Für Freiheit, Brot und Würde – arabischer Frühling 2.0
Wieder ist das Bild Ägyptens von Massendemonstrationen und blutigen Auseinandersetzungen geprägt. Nachdem das Militär Mursi gestürzt hat, verschärft sich die Situation nun erneut. Das vom Militär neu eingesetzte Parlament, bestehend aus Liberalen, Nasseristen und TechnokratInnen weckt neue Hoffnungen bei den einen und Ablehnung bei den anderen.
Doch worum geht es eigentlich in diesem Konflikt? Religion? Salafisten? Die USA? Oder sollte doch in letzter Konsequenz der Grundwiderspruch der sozialen Unterdrückung der Mehrheit der Menschen ausschlaggebend sein? Wenn man Ägypten seit dem Sturz Mubaraks betrachtet, so hat sich eigentlich nicht viel getan. Die Arbeitslosigkeit stagniert, es mussten Hilfen des IWF in Milliardenhöhe in Anspruch genommen werde, deren Sparauflagen die soziale Lage selbstredend eher verschärft als entspannt. Und auch politisch gesehen, finden sich viele Menschen nicht wieder in der islamischen Ausrichtung Mursis und seiner Partei. Die Proteste steigerten sich in den vergangenen Monaten. 22 Millionen Menschen beteiligten sich an einer Petition zur Absetzung der Regierung initiiert durch das breite Bündnis „Tamerod“. Letztendlich schaffte das Militär Fakten und jagte Mursi aus dem Amt. Die Muslimbrüder wurden verboten und AnhängerInnen und GegnerInnen des Militärputches standen sich von diesem Zeitpunkt in offenen Straßenschlachten gegenüber. Die westlichen Medien stimmten verständnisvolle Töne gegenüber der Militäraktion an. Immerhin haben sie ja einen islamistischen Anti-Demokraten aus dem Amt gejagt – auch wenn dieser nach gut-bürgerlichen Spielregeln gewählt wurde. Das Militär hingegen ist traditionell eher weltlich und liberal und zwar im besten kapitalistischen Sinne: Die Armee am Nil betreibt Hotels und Krankenhäuser, gigantische Baukonzerne und Abfüllanlagen für Mineralwasser. Ihr gehören Nudelfabriken und Autowerkstätten, ein landesweites Tankstellen-Netz und Bäckereien. Zudem besitzt das Militär große Ländereien in bester Lage. Viele der Ferienanlagen auf der Sinai-Halbinsel sind auf Armee-Parzellen entstanden, deren Verkauf den Generälen sehr viel Geld in die Kassen gespült hat.
In den nicht-zivilen Betrieben Ägyptens finden Hunderttausende Arbeit. Nach Schätzungen von Experten ist die Armee mit knapp einer halben Million Soldaten und den Angestellten ihres Wirtschaftsimperiums der größte Arbeitgeber Ägyptens. Das Business der Generäle macht zwischen 10 und 40 Prozent des ägyptischen Wirtschaftsvolumens aus. Genau kann man das nicht sagen, weil sich die Armee auch nicht in die Karten schauen lassen will. Finanziert wird die Armee zusätzlich noch über 1,3 Milliarden Dollar Rüstungshilfen der USA, welche in die Stabilität Ägyptens gerne investieren, weil sie sich über dieses große und mächtige Land ihren Einfluss und wirtschaftliche Spielräume im nordafrikanischen Raum sichern wollen. Denn nach dem Sturz Mubaraks ist das Rennen um den Einfluss in Ägypten entbrannt: Die USA will Ägypten einen Teils seiner Schulden erlassen. Außerdem wollen die US-Behörden Unternehmen, die Investitionen in Ägypten wagen, Garantien von 469 Millionen Dollar geben. Saudi-Arabien und Katar, denen der islamistische Ex-Präsident Mohamed Mursi in ideologischer Hinsicht zugeneigt ist, haben bis zu drei Milliarden Dollar versprochen. China, der stärkste Konkurrent der USA in Afrika, hat bereits große Verträge im Kommunikationsbereich und in der Landwirtschaft abgeschlossen. Kairo wird von Peking demnächst einen Kredit von 200 Millionen Dollar erhalten.
Alle gegen alle?!
Doch der Konflikt hält an. In seiner ersten Erklärung nach Außen fordert Al-Sisi – Armeechef und faktisch gerade erster Mann im Staat – die Amerikaner zur aktiven Unterstützung auf. Sie hätten Ägypten im Stich gelassen, vor allem weil diese die Entsendung der F-16 Kampfjets vorerst eingefroren haben. Dass dies nicht aus reiner Menschlichkeit passiert, ist klar. Vielmehr stößt sich die USA an dem anti-amerikanischen Klima, welches durch die jetzigen Machthaber geschürt werde. Ein schlauer kapitalistischer Staat entsendet nun mal keine Waffen in ein Land, dessen Loyalität er sich gerade nicht sicher sein kann. Ungeachtet all dieser bilateralen Streitigkeiten gehen die Kämpfe auf den Straßen derweilen weiter. Aufgehetzt von diversen Machthabern verwandelt sich so manche Kaffeehausdiskussion in eine Straßenschlacht, werden Fenster von Kirchen eingeworfen, ebenso Muslime angegangen. Reihenweise wandern AnhängerInnen der Muslimbrüder in den Knast und müssen um ihre Protestzelte bangen, die sie errichtet haben bis „ihr“ Präsident wieder im Amt ist. Denn nun wurde von der Regierung grünes Licht gegeben eben diese Protestcamps zu räumen, was letztendlich eine neue Eskalation bedeutet in einem Kampf, in dem rund 200 Menschen innerhalb eines Monats getötet wurden.
Es gibt zwei große Lager in Ägypten: die Anhänger eines muslimisch geprägten Staates und die LaizistInnen und Liberale. Auf die Umsetzung der Forderungen des „arabischen Frühlings“ berufen sich beide. Vieles scheint sich momentan um die politische Frage zu drehen, wer nun im Amt bleiben darf. Ein Wunder angesichts der unveränderten schlechten Lage des ägyptischen Proletariats, dass ihnen diese Frage nicht völlig gleichgültig ist. Erst kommt das Fressen – dann die Ideologie, dürfte man meinen.
Wo ist die ägyptische Linke und ?wo steht die ArbeiterInnenbewegung?
Die Rolle der Gewerkschaften ist schwierig, obwohl sich kleinere Streiks häufen: An den letzten Gewerkschaftswahlen 2006 konnten linke Bewegungen nicht teilnehmen, weil die AktivistInnen dieser Gruppen identifiziert, rausgeworfen oder von der Staatssicherheit verhaftet wurden. Nun sitzen vor allem Leute aus der Regierungspartei Mubaraks (NDP) und den Muslimbrüdern in der Gewerschaftsspitze und sorgen dafür, dass die kleinen Streiks isoliert bleiben und sich nicht zu einem Lauffeuer ausbreiten. Auch die neu eingesetzte Regierung gibt wenig Grund zur Hoffnung. Sie ist das Ergebnis einer Übereinkunft zwischen Teilen der jungen BewegungsaktivistInnen, der liberalen Dostour-Partei von Mohammed El-Baradei und den Nasseristen von Hamdin Sabahi, dem mit 21 Prozent der Stimmen überraschenden Drittplazierten der Präsidentschaftswahlen vor einem Jahr. Der Nasserismus steht eher für eine Politik der nationalen Einheit als für eine sozialistische. Linksparteien, wie die Bewegung der Revolutionären Sozialisten, verfügen nach wie vor nicht über eine nennenswerte Wählerbasis. Sie sind nicht in der Lage die ArbeiterInnen zu mobilisieren. Vor und nach dem Sturz von Mubarak spielten sie eine Rolle, doch die Wirtschaftskrise hat sie der Unterstützung durch die ArbeiterInnenbewegung beraubt weil auch sie keine Antworten auf die drängenden Probleme bieten konnten. Tamarod dagegen hat sich als ein breites Bündnis präsentiert, welches allerdings keine Klassenforderungen als Bezugspunkte betrachtet, sondern auch nur das Wohl der Nation in den Mittelpunkt gerückt hat. Immer wieder haben sich kleinere linke Bewegungsgruppen einen Namen innerhalb der Bewegungen machen können. Sie waren es, die zu Beginn das organisatorische Rückgrat auf dem Tahir-Platz bildeten. Doch als die Frage der Neuwahlen in den Fokus wanderte, waren sie natürlich kein Faktor mehr, weil alle nur auf wählbare Alternativen schauten. Das Ergebnis war zwar mit den Muslimbrüdern als einzig gut organisierter Kraft ein wenig vorhersehbar und doch ist es nun gut zu sehen, dass die Menschen wieder aufbegehren, wenn ihnen das Ergebnis nicht passt. Die Masse lernt, dass sie die Kraft hat einen Präsidenten immer wieder zu stürzen – vielleicht ist eine solche Dynamik irgendwann einmal auch in die Richtung denkbar, dass sie ihn irgendwann nicht mehr einfach nur durch jemand anderen ersetzen, sondern ganz neue Wege beschreiten. Doch bevor das passiert, muss die ägyptische ArbeiterInnenklasse massive Spaltungen überwinden, sich aus den Fängen der nationalen Einheitsbeschwörung befreien und schlagkräftige Organisationen aufbauen, die unabhängig von sozialdemokratisch-liberalen-religiösen Parteien funktionieren und welche die Klassenfragen zum Bezugspunkt machen. Und da dies überall die Aufgabe ist, vor der wir alle stehen wie der Ochs vorm Berg, kann das noch ein wenig dauern…
Erschienen in barricada – August/September 2013