Es soll an uns gespart werden

Das Sparpaket der Bundesregierung ist ein Angriff auf die lohnabhängige Klasse

Es ist sicherlich kein Zufall, dass die Bundesregierung ihr Sparpaket so kurz vor der Fußballweltmeisterschaft angekündigt hat. Im nationalen Fußballtaumel ist es halt eben für die meisten ProletarierInnen nicht so wichtig, was „die da oben“ gerade so treiben. Hauptsache die Nationalelf kommt weiter, bzw. (bei den „alternativeren“ ProletInnen) irgendeine andere Mannschaft, die besonders exotisch anmutet. Kalt lässt das Fußballfest des Sportkonzerns FIFA, der immerhin etwa 2,5 Milliarden Euro einnehmen wird, niemanden so recht. Auch nicht Bundeskanzlerin Angela Merkel, die bereits zum Viertelfinale höchstpersönlich nach Südafrika flog, um der BRD-Elf die Daumen zu drücken (ohne Not übrigens, Schweini und Co hatten den Beistand von Angie gar nicht nötig). Zwei Wochen zuvor hatte die Kanzlerin das Sparpaket betreffend noch verkündet, dass es die Aufgabe sei, „die Menschen mitzunehmen.“ Sie fügte auch hinzu: „Das wird nicht so ganz einfach sein.“ War es dann auch nicht. Merkel hatte zu ihrer, natürlich auf Staatskosten stattfindenden, Fußballreise die anderen Bundestagsfraktionen eingeladen. Je ein/e VertreterIn hätte mitfahren dürfen. Letztendlich wollte aber nur ihre eigene Clique mit, die Oppositionsparteien ließen es sich nicht nehmen, die Fußball-Reise als unverhältnismäßig teuer zu geißeln.

Sparen an denen, die ohnehin nichts haben

Die paar Hunderttausend Euro, die der Flug kostet (laut dem Bund der Steuerzahler kostet eine Flugstunde einer Regierungsmaschine ca. 10.000 Euro), fallen jedoch kaum ins Gewicht, denn insgesamt fehlen im deutschen Staat 47,3 Milliarden Euro zu einem ausgeglichenen Haushalt. Da macht es wenig Sinn, so Kleinkram wie Vergnügungsreisen zu kürzen. Deshalb will die Bundesregierung an wirklich überflüssigem sparen: Den Erwerbslosen. Denn unter dem Motto „Neujustierung von Sozialgesetzen“ erhofft die Bundesregierung etwa 30 Milliarden einsparen zu können. Damit ist der Sozialbereich auch der größte des insgesamt 80 Milliarden umfassenden Sparpaketes. Sozial schwache Menschen dürfen sich aber nicht nur über die Kürzungen ihrer Leistungen freuen, sondern bekommen auch noch zynische Begründungen gratis dazu.
Ein Highlight des Zynismus im Sparpaket, das die Milliardengeschenke an die Banken seit 2008 teilweise ausgleichen soll, ist die Kürzung des Heizkostenzuschusses beim Wohngeld. Obwohl zum Beispiel der Preis für Heizöl etwa 32 Prozent über dem Wert lag, als der Zuschuss 2009 eingeführt wurde, verkündet die Bundesregierung in Bezug auf die steigenden Heizkosten „Erfreulicherweise hat sich die Situation entspannt. Die Rückführung auf das früher geltende Recht ist daher angemessen.“
Für ebenso angemessen hält es die Bundesregierung, ALG II-BezieherInnen mit Kindern das Elterngeld komplett zu streichen. Die 300 Euro, die diese bisher im Monat bekamen, würden den Lohnabstand zu stark verringern. Anders gesagt: Die Eltern von unter 14-Monatigen Kindern sollen sich gefälligst einen Job suchen oder halt auf dem üblichen ALG II-Niveau leben. Das gilt aber natürlich nur für die Hartzies. An alle anderen soll anstatt wie bisher 67 % des Nettoeinkommens nur noch 65% bezahlt werden. Der Höchstbetrag des Elterngeldes soll bei 1800 bleiben, so das die Senkung BesserverdienerInnen nicht betrifft. Menschen ohne Einkommen, die kein ALG 2 beziehen, sollen offenbar weiterhin den Mindestbeitrag von 300 Euro bekommen. Für die ALG II-EmpfängerInnen wird als Begründung ausgeführt, dass die Regelsätze ausreichen, obwohl gerade vor dem Hintergrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2010 davon auszugehen ist, dass die Regelleistungen das soziokulturelle Existenzminimum gerade von Kindern nicht abdecken. Auf der Internet-Seite des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend liest sich die Beschreibung des Elterngeldes in diesem Kontext dann wie der blanke Hohn: „Das Anfang 2007 eingeführte Elterngeld schafft nach der Geburt eines Kindes den notwendigen Schonraum für einen guten Start in das gemeinsame Leben mit dem neuen Familienmitglied. Für Mütter und Väter wird es mit dem Elterngeld einfacher, vorübergehend ganz oder auch nur teilweise auf eine Erwerbstätigkeit zu verzichten und so mehr Zeit für die Betreuung des Kindes zu haben.“ Weil die Bundesregierung aber nicht ganz blöd ist, gibt´s auch einen Appell an die Kommunen, trotz der angespannten Haushaltslage den Ausbau der Betreuungsplätze für unter dreijährige Kinder beschleunigt fortzuführen. Mehr Geld gibt es dafür aber nicht.
Zu den weiteren Gemeinheiten des Sparpakets gehören die Herausnahme von ALG II-EmpfängerInnen aus der Rentenversicherung und die Abschaffung des befristeten Zuschlags beim Arbeitslosengeld II , was bedeutet, dass der Abstieg für LohnarbeiterInnen auf ALG II-Niveau nun wieder schneller abläuft. Ein erwünschter Nebeneffekt dieser Kürzung könnte sein, dass ArbeiterInnen leichter von den Unternehmen erpressbar sind, um ihren Job zu behalten.
Die Umwandlung von Pflichtleistungen in Ermessensleistungen im Bereich der Arbeitslosenversicherung und Grundsicherung für Arbeitssuchende soll etwa 15 Milliarden einsparen. Neben dem Existenzgründungszuschuss ist die berufliche Rehabilitation der größte Ausgabenposten. Dabei handelt es sich um Maßnahmen, die bei Menschen mit Behinderung wegen Art oder Schwere der Einschränkung erforderlich sind, um die Arbeitskraft zu erhalten, zu bessern, herzustellen oder wiederherzustellen.

Kürzen bei den Armen, Großzügigkeit gegenüber den Reichen

Ansonsten will die Bundesregierung mit dem Sparpaket hier und da ein bisschen Geld hin- und herschieben und rein von der Prognose sollen dann insgesamt 80 Milliarden in vier Jahren „gespart“ werden. Nicht verwunderlich ist, dass sich schwarz-gelb durch die Verlängerung der Laufzeiten von Kernkraftwerken Zusatzeinnahmen verspricht. Der größte Witz im ganzen Paket ist aber die sogenannte „Bankenabgabe“ oder auch die „Beteiligung des Bankensektors an den Kosten der Finanzmarktkrise“. Für angemessen hält die Bundesregierung hier etwa 2 Milliarden Euro pro Jahr von allen Banken. Allerdings soll mit dieser Abgabe, die in eine Art Sicherungsfonds laufen soll noch bis 2012 gewartet werden – im Gegensatz zu den Maßnahmen im Sozialbereich. Sollte sie tatsächlich mal eingeführt werden, wären in etwa 86 Jahren die bereits vom Staat bewilligten Milliardengeschenke an Banken und Konzerne ausgeglichen. Zinsen und zu erwartende weitere Geschenke auf Kosten der Mehrheit nicht eingerechnet.
Interessanterweise blendet die Bundesregierung eine Möglichkeit, Geld ran zu schaffen, aber gänzlich aus. Durch zu wenig Personal in den Finanzämtern entgehen dem Staat Milliarden an Steuergeldern. Nach Angaben der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di fehlen allein 3050 BetriebsprüferInnen und 420 SteuerfahnderInnen. Schätzungen, wie viel Geld dadurch an Steuern fehlt, belaufen sich auf 30-100 Milliarden Euro im Jahr. Eine Erhebung des Bundesrechnunghofes ergab 2006, dass nur jeder sechste Einkommensmillionär überprüft wird – obwohl jede Kontrolle zu einer Nachzahlung von durchschnittlich 135000 Euro führte. Betriebe müssen nur alle 50 Jahre damit rechnen, dass ihre Bücher überprüft werden. ArbeiterInnen sind jedoch davor relativ geschützt, „aus versehen“ Steuern zu hinterziehen, denn bei ihnen werden sie direkt vom Lohn abgezogen. Dass die wohl recht übliche Steuerhinterziehung bei Reichen und Unternehmen nicht beendet wird, unterstreicht wunderbar, dass der Staat der herrschenden Klasse dient und selbst in der Krise lieber alleinerziehenden Müttern das Elterngeld kürzt, als vom Millionär 135.000 Euro einzufordern, die er dem Staat ohnehin schuldet.
Auch ist es eher fraglich, ob die im Sparpaket aufgezählten Maßnahmen überhaupt das kalkulierte Einsparpotential haben. Die Unterfinanzierung der öffentlichen Haushalte, vor allem auch der Kommunalhaushalte, wird sich noch lange fortsetzen und durch das Sparpaket noch verschärft werden. Gerade die von der Bundesregierung erwarteten Einsparpotentiale durch eine angebliche Entspannung am Arbeitsmarkt erscheinen doch eher Wunschdenken zu sein. Dennoch sind die angestrebten Sozialkürzungen ein Angriff auf die Lohnabhängigen, denn sie werden sicherlich zu einem weiteren Absinken der Löhne beitragen und auch die prekären Arbeitsverhältnisse werden zunehmen.

Der Widerstand formiert sich

Auch wenn es nach Verkündung des zutiefst unsozialen Sparpakets eher ruhig geblieben ist – in anderen europäischen Staaten ist man da sicher weiter – es formiert sich Widerstand. In Nürnberg haben bereits am 1. Juni rund 20 AktivistInnen der Kampagne „Tatort Alltagskrise“ das Nürnberger Rathaus besucht. Unter dem Motto „Wir zahlen nicht für eure Krise! Kürzt euch doch selber“ wurden symbolisch die Stellen der RathausmitarbeiterInnen gekürzt. Zu diesem Zweck wurde die Inneneinrichtung einiger Büros, u.a. Stühle, Pflanzen, Essen, Ordner und anderes Büromaterial von in weißen Overalls gekleideten AktivistInnen auf den Hauptmarkt getragen. Es wurden Flugblätter an PassantInnen und BesucherInnen des Rathauses verteilt. Das Ziel der AktivistInnen war nach eigenen Angaben, die Verantwortlichen für die finanziellen Einschnitte im sozialen und kulturellen Bereich mit dem Unmut der Betroffenen zu konfrontieren und auf die katastrophale Situation in den Kommunen aufmerksam zu machen. Diese hat zur Folge, dass immer mehr Kosten auf die BürgerInnen verlagert werden, was sich sowohl in steigenden Preisen für öffentliche Dienstleistungen wie Fahrkarten- oder Schwimmbadpreise, als auch in der Streichung von Zuschüssen für kulturelle Einrichtungen ausdrückt.
Kathrin Müller, eine Aktivistin von „Tatort Alltagskrise“ bringt es auf den Punkt: „Unsummen an Geldern werden lieber in Prestigeobjekte gesteckt, anstatt uns den Zugang zu grundlegenden Dingen, wie Mobilität zu ermöglichen.“

Demos in Stuttgart und Berlin

Am 12. Juni demonstrierten in Berlin etwa 20.000 und in Stuttgart etwa Zehntausend Menschen unter dem Motto „Wir zahlen nicht für eure Krise!“ gegen die geplanten Kürzungen im Sozialbereich. Die Demonstrationen waren schon lange vor der Verkündung des Sparpaketes geplant und von breiten Bündnissen aus antikapitalistischen Gruppen, Parteien und Gewerkschaften vorbereitet worden. In Stuttgart kam es zu massiven Protesten, als auf der Abschlusskundgebung Parteifunktionäre von SPD und Grünen reden wollten. Der Fraktionsvorsitzende der SPD im Landtag, Claus Schmiedel, und die Parteifunktionärin der Grünen bekamen die Ablehnung eines großen Teils der DemonstrationsteilnehmerInnen gegen ihren Auftritt direkt zu spüren. Bereits im Vorfeld war das Auftreten von Funktionären der für die Hartz-Gesetze verantwortlichen Parteien sehr umstritten. Linke Gruppen hatten auch angekündigt, dagegen zu protestieren. Von DGB-OrdnerInnen wurde dann veranlasst, dass vermummte Polizei-Spezialeinheiten gegen die DemonstrationsteilnehmerInnen vorgingen und selbst auf der Rednerbühne postierten sich behelmte PolizistInnen. Der MetallerInnentreff des Stuttgarter Zukunftsforums schreibt in einem offenen Brief: „Es war richtig, dass der Fraktionsvorsitzende der SPD-Landtagsfraktion gnadenlos ausgepfiffen und ausgebuht wurde und auch der Protest gegen die Grünen-Rednerin war voll berechtigt. Die Sprechchöre ‚Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten! Wer war mit dabei? Die grüne Partei? Hartz IV, das wart ihr! SPD und Grüne, runter von der Bühne! haben den Nagel auf den Kopf getroffen und die Stimmung der Mehrheit der Kundgebungsteilnehmer zum Ausdruck gebracht.“ Zu den Eierwürfen stellen die MetallerInnen fest: „Wir sagen ganz klar, dass hinter dem Hartz-IV-Gesetz weitaus mehr Gewalt gegen Menschen steckt als hinter ein paar Eierwürfen. Die Wut, die sich dadurch entlädt, haben die Politiker selbst zu verantworten.“
In Berlin sorgte ein besonders lauter Feuerwerkskörper, der auf schlägernde PolizistInnen geworfen wurde, für besonderes Aufsehen. Doch schon wenige Tage, nachdem die üblichen Hetzblätter in Zusammenarbeit mit der Pressestelle der Polizei von einer Splitterbombe fabuliert hatten, musste die Story wieder der Realität angepasst werden. Dennoch war die angebliche Bombe sogar im Bundestag Thema. Zu diesem Anlass distanzierte sich Halina Wawzyniak, die Rednerin der Linken mit den Worten „Gewalt ist für die Linke kein legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung. Gewalt ist aber auch kein Mittel linker Politik“ pflichtbewußt von jeglicher Gewalt.
Während also die DGB-Gewerkschaften und die Linkspartei durchwachsene Bündnispartner für den Widerstand gegen Sozialkürzungen bleiben, braucht es eine breite soziale Bewegung, die sich bewusst ist, dass im Kapitalismus nichts verschenkt wird, sondern alles erkämpft werden muss. Dass selbst die grundlegendsten Bedürfnisse im Kapitalismus nicht sicher sind, sondern jederzeit den Interessen des Kapitals geopfert werden können. Allen, denen es wirklich ernst ist mit sozialer Gerechtigkeit, muss es darum gehen, die Ursache für die Krise zu eliminieren. Es ist der Kapitalismus, der immer wieder Krisen hervorbringt. Es ist der Kapitalismus, der die Produktion in die Hände aller legt, aber den gesellschaftlichen Reichtum unter der herrschenden Klasse verteilt. Sich wie die SozialdemokratInnen darüber auszuweinen, dass das Sparpaket sozial ungerecht ist, ohne festzustellen, dass ein kapitalistischer Staat nur ein solches hervorbringen kann, ist entweder dumm oder pure Heuchelei. (Die Geschichte lässt vermuten, dass bei den SozialdemokratInn letzteres zutrifft.) Wollen wir eine Gesellschaft, in der es sozial gerecht zu geht, muss die Wirtschaft nach den Bedürfnissen der Menschen organisiert werden.

Erschienen in barricada – Juli 2010