Gegenwehr ist nötig!

Die deutsche Krisenlösung ist der Kampf gegen die ArbeiterInnenklasse

Macht und Freiheit, Recht und Sitte, Klarer Geist und scharfer Hieb
Zügeln dann aus starker Mitte
Jeder Selbstsucht wilden Trieb,
Und es mag am deutschen Wesen
Einmal noch die Welt genesen.
(Emanuel Geibel, deutscher Pastorensohn, 1861)

Am deutschen Wesen soll die Welt genesen! Naja, heute vielleicht noch nicht die ganze Welt. Und weil die europäische Wirtschaftsleistung stagniert und der Aufbau des europäischen Militärs auch noch nicht ganz reibungslos funktioniert, wohl auch nicht morgen. Aber zumindest in Europa zügelt der deutsche Geist – der von je her weitgehend identisch mit den Interessen des deutschen Großkapitals war, zumindest was sein Wesen, wenn auch nicht immer sein Wirken ausmachte – die glücklosen Bevölkerungen Südeuropas mit drakonischen Sparauflagen. Während in den betroffenen Ländern Widerstand geleistet wird, Millionen auf die Straße gehen gegen Sozialkürzungen und Entrechtung, ist in Deutschland von Widerstand noch wenig zu spüren. Das beflügelt die Herrschenden geradezu und ihre Frontfigur Angela Merkel (Theologentochter, Kanzlerin) tönt in der Regierungserklärung der großen Koalition:
„Deutschland ist Wachstumsmotor in Europa, Deutschland ist Stabilitätsanker in Europa. Wir sind rascher und stärker aus der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise herausgekommen als andere. (…) Für diese Erfolgsgeschichte ist das Zusammenspiel der Sozialpartner ganz entscheidend, das Zusammenspiel der Arbeitgeber und der Gewerkschaften, das unserem Land gemeinsam mit klugen politischen Entscheidungen die Stabilität und Stärke gibt, die heute notwendig sind. Sie sind notwendig, wenn wir den Anspruch haben, nicht einfach irgendwie die Krisen und Herausforderungen unserer Zeit zu meistern, sondern so, dass sich die Werte und Interessen Deutschlands und Europas auch in Zukunft im harten weltweiten Wettbewerb behaupten können.“

Zu dem Behaupten der Werte und Interessen (gemeint sind lediglich die Interessen des deutschen Kapitals) im harten Wettbewerb gehört die Zurichtung der europäischen ArbeiterInnenklasse nach deutschem Vorbild. So lobt die Kanzlerin die sozialpartnerschaftliche Zusammenarbeit von DGB-Gewerkschaften mit den Ausbeutern nicht nur, weil das einfach in jeder Regierungserklärung vorkommen soll, sondern tatsächlich weil sie die notwendige Voraussetzung für den deutschen wirtschaftlichen Erfolg ist. Die vertrauensvolle Zusammenarbeit der Spitzen des DGB mit den Vertretungen der AusbeuterInnen schuf die notwendige Stabilität und Flexibilität um Deutschland nicht nur vermeintlich krisenfester, sondern sogar zum Exportweltmeister zu machen. Flankiert durch die Agenda 2010 und vor allem durch die Hartz IV-Reformen (Abschaffung der Arbeitslosenhilfe, Verschärfung der Zumutbarkeit von Jobs) konnten die Lohnstückkosten in Deutschland sehr effizient gedrückt werden. Was heißt das? Unter Lohnstückkosten wird in der Volkswirtschaftslehre vereinfacht verstanden, dass man die Bruttolöhne und -Gehälter ins Verhältnis zum Gesamtwert aller produzierten Waren und Dienstleistungen setzt, die innerhalb eines Jahres in einem Land hergestellt wurden und dem Endverbrauch dienen. Das heißt, dass die Lohnstückkosten dann sinken, wenn die ArbeiterInnen in größerem Maß Werte schaffen als ihr Lohn steigt. Sie steigen, wenn die Löhne schneller steigen als die Produktivität. Die Lohnstückkosten können somit als Hinweis auf den Grad der Ausbeutung der ArbeiterInnen gelesen werden. In Deutschland lagen die Lohnstückkosten zwischen 2002 und 2010 sehr niedrig wenn man sie mit denen von z.B. Spanien, Griechenland und Portugal in der Zeit vergleicht. Durch die Sparpolitik konnten die Lohnstückkosten dort gesenkt werden. Allerdings ging dieser „Erfolg“ mit massiven sozialen Verwerfungen einher: In Griechenland sind 350.000 Haushalte ohne Strom, 30% der Menschen haben keine Krankenversicherung und es existieren so gut wie keine Tarifverträge mehr. Auch die Staatsverschuldung stieg trotz, oder eher wegen der Sparmaßnahmen enorm an. Die Sparmaßnahmen führen in den betroffenen Ländern zu Elend und Not, aber auch zu Protesten und Widerstand. Den Sparauflagen sollen Arbeitsmarktreformen nach deutschem Vorbild folgen, um eben die Lohnstückkosten noch weiter zu senken. Da die anderen Länder damit im Vergleich zu Deutschland wieder konkurrenzfähiger werden könnten, ist davon auszugehen, dass nun auch hierzulande wieder an den Lohnstückkosten geschraubt werden soll. Es ist ein Wettlauf auf dem Rücken der ArbeiterInnen.

Das System Deutschland: ?Konkurrenz um jeden Preis

Doch wie kann der Grad der Ausbeutung hierzulande noch erhöht werden? In Deutschland wird bereits jeder „Selbstsucht wilder Trieb“ der Arbeiterinnenklasse erfolgreich gezügelt. Erwerbslose die nicht jeden Scheißjob annehmen wollen werden mit Sanktionen bedroht und zur Beflügelung des Leistungswillens systematisch in die Armut getrieben. Andere, die ihr Glück in der Arbeitswelt suchen, müssen im Niedriglohnsektor arbeiten, der heute etwa ein Viertel aller abhängig Beschäftigten in Deutschland ausmacht. Als Alternative zum Niedriglohnsektor kann man sich gleich selbst als Solo-Selbstständige/r mit teilweise noch geringeren Stundensätzen ausbeuten. Wer das Glück hat einen Job zu besitzen in dem der Lohn annähernd geeignet ist die täglichen Bedürfnisse zu befriedigen und das Arbeitsklima noch halbwegs erträglich ist, sollte sich nicht allzu sicher sein, dass das noch lange so bleibt. Schon jetzt wird überlegt wie sich die Arbeitsmarktflexibilität erhöhen lässt. Der Kündigungsschutz sei in Deutschland und Europa übertrieben stark und schütze eine Gruppe ArbeiterInnen und Angestellte die aufgrund unbefristeter Verträge noch nicht so flexibel ausgebeutet werden können wie die bereits unter prekären Verhältnissen Arbeitenden. Zunehmende Arbeitshetze, Zeitnot und Überstunden sind schon länger in den meisten Betrieben Alltag. Das drückt auch auf die Zufriedenheit mit der Arbeit: Eine Studie der Universität Duisburg von 2011 kommt zu folgendem Ergebnis:

„Seit Mitte der 1980er Jahre nimmt die Arbeitszufriedenheit von Beschäftigten in Deutschland in einem langfristigen Trend ab. Besonders stark ist der Rückgang bei älteren Arbeitnehmern jenseits des 50. Lebensjahres. Ansonsten zeigt sich ein Rückgang der Arbeitszufriedenheit in allen Qualifikationsstufen und in Betrieben unterschiedlicher Größe in ähnlicher Form. Im internationalen Vergleich weisen Arbeitnehmer in Deutschland eine besonders geringe Arbeitszufriedenheit auf. Die Ursachen dafür sind in Entwicklungen wie der Intensivierung der Arbeit in den Betrieben, Problemen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, geringen Lohnsteigerungen und wachsender Unsicherheit bezüglich der beruflichen Zukunft zu suchen.“

Trotz der wachsenden Unzufriedenheit bleibt aber nennenswerter Widerstand in der BRD aus. Woher kommt das? Hier spielen vor allem die Gewerkschaften einen wichtige Rolle. Wir erinnern uns an die Worte von Angela Merkel zu Beginn: „Für diese Erfolgsgeschichte ist das Zusammenspiel der Sozialpartner ganz entscheidend“. Gemeint sind mit „Sozialpartnern“ die DGB-Gewerkschaften und die AusbeuterInnenverbände. Im Rahmen der Tarifpolitik zeichnete sich der DGB insgesamt im internationalen Vergleich durch große Zurückhaltung aus, wenn es darum ging die ArbeiterInnen an der steigenden Produktivität teilhaben zu lassen. Die Folge war, dass die Löhne stagnierten und das Bruttoinlandsprodukt stieg. Dadurch konnten hierzulande die Lohnstückkosten sinken. Doch nicht alle Gewerkschaften sind der Meinung, dass die von ihnen vertretenen ArbeiterInnen auf steigende Löhne verzichten sollten. Weil es immer wieder Kämpfe von Spartengewerkschaften gab, die für Teile der Belegschaften größere Lohnsteigerungen durchsetzen konnten (z.B. bei den Lokführern), will die Große Koalition nun per Gesetz regeln lassen, dass nur noch die mitgliederstärkste Gewerkschaft in einem Betrieb streiken darf. Dieses unter dem Begriff „Tarifeinheit“ bekannte Vorhaben soll die großen, sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaften des DGB stärken, die sich ohnehin durch große Bereitschaft zum Ko-Management mit den Ausbeutern auszeichneten. In Wirklichkeit ist es eine Einschränkung des ohnehin schon stark beschnittenen Streikrechts in Deutschland. Aufgrund der Hegemonie der DGB-Spitze und des DGB-Apparates hatte das Kapital in den letzten Jahrzehnten vor allem nach der Annexion der DDR einen verlässlichen Partner und konnte die Ausbeutungsrate nahezu widerstandslos steigern. Zugegeben, die voranschreitende Segmentierung des Arbeitsmarktes in Erwerbslose, Leiharbeiter, Werkverträgler, Festangestellte und andere Erwerbsformen verschlechtert die Bedingungen für die Gewerkschaften und Arbeitskämpfe allgemein. Die meisten Unternehmen sind längst in Sub-Unternehmen aufgeteilt, die die Belegschaften zusätzlich spalten. Die Internationalisierung bedroht Industriestandorte und damit unmittelbar die Existenz der dort lebenden ArbeiterInnen. Die Bedingungen für klassenkämpferische Politik im Interesse der Werktätigen sind also schwierig. Doch dies kann das Handeln der DGB-Spitzen nicht entschuldigen. Der DGB hatte bereits beim Ausverkauf der DDR im Interesse des Kapitals mitgewirkt, um Deutschland im internationalen Vergleich konkurrenzfähig zu machen. (Dieses Verhalten war auch der Grund, warum in den 90ern in Nürnberg eine eigenständige revolutionäre 1. Mai Demonstration neben der DGB-Demo entstand.) Dann kam das Mittun bei der Agenda 2010 und danach eine Tarifpolitik die für die meisten Erwerbstätigen massive Verschlechterungen bedeutete. Die zukünftigen Folgen, wie z.B. Altersarmut durch geringe Rentenbeiträge von NiedriglöhnerInnen werden gerade diskutiert. Auch die ökonomischen Auswirkungen von Lohnverzicht bei steigender Produktivität könnten in den nächsten Jahren dramatische Auswirkungen haben. Weil sich das Investieren in die hiesige Produktion wegen der hohen Produktivität nicht lohnt, fließt das Kapital in andere Investitionen. Das befeuert zum Beispiel die Immobilienspekulation, was zu höheren Mieten führt, welche sich nur wenige leisten können, weil der Lohn nicht steigt. Das alles kann aus Sicht der ArbeiterInnenklasse, egal in welchem Land, keine akzeptable Entwicklung sein. Gegenwehr gegen das allumfassende Konkurrenzprinzip, grenzüberschreitende Solidarität und eine antikapitalistische Organisierung der ArbeiterInnenklasse ist nötig.

Entgrenzte Ausbeutung braucht ?entgrenzten Widerstand

Eine linke Bewegung, die der Verschärfung der Konkurrenz etwas real entgegensetzen könnte, ist leider nicht in Sicht. Das hält den Staat im Gegenzug allerdings nicht davon ab, Überwachung und Kontrolle auszubauen. Zudem gibt es eine Häufung grenzüberschreitender Zusammenarbeit zur Kontrolle von Protesten und Demonstrationen. Die Staaten der EU organisieren ihre Kräfte schon längst gegen Feinde im Inneren. Es wird Zeit, dass sich nun endlich die Ausgebeuteten vernetzen. Es ist schon längst Zeit für Widerstand und die aktuelle Entwicklung zeigt, dass das deutsche Modell im Gegensatz zu der hiesigen Propaganda keinen Ausweg aus der kapitalistischen Krise darstellt, sondern nur deren Verschärfung auf Kosten der LohnarbeiterInnen. Ansätze für widerständige Politik gibt es genug und viele Ansätze werden schon lange verfolgt. Doch oft organisierte die deutsche Linke eine Stellvertreterpolitik oder zog sich in subkulturelle Schutzräume zurück. Angegriffen wurden oft die Symptome des Kapitalverhältnisses, die Auswirkungen der im Kapitalismus angelegten Grundwidersprüche auf besonders betroffene Individuen. Hier gelingt es dem Staat zunehmend effizient Reformen durchzuführen, die den Bewegungen die Spitze nehmen. Schon längst ist Deutschland in vielen Bereichen ein bürgerlicher Musterstaat mit zahlreichen gesetzlichen Diskriminierungsverboten. Was bleibt ist aber dennoch die grundsätzliche Konkurrenz und Ausbeutung. Die Linke hat oft zu Recht die Schwachstellen der bürgerlichen Konzeption von Gleichheit kritisiert, auf die Ausgrenzung von MigrantInnen und die Benachteiligung von Frauen hingewiesen und viel zur Ausbildung von rechtlicher Gleichstellung beigetragen. Selten wurde dabei jedoch das Kapitalverhältnis an sich thematisiert. Dabei kann es für eine revolutionäre, antikapitalistische Perspektive nicht verzichtbar sein, die ökonomischen Grundlagen und die daraus entstehenden Widersprüche bei jeder Gelegenheit mitzudenken. Der Kampf um Befreiung muss immer auch das Weiterdenken über den Kapitalismus hinaus beinhalten. Zumindest dann, wenn der Politik der Herrschenden wirklich etwas entgegengesetzt werden soll und nicht einfach nur die Herrschaft reformiert werden soll.
Und es ist notwendig, dass radikale Linke ihre eigene Situation zum Thema zu machen. Denn in der Linken arbeiten und leben schon längst die meisten prekär. Sie sind genauso Teil der hiesigen Mehrheit und leiden unter dem Kapitalverhältnis genau so, wie die anderen Erwerbslosen, Solo-Selbstständigen, PraktikantInnen, Stammbelegschafter oder RentnerInnen. Anstatt nur die schlimmsten Auswüchse der kapitalistischen Konkurrenz zu thematisieren sollte die banale Schrecklichkeit des kapitalistischen Alltags angegangen werden. In Basiskämpfen um Arbeits- und Lebensbedingungen, – dazu gehört auch das Wohnen und das Konsumieren – muss der herrschenden Verzichtslogik und dem Alltagsrassismus und Chauvinismus etwas entgegen gesetzt werden. Wesentlich hierfür ist das Schaffen von Orten an denen sich Unzufriedene vernetzen und gemeinsamen Widerstand gegen alltägliche Unzumutbarkeiten entwickeln können.

Gegen die EZB-Eröffnung in Frankfurt

Doch der Kampf gegen das europäische Krisenregime braucht auch symbolische Aktionen, die alltägliche Kämpfe ergänzen. Der Versuch der europäischen Eliten, Europa zu einer imperialistischen Großmacht zu formen, die es mit anderen Großmächten aufnehmen kann, findet auf dem Rücken aller ArbeiterInnen statt. Betroffen sind alle – sowohl diejenigen, die heute hier erwerbslos sind, als auch die, die in der Hoffnung auf ein besseres Leben hierher kommen. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um AsylbewerberInnen oder angeworbene AkademikerInnen aus anderen Ländern handelt. Sie alle werden sich unter kapitalistischen Konkurrenzbedingungen behaupten müssen. Dabei gibt es nur wenige Gewinner und eine große Mehrheit Verlierer. Obwohl dies die Folge des Kapitalverhältnises selbst ist, des Widerspruchs zwischen einer komplexen, gesellschaftlichen Arbeitsteilung und Produktion auf der einen Seite und der privaten Aneignung des gesellschaftlichen Eigentums auf der Anderen, gibt es doch Symbole, die aktuell für die herrschende Verhältnisse stehen. Die Europäische Zentralbank (EZB), speziell ihr gerade im Bau befindliches Hochhaus in Frankfurt, ist solch ein Symbol. Die EZB ist Teil der Troika, die den von der Krise am meisten betroffenen Staaten die Sparmaßnahmen diktiert. Die EZB ist eine Struktur, die nahezu gänzlich von demokratischer Kontrolle entbunden wurde und deren Handeln ausschließlich der Aufrechterhaltung kapitalistischer Verwertungsbedingungen dient. Sie ist Teil des Systems und steht, mehr als EU-Kommission und IWF (die anderen Kräfte der Troika), für einen finanzpolitischen Kurs, der den Wirtschaftsraum der EU zwar vorübergehend stabilisiert, aber die Menschen in immer größere Konkurrenz untereinander treibt. Das, für was die EZB steht, ist, den Kapitalismus am Leben zu erhalten, obwohl seine finale Krise längst begonnen hat. Im Herbst 2014 soll das Hochhaus der EZB in Frankfurt mit einem Staatsakt eröffnet werden. Das Bündnis Blockupy will diese Eröffnung verhindern. Am Bündnis beteiligt sind auch Gruppen aus Nürnberg, wie die organisierte autonomie (OA) und die radikale Linke (rL). Im Rahmen der Mobilisierung besteht für die Linke Gelegenheit, Kontakte über das bisherige Mobilisierungspotential hinaus zu schaffen und im Alltag die Zusammenhänge zwischen Euro-Krise, Ausbeutung und fehlendem Widerstand zu thematisieren und zu tatsächlicher Gegenwehr überzugehen.

Erschienen in barricada – März/April 2014