Antworten müssen her

Unter diesem doppeldeutigen Motto plant die organisierte autonomie (OA) in Zusammenarbeit mit der „Initiative Mietenwahnsinn stoppen“ eine groß angelegte Umfrage im Stadtteil Gostenhof durchzuführen. In der Umfrage, die im Mai beginnt und die über mehrere Wochen durchgeführt werden soll, sind die BewohnerInnen eines gefragten Stadtteils gefragt: Verdrängung, hohe Mieten, Gentrifizierung – Antworten müssen her: können wir auf den kapitalistischen Wohnungsmarkt verzichten? Umstrukturierung Gostenhofs – ist es hinnehmbar, dass über unsere Köpfe hinweg entschieden wird und bist du bereit dich aktiv zu widersetzen? Diese oder ähnliche Fragen erwarten euch, wenn ihr euch an der Umfrage beteiligt. Die Redaktion sprach mit Sabiene und Georg, AktivistInnen der OA, über die Lage in Gostenhof, über die Umfrage, Hintergründe und Zielsetzung des Ganzen.

barricada: Gentrifizierung, hohe Mieten, Verdrängung und Widerstand – Wie hat sich die Situation in Gostenhof in der letzten Zeit entwickelt?
Georg: Bezahlbare Wohnungen fehlen in Nürnberg ja an allen Ecken und Enden und die Mieten werden immer weiter in die Höhe getrieben. Besonders betroffen von diesem Klassenkampf von oben ist jedoch Gostenhof. Das rote Arbeiterviertel mit seinen Altbauten, wird mehr und mehr zum Objekt der GentrifiziererInnen. Willige GehilfInnen finden Banken, Konzerne, SpekulantInnen und Immobilienhaie bei ihrem Geschäft wie immer in den bürgerlichen Parteien, der Verwaltung und dem Staatsapparat. Gostenhof wird von SPD und Grünen als In-Viertel angepriesen und beworben. Die Gentrifizierung bestreiten sie jedoch, behaupten keine Erkenntnisse über Verdrängung und besonders steigende Mieten zu haben. Darüber hinaus versuchen sie, angetrieben durch Hetztiraden der lokalen CSU, unseren Stadtteil von allem zu säubern, was das entfesselte Profitstreben stört. Zu diesem Zweck widmet sich der staatliche Repressionsapparat verstärkt den wichtigen Problemlagen der in Gostenhof hinzugezogenen KleinbürgerInnen und Yuppies: Hundescheiße, Jugendliche, Lautstärke und Graffiti. Ansonsten werden von der sozialdemokratisch regierten Stadt Nürnberg städtische Grundstücke verhökert, Baugenehmigungen erteilt und Luxussanierungen gefördert. Es wird über unsere Köpfe hinweg geplant, entschieden und beschlossen. Großprojekte entstehen an allen Ecken: Datev-Campus, die Nobelschuppen am Jamnitzer Park etc.pp.. Gut betuchte KleinbürgerInnen werden gezielt in den aufmüpfigen Stadtteil gezogen. Wo der Nachbar kein Problem mit der hohen Miete hat, unterschiedliche Lebensrealitäten und kulturelle Bedürfnisse vorhanden sind, lässt sich schwer für gemeinsame Interessen kämpfen und im gehobenen kulturellen Ambiente sollen die Mieten ohne Widerspruch weiter steigen, werden alte BewohnerInnen verdrängt, ist mehr Profit zu machen.

Angesichts der Zustände ist in Gostenhof in den letzten Jahren eine gesellschaftlich relativ breit verankerte Unzufriedenheit herangewachsen. Widerstand gegen die Zustände ist, neben den bis heute meist isoliert geführten Streitereien und Kämpfen mit VermieterInnen, MaklerInnen und den allgegenwärtigen Hausverwaltungen, in Ansätzen vorhanden. Zahlreiche Graffities, Aufkleber, Transparente, Flyer und kleinere Aktionen belegen einen wachsenden Willen der eigenen Ausplünderung und Verdrängung nicht länger tatenlos zuzuschauen.

Es soll nun herausgefunden werden, in welchem Ausmaß der Gentrifizierungsprozess in unserem Viertel von den BewohnerInnen wahrgenommen und abgelehnt wird. Der vorhandenen Unzufriedenheit und dem in Ansätzen bereits präsenten Kampf gegen hohe Mieten, Gentrifizierung und für die eigenen Interessen, soll eine kollektive gesellschaftliche Ausrichtung und Verankerung verschafft werden. Zu diesem Zweck planen wir in Zusammenarbeit mit der „Initiative Mietenwahnsinn stoppen“ unter Gostenhofer Haushalten eine Umfrage durchzuführen.

barricada: Jetzt hast du sie ja schon angesprochen, die Umfrage in Gostenhof. Erklärt doch einmal ein wenig genauer, wie man da drauf kommt und was ihr euch davon versprecht.
Sabiene: Georg hat die Situation in Gostenhof einleitend ganz gut beschrieben. Die Verhältnisse in unserem Stadtteil spitzen sich zu. Seit ca. 2 Jahren wächst die gesellschaftlich vorhandene Unzufriedenheit und die individuelle Bereitschaft sich zu widersetzen steigt. Von einem organisierten gesellschaftlichen Kampf, von kollektivem Klassenkampf für die eigenen Interessen im Stadtteil, kann bis heute jedoch nicht die Rede sein. Einzelne widersetzen sich gegen Mieterhöhungen etc., wehren sich gegen zunehmend unverschämter werdende VermieterInnen und VerwalterInnen, von Seiten verschiedener radikal linker Ansätze gab es kleinere Aktionen zu Gentrifizierung, gegen hohe Mieten, die Verdrängung von Jugendlichen am Jamnitzer Park und einiges mehr. Ein Gesamtzusammenhang zwischen all den vielen Aktivitäten und kleinen Kämpfen ist jedoch weder von außen erkennbar, noch wird er von den Handelnden hergestellt. So verpuffen die vielen vereinzelten Aktivitäten und individuellen Kämpfe, müssen weder von VermieterInnen, Immobilienkapital, Baukonzernen noch von der lokalen Politik im Rathaus ernst genommen werden. Die daraus resultierende Erfolglosigkeit, führt zu Frust, viele kapitulieren, andere wenden sich von der sozialen Realität als Kampfterrain ab und widmen sich anderen politischen Themen. Wir denken, das ist so nicht notwendig. Gesellschaftliche Erfolge setzen jedoch ersteinmal eine möglichst breite gesellschaftliche Wahrnehmung und diese wiederum gemeinsame Strategie, Perspektiven und Ziele sowie einen kollektiven, organisierten geselllschaftlichen Kampf voraus. Um dahin zu kommen, braucht es Kommunikation. Und genau das wollen wir mit unserer Umfrage im Stadtteil erreichen. Es soll über die Umfrage einerseits eine Debatte im Stadtteil angestoßen und geführt werden, andererseits eine Verständigung über den Stand der Dinge, über die Bereitschaft sich zu wehren, über Zielrichtung, die drängendsten Probleme und zukünftige Hauptkonfliktlinien herbeigeführt werden.

Georg: Als revolutionäre Linke sind wir außerdem selbstverständlich AntikapitalistInnen. Wir gehen davon aus, dass der Kapitalismus ein gesellschaftlich fest verankertes System ist, das ausschließlich den Interessen einer Minderheit dient und auf der Ausbeutung der Mehrheit basiert. Alle gesellschaftlichen Regungen und Bereiche sind im Kapitalismus den Profitinteressen des Kapitals untergeordnet. Die Interessen der Mehrheit, also unsere Interessen, zählen nicht. Dies gilt selbstverständlich auch auf dem kapitalistischen Wohnungsmarkt und in den Stadtteilen, in denen wir leben. Wer dieses System stürzen will, muss sich Gedanken machen, wie die ideologische Hegemonie der herrschenden Klasse, der KapitalistInnen, aufgebrochen werden kann, wie ihr waffenstrotzender Repressionsapparat überwunden werden kann, wie wir die Köpfe der Mehrheit gewinnen können. Wir setzen zu diesem Zweck auf die in der kapitalistischen Gesellschaft immer vorhandene Klassenauseinandersetzung. Die Interessen der Lohnabhängigen stehen den Interessen der Minderheit, den Interessen der Klasse der KapitalistInnen gegenüber, was zu Widersprüchen und Auseinandersetzungen zwischen den Klassen führt. Hier wollen wir mit unserer Basisarbeit ansetzen. Die vereinzelt und isoliert geführten punktuellen Kämpfe wollen wir verkollektivieren, vorantreiben, in einen organisierten Klassenkampf verwandeln, in dem wir gemeinsam die notwendigen Erfahrungen sammeln und die gesellschaftliche Stärke entwickeln unsere Interessen mehr und mehr durchzusetzen. Die aktuell in Gostenhof geplante Umfrage ist aus unserer Sicht ein Mittel vor Ort einzugreifen, die Diskussion innerhalb unserer Klasse zu organisieren, uns gemeinsam zu organisieren und den Klassenkampf in Gostenhof weiterzuentwickeln und voranzutreiben.

barricada: Und wie soll das Ganze dann praktisch ablaufen?
Sabiene: Wir haben Gostenhof in mehrere Planquadrate eingeteilt. und werden in diesen jeweils um die 2-3 Wochen präsent sein. In einem ersten Schritt geht es darum, die Umfrage erst einmal bekannt zu machen. Danach werden Infotische durchgeführt, werden wir in Kneipen, auf den Straßen und Plätzen unterwegs sein und es kann auch sein, dass jemand an deiner Haustür klingelt und dich fragt. Ziel ist es bei ca. 4000 Gostenhofer Haushalten mindestens 1000 ausgefüllte Fragebögen zu bekommen. Wenn die ganzen Planquadrate abgearbeitet sind, werden wir die Fragebögen auswerten und Ergebnisse wie unsere Schlussfolgerungen öffentlich präsentieren.

barricada: Wir danken für das Gespräch, wünschen euch viel Erfolg und kommen sicher zu einem späteren Zeitpunkt in unserer Berichterstattung auf die Umfrage zurück.

Erschienen in barricada – Mai/Juni 2014