From Hopenhagen to COPenhagen
Die Stimmung im Vorfeld des Klimagipfels in Kopenhagen vom 07.-18. Dezember war in erster Linie erwartungsvoll. Nicht selten fiel der Vergleich mit dem WTO-Gipfel in Seattle 1999, der Initialzündung der Antiglobalisierungsbewegung. Die Hoffnung auf eine erneute, kraftvolle Bewegung, auf globale Vernetzung und vor allem auf die Verbreitung antikapitalistischer Inhalte vor den Augen einer großen Öffentlichkeit war groß. Theoretisch war dies auch berechtigt, denn im Gegensatz zum NATO-Jubiläum im April ´09 stieß der Klimagipfel, dank „Fair-Trade“ und Bioläden, auf ein wesentlich größeres gesellschaftliches Interesse. Doch wie so oft, setzte der Großteil der Protestierenden nicht auf eine Bewegung „von unten“, die wirkliche Veränderungen erreichen kann, sondern vertraute nur auf das Gelingen des offiziellen Gipfels. Diese Mentalität verdeutlichte ein Greenpeace Transparent mit der Aufschrift „politicians talk, leaders act“ mehr als deutlich.
Doch nicht nur DemonstrantInnen jeglichen politischen Spektrums bereiteten sich bereits seit Monaten auf den Gipfel vor. Auch der Staat traf seine „Sicherheitsvorkehrungen“ und zusätzlich zu den tausenden Polizisten, Wasserwerfern und Hundestaffeln, Tränengas aus Israel und Einsatzfahrzeugen aus Deutschland, wurde das Schengener Abkommen, wie für Gipfel üblich, außer Kraft gesetzt und das Demonstrationsrecht drastisch verschärft. Hierfür wird das „lömmelpakke“ (das sogenannte „Lümmelpaket“) verabschiedet, das unter anderem die vollkommen willkürliche, präventive Inhaftierung für 12 Stunden von „verdächtigen“ Personen legitimiert.
Die Mobilisierung
Die linksradikale Mobilisierung wurde hauptsächlich von zwei lokalen Bündnissen organisiert. „Never trust a COP“ und „Climate Justice Action“. Vor allem durch die Mobilisierung von NTAC wurde im Vorfeld, nicht nur in Kopenhagen, sondern auch hier in Nürnberg, von den härtesten Gipfelprotesten seit Genua ausgegangen. Mit Parolen wie „Capitalism stumbles, lets make sure it falls“ wurden wahrscheinlich nicht nur innerhalb der radikalen Linken Bilder von einem brennenden Kopenhagen gezeichnet. Beide linken Bündnisse organisierten die Aktionswoche rund um den Gipfel, von der wir noch näher berichten.
Dem Linken Flügel des Gipfelprotests stand ein internationales Bündnis von bürgerlichen Kräften, NGOs und ähnlichen Vereinen gegenüber. Dass diese an einer Zusammenarbeit mit Kräften, die den Kapitalismus zu Fall bringen wollen, geringes Interesse hatten, verwundert wohl nicht weiter. Doch nicht nur inhaltlich gingen die beiden Flügel stark auseinander, auch in der Organisation der Proteste fanden sich nicht vereinbare Unterschiede: Während die Großdemonstration zum Tagungsort des Gipfels am Stadtrand ziehen wollte, wollten die Linken Bündnisse den Protest in die Innenstadt tragen. Nicht nur um größere Aufmerksamkeit zu erreichen, sondern auch um vor vielen Symbolen des Klimawandels (Konzernbüros etc.) direkten Protest zu zeigen. Diesen Ansatz versuchte eine Demonstration am Freitag bereits umzusetzen: Mit einer Demonstration unter dem motto „don´t buy the lie! Our climate, not your business!“, an der ca. 250 Personen teilnahmen. Die Route sollte zu verschiedenen Unternehmen führen, die direkt mit dem Klimawandel zu tun haben um die Verknüpfung von Wirtschaft und Klima deutlich zu machen. Die Zielobjekte wurden auf Grund polizeilicher Intervention nicht erreicht. Es kam zu über 60 Festnahmen, die einen ersten Vorgeschmack auf den folgenden Tag gaben.
Die Großdemonstration am Samstag
Aufgrund fehlender Informationen und eines miserablen Informationsflusses, was auch an dem Fehlen eines zentralen Camps lag, trafen sich alle linken AktivistInnen, mehr oder weniger notgedrungen bei der Großdemonstration. Dort formierte sich ein unorganisierter schwarzer Block ohne Reihen, Lautsprecherwagen und Seitentransparenten im hinteren Teil der Demo. Nach vereinzelten Steinwürfen auf das Außenministerium und eine Bank wendete die Polizei nach ca. 1km das „Lümmelpaket“ an und kesselte ca. 700 Menschen, die sich in der Nähe des „gefährlichen“ Blocks befanden. Die restlichen 99.000 Teilnehmer der Demonstration ließ das eher kalt und sie setzten ihren Weg aus der Stadt hinaus ohne ersichtliche Reaktion fort. Das ganze endete vor dem Bella Center mit der Übergabe einer Resolution mit den Forderungen der DemonstrantInnen an die dänische Vorsitzende der Klimakonferenz. Diese stellte sich auch noch hinter die Forderungen und bezeichnete den (bürgerlichen) Protest als Erfolg.
Währenddessen mussten die Festgenommenen stundenlang bei Minusgraden in einer Seitenstraße auf dem Boden sitzen bis sie schließlich abtransportiert und in zuvor gelieferte deutsche Käfige gesperrt wurden, von denen einige im Lauf des Abends von Inhaftierten auseinandergelegt wurden.
Am Abend gab es eine Solidemo zur Sammelstelle, die durchgehend von einem Polizeispalier begleitet war und schließlich gewaltsam beendet wurde. Hier wurde zum ersten Mal eine Veränderung der dänischen Polizeitaktik deutlich, die vormals eher auf einen gewissen Abstand zu den Demonstranten abzielte um diese von weitem zu zerstreuen, mittlerweile der deutschen Polizeitaktik aber immer ähnlicher wird. Insgesamt kam es allein am Samstag zu knapp 1000 Festnahmen.
Die Aktionstage
Für den dritten Tag war die Aktion des zivilen Ungehorsams unter dem Motto „hit the production“ geplant. Hierbei sollte am Sonntag der Hafen blockiert und die kapitalistische Produktion lahmgelegt werden. Ungefähr 400 Menschen trafen sich zu einer unangemeldeten Demonstration, um gemeinsam den 3 km entfernten Zaun zu überwinden. Nach schon einem Kilometer wurde die Demo von der Polizei unter Schlagstockeinsatz gekesselt, Journalisten wurden weggedrängt, und wer hätte es gedacht, über die Hälfte der Demonstranten in Gewahrsam genommen.
Von Sonntag bis Dienstag fanden verschiedene Demonstrationen statt, die Thematiken befassten sich mit Migration und Landwirtschaft. Auf allen drei Demonstrationen waren um die 1.000 TeilnehmerInnen. Durchgehend aggressiv waren, wie zu erwarten, die Polizeieinsätze. Vereinzelt wurden auch AktivistInnen verhaftet.
Am Montagabend kam es in dem seit 1971 bestehendem freien Stadtteil Christiania zu einem weiteren Polizeiexzess gegen die linken Strukturen in Kopenhagen. Nach knapp zweistündigen Auseinandersetzungen vor den Toren Christianias stürmte die Polizei schließlich mit einem Großaufgebot an Räumfahrzeugen, Hubschraubern, Hunden und unter massivem Tränengaseinsatz den Freistaat. Christiania, das die Sani- und Traumastation beherbergte, und das Wochenende über in erster Linie den AktivistInnen als Rückzugsort diente, befand sich die ganze Nacht in einem belagerungsähnlichen Zustand. Knapp 200 Menschen warteten, auf dem Boden sitzend, auf ihren Abtransport in die Käfige.
Am fünften Tag sollte unter dem Motto „Reclaim Power! Pushing for climate justice!“, von CJA organisiert, das Bella Center gestürmt werden um in dem Tagungszentrum eine sogenannte „Peoples Assembly“ abzuhalten. Alle TeilnehmerInnen des Gipfelsturms wurden unter brutalem Schlagstock- und Tränengaseinsatz festgenommen. Tadzio Müller, Pressesprecher von CJA, wurde am selben Tag verhaftet, da ihm das Organisieren von Ausschreitungen vorgeworfen wurde.
Die Bilanz
Die Bilanz nach einer Woche Gipfelproteste ist eine bittere: Insgesamt kam es zu ungefähr 2000 Festnahmen, über 10 Personen werden voraussichtlich noch bis Mitte Januar mit zum Teil schweren Vorwürfen festgehalten.
Ob die Organisation der Aktionen koordinierter hätte laufen müssen, ob die Orte und Zeiten zu lange im Voraus angekündigt waren, und über viele weitere Details des Protests lässt sich streiten. Fest steht jedoch, dass der Staat offensichtlich aus den letzten Gipfelerfahrungen gelernt hat, soll heißen, jede Form eines systemkritischen Protests zu unterbinden bevor dieser überhaupt gefährlich werden kann. Kopenhagen war ein Paradebeispiel für den temporären Polizeistaat, der der bürgerlichen Demokratie innewohnt. Wobei die Auswirkungen dieses „Ausnahmezustands“, z.B. das „lömmelpakke“, nach dem Gipfel sicher nicht so schnell wieder verschwinden wie die Hubschrauber und Wasserwerfer.
Doch nicht nur der Staat, auch der Kapitalismus hat dazu gelernt und die Ökologie für sich entdeckt: Zum einen lässt sich der Bevölkerung schnell und effektiv ein reines und ruhiges Gewissen verkaufen und gleichzeitig wird ein neuer, vielversprechender Markt eröffnet.
Durch den Green New Deal sollen Ökologie und Kapitalinteressen vereint werden. Schon seit längerem schmücken sich Firmen mit Schlagwörtern wie „öko“, „bio“ und fair“, McDonalds will sogar sein „rot- gelb“ gegen ein „grün“ eintauschen. In Kopenhagen selbst konnte man an jeder Ecke die Werbeinstallationen der von Siemens und Coca-Cola unterstützten Kampagne „Hopenhagen“ bewundern, das „greenwashing“ Beispiel par excellence.
Der „bürgerliche“ Teil des Protests zielte im Endeffekt darauf ab, was die Wirtschaft ständig propagiert: ein grüner Kapitalismus. Da der Fokus der Massenmedien wie immer auf eben diesem reformistischen, durch und durch eingebetteten, Flügel des Protests lag, gelangten wenig bis kaum antikapitalistische Inhalte in die Zeitungen. Dennoch war bei allen Aktionen, auch denen, die nur vom linken Spektrum getragen wurden, eine Vielzahl von JournalistInnen vor Ort, wobei diese teilweise von der Polizei an ihrer Arbeit gehindert wurden. So mussten beispielsweise Samstagabend nach den Massenverhaftungen alle ReporterInnen den Ort der Verhaftungen, mit der Anweisung, nicht darüber zu berichten, verlassen. Der Großteil der Medien skandalisierte immerhin das unmöglich machen des legitimen Protests durch das „lümmelpaket“ und die ungerechtfertigten Polizeieinsätze.
Doch nicht nur die Repression von Seiten des dänischen Staates rief mediale Empörung hervor: Das offizielle Ergebnis der als „eine der wichtigsten Konferenzen der Weltgeschichte“ bezeichneten Klimakonferenz lautet: die Erderwärmung soll auf 2 Grad begrenzt werden, natürlich ohne dass konkrete Maßnahmen eingeleitet wurden. Wow. Hierbei handelt es sich um eine wahre Glanzleistung wenn man bedenkt, dass der derzeitige Treibhausgasausstoß in etwa diese Erhöhung herbeiführen wird, und dass genau diese 2 Grad der gefährliche Punkt sind, an dem sich der Klimawandel verselbstständigen könnte. Das Ergebnis tagelanger Diskussion ist also alles beim Alten zu belassen. In den Medien ist vom Scheitern des Gipfels die Rede, alle Welt ist enttäuscht. Aber mal ehrlich, war genau dieses Ergebnis nicht irgendwie absehbar? Wie können den diejenigen, deren Aufgabe es ist dieses System zu schützen, die nötigen Maßnahmen einleiten, um den von Ihnen verursachten Klimawandel aufzuhalten? Der Erfolg des Gipfels ist das schwindende Vertrauen der Bevölkerung in die Herrschenden und ihr System und,wer weiß, vielleicht ist dies der erste Schritt hin zu einem Bewusstsein, dass eine emanzipatorische Gesellschaft die nicht ihren eigenen Lebensraum zerstört nur „von unten“ aufgebaut werden kann.
Erschienen in barricada – Januar 2010