Fight Back – Nazistrukturen bekämpfen! – „Freies Netz Süd“ zerschlagen!
Der Vorfall…
Am Mittwoch, den 28.4.2010 geschieht in Nürnberg ein brutaler Angriff. Ein Faschist prügelt und tritt am frühen Nachmittag an der U-Bahn Haltestelle Plärrer einen jungen Mann, bis dieser leblos liegenbleibt. Die Mitfahrenden reagieren offenbar erst als er am Boden liegt und nicht mehr zu sich kommt. Ein Passant beginnt mit der Reanimation. Der Notruf wird verständigt und leitet zum zweiten Mal die Wiederbelebung ein. Im Krankenhaus finden die Ärzte einen Herzfehler, der die Folgen des Angriffes noch verschlimmert hatte. Es folgen fünf lange Tage, die der 17-jährige im künstlichen Koma gehalten wird. Tage, die für FreundInnen, Verwandte und Bekannte ein einziges Hoffen und Bangen sind. Niemand konnte zu Beginn abschätzen, ob er den Anschlag überhaupt überleben wird und wenn doch, welche Folgeschäden bleiben werden.
Doch der junge Antifaschist hatte Glück im Unglück. Am Montag, den 3. Mai erwachte er aus dem Koma und noch waren keine Folgeschäden erkennbar. Er musste allerdings noch mehrmals am Bein operiert werden. Dass posttraumatische Belastungen bei solch einer Tat nicht ausbleiben, ist eine traurige Tatsache. Doch die Verdrängung von eben solchen Tatsachen ließ in diesem Fall nicht lange auf sich warten…
Skandalöse Normalität: das Verhalten von Polizei und Staatsanwaltschaft
Die Polizei verschwieg den faschistischen Hintergrund des Täters zunächst gänzlich. Der Täter stellte sich einen Tag nach dem Angriff den Behörden. Wohl, weil sein Umfeld dazu geraten hat, dass es sich bei einem stadtbekannten Nazi auf Bewährung vor Gericht nicht sonderlich gut mache, einen Menschen unter Beobachtung von zig Kameras und vor etlichen Zeugen halb tot zu schlagen und dann auch noch flüchtig zu sein. Er sitzt seit seiner Festnahme in U-Haft.
Ab diesem Zeitpunkt lagen die Identität und die Gesinnung des Täters klar und eindeutig auf der Hand. Peter Rausch ist im Nazi-Sumpf ein bekannter Schläger, der dem „Freies Netz Süd“ zuzuordnen ist. Ein Zusammenschluss bekennender NationalsozialistInnen, denen selbst die NPD nicht weit rechts genug steht. Eine Tatsache, die den ermittelnden Beamten sicherlich bekannt war. Doch auch nachdem klar war, dass es sich um einen faschistischen Übergriff handelte, schwieg die Polizei zwei weitere Tage. Selbst auf mehrfache Pressenachfragen zu einem etwaigen politischen Hintergrund reagierten die Polizeisprecher mit einem immer gleichen „dazu können wir nichts sagen“. Im Nachhinein versuchten die Beamten mit schier unglaublichen Begründungen ihr Vorgehen zu rechtfertigen. Man sei sich nicht sicher gewesen, die ZeugInnenaussagen seien widersprüchlich usw. Medien vermuteten, man habe so kurz vor dem 1. Mai kein Öl ins Feuer gießen wollen.
Dieses Vertuschen eines faschistischen Tathintergrundes jedoch ließen sich Freunde, Verwandte und GenossInnen nicht bieten. Kurzerhand gründete sich ein Soli-Komitee, das den öffentlichen Druck in so kurzer Zeit erhöhte, dass die Behörden am 1. Mai keine andere Möglichkeit sahen, als diesem Druck nachzugeben. Während sich der DGB-Vorsitzende Doll weigerte, die kurze Resolution des Soli-Komitees am 1. Mai vortragen zu lassen (eine Vertreterin der Gewerkschaftsjugend baute diese dann gegen Dolls Willen in ihre Rede ein), und die bis dahin erhältliche Version der Polizei nachplapperte, waren der Angriff und die Vertuschungstaktik der Polizei auf dem revolutionären 1. Mai ein zentrales Thema. Als der Demonstrationszug am Polizeipräsidium ankam, überreichte die Polizei dem Demoanmelder den Text der wenige Minuten vorher herausgegebenen Pressemitteilung. In dieser gaben die Beamten schließlich den faschistischen Hintergrund des Täters zu. Nun hielten es die Behörden aber für wichtig, der Presse und der Öffentlichkeit mitzuteilen, das Opfer sei ein „Linksextremist“. Erst danach gestehen sie ein, dass der Täter „Rechtsextremist“ ist. Von Anfang an bereiteten sie auch die spätere Linie von Polizei und Staatsanwaltschaft vor, indem sie hervorhoben, der Tathergang sei unklar. Dass das Opfer einen Migrationshintergrund hat scheint den Behörden dagegen zunächst keine wichtige Information zu sein.
Noch mehrere Wochen nach der Tat versteifte sich die Staatsanwaltschaft darauf, die Hintergünde lägen aufgrund widersprüchlicher ZeugInnenaussagen im Dunkeln. Aussagen, wonach etwa der Nazi seinem am Boden liegenden Opfer mit voller Wucht ins Gesicht getreten habe, seien nicht veröffentlicht worden, um etwaige spätere ZeugInnen nicht zu beeinflussen. Diese Argumentation des Oberstaatsanwalts Träg ist eine unglaubliche Frechheit angesichts des Umstands, dass die Behörden sehr schnell die Version des Täters veröffentlicht hatten. Dieser und seine bei der Tat anwesende Freundin hatten behauptet, der Antifaschist habe die Nazifreundin wegen ihrer Thor Steinar Tasche beleidigt und bedroht. Der Faschist habe darauf „mit einem Faustschlag“ reagiert. Die Darstellungen der AugenzeugInnen widersprechen dieser Version deutlich. Dass sich die Staatsanwaltschaft in ihren Veröffentlichungen auf die Geschichte des Täters stützt statt auf unabhängige ZeugInnenaussagen, wirft freilich etliche Fragen auf, vor allem vor dem Hintergrund, dass Peter Rausch schon bei seinen bisherigen Straftaten sehr billig davonkam.
Die Verteidigungsstrategie des Nazis Rausch stellt sich übrigens voll auf die Vorgaben der Staatsanwaltschaft ein. Nachdem sich Peter Rausch zunächst von einem „nationalen Anwalt“ vertreten ließ, wechselte er kurze Zeit vor seinem ersten Haftprüfungstermin zu dem für schwierige und prominente Fälle bekannten Anwalt Graemer. Dieser saß bereits für die SPD im Erlanger Stadtrat. Er tut sich nun damit hervor, bei dem Angriff am Plärrer keinen politischen Hintergrund zu erkennen. Schützenhilfe erhält er durch den Nürnberger Oberbürgermeister Ulrich Maly (SPD). Dieser behauptet auf eine Anfrage der Linken Liste auch drei Wochen nach der Tat noch, es sei unklar, ob es sich um einen Naziangriff handle.
Es kam jedenfalls, was kommen musste…
Die Extremismusdebatte und sonstige Ekelhaftigkeiten
„man kennt sich, es schaukelt sich hoch…“. So klingt es, wenn der Fürther Polizeichef Roman Fertinger über einen faschistischen Übergriff spricht, bei dem ein junger Mann beinahe sein Leben verlor. Große Teile der Medien präsentierten sich ein weiteres Mal als willige Vollstrecker dieser Propaganda und stellten den Vorfall als eine Art Bandenkrieg dar. Rechts gegen Links. Extremisten gegen andere Extremisten, das war der Tenor. Sie gingen sogar soweit, den Betroffenen zu diskreditieren, weil er zwei Tage nachdem er aus dem Koma erwacht war, nicht bereit war umgehend auszusagen. Abgesehen davon, dass Aussagen des Opfers gerne einmal zu seinen Ungunsten ausgelegt werden, wurde hier der Gesundheitszustand komplett ignoriert. Ganz offensichtlich sollte hier durch einen billigen Trick der Eindruck erweckt werden, das Opfer des Angriffs habe etwas zu verbergen. Ein behandelnder Arzt reagierte jedoch prompt und attestierte dem jungen Mann seine Vernehmungsunfähigkeit. Immerhin stand er weiterhin unter starken Medikamenteneinfluss und war nach wie vor traumatisiert. Diesen Umstand ignorierten Polizei, Staatsanwaltschaft und lokale Medien wie Nürnberger Nachrichten und NZ. Die Staatsanwaltschaft veröffentlichte gar erneut angebliche ablehnende Äußerungen des Vernehmungsunfähigen. Erst die Abendzeitung brachte eine journalistisch korrekte Darstellung des Falls und scheute sich nicht, bei den Behörden kritisch nachzufragen.
Die Extremismus-Debatte ist nicht neu. So wird zum Beispiel Fürther AntifaschistInnen immer wieder vorgeworfen, dass sie nicht mit der Polizei kooperieren würden. Wenn man einen Blick nach Fürth wirft, liegt der Grund hierfür auf der Hand. Seit langer Zeit machen dort AntifaschistInnen und GewerkschafterInnen kontinuierlich auf das Nazi-Problem in der Stadt aufmerksam. Die Anschläge auf Wohnungen und Fahrzeuge von AntifaschistInnen, auf gewerkschaftliche Einrichtungen und Stadtteilläden häufen sich. Neonazis nehmen seit Jahren unter der Selbstbezeichnung „Anti-Antifa“ besonders in der Region Nürnberg/Fürth antifaschistische Menschen ins Visier. Ziel der „Anti-Antifa“ ist es, AntifaschistInnen öffentlich zu diffamieren, anzugreifen und einzuschüchtern. Zu diesem Zweck veröffentlichte sie mehrfach Berichte im Internet, um bestimmte Personen für die lokale Naziszene zum Ziel zu machen. Opfer solcher Veröffentlichungen, denen in der Vergangenheit mehrfach Anschläge folgten, waren unter anderem bereits LehrerInnen, Journalisten, antifaschistische Jugendliche und GewerkschafterInnen.
Naziumtriebe – Geduldet und geschützt
Die Nazis des „Freien Netz Süd“ terrorisieren seit geraumer Zeit Menschen in der Fürther Innenstadt. Als Ausgangspunkt und Rückzugsort für ihre Überfälle dienen den Nazis oftmals Kneipen wie der „Treffpunkt“. Die Antwort der Polizei auf all das liegt in dem Ratschlag an Nicht-FaschistInnen, sich dort eben nicht mehr blicken zu lassen oder gar in Platzverweisen für AntifaschistInnen, die sich in der Nähe von Nazikneipen aufhalten. Straftaten der Neonazis werden natürlich nicht aufgeklärt. Dagegen verfolgt die Polizei in Fürth mit bemerkenswertem Aufwand AntifaschistInnen.
Der Fürther Oberbürgermeister Thomas Jung (SPD) hält diese Polizeiarbeit in Fürth für „erfolgreich und konsequent.“
Polizei, Stadtspitze und der Fürther Rechtsreferent verharmlosen das massive Naziproblem in der Stadt oder geben gar den von ihnen als „Linksextremisten“ bezeichneten AntifaschistInnen die Schuld.
Bereits wenige Tage nach dem Übergriff am Nürnberger Plärrer wurden in Fürth schon wieder AntifaschistInnen bedroht und attackiert. Doch anstatt die Angriffe auf Häuser, Autos und Menschen von Seiten der Nazis zu verfolgen, lag die Priorität der Strafverfolgung immer bei den AntifaschistInnen. Das Malen mit Straßenmalkreide und die Zerstörung von faschistischen Wahlplakaten waren für die Polizei anscheinend die schwerwiegenderen Delikte. Städtische Verantwortliche und die Polizei in Nürnberg und Fürth ermöglichen den selbsternannten Nachfolgern der NSDAP immer wieder Aufmärsche. So zum Beispiel am 1. Mai 2008 in Nürnberg, als für die Nazis ein ganzes Stadtviertel abgesperrt wurde und die Polizei äußerst brutal gegen AntifaschistInnen vorging. Im Anschluss gab die Polizei den Nationalsozialisten Geleitschutz für ihre Straftaten im Nürnberger Hauptbahnhof, wo sie „Schlagt den Roten die Schädeldecke ein!“ skandierten und „Nieder mit der Judenpest!“ rufen durften.
Oder im Dezember 2009 in Fürth: Hier riefen Neonazis zu einer rassistischen Kundgebung auf. Die Polizei unter der Leitung Roman Fertingers spendierte ihnen hierfür eigens einen Sonderbus des VGN, der die Nazis von Nürnberg zu ihrem Aufmarschplatz in der Fürther Südstadt brachte. Zwei Tage vor dem Angriff am Plärrer wurden einem Stadtteilladen in Gostenhof, wie schon mehrmals zuvor, Fenster eingeworfen. Wenige Stunden später störten Peter Rausch und andere Nazis die Nürnberger Montagsdemo. Auch hier weigerte sich die anwesende Polizei, gegen die Neonazis und Fotografen der Anti-Antifa vorzugehen. Dies sind nur einige wenige Beispiele aus einer langen Reihe von Skandalen.
Es ist noch kein Nazi vom Himmel gefallen…
Doch was will man auch von den Bütteln eines Systems erwarten, das sich Nazis als letzte Alternative warm hält und aktuell als Stimmungsmacher für Rassismus, Sexismus, Leistungsdenken und Nationalismus gut gebrauchen kann. Nazis stellen sich gerne als die wahre Alternative dar. Gerade die so genannten „Autonomen Nationalisten“ geben sich als Systemfeinde und AntikapitalistInnen. Doch was kann kapitalistischer Verwertungslogik mehr entsprechen als die Ideologie der Nazis?! Die kapitalistische Wirtschaft, der bürgerliche Staat und all seine VollstreckerInnen stehen für die Einteilung und Spaltung der Menschen in verwertbare und überflüssige Faktoren im Streben um Profit.
Es handelt sich bei faschistischen Übergriffen also nicht um das von der selbst ernannten Mitte allzeit gepredigte Randproblem. Viel mehr stellen diese Angriffe die traurige Konsequenz aus der Hetze gegen Erwerbslose, Linke und alle dar, die weder in das menschenverachtende Bild kapitalistischer Verwertungslogik passen, noch in das der FaschistInnen. Sie sind es die den rassistischen, sexistischen und nationalistischen Normalzustand lediglich auf die Spitze treiben.
Das sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Somit ist es nicht weiter verwunderlich, dass die wahren GegnerInnen dieses Wirtschaftssystems diffamiert und verfolgt werden – und zwar sowohl von staatlicher Seite als auch von Nazis. Diejenigen, die erkannt haben, dass die Logik des Systems der Fehler ist und eine Veränderung von Grund auf stattfinden muss, sollen es sich bieten lassen, mit Nazis gleich gesetzt zu werden. AntikapitalistInnen, Linksradikale, Revolutionäre, wie immer sie sich nennen mögen, haben mit der Ideologie der Rechten nichts aber auch gar nichts zu tun. Eine befreite Gesellschaft, in der der Mensch und nicht der Profit im Mittelpunkt aller Überlegungen und Entscheidungen steht, in dem die Menschen verschiedenster Nationen nicht mehr gezwungen sind gegeneinander zu konkurrieren, eine solche Gesellschaft zum Ziel zu haben kann nur derjenige verteufeln, dessen Interessen andere sind, der die Unterwerfung der einen und die Herrschaft der Anderen will. Dessen Ideologie auf Unterdrückung, Ausbeutung und Spaltung beruht.
Fazit
Der Übergriff auf den jungen Linken ist nicht nur ein persönliches Drama. Was Staat und Polizei aus dem Vorfall machen, während er noch immer im Krankenhaus liegt, ist politisch bewusst und gewollt. Die Polizei hat hier keinen irrtümlichen Fehler begangen oder unsensibel gehandelt, sondern hat ihrem politischen Auftrag Folge geleistet: Ein Naziproblem in Nürnberg/Fürth gibt es nicht, wenn doch lediglich als Randerscheinung und wenn gar nichts mehr hilft, hat der böse Linke eben provoziert. So einfach ist das. Die Kräfte, die diesem Irrsinn entgegenwirken, von Verwandten über GenossInnen und Freunde, geben aber nicht auf. Nach dem Auftakt am 8. Mai, der mit etwa 1500 DemonstrantInnen nach nur vier Tagen Mobilisierungszeit einen guten Start hatte, soll nun am 29. Mai noch einmal über die regionalen Grenzen hinaus mobilisiert werden. Verschiedenste Gruppierungen von Autonomen, kurdischen und türkischen Verbänden und auch den Gewerkschaften rufen zu einer Doppeldemonstration in Fürth und Nürnberg auf. Im Aufruf des Antifaschistischen Aktionsbündnisses zum kämpferischen Antifablock auf der Demo heißt es „Machen wir unmissverständlich klar, dass wir uns nicht in Betroffenheitsrhetorik zurück ziehen, sondern unsere Wut zu Widerstand wird und Antifa immer Angriff heißt!“
Erschienen in barricada – Mai/Juni 2010