Geschichte der Autonomen in Nürnberg – Teil 2

Mit Wut, Geduld und Energie – Geschichte wird gemacht – Es geht voran
Eine Einführung in die Geschichte und Entwicklung der Nürnberger Autonomen  [2]

Im ersten Teil unserer Serie über die Nürnberger Autonomen in den 80er Jahren ließen wir die Häuserkampfbewegung Revue passieren. Hausbesetzungen, Spaßguerilla-Aktivitäten, Demonstrationen und militante Aktionen waren die Ausdrucksformen der Bewegung, aus deren Kernen sich die AktivistInnen der autonomen Gruppen herausbildeten. Wie es weiter ging, wer die AktivistInnen der ersten Stunde waren, wie sie sich inhaltlich positionierten und entwickelten, wie sie sich organisierten und was sie unternahmen, um die herrschenden Verhältnisse zum tanzen zu bringen, erfahrt ihr hier und jetzt. P.S. Ihr müsst weiterlesen.


Zum Stand der Entwicklung der autonomen Linken im Sommer 1982

Wer im Kapitalismus etwas gegen den Willen der da oben durchsetzen will, die eigenen Interessen – in unserem Fall bezahlbaren Wohnraum für Kollektive – auf die Tagesordnung setzt, kann nur im gemeinsamen, solidarischen Kampf etwas erreichen! Verhandlungen mit der Stadt über Häuser gab es nur, wenn der gesellschaftliche Druck, den die Bewegung durch ihre Aktivitäten erzeugte, groß genug war und solange er groß genug blieb. Diese Erkenntnis und der von der bayrischen Staatsregierung vorangetriebene Versuch, die Bewegung durch gezielte Kriminalisierung zu zerschlagen, radikalisierte die aktivsten Teile der HausbesetzerInnen, setzte ein theoretisch wenig unterfüttertes Klassenbewusstsein frei und trieb die Entwicklung der in der Bewegung entstandenen kämpferischen autonomen Ansätze voran.
Die Autonomen mischten die gesamte bis dahin vor Ort gängige Praxis der Linken durch ihren Aktivismus auf. Theoretischen Ergüssen und Fraktionsauseinandersetzungen stellten die Autonomen das Primat der Praxis gegenüber. Spontaneität, militanter Aktivismus und der Anspruch als handelnde Subjekte Politik der ersten Person zu betreiben, kennzeichneten die Bewegung. Allen staatlichen Versuchen, sie einzubinden, zu integrieren, widersetzten sich die autonomen Teile der Besetzerbewegung konsequent. Der staatlichen Repression begegneten sie mit bedingungsloser Solidarität, die alle von der Klassenjustiz betroffenen einschloss.
Ebenso resistent erwiesen sie sich gegenüber Vereinahmungsversuchen, Agitation und Instrumentalisierung ihrer Aktivitäten durch Parteien und Gruppierungen der Linken. Der Organisation setzten sie die Bewegung der Kollektive entgegen. Die Revolte revolutionierte auch die Kultur der Linken in Nürnberg. Der musikalisch aggressive und textlich offensive Punk, wie ihn Hansaplast, Slime, Beton Combo, The Clash und andere spielten, verdrängte mehr und mehr die Musik der `68er. Den in der radikalen Linken bis dahin verbreiteten „Hippieklamotten“ setzten die Autonomen die Farbe schwarz und ihre Lederjacken entgegen.


Autonom sein, das heißt selbstbestimmt handeln, Banden bilden und als Bewegung militant gegen die herrschende Ordnung, für die Revolution zu kämpfen.

Die Nürnberger AktivistInnen hatten vieles in der Hausbesetzerbewegung gelernt, sich schnell politisiert und verfügten mit dem in der Bewegung entstandenem Olaf Ritzman Kollektiv und der Gruppe Prolos über erste fester organisierte Gruppenstrukturen. Mit der Frauenfront, den Aktiven Sorgenkindern, und weiteren loser organisierten Gruppen bildeten sie ein Netzwerk. Die mit der Hausbesetzerbewegung untergegangenen Vollversammlungen wurden nach einer Zeit durch ein Autonomenplenum ersetzt und die Bewegung verfügte mit erkämpften Hausprojekten und Wohngemeinschaften nun über eigene Räume, die sie als Basis für den weiteren Kampf nutzte. Darüber hinaus verstanden die Autonomen das selbstverwaltete KOMMunikationszentrum am Eingang zur Innenstadt als ihr Haus, das es vom Einfluss der Stadtverwaltung  und ihren SozialarbeiterInnen zu befreien galt.
Im KOMM verbrachten die Autonomen ihre Freizeit, besuchten Veranstaltungen, Parties und Konzerte und versuchten AnhängerInnen zu gewinnen.
Die Nürnberger Autonomen waren in dieser Zeit eine sich schnell entwickelnde linksradikale Jugendbewegung. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, hatten sich ihre Aktiven allesamt in den Häuserkämpfen politisiert. Die Nürnberger AktivistInnen dieser Zeit waren proletarischer oder kleinbürgerlicher Herkunft. Ihrem Anspruch folgend, dass der Kampf das gesamte Leben umfassen sollte und nur der Kampf gegen die kapitalistischen Verhältnisse zählt, nahm die Bewegung eine weitgehende Verweigerungshaltung gegenüber allen ihren Alltag betreffenden gesellschaftlichen Vorgaben ein. Viele AktivistInnen brachen Schulkarrieren ab, schmissen ihre Ausbildung oder begannen nie eine.
Verweigerung gegenüber den Zwängen der vom Kapitalismus diktierten Verhältnisse, Verweigerung von Ausbildung, Bezahlung beim Einkauf, Karriere und Lohnarbeit waren Ausdruck einer antagonistischen, antikapitalistischen Grundhaltung. Der Kampf sollte den gesamten Alltag umfassen und das gesamte Leben bestimmen. Proletarisch geprägt bzw. sich selbst proletarisierend, die Integration der ´68er Studentengeneration vor Augen, standen die Autonomen allen, die sich in ihren Augen im Alltag widerspruchslos in die bürgerliche Gesellschaft einfügten, misstrauisch und ablehnend gegenüber.
Für die aus der Studentenbewegung hervorgegangenen, aus ihrer Sicht längst nicht mehr konfrontativen, angepassten kommunistischen Bünde, Parteien und die Alternativbewegung hatten die Autonomen nur Spott übrig. Ein aktiver Bezugspunkt, dem die Nürnberger Autonomen sich trotz inhaltlicher Differenzen solidarisch verbunden fühlten, waren die Stadtguerillagruppen. Die Bewegung 2. Juni, die Revolutionären Zellen und die RAF kämpften eindeutig mit höherem persönlichen Einsatz, was die Autonomen mit Respekt, Bewunderung und Solidarität quittierten. Neben der bundesweit verbreiteten autonomen Zeitung Radikal und anarchistischer Literatur, waren es dann auch vor allem die Texte der Stadtguerillagruppen, die die inhaltliche Diskussion und Entwicklung der Nürnberger AktivistInnen bestimmten.

Autonome in Bewegung
Nach dem Ende der Häuserkämpfe weiteten die Autonomen in Nürnberg, entsprechend ihrer inhaltlichen Entwicklung, ihre Praxis in neue Aktionsfelder aus.
Die Befreiungskämpfe im Nahen Osten und in Lateinamerika, der Kampf der Palästinenser, die sandinistische Revolution in Nicaragua, die Unterstützung der Guerilla in El Salvador und der Kampf gegen den US-Imperialismus rückten verstärkt in das Blickfeld der AktivistInnen. Internationale Solidarität, der Kampf gegen Imperialismus, Nato und Kriegspolitik, sowie die Solidarität mit den Gefangenen aus RAF, Bewegung 2. Juni und dem Widerstand auf der Straße standen nun im Mittelpunkt autonomer Aktivitäten.
Eigene Demos vor Ort zu organisieren entsprach nach dem Ende der BesetzerInnenbewegung vorerst nicht der Mobilisierungsstärke der autonomen Bewegung. Die Autonomen bevorzugten es deshalb, sich Demonstrationen anderer Gruppierungen anzuschließen und im Rahmen derselben mit eigenständigen, meist militanten kleineren Aktivitäten, für Aufmerksamkeit zu sorgen. Es fand in dieser Zeit kaum eine Demonstration in Nürnberg statt, an der sich nicht auch Autonome beteiligten und versuchten, den vorgegebenen Rahmen zu durchbrechen. Die Konfrontation suchen, zuspitzen und so die Kämpfe in den verschiedenen sozialen Bewegungen vorantreiben, so könnte die Strategie der Zeit kurz umrissen werden. Desweiteren gehörten in Nürnberg Sprühaktionen, mit Sekundenkleber verklebte Schlösser und eingeworfene Scheiben von Banken, Ämtern und Supermärkten zur militanten Praxis jener Tage, die von Kleingruppen eigenständig durchgeführt wurde.
Hatten sich schon während der Häuserkämpfe immer wieder einzelne Nürnberger an bundesweiten Demonstrationen beteiligt, reisten nun weite Teile der autonomen Szene an. Nürnberger Autonome kämpften in Frankfurt gegen den Ausbau der Startbahn West, an den Bauzäunen in Gorleben und an sämtlichen AKW-Baustellen der Republik, sie beteiligten sich an Demonstrationen und militanten Straßenkämpfen, wann und wo immer es ging.


Aus den Tagebüchern einer Aktivistin

  • Über eintausend Menschen protestierten am 27.03.82 vor dem Weißen Turm gegen eine Kundgebung der faschistischen Jungen Nationaldemokraten. Autonome empfangen den NPD-Nachwuchs mit Farbbeuteln und Eiern. Bei Auseinandersetzungen mit den zum Schutz der Nazis eingesetzten Polizeikräften kommt es zu zahlreichen Festnahmen.
  • Für den 11.06.82 steht eine Visite des US-Präsidenten Reagan in West-Berlin auf der Tagesordnung. Während die Friedensbewegung am Vorabend in Berlin und am 11.06. weit ab in Bonn demonstriert, hat die autonome Bewegung bundesweit zu einer Demonstration gegen US-Imperialismus und Nato-Kriegspolitik in Berlin mobilisiert, zu der nahezu alle Nürnberger AktivistInnen anreisen. Die Demo wird verboten, die Polizei kesselt viertausend DemonstrantInnen am Auftaktplatz ein und forderte sie auf, den Platz unter Angabe ihrer Personalien zu verlassen. In der Folge entwickelt sich eine über Stunden andauernde Straßenschlacht. Die Auseinandersetzungen weiten sich auf den umliegenden Stadtteil aus und werden noch am Abend in Kreuzberg fortgesetzt.
  • In Folge des Einmarsches der israelischen Armee in den Libanon kommt es in Nürnberg zu zahlreichen Demonstrationen. Am 30.06.82 werden schließlich die Büroräume der israelitischen Kultusgemeinde von Autonomen vorübergehend besetzt. Auf einem Transparent und in ihrem Flugblatt stellen die BesetzerInnen klar: „Diese Besetzung ist keine antisemitische Aktion! Sie richtet sich auch nicht gegen unsere jüdischen Mitbürger!“ Die BesetzerInnen fordern unter anderem den Abzug der israelischen Armee aus dem Libanon und den annektierten Gebieten und sprechen sich für die Gründung eines autonomen palästinensischen Staates aus. Sie solidarisieren sich ausdrücklich mit der PLO und den zehntausend jüdischen Demonstranten, die in Tel Aviv gegen den Krieg im Libanon protestierten.
  • Am 6.10.82 kommt es im Rahmen einer von Autonomen organisierten Demonstration, die versucht zu einer Kundgebung der CSU mit dem Ministerpräsidenten Strauß am Hauptmarkt vorzudringen, vor der Lorenzkirche zu Auseinandersetzungen mit der Polizei.
  • Am 17.03.83 erreicht die Auseinandersetzung zwischen städtischen Angestellten im KOMM und der autonomen Linken einen Höhepunkt. In einer nächtlichen Aktion mauern autonome AktivistInnen des Kommando Durutti das Sekretariat zu. Die Aktion findet im Rahmen einer Kampagne für die komplette Unabhängigkeit des KOMMs von der Stadtverwaltung statt.
  • Am 16.03.83 erscheint die Autonome Nürnberger Zeitung Mauerbruch zum ersten Mal.
  • Am 25.06.83 besucht der US-Vizepräsident Bush Krefeld. Unter dem Motto: „Stört die Nato-Propagandashow!“ mobilisieren die Nürnberger autonomen Gruppen zur Demonstration nach Krefeld. Die Demo, die versucht zum Tagungsort der Konferenz durchzubrechen, wird nach heftigen Auseinandersetzungen von Sondereinheiten der Polizei zerschlagen. Im Anschluss an die Ereignisse fährt jedoch die Wagenkolonne von Bush vor dem Bahnhof in eine Gruppe von DemonstrantInnen, welche diese sofort angreifen. „Bushs car stoned in West Germany“ titeln am darauffolgenden Tag Zeitungen weltweit.
  • Breiten Raum innerhalb der Diskussionen und praktischen Arbeit der Nürnberger Autonomen nimmt in der Folge der bundesweiten militanten Praxis jener Tage die Unterstützung der Gefangenen ein. Auch die Forderung der RAF-Gefangenen nach Zusammenlegung in Gruppen unterstützen die Nürnberger Autonomen. In Zusammenarbeit mit den sogenannten Antiimps, die von den Staatsorganen als legales RAF-Umfeld kriminalisiert werden, organisieren die Nürnberger Autonomen eine Kampagne zur Unterstützung der Gefangenen, in der sie zunehmend eigene Positionen zur Repression entwickeln.
  • Neben der sogenannten Knastarbeit prägt die von der neu entstandenen Autonomen Nicaragua Gruppe betriebene Solidaritätsarbeit das Jahr 1984. Flugblätter, kleine Aktionen die Beteiligung an zahlreichen Demonstrationen vor Ort, so sieht die Praxis aus. Am 28.03.84 organisiert die Nicaragua-Gruppe eine Veranstaltung unter dem Motto: Die beste Solidarität mit der 3. Welt ist der revolutionäre Widerstand hier“, in deren Rahmen Arbeitsbrigadisten aus der Nürnberger Szene über ihre Erfahrungen in Nicaragua berichten.

In den Kämpfen dieser Jahre entwickelte sich die Nürnberger autonome Linke weiter.
Die Entwicklung einer eigenständigen antiimperialistischen Praxis, internationale Solidaritäts- und Antirepressionsarbeit erweiterten in diesen Jahren den Horizont autonomer Politik. Über das Herumreisen zu Großdemonstrationen entstehen erste Kontakte in andere Städte.
Urwüchsig und in Sprüngen entwickelten sich theoretische Einsichten und Erkenntnisse. Die Nürnberger Autonomen beginnen sich mit der Geschichte der revolutionären Linken auseinanderzusetzen. Der Spanische Bürgerkrieg, der Kampf gegen das Patriarchat, die Novemberrevolution in Deutschland am Ende des ersten Weltkriegs, antikoloniale Befreiungskämpfe und die Geschichte der ArbeiterInnenbewegung…, Bücher werden verschlungen und an WG-Tischen, in Kneipen und auf Treffen wird ohne Unterbrechung diskutiert.
Verschiedene Revolutionstheorien werden debattiert und ein erstes Interesse an den Analysen und Theorien von Karl Marx erwacht in Teilen der bis dahin anarchistisch orientierten Szene. Die autonome Bewegung entwickelt erste eigene theoretisch-strategische Einschätzungen, der Klassenkampf als Mittel, einen Umsturz der kapitalistischen Verhältnisse zu erreichen, rückt in das Zentrum des Interesses.
Im Rahmen des Nürnberger Autonomenplenums kommt es in der Folge immer häufiger zu Auseinandersetzungen mit den, an den Einschätzungen und Theorien der RAF ausgerichteten, Antiimps.
Neuen theoretischen Einsichten folgen erste Schritte einer Praxis in neuen Themenfeldern.

  • Am 05.01.85 besetzt die autonome Gruppe Prolos vorübergehend einen Balkon des DGB-Hauses am Kornmarkt. Auf einem Transparent fordern die Besetzer „Solidarität mit den kämpfenden britischen Bergarbeitern“, die seit 9 Monaten einen militanten Streik gegen die geplante Stilllegung von zwanzig Zechen führen, der sich zum Kampf gegen die konservative Regierung Thatcher ausweitet. Zwei Tage vor der Besetzung sorgt bereits ein tausendfach an Nürnberger Haushalte verteilter Flyer gewerkschaftsintern für Aufregung. Das Flugblatt unter dem Titel „DGB-Aktuelles“ ruft zur Solidarität mit dem Klassenkampf in Großbritannien auf, solidarisiert sich ausdrücklich mit der militanten Praxis der Kumpel, fordert zu Spenden für die Bergarbeitergewerkschaft NUM auf und trägt die Unterschrift des DGB-Vorsitzenden Breit. Die Gewerkschaftsspitze entscheidet, dass eine Distanzierung nicht vermittelbar wäre.
  • Am 24.02.85 findet auf Initiative der Prolos im Kulturladen an der Rothenburgerstraße ein erstes süddeutsches Treffen von autonomen Gruppen statt, auf dem Aktivitäten gegen den in Bonn geplanten Weltwirtschaftsgipfel diskutiert werden. Dieses Treffen gilt als die Geburtsstunde des späteren süddeutschen Autonomenplenums.
  • Im Rahmen einer Mobilisierungsveranstaltung am 28.04.85 zur Demonstration gegen den Weltwirtschaftsgipfel in Bonn präsentiert die Gruppe Prolos eine umfassende Einschätzung der Verhältnisse. In mehrstündigen Vorträgen wird Stellung bezogen. Die soziale Lage, das Patriarchat, Internationalismus, die Repression und der Kampf der Gefangenen werden analysiert. Im Anschluß an die gut besuchte Veranstaltung findet im KOMM-Festsaal ein Konzert mit der Punk-Band Notbremse statt.
  • Im Verlauf der Demo gegen den Weltwirtschaftsgipel in Bonn, zu der die Nürnberger GenossInnen unter dem Motto: „ No sleep ´til Villa Hammersmith!“ mobilisierten, kommt es zu Auseinandersetzungen mit den Polizeieinsatzkräften. Steine bekommen Flügel und es gelingt den Autonomen den Abschlußkundgebungsplatz der Demo gegen Polizeiüberfälle zu verteidigen.

An dieser Stelle müssen wir die Aufzeichnungen leider abbrechen. Wie es weiter ging erfahrt ihr in der Dezemberausgabe der barricada

barricada – November 2008